ganze Stadt auf den Beinen war. Am Sonntag morgen wurde Tagwache unter Kanonendonner ge­blasen. Um Uhr verließen die Alumnen des Priesterseminars, die hiesige und auswärtige Geistlich­keit (etwa 30), das Domkapitel und die bürgerlichen Kollegien den Dom, um die Bischöfe in Prozession vom bischöflichen Palais abzuholen. Die Bürger­garde und Feuerwehr bildeten dabei Spalier und zwei Musikkorps ließen religiöse Weisen erklingen. Unter dem Festgesang Dooo saeorckos erfolgte der bischöfliche Einzug und Aufstellung im Chor, der sich in allen Räumen füllte, wie auch das Schiff. Nach kurzem Gebet verlas Dompfarrer Graf v. Wvlfegg das päpstliche Ernennungsdekret. Der eigentliche Weiheakt ist der Messe eingefügt, die der Konsekrator, Bischof v. Hefele, und der zu Weihende mit einander lesen, letzterer unter Assistenz der beiden auswärtigen Bischöfe.

Stuttgart, 13. Nov. In vergangener Nacht ist der Briefkasten der Privatstadtpost Schulstr. Nr. 17 abgerissen und samt Inhalt gestohlen worden, ohne daß es diesmal der Polizei gelang, den Thäter sofort zu ermitteln. Noch einige weitere Beschädi­gungen wurden konstatiert.

Cannstatt, 13 Nov. Die Herren Strauß und Co., Fcdernfabrik, haben die große Stirlcn'sche Mühle in Unter- türkhcim mit sehr bedeutender Wasserkraft, ein Gcsamtarcal von ca. 6 Morgen, um den Preis von 72000 angekauft, um ihre Fabrik nunmehr dorthin zu verlegen. Die hiesigen Gebäude, Wohuungs- und Komptoir- ebensowohl wie Fabrik­räume sind dem Verkauf ausgcsetzt.

Am 8. d. verunglückten zwei Mädchen vonUntergrö- nin gen (Gaildorf) die des Regens wegen in einer Sägmühlc auf dem Heimweg von der Schule unterstehend sich an den Wellbaum gehängt hatten. Im gleichen Augenblick wurde derselbe in rasch zunehmende Bewegung gesetzt und die Kin­der dadurch fortgcschleudert. Das eine der Mädchen war so­fort tot, dem andern wurde das Bein zerquetscht.

In Bretzfeld wurde am Sonntag ein Dienstmädchen beim Tanz vom Schlage gerührt und war sofort tot.

Brand fälle: In Glatten (Freudenstadt) am 12. Nov. der mit großen Mehl- und Frucht- vorrüten angefüllte Dachstuhl des Müllers S ch i l- ^ länger; in Osterhofen (Waldsee) am 13. Nov. i die Mühle und das Oekonomiegebäude des Müllers! Bernhardt Mancher.

Die Gegenfüßler der Hungerkur-Künstler sind die ^ Vielfresser. Wieder einer hat sich im Wirtshaus in Hilpolt- ^ stein sehen lassen. Er vertilgte auf einem Sitz 23 Bratwürste j größten Kalibers, pz w Rotwurst, yz T Käse, 3 Wecken und ^ 2 Liter Bier und zeigte noch Hunger und Durst, den aber niemand stillen wollte. .

Frankfurt a. M., 15. Nov. Die Zahl der hier verhafteten Sozialdemokraten ist jetzt auf 37 ge- ! stiegen; darunter befindet sich auch der Agitator Emil ^ Fleischmann. Die von Dr. Holdheim beantragte Ent- ^ lassung Fleischmanns gegen eine Kaution von 10000 Mark wurde abgelehnt. Die Verhafteten sind der! Teilnahme an einer verbotenen Verbindung bezichtigt.!

Zu Wilhelmshaven ist am Sonnabend die ^ zweite Einfahrt in den Kriegshaseu feierlich eröffnet ^ worden. Das KriegsschiffFriedrich Karl" machte ^ die erste Fahrt. Der Marineministcr v. Caprivi brachte nach der Festrede ein dreifaches Hoch auf den Kaiser aus.

