gen deuten nur darauf hin, daß Rußland bei der nächste« europäische« Krisis sein Gewicht um so stärker zur Geltung hringen werde, je stärker es an der Westgrenzc stehe; es könne als unser Freund, niemals als unser Gegner, dann um so schneller eingrcifen. Ich kann freilich vom russischen Auswärtigen Amt keine Aufklärung über die Truppcnansammlung fordern, aber, mit der auswärtigen Politik seit einem Men- schcnalter vertraut, kann ich mir doch meine Gedanken machen. Ich glaube also, daß das russische Kabinet beabsichtigt, bei der nächsten europäischen Krisis der russischen Stimme Nachdruck zu geben; es möchte deshalb seine Streitkräfte möglichst weit nach Westen vorschieben; vielleicht spekuliert Rußland auf eine baldige Wendung in der Orientfrage, um dabei mit größerem Nachdruck sofort aufzutrcten. Man will vielleicht diplomatische Forderungen dadurch wirksamer machen, daß hinter ihnen ein kriegsbereites Heer steht. Wir aber kommen bei der orientalischen Frage jedenfalls in zweiter Linie in Betracht. Fürst Bismarck wirft dann einen Rückblick auf die preußisch-russischen Beziehungen seit 1848 und betont, wie häufig die Situation Rußland gegenüber ein bedrohliches Ansehen hatte, stets aber habe Ruhe und Gewissenhaftigkeit der diesseitigen Minister gegenüber den drohenden Lagen, von denen das Ausland keine Vorstellung hatte, das Unheil abgewendet. Schon 1873 standen die Dinge so, daß alle Welt in mich drang, zum Loszuschlagcn zu raten. Ich habe ruhig abgewartet, bis auf uns loSgeschlagen würde. Ich glaube, ich habe wohl daran gethan; trotz aller Sturmzeichen trat eine gewisse Beruhigung ein durch die intimen Beziehungen der drei Kaiser, allein damals wie jetzt waren wir darauf angewiesen, unsere Kräfte so zu erhöhen und einzurichten, daß wir erforderlichen Falles dastehen als starke Ration, welche in der Lage ist, durch eigene Kraft ihre Macht geltend zu machen, ihr Ansehen, ihre Würde und ihren Besitz zu verteidigen. Dafür darf und kann uns kein Opfer zu schwer sein. Die - KrregSneigungcn, die in Frankreich und Rußland vorhanden find, zwingen uns zur Verteidigung. Die Hechte in Frankreich und Rußland zwingen uns, vorsichtiger als Karpfen zu werden. Wir sind in der Lage, wie keine andere Nation, unfern Gegnern starken Widerstand entgegenzusetzen, unsere Beziehungen zu Rußland waren durch die Erfolge von 1866 nicht gestört. sDcr Reichskanzler setzt sich und fährt fort:f Preußen hat sich stets entgegenkommend gegen Rußland gezeigt, hat Rußland manchen Dienst erwiesen, wofür wir Anerkennung fordern konnten und gefunden haben. Preußen hat zu aller Zeit gute Beziehungen zu Rußland angestrebt und erhalten, obschon uns Rußland in Olmütz im Stiche ließ. Ich selbst habe als Gesandter in Rußland für gute Beziehungen gearbeitet und Erfolge geerntet. Diese traditionellen Beziehungen sind von mir stets mit Vorliebe gepflegt worden. Dennoch erkalteten nach dem Berliner Kongreß die freundschaftlichen Gesinnungen Rußlands. Ich sage dies, um erklärlich zu machen, warum wir das Bündnis mit Oesterreich ^ schloffen. Die Anforderungen Rußlands an uns vor dem letzten Orientkriege lehnten wir ab. Rußland wandte sich nun vergeblich an Oesterreich; dann kam der Krieg. Wir waren froh, daß das Ungewitter an uns vorübcrzog. Auf dem Kongreß, dessen Zustandekommen mir nicht ohne große Mühe gelang, war ich bemüht, allen russischen Interessen Geltung zu verschaffen, alle russischen Wünsche durchzusetzen, ich glaubte wirklich ein Recht auf Anerkennung seitens Rußlands erworben zu haben. Aber ich konnte und wollte mich Oesterreich nicht entfremden. Hätte ich cs gethan, so wären wir in Europa isoliert worden, so wären wir in unbedingte Abhängigkeit von Rußland geraten. Man hat in der Publikation des