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glänzenden Wasserspiegel des rauschenden Gebirgsflusses, dessen jenseitiges Ufer eine dichtgedrängte Menschenmenge voll Bewunderung einnimmt. Doch ein jähes Ende ist dem fantastischen Zauberspiel beschieden: eine Lokomotive, aus farbigen Lichtchen zusammengestellt, braust einher, während von der anderen Seite unter Trommelschlag eine Feuerwehrkolonne vorrückt. Die Gnomen, Berg- und Wassergeister zerstieben nach allen Seiten in die dunkle Nacht; die wirkliche Welt der Gegenwart ist an Stelle romantischer Phantasie­gebilde von vergangenen Zeiten getreten. Unter den Klängen der Königshymne erglüht und leuchtet nun ein neues fesselndes Bild: das württembergische Wappen in blau und rotem Licht, zu beiden Seiten desselben die Namens­züge von König Karl und Königin Olga.

Sindelfingen, 8. Aug. Trotz aller Bemühungen des Forstschutz­personals und der Jagdpächter sind die städtischen Waldungen noch nicht gesäubert von Wildschweinen, die bald da, bald dort wieder auftreten. Gestern schoß auf der Treibjagd der Jagdpächter Premierlieutenant Kübel eine Bache im Gewicht von 110120 Pfd.; ihren Frischlingen ist man nicht auf die Spur gekommen. Immer noch treiben sich mehrere Wildschweine im Stadtwalde herum, nur selten stößt inan auf sie, wenn je, so ist kein Schütze zugegen. Doch hat sich der Wildschaden gegenüber den Vorjahren sehr gemindert.

O b e r t ü r k h e i m, 8. August. Die Eßl. Ztg. schreibt: Gestern abend nach 9 Uhr schloß, der Bahnwärter unmittelbar unterhalb der hies. Station beim Uebergang von Hedelsingen her in dem Augenblick die Barriöre, als ein mit 2 Pferden bespannter Garbenwagen zwar die Schienen passiert hatte, ein demselben angehängter kleinerer Wagen aber noch sich über die Schienen bewegte. Der um diese Zeit von Eßlingen her kommende Güterzug zer­trümmerte den Wagen, ein auf demselben sitzendes 8jähriges Mädchen mehrere Meter weit wegschleudernd, doch ohne daß dasselbe Schaden genommen hätte, wenn sich nicht noch eine innerliche Verletzung herausstellt. Auf dem vorderen Wagen, mit welchem die Pferde beim Hsrannahen des Zuges Reißaus nahmen, saßen die Eltern des Kindes. Vom Zugspersonal wurde niemand verletzt.

Lorch, 6. Aug. Man schreibt der R.-Ztg.: Der Pächter der hiesigen Gemeindejagd, Major Frhr. v. Sch., schoß am Montag abend einen Rehbock. Trotz allen Suchens konnte das angeschossene Tier nicht aufgefunden werden. Auch der Jagdhund kam nicht mehr zum Vorschein. Da die Dunkelheit hereinbrach, begaben sich die Jäger auf den Heimweg, in dem sichern Glauben, der Hund werde bald Nachkommen. Zwei Tage vergingen jedoch, ohne daß sich dieser zeigte. Schon gab Major v. Sch. das wertvolle Tier verloren, als ihm ein hiesiger Bürger, Ziegeleibesitzer D., der von der Sache gehört hatte, meldete, daß er bei einem Gang durch den Wald einen Hund im Gebüsch gehört habe. Man begab sich dorthin und fand auf dem Boden sitzend den Hund und daneben den verendeten Rehbock. Zwei volle Tage hatte das Tier ein englischer Schweißhund die Jagdbeute seines Herrn bewacht, ohne an Heimkehr zu denken und ohne es anzurühren, obgleich es dem Verhungern nahe war.

Rottenburg, 7. August. Heute endete durch Selbstmord Sägmüller Bengele von hier. Der dem Trübsinn ergebene Mann legte schon vor einiger Zeit Hand an sich und brachte sich am Halse eine gefähr­liche Schnittwunde bei, welche wieder heilte. Heute abend hielt er sich in einem Anfall von Geistesstörung in einer Böschung unweit des sog. Jäger­hauses verborgen, und als um halb 6 Uhr der von Niedernau herkommende Eisenbahnzug nahte, sprang er hervor und legte sich auf die Schienen, von der Maschine wurde er sofort erfaßt und ihm der Hals abgedrückt. An ein Anhalten des Zuges war bei der sehr kurzen Entfernung von dem Körper nicht zu denken. Der Unglückliche war in guten Vermögensverhältnissen und hinterläßt eine Frau und 2 schon größere Kinder.