In dem vor dem Reichsgericht geführteil Pro­zeß gegen den Schriftsetzer Drobner kam folgender Brief, welchen der Anarchist Bruno Reinsdorf (ein Bruder des Hingerichteten Anarchisten August Reins­dorf) von Amerika aus an seinen Gesinnungsgenossen Drobner gerichtet hatte, zur Verhandlung:Viel er­freuliches kann ich dir nicht berichten. Most, Schenk aus Leipzig und ein gewisser Braunschweig wurden verknurrt und die Ordnungs-Kanaille droht mit wei­teren Verhaftungen. DieFreiheit" ist deshalb nach dem Staat Ncw-Jersey verzogen. Die sogenannten Ordnuiigsleute sind hier noch viel schlimmer als drü­ben. Die Zahl der A. (soll heißen Anarchisten) ist hier sehr klein, aber sie sind erstaunlich thätig. Die Freiheit steht sehr schlecht da und würde sich nicht halten können, wenn die Mitarbeiter und Hersteller nicht so selbstlos wären. Die Leute arbeiten für 10 Dollars die Woche: Most, der gute, brave Kerl, besorgte auch noch die Expedition und that alles für 5 Dollars. Dabei hatte er noch immer guten Hu­mor. Bon dem schlechten Stande unserer Sache brauchst du aber in Leipzig nichts zu erzählen, sonst verlieren sie den Mut. Wenn es nur nicht so an dem verfluchten Gelde fehlte. Sparig dort erhält 2 Exemplare derFreiheit", eins für sich, eins für die Polizei. Ich schicke dir einige Ausschnitte aus der Freiheit" mit: die müßt ihr an die Plakatsäulen kleben. Schade, daß ihr keine Knallbonbons (Dyna­

mitbomben) habt!" Aus diesem Briefe erhält man ein recht trauriges Bild von jenen Leuten, die sich für die Retter der Gesellschaft ausgeben.

Berlin, 12. Nov. Rußland schuldet dem deutschen Volk mindestens 2 Milliarden Mark in russischen Staatspapieren, die anderen Anlagen deut­schen Kapitals in russischen Eisenbahnen, die sich auf Hunderte von Millionen belaufen, nicht gerechnet. Oesterreich-Ungarn schuldet Deutschland mehr als 3 Millionen Mark in Papieren. England hat einen namhaften Teil seines Besitzes an russischen Staats­papieren in den letzten Jahren abgestoßcn und größ­tenteils nach Deutschland verkauft. Deutschland ist jetzt neben Holland der einzige größere Markt für russische Papiere. Es ist dies eine große Gefahr für den deutschen Nationalwohlstand selbst dann, wenn es nicht zwischen Deutschland und Rußland, sondern nur zwischen Oesterreich und Rußland einen Zusam­menstoß gibt; denn die Kurse aller dieser Papiere würden gewaltig sinken und ungeheures Geld verlo­ren gehen. Die deutschen Börsenherren werden künf­tig die russischen Papiere weniger hätscheln dürfen.

Berlin, 13. Nov. Dem Bundesrat ist der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Unfallversicherung bei Bauten beschäftigter Personen zugcgangcn. tz. 1 bestimmt, daß Ar­beiter, welche bei der Ausführung von Bauten beschäftigt oder nicht anderweit auf Grund der Unfallvcrsichcrnngsgcsetz- gebung versichert sind, sowie auf Bauausführungen beschäftigte Betriebsbeamte, sofern ihr Jahresarbcitsvcrdienst an Lohn oder Gehalt 2000 ^ nicht übersteigt, gegen die Folgen der bei der Bauausführung sich ereignenden Unfälle nach Maß­gabe dieses Gesetzes versichert werden. Reparaturen und Verbcsserungsarbeiten an Wegen, Dämmen, Kanälen gelten als land- und forstwirtschaftliche Ncbcnbctriebe, wenn sie von Unternehmern land- und forstwirtschaftlicher Betriebe für ei­gene Rechnung auf ihren Grundstücken ansgcführt werden. Bauunternehmer können andere bei der Bauausführung be­schäftigte Personen und sofern ihr Jahresarbcitsvcrdienst 2000 nicht übersteigt sich selbst versichern. Im großen Ganzen schließt sich das Gesetz den voransgcgaugencn Ge­setzen über die Unfallversicherung an.

Berlin, 14. Nov. Der Reichsetatsentwurf 1887/88 schlügt eine Anleihe im Betrage von 72 Millionen vor. Im Militäretat wird die Erhöhung der Haferrationcn für alle Pferde und die Erhöhung der Kvmmandozulagen für die Offiziere gefordert, was beides im Vorjahre nur teilweise bewilligt wurde.

