Stuttgart, 16. Juni. Sehr lange Debatten ent­spannen sich in der evangelischen Landessynode bei dem Artikel 5 des Gesetzentwurfs betr. die evangel. Kirchen ge­meinden, dessen erste Lesung heute beendet wurde. Dieser Artikel 5 spricht aus, daß der Kirckeugemcinderat die Be­sorgung der dem Pfarrgemeinderat zugewiesenen Angelegen­heiten zu übernehmen und neben den vermögensrechtlichen Aufgaben den Beruf hat, in Unterstützung der pfarramtlichen Thätigkeit nach bestem Vermögen zum religiösen und sittlichen Aufbau der Gemeinde zu helfen u. s. w. Die Synode unter­ließ nicht, ihre Rechtsüberzeugung darüber auszusprcchen, was sie unter kirchlicher Trauung, Taufe und Konfirmation, die als Wahlerfordernisse für den Kirchengemeiuderat fixiert sind, versteht. Wer darnach seine Kinder der Taufe entzieht, geht seines Wahlrechts verlustig, und zwar soll ein solchesEnt­ziehen" auch angenommen werden können, wenn ein Vater feine Kinder durch einen Geistlichen einer anderen Konfession taufen läßt. Eine ganze Anzahl mehr untergeordneter Ge­sichtspunkte kam noch in der Debatte zum Ausdruck. Ange­nommen wurde ein Antrag von Schmid I., der dahin ging, daß die Wahl in den Kirchengemeinderat in der Kirche statt­finden soll, und welcher bezweckt, auf diese Weise die kirchen­feindlichen Elemente von 1 er Wahl fernzuhalten. Bei Artikel 11 forderte Beutter unter dem Beifall der Synodalen die Kirchengemeinden auf, anstatt kirchliche Umlagen auf die Kirchengemeindegenossen zu beschließen, sich lieber vertrauens­voll an die politischen Gemeinden zu wenden, die zu Freige- bigkeitSlcistungcn an die Kirche stets gern geneigt seien.

Stuttgart. Wie derSt.Anz." erfährt, ist Allerhöchsten Orts befohlen worden, daß am Sarge des Hochseligen Kaisers Friedrich Majestät von den Königlichen Truppen Kränze niedergelegt werden, und zwar einer für das Kön. Armeekorps durch den kommandierenden General v. Alvensleben und einer für das Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich, König von Preußen Nr. 125 durch den Regiments- Kommandeur Oberst v. Sprösser.

Stuttgart. Nach einem letztwillig ausge­sprochenen Wunsch sind zum Tragen des <L>arges des verewigten Kaisers auch zwei Unteroffiziere seines württembergischen Regiments bestimmt worden.

Stuttgart. In Folge des Hingangs Seiner Majestät des Kaisers Friedrich haben natürlich die Tage des Musikfestes eine Aenderung erleiden müs­sen. Das Komite ist sofort in Beratung und mit den auswärtigen Solisten in telegraphischen Verkehr getreten und nach mehrfachen Ueberlegungen hat man sich dahin geeinigt, daß das Musikfest nunmehr defi- ! nitiv am Samstag, Sonntag und Montag, den 23., 24. und 25. d. M. stattfinden wird. Am ersten Abend soll programmgemäß der Josua aufgeführt werden, der zweite und der dritte Abend mußte eine Umgestaltung deswegen erfahren, weil Herr Professor Joachim nur am nächsten Montag abkömmlich war ! und so ist beschlossen worden, daß am zweiten Kon- zerttage, am Sonntag, das Programm des dritten! Tages (Parsifal, d'Albert und Paradies und die ^ Peri), am dritten Abend dagegen das eigentliche So- listen-Konzert mit Joachim, den Solosängerinncn, der Eroica, ausgeführt wird. Für die Abonnements­plätze gibt es in Bezug auf die Eintrittskarten kei- nerlei Aenderung. während für die Einzelbillets das Billet für den zweiten Abend für den dritten und j umgekehrt das für den dritten Abend für den zweiten giltig sein wird. In den heute ausgegebenen Text­büchern sind diese Aenderungen genau vermerkt.

