Gewerbeordnungs-Novelle aus der Tagesordnung. Es handelt sich namentlich um die Conzessionirung von gewerbsmäßigen Gesangsaussührungcn, Theatervorstellungen re. ohne höheres künstlerisches Interesse (Tingel-Tangel, eakes ebantants) und es gelang den Liberalen, einige Milderungen durchzubringen. Ein Antrag, für theatralische Aufführungen die Bedürfnißfrage auszuschließen, das heißt das Vorhandensein einer den Verhält­nissen entsprechenden Zahl ähnlicher Unternehmungen nicht als Grund für die Versagung der Erlaubniß gelten zu lassen, wurde abgclehnt. Für die Milderungen waren namentlich die Abgg. Baumbach, Braun und Richter eingetreten. Es handelte sich u. a. um das Ueberwuchern derTanzlustbarkeiten" in manchen Gegenden.

Was längere Zeit schon erwartet wurde, ist ge­schehen. Herzog Paul von Mecklenburg-Schwerin, der seit Jahren mit seiner streng katholischen Gemah­lin, einer Fürstin Windischgrätz, in Algier lebt, ist zum Katholizismus übergetreten und hat auch seinen jüngsten Sohn katholisch laufen lassen. Mit seinem Vater, dem jüngst verstorbenen Großherzog, war er schon lange überworfen, weil dieser Pauls ersten Sohn protestantisch hatte taufen lassen. Herzog Paul ist der Bruder des regierenden Großherzogs, der äußerst kränklich in Mentone lebt und die Regie­rung persönlich noch gar nicht hat antreten können. Auch des Großherzogs 4jähr. Sohn ist äußerst kränk­lich. Es ist also alle Aussicht, daß ein katholischer Fürst und Convertit den Thron eines vollständig und streng protestantischen Volkes besteigen wird. Herzog Paul wird vorläufig nach Wien übersiedeln.

Frankfurt a. M., 30. Mai. (Herzlosigkeit.) Es ist gewiß angezeigt, auch in diesem Blatte über das Verhalten der hiesigen Schuhwaaren-Fabrik von Herz u. Comp, zu berichten, die ihre 300 Arbeiter und Arbeiterinnen seit Jahren so rücksichtlos behan­delt, daß diesen armen Leuten nur noch der Strike als einziges Mittel der Nothwehr übrig bleibt. Schon 3 Mal seit 1874 wurde den Arbeitern der Lohn reducirt und für den 21. April war wieder eine Reduktion angekündigt, die endlich zum Strike führte. Die Reduktion betrug im Ganzen 7pCt. Daneben wurde durch §. 9 der Fabrikordnung für alle Beschäftigten eine Kautionsstellung in der Höhe eines 14tägigen Lohnes durch wöchentlichen Abzug von 1 eingeführt, wodurch den Fabrikanten jähr­lich 6000 unverzinslich in die Hand gelegt wer­den. Den Stepperinnen wurde wöchentlich für Ab­nützung der Maschinen 50 L Dampfgeld in Abzug gebracht, die Nadeln müssen sie selbst anschaffen und jeden Defekt an der Maschine bezahlen. Bei Un­fällen bezahlten die Fabrikanten den Arbeitern nicht die ganze Summe, welche die Unfallversicherung lei­stete, sondern behielten den Betrag für Sonn- und Feiertage in ihrer Tasche. Ueber die Verwendung der Strafgelder leisteten die Fabrikanten seit 12 Jahren niemals Rechenschaft. Die gesundheitlichen Verhältnisse endlich betreffend, war in Folge bestän­digen Gasbrennens in einzelnen Arbeitssälen die Temperatur derart, daß die darin Arbeitenden 2 bis 3 mal täglich die Hemden wechseln mußten. Sogar dieFrkf. Ztg." selbst, der wir Vorstehendes ent­nehmen, mußte die genannte Firma entschieden ver- urtheilen. Wer erinnert sich da nicht an die schö­nen Behauptungen demokratischer Vvlksbeglücker, daß es durchaus wünschenswerth sei, wenn allmählig der Großbetrieb die ganze gewerbliche Produktion be­sorge? Solche Schuhfabrikanten, deren Inhaber größ- tentheils das Schuhmachergewerbe nicht einmal ge­lernt haben, Pressen nicht nur ihre eigenen Arbeiter aus, sondern bringen auch noch Hunderte ehrlicher Schuhmacher um Erwerb und Brod.

In Frankfurt a. M. ist eine Dirne von ihren Zuhältern (Louis) ermordert und in den Main ge­worfen worden, Niemand getraute sich, der Schreien­den zu Hülfe zu kommen. Einheimische und Fremde sind von Dirnen und Louis überfallen und verwun­det worden, alles innerhalb weniger Tage. Die Dir­nen und die Kerle leisten bei der Verhaftung den energischsten Widerstand. Das Franks. Journal zählt die auffallendsten Vorfälle auf und fährt fort: Der anständige Bürger ist von den öffentlichen Spaziergängen vertrieben, er wagt Abends kaum auf einer Bank Platz zu nehmen, weil sie der Abschaum der Menschheit mit Beschlag belegt hat."

