kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Krankheit Kaiser Friedrichs Krebs des Kehlkopfes gewesen ist. Die Diagnose war aber in hohem Grade dadurch er­schwert worden, daß von Anfang an die Knorpel des Kehlkopfes von der Krankheit ergriffen waren und daß der Krankheitsprozeß sich vorzugsweise in den tieferen' Schichten - des Knorpelgewebes abspielte, was zu einer Verdunkelung des Krankheitsbildes führte" u. s. w.

Im Juni vorigen Jahres nahm der selige Kai­ser Friedrich, damalige Kronprinz, an der Feier des 50jährigen Jubiläums der Königin Viktoria von England teil und war die stolzeste Erscheinung unter allen fürstlichen Gästen. Bei einem Festmahl der Fa­milie erhob er sich zu einem Trinkspruch es war sein letzter Toast, in welchem er die Tugenden des Heimgegangenen Prinzgemahls Albert feierte. Der Kronprinz sagte, er habe sich seinen seligen Schwieger­vater zum Vorbild erkoren und wolle dem Beispiel desselben Nachfolgen. Königin Viktoria that auf die­sen Trinkspruch ihres Schwiegersohnes mit Thränen in den Augen Bescheid und sagte:In allem magst Du meinen seligen Gemahl zum Muster nehmen, nur nicht in dem allzufrühen Sterben!" Der Kronprinz trug, wie wir jetzt erfahren haben, damals schon den Keim der Krankheit in sich, die zu einer Quelle des nationalen Leides wurde und jetzt ein so trauriges Ende herbeigeführt hat.

Proelarnation des Kaisers und Königs Wilhelm II

An mein Volk!

Gottes Ratschluß hat über uns aufs Neue die schmerzlichste Trauer verhängt. Nachdem die Gruft über der sterblichen Hülle Meines unvergeßlichen Herrn Großvaters sich kaum geschlossen hat, ist auch Meines heißgeliebten Vaters Majestät aus dieser Zeitlichkeit zum ewigen Frieden abgerufen wor­den. Die heldenmütige, aus christlicher Ergebung erwachsene Thatkraft, mit der er seinen königlichen Pflichten ungeachtet seines Leidens gerecht zu werden wußte, schien der Hoffnung Raum zu geben, daß er dem Baterlande noch länger erhalten bleiben werde. Gott hat es anders beschlossen. Dem königlichen Dulder, dessen Herz für alles Große und Schöne schlug, sind nur wenige Monate beschieden gewesen, um auch auf dem Throne die edlen Eigenschaften des Geistes und Herzens zu bethätigen, welche ihm die Liebe seines Volkes gewonnen haben. Der Tugen­den, die ihn schmückten, der Siege, die er auf dem Schlachtfelde einst errungen hat, wird dankbar ge­dacht werden, solange deutsche Herzen schlagen, und .unvergänglicher Ruhm wird seine ritterliche Gestalt in der Geschichte des Vaterlands verklären. Auf den Thron Meiner Väter berufen, habe Ich die Regierung im Aufblick zu dem König aller Könige übernommen und Gott gelobt, nach dem Beispiele Meiner Väter Meinem Volke ein gerechter und milder Fürst zu sein, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu Pflegen, den Frieden zu schirmen, die Wohlfahrt des Landes zu fördern, den Armen und Bedrängten ein Helfer, dem Recht ein treuer Wächter zu sein.

Wenn Ich Gott um Kraft bitte, diese königli­chen Pflichten zu erfüllen, die sein Wille Mir auf­erlegt, so bin Ich dabei von dem Vertrauen zum preußischen Volke getragen, welches der Rückblick auf unsere Geschichte Mir gewährt. In guten und in bösen Tagen hat Preußens Volk stets treu zu seinem König gestanden. Auf diese Treue, deren Band sich Meinen Vätern gegenüber in jeder schweren Zeit und Gefahr als unzerreißbar bewährt hat, zähle auch Ich in dem Bewußtsein, daß Ich sie aus vollem Herzen erwidere, als treuer Fürst eines treuen Volkes, beide gleich stark in der Hingebung für das gemeinsame Vaterland. Diesem Bewußtsein der Gegenseitigkeit der Liebe, welche Mich mit Meinem Volke verbindet, entnehme ich die Zuversicht, daß Gott Mir Kraft und Weisheit verleihen wird, Meines königlichen Amtes zum Heile des Vaterlandes zu walten.