Stuttgart, 20. Juni. (Privattelegramm des l Gesellschafters.) Kiel. Der DampferNord" ge­riet in Brand, 8 Mann, die in einem Boot Ret­tung suchten, gingen unter. Der Kapitän war an Bord des brennenden Schiffes geblieben; er wurde durch den DampferStormarrp gerettet; dann lei­stete der PanzerBaden" Hülfe, löschte den Brand und schleppte denNord" nach Friedrichsort.

Baden-Baden, 17. Juni. Sicherem Ver­nehmen nach wird die Kaiserin Mutter Augusta , in etwa 8 Tagen wieder hierher zurückkehren.

Hamburg, 17. Juni. Die auf heute miltag einbcrufene außerordentliche Sitzung der Bürgerschaft genehmigte einstimmig den Senatsantrag, den Tag der Beisetzung des Kaisers zu einem bürgerli­chen Feiertag zu erklären.

Berlin, 17. Juni. Am Donnerstag spielte sich am Lager des Heimgegangenen Kaisers eine tief ergreifende Szene ab. Der Kaiser fühlte, daß es zu Ende gehe. Da drängte es ihn , noch einmal seine Lcibdienerschaft um sich zu sehen, die Männer, die seit langen Jahren in seinen Diensten standen. So ließ er sich im Lehnstuhl auf die Terrasse hinter sei­nem Schlafzimmer rollen und hier nahm er von der Dienerschaft Abschied. Er reichte Jedem noch einmal die Hand und küßte ihn auf die Stirn. Dann winkte er noch einmal mit der Hand zum Abschied. Mit Thränen im Auge schieden die Männer, denen der Kaiser stets ein liebevoller, nachsichtiger Herr gewesen war.

Der A. Ztg. wird vom 16. gemeldet: Kaiser Friedrich war an den letzten beiden Tagen ohne Schmerzen; das Bewußtsein schwand erst 2 Stunden vor dem Tode.

Berlin. Das Körpergewicht des verstorbenen Kaisers, der in gesunden Tagen 210 Pfund wog, ist auf 90 Pfund zurückgegangen.

Berlin. Die Eröffnung der Leiche des Kai­sers fand infolge hausgesetzlicher Vorschriften statt, obwohl der Kaiser und die Witwe sie nicht wünschten.

Berlin, 17. Juni. Die deutschen Vereine in Newyork und in Chicago haben anläßlich des Ab­lebens des Kaisers Friedrich der kaiserlichen Familie ihr Beileid ausgedrückt.

Potsdam, 17. Juni. Der Andrang des Publikums vor Schloß Friedrichskron ist ein kolossa­ler; jeder Eisenbahnzug bringt große Massen und von Berlin sind 200 Schutzleute hier eingetroffen, um vor Friedrichskron die Ordnung aufrecht !zu er­halten.

Potsdam, 17. Juni. Unzählige Menschen­scharen sind heute seit den frühesten Morgenstunden nach Schloß Friedrichskron herbeigeströmt, wo in der Jaspis-Gallerie die Leiche der Kaisers aufgebahrt ! liegt. Vom Bahnhof bis zum Schlosse rückt langsam, l oft stockend, doch in bester Ordnung innerhalb des militärischen Kordons ein dicht gedrängter Zug zum Schlosse vor, Leute aller Stände. Auf schwarz be­legtem Podium, von ergreifend wirkenden Trauerde­korationen umgeben, ist die Leiche im Paradesarg aufgebahrt. Bor und zu den Seiten des Sarges ist ein prächtiger Flor von Kränzen und Blumen mit Widmungen, darunter solche von zahlreichen Regi­mentern. Hinter dem Kopfende des Sarges steht ein schlichter Altar mit Kruzifix und Christusbild. Das Ganze ist im Hintergründe durch einen schwarzen Sammetaufbau mit Traucrpalmen abgeschlossen. Im purpurrot ausgeschlagenen Sarge ruht die Leiche des Kaisers in Generalsuniform mit leicht umgelegtem Militärmantel. Das Haupt ist unbedeckt. Die Züge sind seit dem Tode unverändert. Oben am Katafalk neben brennenden Kandelabern halten zwei Hosbe- amte, mehr seitwärts ein Schloßgardist und ein Gardehusar Wache. Am Fußende ist das Reichsban­ner ausgebreitet; aus Tabourets ruhen die Insignien der Kaiser- und Königwürde, die Orden und Feld- marschall-Abzeichen. Der Gesamteindruck ist einfach, aber tief ergreifend. Für die Beisetzungsfeier werden auf dem Weg nach der Friedenskirche Tribünen er­baut, Billets finden reißenden Absatz. Das sonst so stille Potsdam ist heute ein Wallfahrtsort, eine Stätte regsten Treibens.