Heilbronn, 7. August. Namens des Gemeinderats ging an den Oberbürgermeister Dr. Wilckens in Heidelberg folgendes Telegramm ab: Die Stadt Heilbronn sendet ihrer Nachbarschaft Heidelberg, mit welcher sie seit Jahrhunderten wechselnde Schicksale geteilt hat, die besten Wünsche

zu der glänzenden Jubelfeier, welche sie in diesen Tagen mit ihrer Uuperto- Osrols begeht." Darauf kam die Drahtantwort:Unserer Nachbarstadt Heilbronn sagen wir besten Dank für die freundlichen Gesinnungen, denen dortseits in so liebenswürdiger Weise Ausdruck verliehen wurde, indem wir zugleich herzlich Gruß senden. Der Stadtrat: Dr. Wilckens."

Heilbronn, 9. August. Die RudergesellschaftSchwaben" hatte gestern nachmittag, wie die N.-Ztg. berichtet, zu Ehren ihrer passiven Mitglieder eine Wettfahrt, verbunden mit nautischen Spielen, veranstaltet. Die Wettfahrten wurden eröffnet mit einem Rennen vierrudriger Dollen­rennboote, bei welchem das BootPrinz Weimar" mit der siegreichen Mann­schaft von Mainz und Frankfurt vor dem BootHeilbronn" mit den Schwein­furter Siegern das Ziel erreichte. Das folgende Rennen, in welchem die Junior-Mannschaften mit den BootenSchiller" undKönig Karl" ihre Kräfte maßen, mußte kurz vor dem Ziel aufgegeben werden, da das die Führung behauptende Boot ein Ruder (durch Bruch des letzteren) verlor. In dem sich daran schließenden Rennen zwischen Altdeutschland BootKaiser Wilhelm" und Neudeutschland BootKing Bell" trugen die Neger, die in ihren Cylindern grotesk genug aussahen, über die Blaujacken den Sieg davon. Viel Unterhaltung und Spaß machte die nächste Nummer, Ueberfall eines deutschen Kanonenboots durch Schwarzflaggen und mit Jubel begrüßte der Zuschauerkreis unsere wackern Matrosen, welche mit kräftiger Hand die See­räuber ins Wasser stießen. Den Schluß machte eine Kübel- und Balken­wettfahrt, der es an heitern Zwischenfällen nicht mangelte. Der Wettfahrt wohnte als Zuschauer eine Anzahl Stuttgarter bei, die hiezu eigens hierher gekommen waren.

Das Heidelberger Jubiläum.

Die Festlichkeiten in Heidelberg sind vorüber, sie haben fast die ganze vorige Woche in Anspruch genommen. Die Jubiläumsfeier hat am Freitag abend mit der Beleuchtung des Schlosses ihren offiziellen Abschluß gefunden. Eine große Menschenmenge wohnte auf dem rechten Neckarufer zwischen den beiden Brücken dem großartigen Schauspiel bei. Die großherzoglich: Familie sah von einer Privatvilla aus zu und war bei ihrer An- und Abfahrt der Gegenstand der wärmsten Beglückwünschungen. Auf dem Wasser hielten die Korpsverbindungen in kleinen, mit bunten Lampen reich geschmückten Fahrzeugen und ließen die Korpsfarben zeigende Raketen steigen. Um 9 Uhr begann dann ein allgemeiner Studentenkommers in der Festhalle, der ebenfalls glänzend verlaufen ist. Ueber 6000 Personen mögen an dem Kommers teilgenommen haben. In der Mitte der Ehrentafel saß der Großherzog, rechts neben ihm Prinz Karl, die Professoren Schulze, Gneist und Franklin, links der Prorektor Bekker, gegenüber Minister Nokk mit meh­reren Hofwürdenträgern. Der Kommers wurde durch den Vortrag des Jubiläumsliedes von ScheffelNun grüß' dich Gott, Alt-Heidelberg", kom­poniert von Lachner, unter des Komponisten persönlicher Leitung eröffnet. Halb zehn Uhr erhob sich der Großherzog und brachte mit laut vernehmlicher Stimme den Trinkspruch auf den Kaiser aus, der mit stürmischem Hoch aus­genommen wurde. Derselbe lautete:

Ich sage den Unternehmern des Festes meinen herzlichsten Dank für deren freundliche Einladung und dafür, daß mir der Vorsitz dabei übertragen wurde. Ich schreite zur Ausübung meiner Rechte, indem ich die werte Ver­pflichtung übernehme, S. M. dem Kaiser unsre erste Huldigung darzubringen. Wir erheben uns in Ehrfurcht, Liebe und Begeisterung zum freudigen Aus­druck unsrer Gesinnungen. Wohl der Nation, die zu einem Oberhaupt auf- blicken kann, das die Krone als das Symbol der Macht und Größe des Reiches so ehrwürdig und selbstlos trägt, dessen milde Hand das Scepter mit Stärke und Gerechtigkeit führt. Wohl der Nation, deren Grundrechte nicht von dem Wechsel menschlicher Anschauungen abhängig sind, sondern auf dauerhaften Grundfesten ruhen. Dankbar erkennen wir an, daß uns Deutschen ein solcher Vorzug beschieden ist. Der Besitz dieser Güter muß uns aber

Frauenzimmer besucht worden war, welches sich ebenfalls zu seinen politischen Grund­sätzen bekannte und welches sich zur Auswanderung nach Amerika mit ihm entschlos­sen hatte. Sie hatten auf verschiedenen Wegen nach Hamburg reisen sollen, sie schon früher als er. Sie that Das noch in jener Nacht; er wollte am anderen Morgen Nachfolgen, aber angeblich fürchtete er sich. Dies zu thun, des entdeckten Btordes wegen. Wenn er jetzt abreiste, dachte er, fiel gewiß der Verdacht der Thäterschaft auf ihn.