Potsdam, den 18. Juni 1888.

W i l h e l m II.

Berlin, 19. Juni. Die Thronrede dürfte erst das eigentliche Programm des Kaisers Wilhelm II. enthalten.

Berlin, 19. Juni. Ein Erlaß des Kaisers vom 18. Juni ordnet für weiland Kaiser Friedrich eine Gedächtnis-Feier am 30. Juni in allen Lehr­anstalten und Schulen der Monarchie an.

Kaiser Wilhelm II., der, am 27. Januar

1859 geboren, mit 29 Jahren und 5 Monaten zur Regierung gelangt, ist in der Reihe seiner Vorgänger auf dem brandenburg-preußischen Throne seit dem großen Kurfürsten noch bei Weitem nicht der jüngste Herrscher. Der große Kurfürst selbst war erst 20 Jahre und 10 Monate, Friedrich der Große 28 Jahre und 4 Monate, Friedrich Wilhelm I. 24 Jahre und 6 Monate, und der Urgroßvater des jetzigen Kaisers, Friedrich Wilhelm III., 27 Jahre und 3 Monate beim Regierungsantritt alt. Aelter als Kaiser Wil­helm II. waren abgesehen von seinem Vater und Großvater beiin Regierungsantritt nur Friedrich I. (30 Jahre 9 Monate), Friedrich Wilhelm II. (41 Jahre 11 Monate) und Friedrich Wilhelm IV. (44 Jahre 8 Monate).

Schweiz.

Basel, 19. Juni. In dem Prozeß wegen des Fastnachtpamphlets beschloß die Kriminalkammer in öffentlicher Beratung, es sei Schill zu einer Geld­buße von 800 Franken, einer Urteilsgebllhr von 200 Franken und zu sämtlichen Kosten zu verurteilen. Oesterreich Ungarn.

Wien, 16. Juni. Kaiser Franz empfing die Trauernachricht thränenden Auges, indem er sagte: Nun hat er ausgelitten".

Die,Teilnahme in der Presse und im Publikum ist gleich groß, überall wird der tote Kaiser nach Gebühr gefeiert. Das hochoffiziöseWiener Frem­denblatt" betont, der neue Kaiser werde wie sein Vater und Großvater Oesterreich-Ungarn ein starker Verbündeter sein, er werde an dem Bunde festhalten, auf welchen die Natur selbst beide Reiche hingewiesen. Die Beziehungen zwischen beiden Höfen, die Freundschaft zwischen dem jungen Kaiser und dem österreichischen Kronprinzen verliehen dem Verhältnis auch das Siegel persönlicher Intimität. Der große Ratgeber Kaiser Wilhelms sei heute, was er immer gewesen. Nichts werde sich daran ändern, daß die Kraft der Nation nur zur Verteidigung des Errunge­nen aufgeboten werde, nicht aber für ehrgeizige und abenteuerliche Pläne.

Wien, 18. Juni. Wie verlautet, wechselten Kalnoky und Bismarck Depeschen, welche die Fort­dauer des Bündnisses bekunden.