Berlin, 17. Juni. Der Reichstag wird, derF. Z." zufolge, vom Kaiser selbst im Weißen Saale mit einer Thronrede eröffnet werden.

Im Auftrag des Zaren wird sein Bruder, Großfürst Wladimir, an den Beisetzungsfeierlich­keiten in Potsdam teilnehmen.

Aus Bologna kommt eine Studentendepu­tation zur Beisetzung, die Deutschen im Auslande senden prächtige Kränze.

Königin Viktoria von England ist nicht mit zur Leichenfeier nach Potsdam gereist.

Die Meldung, daß Sir Morell am letzten Mittwoch veranlaßt worden sei, den Kaiser über die Aussichtslosigkeit seines Zustandes aufzuklären, scheint richtig. Der Kaiser nahm die Mitteilung völlig ge­faßt entgegen. Man nimmt vielleicht an, daß der Kaiser durch die Meldung nicht allzu sehr überrascht worden sein möge; das ist indessen nicht zutreffend. So wird konstatiert, daß der Kaiser vor kaum noch acht Tagen einen langen Brief mit den Wor­ten:Ihr langsam Genesender F." unterschrie­ben hat. Schon daraus ist ersichtlich, daß der Kai- , ser von seinem nahen Ende keine Ahnung hatte, als k er vor 6 Wochen die Bestimmung traf, daß seine Leiche möglichst prunklos in der Friedenskirche in ^ Potsdam beigesetzt werden, und daß keine öffent- ^ liche Ausstellung der Leiche stattfinden solle. Ein, Korrespondent derNeuen Züricher Zeitung" sah gleichfalls dieser Tage im Original einen rührend hoffnungsfrohen Brief, welchen der Verewigte Mitte Oktober vorigen Jahres ans dem Süden nach Ber­lin schrieb, des Inhaltes, daß Dr. Mackenziedas eigentliche Nebel nun als bezwungen be­trachte" und ihm nur noch eine schonende Nachkur vorschreibe.

Berlin, 17. Juni. Vielbemerkt wird die sehr bestimmt aufrretende Nachricht der Post, daß der

Kaiser von Rußland, wenn nicht dringende Hinder­nisse eintreten, bestimmt nach Kopenhagen geht. Man knüpft daran die Annahme, daß der Zar dann dem deutschen Kaiserhofe einen Besuch abstatte» und Wil­helm II. gegenüber die innigen Beziehungen bekräf­tigen wird, die ihn mit Wilhelm I. verknüpft haben. Augenscheinlich ist seit einiger Zeit auch das politische Verhältnis Rußlands zu Deutschland ein besseres geworden.