Ich sagte ihm nun, daß alles Leugnen nutzlos sei und er nur gestehen solle, daß er im Verein mit jenem Frauenzimmer den Mord begangen. Ich führte chm alle gegen ihn zeugenden Thatsachen vor Augen, aber natürlich leugnete er und je hartnäckiger, je bestimmter ich ihn anklagte. Jenes Weib sollte nun ganz und gar -unschuldig sein. Um eine lange Geschichte kurz zu machen, ich bekam Nichts aus nhm heraus.

Nun galt es, ihn dingfest zu machen. Aber wie? Ich durste meine Waffe nicht aus der Hand legen, ohne mich selbst der Vernichtung preiszugeben; Hinwiedemm war die Passage, in der ich stand, so eng, daß er nicht an mir vorbeikonnte, ohne mich zu streifen. Ich hieß ihn also etwas zurückgehen, bis ich einen Seitenweg ge­winnen konnte, um ihn an mir vorbeizulassen.

Er nahm seinen Vorteil wahr, ging langsam zurück, machte plötzlich einen Seitenspmng und war meinen Blicken entschwunden. Mein lange nachhallender Schuß zerschmetterte einen der gebleichten Totenschädel; dem er gegolten, entkam un­versehrt.

Ich begab mich nun sogleich auf die Verfolgung und fand endlich nach vielem Suchen diese mit Gebeinen bedeckten Geräthe. Fast hätte ich mich in der Todtenstadt verirrt. Ich zeichnete mir deshalb den Weg hinaus mit Schädeln, welche ich aus den offenen Seitennischen nahm. Und so einmal den Ausgang erreicht, wurde es mir nicht schwer, nach und nach den ganzen Falschmünzapparat nach dem Keller hinauf in Sicherheit zu bringen.

Inzwischen war es wieder Morgen geworden, dieser Morgen. Ich ließ mir

von einem Gassenbuben einen Mietswagen zur Thür holen, belud denselben mit mei­nem kostbaren Fund und fuhr nach hier."

Das allerdings", sagte Soltmann staunend,ist eine seltsame Geschichte; und ewig schade, daß der Kerl, den Sie schon vor Ihrem Revolver hatten, Ihnen da noch entkommen mußte. Wenn Das so ist, dann gewinnt es allerdings den Anschein, als wenn wir hier einem neuen Anarchistenbund auf der Spur währen, welcher mit mit den verwerflichsten Mitteln arbeitet, um seine abscheulichen Zwecke zu erreichen."

Ja, und der rote Matthies, welcher also im Kanal nicht ertrunken, ist die Seele dieses Bundes", bestätigte Neubett.

Ich kann es nicht ableugnen", entgegnete Soltmann,obwohl ich auch nicht glauben kann, daß der junge Etwold Mitglied eines solchen Bundes sein sollte."

Warum nicht?" Der Leichtsinn, welcher ihn beseelt, ist von der Art, die zum Verbrechen führt. Aber wir wollen ihn noch nicht schuldig machen oder verurteilen, ohne ihn gehört zu haben. Er ist verschwunden und allem Anscheine nach von dem heimlichen Revolutionskomitee gewarnt, dessen Sitz wir nun glücklich entdeckt haben. Schweifen wir also deshalb gar nicht weiter ab und richten wir unser Augenmerk nur noch auf den roten Matthies, der uns sowohl den Mord in der Schwedengasse, die Falschmünzerei und Herrn Eduard's Anteil an den anarchistischen Umtrieben wird erklären können. Den müssen wir haben, dann werden wir bald Alles wissen."

Soltmann war natürlich derselben Meinung.

Ist der Zugang zu den Katakomben bewacht?" fragte er.

Der mir bekannte, ja" erwiederte Neubett.

Sie vermuten noch mehrere?"

Eine ganze Menge."

Die der rote Matthies vielleicht kennt?"

Wenigstens einige. Denn ich halte dieses unterirdische Todtenfeld nach einem flüchtigen Blick hinein für so umfangreich, daß es einen ganzen Stadtteil unterwölbt."

Wir werden es dennoch exploriren müssen."

Nach allen Richtungen. Und ich hoffe auf eine recht reiche Ausbeute."