Bündnisvertrages ein Ultimatum, eine Drohung erblicken wollen. sie ist nichts von alledem. Der Vertrag ist der Ausdruck der Gemeinsamkeit, der beiderseitigen Interessen der Vertragschließenden Das sollte die Welt erfahren, aber nicht nur dieser Vertrag, sondern auch der mit Italien ist nur ein Ausdruck der gemeinsamen Interessen und Bestrebungen, um gemeinsame Gefahren abzuwehrcn und gemeinsam, für die Friedenserhaltung einzustchcn. Oesterreich hat diese besonnene Politik 1870 befolgt, indem es den Werbungen Frankreichs widerstand und zu Deutschland hielt. Oesterreich ist unser natürlicher Bundesgenosse in Gefahren, die von Rußland und Frankreich drohen, aber vor dem Haß Rußlands braucht man sich nicht zu fürchten. Aus Haß werden keine Kriege geführt, sonst würde Frankreich mit Italien und der ganzen Welt Krieg führen müssen. Die Macht, die wir besitzen, wird hoffentlich unsere öffentliche Meinung, die Nervosität der Börsen und der Presse beruhigen. Diese Macht zu stärken, ist unsere Aufgabe. Daß wir die besten Waffen für die Familienväter haben müssen, ist selbstverständlich. Wir können mit dem jetzt vorgclcgten Gesetz an jeder unserer Grenzen eine Million guter Soldaten aufstellcn, dahinter stehen unsere Reserven, man sage nicht, das können andere auch, sie können eS eben nicht, wir haben das Material, nm eine ungeheuere Armee nicht nur zu bilden, sondern auch mit Offizieren zu versehen. Das Bewußtsein der Stärke wird uns nicht ab- haltcu, die Friedensbestrebungcn fortzufetzen. Wir versuchen die alten Beziehungen zu Rußland zu erhalten, laufen aber Niemanden nach. In Betreff Bulgariens müsse Rußland die loyale Haltung Deutschlands anerkennen. Wenn Rußland uns auffordert, werden wir seine kongreßmäßigen Ansprüche beim Sultan unterstützen. Fürst Bismarck schließt: Wir haben ein Ofsizierkorps, wie keine andere Macht, wenn wir einen »krieg unternehmen, muß cs ein Volkskrieg sein, mit dem alle einverstanden sind, wie 1870, wenn wir angegriffen werden, dann wird der kuror tsutcmicus entflammen, mit dem Niemand es aufnehmen kann. Wir stützen uns auf unsere Heeresmacht, brauchen wir sie nicht, um so besser, aber wir müssen uns darauf einrichtcii, daß wir sic brauchen. Drohungen schrecken uns nicht, Drohungen der Presse sind eine grenzenlose Dummheit, dadurch können wir zu nichts veranlaßt werden, mir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt, Gottesfurcht läßt uns den Frieden wünschen und pflegen, wer aber trotzdem den Frieden bricht, wird sich überzeugen, daß eine kampfesfrcudige Vaterlandsliebe, wie sie 1813 die gesamte Bevölkerung Preußens unter die Fahne rief, Gemeingut der ganzen deutschen Station ist, daß, wenn einer die deutsche Nation nugreift, er sie einheitlich bewappnet fin
det und jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Herzen „Gott «tt U«s". (Stürmischer Beifalls Francken- stein, Helldorf, Bennigsen und Rtckert sprechen sich kurz und kräftig für die unveränderte Genehmigung der Anleihe zur Unterstützung der Friedenspolitik der Regierung aus. Sie beantragen kurze Kommisstonsberatung und ferner die eu dloo - Annahme der Wehrvorlage. DaS letztere geschieht. Die Anleihe geht an die Budgetkommission. Bismarck dankt für dieses Vertrauen in die Politik der Regierung, welches gleichzeitig eine Unterstützung der friedlichen Absichten derselben sei.
Berlin, 6. Febr. Als die Hünengestalt des Reichskanzlers den Reichstag um 3'/z Uhr verließ, empfing ihn die nach Tausenden zählende Menge mit Jubelrufen und geleitete, während die Zahl immer mehr wuchs und den gesamten Verkehr in diesem Teile der Leipziger- und Wilhelmsstraße hemmte, bis vor das Palais, wohin der Fürst in der Uniform seines Kürassier-RegimentS sich zu Fuß zurückbegeben hat.