Berlin, 16. Nov. Der württembcrgische Gesandte, Bundesratsbevollmächtigtc v. Baur-Brcitenfejs, ist gestern abend gestorben.

Der Fehlbetrag des Reichshaushalts pro 1887/88, der durch Matrikularumlagen zu decken ist, beläuft sich um ca. 33 000 000 höher als im Vor­jahre. Die Gesamtschuldenlast des Reichs betrügt 600 000 000 wovon 450 000 000 ,16 mit 4 pCt. verzinslich sind. Neuerdings gibt das Reich bekannt­lich zu lU/spCt. verzinsliche Papiere aus.

Die Parteien des Reichstags haben gegen­wärtig folgende Stärke: Deutschkonscrvative 74, Deutsche Reichspartei (Freikonscrvative) 27, Zentrum 106, Polen 15, Nationalliberalc 51, Deutschfreisin­nige 65, Bolkspartei 6, Sozialdemokraten 25 Mit­glieder. Keiner Partei gehören 25 Abgeordnete an. Drei Mandate sind erledigt. (Berlin 1, Unterfranken !, Baden 1.

Fürst Bismarck wird, wie dieM. Ztg." er­fährt, morgen, wahrscheinlich nachdem er einem Mi­nisterrate vorgesessen hat, Berlin wieder verlassen und sich nach Friedrichsruh begeben. Der Kanzler, der sich nicht blos vortrefflicher Gesundheit, sondern auch der besten Stimmung erfreut, ist hier von der Stunde seiner Ankunft an außerordentlich thätig ge­wesen und hat mit den verschiedensten politischen Per­sönlichkeiten verhandelt. Man hört, daß der Wunsch des Kanzler dahin geht, demnächst im Reichstage über die auswärtige Politik zu sprechen.

Kein Geringerer als Fürst Bismarck selbst wird als der Vater des neuen englisch-österreichischen Bündnisses genannt, dem Italien beigetreten sein soll. Wie Londoner Blätter vernehmen, soll man in Berlin entschlossen sein, fest an dem Bündnisse mit der Habsburgischen Monarchie zu halten. Oesterreich- Ungarn dürfe auf Deutschland zählen. Der Gene­ralrat der sozialdemokratischen Föderation beschloß am 21. November auf dem Trasalgarsquare in Lon­don eine neue Kundgebung zu veranstalten.

Ueber die Privatpost an statten enthält die Nordd. A. Z. einen Leitartikel, in dem es u. A. heißt: Will eine Privatunternchmnnq den Anforderungen im vollen Umfange genügen, so kann sic mit niedrigeren Tarifen als die ReichS- post nicht anskonimen. Die besseren Leistungen derselben er­fordern eben größere Aufwendungen. Wie wir schon wieder­holt hcrvorgchoben haben, sind gerade die Ausgaben der Rcichspostvcrwaltnng für die Besorgung des Berliner Stadt-

postdicnstcr ganz erhebliche. Die Auswahl und Heranbildung eines brauchbaren Personals, die höher bemessenen Gehälter, die Stcllvcrtretuilgskostcn bei Beurlaubungen und Erkran­kungen, die Zuschüsse zu den Kleiderkasten, die Ruhegehälter, die Hinterbliebencnversorgung und sonstige Wohlfahrtöanstal- ten für die Angestellten re., die Kosten für die Geschäftsräume, Fahrzeuge, Geschirre, Bespannung und Gerätschaften rc. er­fordern so bedeutende Summen, daß eine billigere und zugleich ebenso sichere Stadtbriefbestcllung nach allen Erfahrungen unbedingt nicht ausführbar ist. Hicfür sprechen auch die Wahrnehmungen, welche auch in dieser Beziehung im Aus­lande gemacht worden sind. In Frankreich und England wird für Stadtbricfe eine ermäßigte Taxe nicht bewilligt.

Die Ucbersicht über die Etatsstärke des deutschen Hee­res ergibt folgende Ziffern: Offiziere 18138, Unteroffiziere 51402, Zahlmcistcraspirauten 791, Spiellentc 13440, Gefreite und Gemeine 347 975, Ockonomiehandwerkcr 10 135, Laza- rctgehilfen 3531, zusammen 427 274 Köpfe. Die Zahl der Militärärzte ist auf 686 normiert.