Aus der Kaiserlichen Familie. Die Kai­serin-Witwe Viktoria und ihre 3 vaterlosgewordenen Töchter sind trostlos. Ihnen stehen besonders die Kaiserin Viktoria Augusta, Prinz und Prinzessin Heinrich zur Seite. Kaiser Wilhelm ist stark durch Staatsangelegenheiten in Anspruch genommen, stattet aber häufigere Besuche in Friedrichskron. Der junge Monarch ist tief ergriffen. Als er Sonnabend Mit­tag den greisen Feldmarschall Grafen Moltke empfing, konnte er sich der Thränen kaum erwehren. Graf Moltke verweilte längere Zeit sodann im Sterbe­zimmer Kaiser Friedrichs. Am Sonntag erschien dort die trotz ihrer Schwäche aus Baden-Baden zurückge­kehrte Kaiserin-Mutter Augusta. Die schwer geprüfte Frau, die in so kurzer Zeit den Gemahl und den einzigen Sohn verloren, bot ein unsäglich rührendes Bild. Auch der Großherzog und die Großherzogin von Baden sind in Potsdam eingetroffen. Ferner kommen der König von Sachsen, der Prinz von Wales, die Großherzoge von Hessen und Weimar, der Bruder des Kaisers von Oesterreich, der Groß­fürst-Thronfolger von Rußland, Prinz Leopold von Bayern rc.

Potsdam, 18. Juni. Gestern abend 6 Uhr fand in Friedrichskron eine Trauerfeier statt, welche von Hofprediger Kögel abgehalten wurde und wel­cher das Kaiserpaar, die Kaiserin-Witwe Viktoria und Kaiserin Augusta, sämtliche Familienmitglieder sowie alle eingetroffenen Fürstlichkeiten und die Hofstaaten anwohnten. Nach Beendigung der Feier wurde der Sarg in Gegenwart des Kaisers, des Hausministers, Justizministers und anderer dazu befohlener Persön­lichkeiten geschlossen, verlötet und in dem Paradesarg aufgebahrt, in welchem auch Kaiser Wilhelm aufge­bahrt war. Hierauf traten zur Bewachung der Leiche die kommandierten Generale und Stabsoffiziere in Funktion.

Potsdam, 18. Juni. Der Leichenzug des Kaisers dauerte IVe Stunden. Moltke ging allein im Zuge vor den Rittern des schwarzen Adlerordens. Kaiser Wilhelm schritt in fester Haltung zwischen dem König von Sachsen und dem Prinzen von Wales. Es fand nur liturgischer Gottesdienst und die Ein­segnung durch Oberhofprediger Dr. Kögel statt, da­gegen keine Predigt. Die Rede unterblieb auf An­ordnung der Kaiserin Viktoria nach mündlich ausge­sprochenen Wünschen des Heimgegangenen Kaisers. Schriftliche Bestimmungen hintcrließ der Kaiser nicht. Tiefergreifend war, als der Kaiser und sämtliche Leid­tragende am Schluffe der Feier, während draußen die Kanonen donnerten und die Salven knatterten, am Sarge niedersanken, um knieend ein Gebet zu verrichten. Der Reichskanzler wohnte aus Gesund­heitsrücksichten der Leichenfeier nicht bei. Kaiserin Augusta verließ nach der Festlichkeit in der Jaspis- Gallerie, schwächehalber, Potsdam, ohne der Beisetzung in der Friedenskirche beizuwohnen.

Potsdam, 18. Juni. (Zur Beisetzungsfeier). Nachdem der letzte Ton des ChoralsJesus, er mein Heiland, lebt" verklungen war, senkte Generalseld- marschall Graf Blumenthal das Reichspanier auf den Sarg. Die Mitglieder der königlichen Familie küßten das Kopfende des Sarges und verließen als­dann das Gotteshaus. Nach Schluß der Beisetzungs­feierlichkeiten in der Friedenskirche und nachdem die Leidtragenden das Gotteshaus verlassen hatten, er­schien die Kaiserin Viktoria und nahm einen weihe­vollen Abschied von ihrem allerhöchsten Gemahl.

Berlin. Eine Nachricht von einer Abreise der Herren Mackenzie und Hovell ist falsch; beide bleiben a ls Gäste der Kaiserin Viktoria in Friedrichskron und reisen in dieser Woche erst nach England zurück. Am Freitag Nachmittag hatte Kai­ser Wilhelm eine lange Unterredung mit Mackenzie in Gegenwart hes Bismarck.

Sir Morell Mackenzie hat auf ausdrück­lichen Befehl Kaiser Wilhelms einen Bericht über die Krankheit Kaiser Friedrichs erstattet. In diesem Schriftstück erklärt Mackenzie etwa folgendes:Es