Einen Mißtou in die allgemeine Sympathie für die deutsche Kaiserfamilie hat das in Wien er­scheinende klerikale Vaterland gebracht, indem es schreibt:Es trifft die Hand des Herrn den Erben in der Blüte seiner Jahre mit schrecklichem Siechtume und rafft ihn nach bejammernswerten Leiden fort, kaum daß er die Kaiser­krone ergreifen konnte, die er mit Blut und Eisen zu ge­winnen half. Wer mitgethan an dem blutigen Werke, soll die Früchte derselben so scheint es im Rate Gottes be­schlossen nicht genießen. Ein jüngeres Geschlecht ist zum Throne berufen, welches mit schuldlosen Händen an die Erb­schaft der Gewalt herantritt und dem es anheimgestellt ist, freiwillig Sühne zu leisten, wo sie auf Erden noch möglich ist. Wehe dem neuen Erben, wenn er die ungereinigte Erb­schaft antritt; mit dem Segen, der an heldenmütigen Thaten haftet, übernimmt er den fortzeugenden Fluch ungcsühntcr Frevel." (Pfui Schande einer solchen Sprache!)

Der der Proklamation vorausgegangene A r- meebefehl des Kaisers Wilhelm macht in der Wiener Presse einen gewaltigen Eindruck. Das Frem- denblatt rühmt die Markigkeit der schönen, von Ernst und Wärme durchdrungenen Befehle an Armee und Marine. Diese Kundgebungen werden von Europa betrachtet werden als die Aeußerungen eines entschlos- senen und ruhigen Kraftbewußtseins.Wilhelm II. will in seinem Heer die kriegerischen Eigenschaften stählen, nicht um den Frieden zu stören, sondern um den Frieden zu erhalten. Auch Wilheim II. will den Frieden." Die Neue Freie Presse betont die merk- ! würdige, dem jugendlichen Alter des neuen Kaisers ^ sonst seltene Festigkeit des Armeebefehls, entdeckt aber darin kein Merkmal für die Zukunft, eine kriegerische! Auslegung der Kundgebung sei jedenfalls unberech- ^ tigt. Ueber das Programm Wilhelms II. werde erst ^ die Proklamation an sein Volk Aufschluß geben. Die Deutsche Zeitung sagt, der Erlaß klinge wie Donner­hall und Wogenprall; er werde den Machthabern in! Paris wie in Petersburg zum Bewußtsein bringen, daß es gefährlich sei, Deutschland zum Kampf herauszufordern. Fast die gesamte Wiener Presse äußert ihre lebhafte Entrüstung über die (oben von uns gekennzeichnete) den Kaiser Friedrich und das preußische Königshaus schmähende Kundgebung desi klerikal-feudalen und welfisch gesinntenVaterland". Insbesondere die Deutsche Zeitung geißelt die empö­rende Roheit, die in dem Artikel zu Tage trat.

Prof. Schrötter-Wien erklärt, daß er seinerzeit in San Rcmo Krebs konstatiert und als

mögliche Rettung des Kaisers die Ausschneidung des Kehlkovfes empfohlen, welche jedoch abgelehnt worden sei. Er habe hierüber nur dem Kaiser Franz Jo­sef und Kronprinz Rudolf Kenntnis gegeben, be­halte sich aber jetzt vor-, mit seine» Anschauungen , über die Krankheitsgeschichte vor die Oeffentlichkeit zu treten.

Frankreich.

! In Frankreich schließlich giebt es gewaltige ^ Unterströmungen, die uns den Frankfurter Frieden und seine Erfolge mißgönnen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn es den chauvinistischen Elementen in Frankreich gelänge, heute eine Koalition gegen das deutsche Reich zu stände zu bringen, wir morgen den Ausbruch eines Angriffskrieges sofort zu er- ! warten hätten. Allein da es den Anstrengungen der . deutschen Staalskunst seit 17 Jahren möglich war,

- diese Eventualität von uns fcrnzuhalten, da ferner , unsere Verteidigungsrüstung keine so achtunggebietende > geblieben, wie nur je zuvor, da endlich die Republik ^ in ihrer inneren Zerrüttung kein sehr verlockendes ! Allianzobjeckt bieter, so dürfen wir hoffen, daß auch unter Kaiser Wilhelm der bestehende Friedens- ! zustand unserem westlichen Nachbar gegenüber zunächst ! keine Störung erleiden werde, zumal wenn wir fort­fahren, wie bisher jede peinliche Herausforderung der Besiegten von 1870/71 zu vermeiden, ohne deshalb auch nur auf ein Titelchen unseres guten Rechtes zu verzichten.