Berlin, 6. Febr. Die Allianzvereinbarung hinsichtlich Italiens soll wie der deutsch-österreichische Bündnisvertrag einen Defensivbund gegen Rußland und Frankreich darstellen. Italien ist verpflichtet, wenn Deutschland von Frankreich angegriffen werden sollte, 300000 Mann an den Alpenpässen aufzustellen.
Berlin, 7. Febr. Dem Fürsten Reichskanzler gehen aus zahlreichen Orten des Reiches enthusiastische Zustimmungs- und Beglückwünschungs-Telegramme zu seiner gestrigen Rede zu.
Das bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich, dessen lang erwartete und ersehnte Fertigstellung zu allgemeiner Freude am letzten Tag des alten Jahres noch gelungen ist, wird in nächster Zeit veröffentlicht werden, und zwar ist das Verlagsrecht des Entwurfs und der dazu gehörigen Motive der bekannten Verlagsbuchhandlung für Staats- und Rechtswissenschaften von I. Guttentag (D. Collin) in Berlin übertragen worden.
Die Windthorstspende für die Marienkirche in Hannover ist jetzt auf 100000 ^ angewachsen. Am 29. Mai feiert Windthorst seine goldene Hochzeit und soll bis dahin die Bausumme für die Kirche beisammen sein.
^ Schweiz.
Der Schweizer Bundesrat wird keine weiteren
> Schritte gegen den Polizeihauptmann Fischer in ! Zürich wegen des bekannten Briefes an Bebel und ^ Singer unternehmen, nachdem Fischer von seinem direkten Vorgesetzten einen Verweis erhalten hat. Dagegen hat der Bundesrat den „Sozialdemokrat" wiederholt aufgefordert, seinen Ton zu mäßigen.
Oesterreich-Ungarn.
j Wien, 1. Febr. Im Gemeinderate von Linz ! verlas der Bürgermeister heute ein Schreiben des ! Erzherzogs Johann, worin derselbe der Stadtvertre- ! tung mitteilt, er habe übersehen, daß die Annahme ! des Ehrenbürgerrechts von allerhöchster Genehmigung Abhängig sei. Er bedaure deshalb, die ausgesprochene Annahme zurücknehmen zu müssen, und bitte, sein Bedauern hierüber bekannt zu geben und seinen Schritt zu entschuldigen. Das ihm übersandte Diplom werde
> er als Andenken behalten.
Wien, 5. Febr. Der Botschafter Oesterreich- Ungarns, Graf Wolken stein, und der deutsche Bot- ? schafter, General Schweinitz, unterrichteten den ! Zaren, ebenso wie Graf Kalnoky den hiesigen rus- , fischen Botschafter von der bevorstehenden Publikation,
! mit dem Beifügen, daß vorwiegend eine Beruhigung ! der Bevölkerung bezweckt sei. — Die Initiative zur ^ Veröffentlichung des Vertrages ist von Berlin aus- ! gegangen.
Wien, 5. Febr. Aus englischen diploma- ' tischen Kreisen verlautet, Rußland habe vorher den ^ vollen Wortlaut des Vertrages nicht gekannt, sonst ! hätte es sich nicht soweit vorgewagt; in jenen Kreisen ^ würde man es für tollkühn halten, wenn Rußland bei dieser Konstellation einen Angriff wagte, glaubt deshalb, daß der Frieden für längere Zeit gesichert sei.
Wien, 6. Febr. Der „Courier" meldet: Der deutsche Kronprinz, der Ende Februar San Remo verlassen soll, siedelt auf einige Monate nach . Görz über. Die Königin Viktoria werde die Kron- ^ Prinzessin besuchen.
Der P e st e r Lloyd weist in einem Allarm-Artikel darauf hin, jRußland werde in nicht allzuferncr Zeit fast kriegsfertig sein. Deutschland und Oesterreich hätten also allen Grund zur Aufmerksamkeit, um nicht überrascht zu werden.
Lemberg, 1. Febr. Nach einer Warschauer Meldung werden trotz der Ungunst des Wetters so
gar in den kleinsten Städten Russisch-Polens in alle?
Eile Kasernen und Blockhäuser gebaut. Der Einkau' von Pferden und Material werde eifrig fortgesetzt'
Fraskreich.