Fürst Bismarck ist mit seiner Gemahlin heute nachmittag 5 Uhr nach Friedrichsrnh abgereist.

Prinz Ludwig von Bayern, welcher der Einladung des Kaisers zur Jagd in Letzlingen gefolgt ist und noch in Berlin weilt, ist der älteste Sohn des Prinzregenten Luitpold und der künftige König. Er ist 41 Jahre alt und mit der österreichischen Erzherzogin Maria Theresia verheiratet. Zu vieler Ueberraschung wohnte er dem jüngsten Kaiscrmanöver bei Straßburg bei und gab seine Befriedigung durch die Anrede an sein Regiment (47cr) zu erkennen, er hoffe, die Waffenbrüderschaft zwischen Bayern und Preußen werde eine ewig bestehende sein." Sei­nem Besuch wird in Berlin große Bedeutung bci- gelegt.

Angesichts der Erörterungen schweizerischer Blätter über einen Zollkrieg der Schweiz ge­gen Deutschland, stellt dieNordd. Allg. Ztg." Gegenmaßregeln in Aussicht. Letztere würden, schreibt dieselbe, unter anderem darin bestehen können, den Beredelungsverkehr in Baumwollwarcn mit der Schweiz zu inhibieren, und zwar sowohl den Tran­sit- wie den gegenseitigen Veredelungs-Verkehr, welche Maßregel einen Teil der schweizerischen Baumwoll­industrie in fast ruinöser Weise treffen würde, ohne daß von einer nachhaltigen Rückwirkung auf die deut­sche Industrie die Rede sein könnte. England würde in diesem Falle als Lieferant an die Stelle der Schweiz treten; jedoch auch der deutschen Industrie würde der Rücktritt der schweizerischen Konkurrenz zugute kommen.

Oesterreich Ungarn.

Wien, 14. Nov. Die hiesigen Journale er­kennen rückhaltslos die einfachen und deutlichen Grund­züge der Politik Kalnoky's und die Entschiedenheit seines Auftretens an. In den Worten Kalnoky's sei ein staatsrechtlich correktes Fricdensprvgramm zu erblicken. Auch dieNeue Freie Presse" charakteri­siert die Politik Kalnoky's als eine friedliche, auf den Verträgen fußende und findet einen dunklen Punkt nur in dem Passus über das deutsch-österreichische Bündnis: es scheine, daß man für die augenblicklichen inneren Interessen Oesterreichs auf die werkthätige Unterstützung Deutschlands wenig rechnen könne. DieNeue Freie Presse" nimmt an, daß ein even­tueller Krieg mit Rußland ohne die Reserve der deutschen Armee unternommen werden müßte, und dies scheine ein Grund mehr zu sein für Kalnoky's Friedenspolitik.

Wien, 15. Nov. Hier ist die Rede von einer Kandidatur des Wojewoden Bozo Petro witsch für den bulgarischen Thron. (Nach einer polnischen Meldung wäre der jüngere Bruder des hier Genann­ten, Blazo Petrowitsch, der Kandidat Rußlands.) Falls Rußland thatsächlich diese Kandidatur aufstellt, werden Oesterreich und England dagegen Einspruch erheben, und zwar Oesterreich mit Rücksicht auf Ser­bien. Ich erfahre, daß Italien gleichwie England sich bezüglich der Kandidatcnfrage an Oesterreich enge anschloß.

Budapest, 13. Nov. Der Minister Kalnoky erklärte in der ungarischen Delegation bezüglich der bulgarischen Frage, man müsse unterscheiden zwischen Jenem, was daran rein bulgarisch, und Jenem, was europäisch ist und unser Interesse tangiert. Unser Interesse sei nur dort berührt, wo es sich um Prin­zipienfragen oder um Vcrtragsrecht handelt. Die Monarchie sei durch ihr Wesen und ihre Natur an­gewiesen, den durch den Berliner Vertrag geschaffenen Rechtsznstand unversehrt aufrecht zu erhalten und an dem Grundsatz festzuhalten, daß nichts daran ge­ändert werden dürfte ohne Zustimmung sämtlicher Signatarmächtc. Durch die jüngsten Vorgänge in Bulgarien, namentlich durch das Auftreten von Kaul-