England.

In England ist aus Anlaß des Todes S. M. des deutschen Kaisers Friedrich eine Hoftrauer auf 6 Wochen und für die Armee und Marine eine Trauer auf 3 Wochen angeordnet worden. Gleich­zeitig hat die Königin Viktoria ihren persönlichen Wunsch bekannt gegeben, daß alle ihre Unterthanen vom 16. Juni ab auf 14 Tage Trauer anlcgen.

London, 18 Juni. Um 1 Uhr wurden zu Ehren des -f Kaisers Friedrich 60 Kanonenschüsse abgefeuert; die Garde zu Fuß und die Garde zu Pferde waren in Parade aufgestellt und präsentierten das Gewehr. In der Kapelle zu Balmoral sand ein Trauergottesdienst statt.

London, 18. Juni. DieSt. James' Ga­zette" erwartet ein rascheres Borschreiten der Diplo­matie und hofft auf einen baldigen Anschluß Eng­lands an den Dreibund.

Rußland.

Petersburg. 19. Juni. Kaiser Wilhelm ist zum Chef des Petersburger Grenadier-Regiments ernannt worden.

Spanien.

Madrid, 16. Juni. Im Senat gedachte der Präsident in bewegten Worten des Ablebens des Kaisers Friedrich. DaS Haus beschloß darnach, an die deutsche Botschaft eine Deputation zu ent­senden , welche der Teilnahme des Senats an dem schweren Schlage, der die kaiserliche Familie und das deutsche Volk betroffen, Ausdruck geben soll.

Handel K Berkehr.

Tübingen, 16. Juni. Von dem gestrigen Wochcn- markte notieren wir folgende Preise: 1 Pfd. Butter 8892 4, 1 Liter Milch 13 4, 1 Pfd. Rindschmalz 4L 1.20., Schwei­neschmalz 70 4, 2 Stück Eier 810 4, 1 Ztr. Kartoffeln 3 20 4, 1 Bund Kornstroh 88 4, 1 Ztr. Heu 4 50 4.

Fleischprcise: 1 Pfd. Mastochsenfleisch 60 4, Rindfleisch 4854 4, Kuhfleisch 44 4, Kalbfleisch 40 n. 44 4, Schweine­fleisch 50 und 56 4.

Ulm, 16. Juni. Wollmarkt. Letzter Markttag. Nachdem gestern die Preise sich gemacht hatten, ging das Geschäft so rasch von statten, daß bis gegen abend sämtliche gelagerte Wolle ca. 4200 Ztr. verkauft wurde. Die Preise stellen sich für geringere Bastardwolle von 120 -125 4L, für gute Bastardwolle, welche Sorte den größten Teil der Lager ansmachtc, auf 128- 135 .6, feinere Bastardwolle 138160 4c.

Verfälschte schwarze Seide. Man ver­brenne ein Müstcrchcn des Stoffes, von dem man kaufen will, und die etwaige Verfälschung tritt sofort zu Tage: Rechte, rein gefärbte Seide kräuselt sofort zusammen, ver­löscht bald und hintcrläßt wenig Asche von ganz hell­bräunlicher Farbe. Verfälschte Seide fdie leicht speckig wird und bricht) brennt langsam fort, namentlich glimmen dieSchußfäden^weiter sweiin sehr mit Farbstoff er- ! schwcrt,) und hintcrläßt eine dunkelbraune Asche, die sich > im Gegensatz zur ächten Seide nicht kräuselt, sondern > krümmt. Zerdrückt man die Asche der ächten Seide, so ! zerstäubt sie, die der verfälschten nicht. Das Seidenfabrik- Depot von kl. Hsnnokvrx fK. n. K. Hoflief.) Liiriol, i versendet gern Muster von seinen ächten Seidenstoffen an ! Jedermann, und liefert einzelne Roben und ganze Stücke ! Porto- und zollfrei ins Haus. !

Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Lais e r'schen Buchhandlung in Nagold.