von der ersten Strafkammer des Landgerichts I. wegen wiederholter Majestätsbeleidigung und wiederholter vorsätzlicher Sachbeschädigung zu 1Ur Jahren Gefängnis verurteilt.
Berlin, 23. Juni. Am 23. Juni tritt der dreifache Getreidezoll gegen sämtliche Länder in Kraft. — Die Entsendung der Cholera-Kommission nach Spanien ist aufgegeben.
Aus Preußen, 20. Juni. Man schreibt der „Voss. Ztg.": Hinterpommern und Westpreußen sind in der vorigen Woche nicht bloß von starken Gewittern, Hagelschlag und heftigen Regengüssen heimgesucht worden, sondern es hat sich auch infolge der erfolgten Abkühlung der Temperatur ein Nachtfrost eingestellt, dessen verderbliche Wirkung sich sofort an Kartoffeln und Gartenfrüchten gezeigt hat. Ob das Getreide ebenfalls davon gelitten hat, wird sich erst zeigen. Diese ungewöhnliche, aber nicht unerhörte Erscheinung hat die Erinnerung daran auf- gesrischt, daß genau vor hundert Jahren, im Juni 1785, ein gleicher Witterungswechsel gerade jene arme Gegend heimgesucht hat, den gleichen, vielleicht noch schlimmeren Schaden anrichtend. Damals wollte Friedrich der Große, als die Kriegs- und Do- mänen-Kammer zu Marienwerver darüber berichtete, nicht daran glauben. „Was ihr mir", so heißt es in der Kabinettsordre vom 11. Juli 1785, „von den Nachtfrösten schreibt, die dort gewesen sein sollen, das ist nicht wahr. Wo sollen die Nachtfröste im Monat Juni Herkommen? Das ist nun nichts, und wird nur so vorgegeben, daß es recht gefährlich klingen soll."
Von einem Unfall, den unser Kronprinz mit dem König von Sachsen am vergangenen Mittwoch in Berlin an der Ecke der Wilhelmsstraße mit seinem Gefährt hatte, — die Pferde wurden nämlich scheu und gingen mit dem Gefährt in rasender Eile davon — wird Berliner Blättern noch von Augenzeugen gemeldet, daß das Anhalten des Wagens einem zufällig des Wegs kommenden Mann zu danken sei. Derselbe warf sich todesmutig den Pferden entgegen, ergriff die Zügel des rechten Pferdes, riß es nieder und brachte so beide Thiere zum Stehen. Er öffnete dann den Wagenschlag und half dem Kronprinzen aussteigen. Nun erst bemerkte der Mann, wer in dem Wagen saß, und war darüber aufs Höchste überrascht. Der Kronprinz aber ergriff die Hand des Mannes und dankte ihm herzlich und darüber wieder wurde dieser so verlegen, daß er stotternd sagte: „Ach Sie sind's Kaiserliche Hoheit! Das freut mich, darüber bin ich glücklich." Der Kronprinz aber antwortete: „Sie haben brav gehandelt, auch wenn ich's nicht gewesen wäre, ich danke Ihnen nochmals von Herzen." Auch der König von Sachsen dankte dem muthigen Manne mit freundlichen Worten und der Adjutant des Kronprinzen ließ sich den Namen des Mannes sagen und schrieb sich denselben auf.
Von den neun General-Feldmarschällen beziehungsweise General-Obersten, welche in der preußischen Armee in Folge des Krieges von 1870/71 ernannt wurden, sind nach dem Tode des Prinzen Friedrich Karl und des Freiherrn v. Manteuffel nur noch zwei, der Kronprinz und Graf Moltke am Leben. Ende 1873 zählte die preußische Armee 12General- Feldmarschälle bezw. General-Oberste und General- Fcldzeugmeister. Von diesen 12 Marschällen sind nunmehr 10 gestorben, zunächst 1877 Graf Wrangel und v. Steinmetz, dann 1879 Graf Roon, 1881 Prinz Friedrich der Niederlande, 1883 Prinz Karl und der Großherzog von Mecklenburg, 1884 Herwarth v. Bittenfeld, und im laufenden Jahre Prinz August von Württemberg, Prinz Friedrich Karl und Freiherr v. Manteuffel.
Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht den Wortlaut der betreffs des Uebereinkommens zwischen Deutschland und England wegen Abgrenzung ihrer afrikanischen Schutzgebiete am Golf von Guinea und wegen Gewährung gegenseitiger Handels- und Verkehrsfreiheit daselbst gewechselten Noten. Inhaltlich der sechs zwischen Lord Granville und dem deutschen Botschafter in London ausgetauschten Schriftstücke gehen die Vereinbarungen im Wesentlichen dahin, daß von der Mündung des Rio del Rey nach Norden bis zum oberen Benue eine Linie gezogen wird, von welcher aus die westlichen Gebiete dem englischen, die östlichen dem deutschen Machtbereich unterliegen sollen. In das englische Machtbereich fällt sonach namentlich der untere Niger mit den Mündungen und der untere Benue. Deutsch- '
land gewinnt für seine Kolonie Kamerun ein sehr bedeutendes Hinterland, die Gebiete, deren wirtschaftliche Erschließung soeben der deutsche Kolonialverein in die Hand genommmen hat und durch den Afrikareisenden Flegel betreiben läßt. Die Ansprüche auf die Bay von Ambas und die englische Missionsstation Viktoria, welche innerhalb des deutschen Gebiets liegen, hält die englische Regierung einstweilen aufrecht, stellt aber ihre Zustimmung zur Abtretung der Ambasbay in Aussicht, wenn die deutsche Regierung mit den Missionaren der Kolouie ein befriedigendes Abkommen treffen könne. Deutschland zieht ferner den Protest gegen die Aufhissung der englischen Flagge an der Lucia-Bay zurück und verzichtet auf Gebietserwerbungen an der Küste zwischen Natal und der Delagoa-Bay.