Paris; 1. Febr. Anläßlich der Sozialistendebatte in Berlin wird von der Presse wiederum einhellig die Behauptung aufgestellt, daß es hier von deutschen Spionen „wimmele", daß ganz Frankreich von einem „dichten Spionennetz überzogen sei". Sollte die Polizei außer Stande sein, einen einzigen dieser Spione ausfindig zu machen? Sollte man da nicht auf den Gedanken kommen, daß die französische Polizei sich „im Solde Bismarcks" befinde? In Psrigueux hat das Gericht wenigstens den Versuch gemacht, das neue Spionengesetz von 1886 auf zwei Spione, welche daselbst längere Zeit logiert haben und auf Beschaffung des Lebel-Gewehrs und des dazu gehörigen Pulvers ausgezogen sein sollen, anzuwenden. Sie waren aber, als sie verhaftet werden sollten, bereits ausgezogen , und so wurde der eine derselben in contumaciam zu 5 Jahren Zuchthaus verdammt, während der andere freigesprochen wurde.
— Jedenfalls originell, einen Spion in contumaciam zu verurteilen.
Paris, 4. Febr. Der Thatsache wird besondere politische Wichtigkeit beigelegt, daß der russische Botschafter v. Mohrenheim die Einladung zu einem diplomatischen Diner von seiten des Kammerpräsidenten Floquet auf Grund besonderer Ermächtigung von Petersburg aus annahm.
Paris, 5. Febr. Die „Debüts" erklären, der Vertrag müsse unvollständig veröffentlicht sein, da er nicht darüber verlautbare, was geschähe, wenn Rußland im Orient angreift. Nach den „Debats" bezweckt die Veröffentlichung weniger eine Drohung an Rußlands Kaiser oder eine Warnung an die Pansla- visten, als vielmehr eine feierliche Kundgebung an die Kriegspartei Europas überhaupt über die unerschütterliche Festigkeit des Bündnisses. Nach dem „Gau- lois" würde diese Veröffentlichung eine Neugruppierung der Mächte fördern. Eine große Zahl französ. Blätter sind vor allem bemüht, die Kriegsverantwortung von Rußland abzuwälzen.
Der Pariser Untersuchungs-Richter » Bigneau, gegen welchen kürzlich wegen verschiedener Vorgänge bei der Wilson-Asfaire eine Diszipli- naruntersuchung eingeleitet war, kam billig fort: Er erhielt einen Verweis und hat die Kosten zu tragen.
Paris, 7. Febr. Der „Siscle" nennt die Rede Bismarcks ein Meisterstück der Geschicklichkeit. Alle Blätter erkennen die friedliche Tendenz der Rede an.
In Paris ist ein gewisser Herzog mit seinem Sohne, angeblich deutsche Lumpensammler, verhaftet und beschuldigt, sich in dem Lager von Saint Maux, wo sie Lumpen sammelten, Lebel-Patronen verschafft zu haben. (Schauderhast!)
In Paris hat der jüngst verstorbene Großindustrielle Godin den Arbeitern des von ihm begründeten Arbeiter-Familienheims die Hälfte seines auf 16 Millionen geschätzten Vermögens vermacht.
Belgien.
Brüssel, 2. Febr. Telegramm des Wiener „Fremdenbl.": Ein Vertreter des russischen Finanzministeriums ist hier eingetroffen, um die Verhandlungen wegen Aufnahme einer Anleihe fortzusetzen. Derselbe hatte mehrere Unterredungen mit hervorragenden Finanziers, denen er im Namen der russischen Regierung als Garantie die Einnahmen der russischen Staatsbahnen anbot. Als Zweck der Anleihe gab derselbe den Bau verschiedener Eisenbahnen, besonders > der transsibirischen an. Gleichzeitig sollen die aus Berlin verdrängten Russenwerte an den Börsen Belgiens und Hollands eingeführt werden. — Heute ' mittags passierten 72 Millionen russischer Werte die ! belgische Grenze in Bewachung von vier russischen * Beamten.
Brüssel, 5. Febr. Rußland begehrte 500 Millionen Anlehen von dem Syndikat der verhandelnden belgischen, holländischen und französischen Banksirmen. Dieselben bewilligten nur 300 Mill.
Die Emission soll zu einem niedrigeren Kurs erfolgen , als je ein russisches Anlehen aufgelegt wurde.
Die Banquiers wollen Teilzahlungen bis Ende August stipuliere» mit der ausdrücklichen Bedingung, daß bei kriegerischen Ereignissen die noch nicht gezahlten Raten in Wegfall kommen. Bisher hat der Zar seine Zustimmung verweigert.
Italien.
Rom, 6. Febr. Der Pariser Korrespondent