Topper, 22. Juni. Die Begräbnisf eier Manteuffels hat gestern mittag in der würdigsten Weise stattgefunden in Gegenwart des Prinzen Albrecht, der kommandierenden Generale des dritten, fünften und fünfzehnten Armeekorps, von Zivil- und Militärdeputationen aus Elsaß-Lothringen. Oberhofprediger Kögel hielt die Gedächtnisrede, die Einsenkung der Leiche fand auf dem Gemeindefriedhofe Topper statt.
Erd mannsdorf (Schlesien), 20. Juni. Wie der „Frkf. Ztg." gemeldet wird, striken sämtliche Weberei-Arbeiter wegen Ablehnung einer dreißig- prozentigen Lohnerhöhung.
Frankreich.
Paris, 22. Juni. Der Kriegsminister Cam- penon hat dem Marineminister abgeschlagen. Truppenverstärkungen für Madagaskar abzugeben, da er nicht an die Truppen des Mutterlandes rühren wolle. — General de Courcy hat die Einfuhr von Absinth in Tvnkin verboten.
Paris, 23. Juni. In Tourcoing fand eine Kesselexplosion in der dortigen Wollwäscherei statt. Der Besitzer Prosper und 13 Arbeiter sind tot, 18 schwer verwundet. Das Etablissement ist völlig zerstört.
Italien.
Auch das Ministerium in Italien scheint in die Brüche gehen zu sollen. Die Kammer der Deputierten hat nämlich das Budget des Aeußeren nur mit 3 oder 4 Stimmen Majorität angenommen und das hat Herrn Mancin i, der freilich auf sein Geschick in auswärtigen Angelegenheiten nicht allzu stolz zu sein braucht, verdrossen. Herr Depretis, der Ministerpräsident, heißt es, habe den König um die Entlassung des Cabinets gebeten.
Spanien.
Madrid, 21. Juni. Gestern hat Cansvas del Castillo der Kammer die Entlassung des Kabi- nets angekündigt. Diese überraschende Wendung erklärt sich angeblich daraus«', daß das Kabinet nicht mit der Reise des Königs nach dem Choleraherde der Provinzen Murcia und Valencia einverstanden war. Der König hat aber nachgegebeu und unterließ die Reise. — Madrid war seit dem 18. der Schauplatz bedeutender Ruhestörungen. Diese Unruhen waren eben ausgebrochen in Folge des Erlasses von Robledo, betreffend das Auftreten der asiatischen Cholera in Madrid und die Ergreifung von Sanitätsmaßregeln. In der Kammer wurde Robtedo darüber von Sagasta, dem Haupt der neuen dynastischen Linken, aufs heftigste angegriffen. Die Opponenten beriefen sich darauf, daß die Erklärung den Handel ruiniere. Der Minister antwortete, die öffentliche Gesundheit gehe den Handelsinteressen Madrids vor. Die Quarantäne und Absperrungsmaßregeln wurden aufrecht erhalten. Die Bevölkerung aber antwortete mit Manifestationen. Unter Schreien und Pfeifen bewegte sich am Freitag ein Zug mit schwarzen Fahnen durch die Straßen, und die Gensdarmecie. die dagegen einschreiten wollte, wurde mit Pflastersteinen beworfen. Unter Zuhilfenahme von Militär wurde der Zug zerstreut.
England.
In die englische Ministerkrisis ist immer noch keine Klarheit gekommen. Gladstone hat bis Sonntag morgen den Forderungen Salisbury's in Betreff der Unterstützung des Kabinets nicht zugestimmt. Die „Saint James Gazette" rät den Führern der Konservativen, die Aufgabe der Kabinets- bildung den Liberalen zurückzugeben und ihnen zu überlassen, ob die Sachlage ins Klare zu bringen sei. Können sie dies nicht thun, würden die Kon- ' servativeu die Hände frei haben. „Pall Mall Ga-'
zette" glaubt, es sei sehr wahrscheinlich, daß die Regierung wieder in die Hände der Liberalen übergehe.
London, 23. Juni. Der Standard bestätigt, daß zwischen den Führern der Liberalen und der Konservativen tatsächlich ein Arrangemeint vereinbart wurde. Gladstone behalte sich nur bezüglich der Anträge, welche die neue Regierung machen könne, volle Aktionsfreiheit vor und verpflichte sich, Salisbury im allgemeinen bei der Erledigung der Aufgaben der Session zu unterstützen. Salisbury werde voraussichtlich heute im Oberhause eine diesbezügliche Erklärung abgeben.
Die Geschäftslage in England ist fortdauernd schlecht. Die Zahl der Fallimente in England und Wales betrug in der am 13. Juni beendeten Woche 82 gegen 43 in der korrespondierenden Woche des Vorjahres, also beinahe das doppelte.
Schweden und Norwegen.
In Schweden ist ein neues Gesetz gegen die Trunksucht angenommen worden. Es beschränkt den Großhandel mit Branntwein auf Beträge von 250 Ltr. aufwärts, den Kleinhandel auf Beträge über 1 Ltr. Weder in Läden noch in Schenken darf ungereinigter Schnaps (Fusel) oder solcher, der mehr als 46 Prozent Alkohol enihält, abgesetzt werden. Der Kleinhandel mit Schnaps wird auf die Zeit von 8 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, an Tagen vor Sonntagen und Festtagen bis 7 Uhr abends beschränkt. Die Schenken sollen nicht vor 7 Uhr früh und nicht später als 10 Uhr abends in den Städten, 8 Uhr abends auf dem Lande geöffnet sein. Sonntags und Festtags darf Branntwein nicht anders ausgeschenkt werden, als zur Mahlzeit, je ein Gläschen die Person. Wo Truppen lagern oder zusammengezogen sind, ist Schnapsschank untersagt. Amerika.
Das landwirtschaftliche Amt Ohio veranschlagt die dies Jahr zu erwartende Weizenernte auf 181 Millionen Bushel unter dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre, und 240 Millionen Bushel unter dem Ertrag in 1884. Der Bericht konstatiert: „Es ist länger kein Zweifel möglich, daß die diesjährige Weizenernte in den Vereinigten Staaten die unglücklichste Mißernte sein wird, die man nahezu in 20 Jahren erlebt hat." — Hoffentlich steigen dann endlich einmal wieder die Preise auf die der deutschen Landwirtschaft notwendige Höhe!
Asien.
Simla, 21. Juni. Der Verlust an Menschenleben in Folge des Erdbebens in Kaschmir ist jetzt amtlich auf 3881 angeschlagen; außerdem sind etwa 70 000 Häuser zerstört worden.
Handel S Verkehr.
Stuttgart, 22. Juni. (Landesproduktenbörse.) Die heutige Börse war wenig besucht, und der Umsatz beschränkt. Wir notieren per 100 Klgr.: Weizen bahr. 19.60—19.75, Weizen niederbayr. 20.25, Weizen wiirtt. 16, Weizen russisch Sax alt 19.50, Weizen russisch. Assow. 17.85, Dinkel 14.
Stuttgart, 22. Juni. (Mehlbörse.) An heutiger Börse sind von inländischen Mehlen 1020 Sack als verkauft zur Anzeige gekommen zu folgenden Preisen: Nro. 0 31.
bis 32, Nr. 1 28. 50. bis 30, Nr. 2 26. 50 bis
«28, Nr. 3 24. 50. bis 26, Nro. 4 ^ 20. 50. bis
^ 22. 50.
Kirchheim u. T., 22. Juni. (Wollmarkt.) Erster Markttag. Gelagert sind über 10 000 Ztr. Wolle. Die Zufuhr dauert ununterbrochen fort. Käufer sind viele am Platze. Bis heute vormittag 10 Uhr ist noch kein Kauf bekannt. Die Wäsche ist durchaus befriedigend.
Kirchheim u. T., .23. Juni. Wollmarkt. Zweiter Markttag: Gestern mittag wurde rasch verkauft/ ca. 20 billiger als fcrnd. Heute früh war reges Gesuch zu erhöhten Preisen. Es ist wenig mehr feil.
Ellwangen, 20. Juni. Der heurige Wollmarkt 16., 17., 18. und 19. Juni war überaus stark befahren. Käufer waren zahlreich am Platze und wurde die Gesamtzusuhr, einige kleine Pöstchen ausgenommen, verkauft, iedoch bei gedrückten Preisen; der Ztr. stellte sich auf 95—120 für m. Bastard, das ist 20 niedriger als im Vorjahr.
(Konkurseröffnungen. Georg Baur, Schuhmacher in Kuchen (Geislingen). Wilhelm Raisig, Oelmüller in Bibe- rach. Johannes Hermann, vuIZo Winkler, Söldner von Wain (Laupheim.) Friedrich Fröhlich, Schreiner in Niedcrstotzingen (Ulm). _
Der Weg r«m Herrett. Nachdruck nicht Novelle von F. Stöcker t. g-stattet.
(Fortsetzung.)
Bergen las den Brief flüchtig zu Ende, dann löste er behutsam das rosa Seidenpapier, in welches das Bild eingeschlagen war. Und dann ruhte sein Blick lauge Zeit auf dem Strauß von wilden Rosen, von Melilta's Hand gemalt. Eine der Blumen hing