In Bornheim bei Frankfurt a. M. ist gestern die dortige deutsche Nähmaschinenfabrik (vorm. I. Wertheini) abgebrannt. Gegen 500 Arbeiter sind da­durch brodlos geworden.

Dieser Tage vollzog sich die vermuthlich größte Feuerversicherung, die jemals abgeschlossen worden ist. Der Hcunburgische Staat hat seine Mobiliar- werthe für die vorläufig ans 25 Millionen Mark

geschätzte Summe gegen Feuersgefahr versichert. Un­ter Anderem ist hierbei die Stadtbibliothek mit 3Vr Mill. Mark angesetzt worden. An dieser Riesenver­sicherung nehmen 15 verschiedene Gesellschaften Antheil.

Die kleine Gemeinde Thüringenhausen setzte vor 10 Tagen für jeden Hamster, der in ihrer Flur gefangen wurde, 10 Pfennig aus. Das Ergebniß waren 335 Hamster.

Oesterreich-Ungarn.

Vom Bodensee, 31. Mai. Aus Bregenz wird heute Morgens derN. Zür. Ztg." telegraphirt: Riesiger Wolkenbruch; Bregenz ist theilweise über­schwemmt; der Schaden ungeheuer.

In Ungarn wurde der Sicherheits-Commissar Csanavh, der mehrere Bauern durch entsetzliche Prü­gel und Qualen zum Geständniß hatte bringen wol­len und eine alte Frau in den Bock gespannt und ihre Fußsohlen an den heißen Ofen gebracht hatte, zu 3 Jahren Gefängniß verurtheilt; auch die Ge­fängniswärter, die geholfen, werden verurtheilt.

(Eine tolle Gesellschaft.) Sechs Jünglinge, sämmtlich guten Bürgerfamilien in Pest entstammend, im Alter zwischen 16 und 18 Jahren stehend, grün­deten vor einigen Wochen eine Gesellschaft, deren Mitglieder sich verpflichten mußten, ihr überflüssiges Geld zusammenzulegen und die einfließenden Beträge gemeinschaftlich zu verjubeln. Es scheint, daß die Burschen nicht genau im Klaren darüber waren, wo dasUeberflüssige" aufhört und daszum Lebens­unterhalt Nothwendige" beginnt; denn in den ersten Zusammenkünften schon hatten sie alle ihre Baar- schaft verpraßt. Nun ging das Hungern an und dem tollen Sinnesrausche folgte der Katzenjammer im Gemüthe auf dem Fuße. Vorgestern am Frohn- leichnamstage hätten die Jungen sich gar so gern wieder gütlich gethan, doch wußten sie alle insge- sammt keinen Knopf Geldes aufzutreiben. Da be­schlossen sie alle sechs, zu sterben, da sie nicht nach ihrem Geschmack leben konnten. Die jungen Zech­brüder verfügten sich in das Stadtwäldchen und suchten in einer entlegenen Partie desselben ein dich­tes Gehölz aus, um daselbst ihr wahnwiziges Vor­haben auszuführen. Der ganzen Gesellschaft stand ein, allerdings 6läufiger Revolver zur Verfügung. Der 17jährige Bauzeichner Franz Rumbauer erbot sich, als Erster in den Tod zu gehen; mit fester Hand schoß er sich eine Kugel in den Hals, eine zweite in die Brust; daun warf er die Waffe von sich und stürzte, in Blut gebadet, zu Boden. Vier von den sechs Kameraden verloren bei dem Anblick des Verwundeten die Lust an dem Unternehmen und ergriffen, wie verabredet, zu gleicher Zeit die Flucht. Indessen einer blieb zurück; es war dies der 16jährige Musikschüler Josef Lißka. Dieser hob den Revolver von der Erde auf und jagte sich eine Kugel durch die Brust. So verwundet wie er war, verließ er hierauf das Stadtwäldchen, um sich in die nahege­legene Wohnung eines Freundes zu begeben. Da legte er sich auf's Sopha und ließ den Eltern Rum­bauers sagen, daß ihr Sohn erschossen im Stadt­wäldchen liege. Beide Knaben wurden in das Ro­chusspital überführt.

Frankreich.

Paris, 30. Mai. (Ein weibliches Un­geheuer.) Das Schwurgericht der Charente-Jn- sörieure verurtheilte letzten Samstag eine ländliche Bäuerin dortiger Gegend zu 20jähriger Zwangsar­beit, weil das weibliche Ungeheuer, um ihrem Knecht den rückständigen Lohn von mehreren Jahren nicht bezahlen zu müssen, denselben mit einer Mistgabel meuchlings zu Boden geschlagen, dem bewußtloßen Opfer mit einem Rasirmesser hierauf den Hals ab­geschnitten, und endlich den mit einem Beile in Stücke zerhackten Leichnam in ihrem Backofen zu Asche ver­brannt hatte.

Paris. 30. Mai. DieFrance" erhält von ihrem Spezialkorrespondenten aus Moskau die Nach­richt, daß während der Illumination am Sonntag Abend zwei französische Offiziere in Uniform, die der Botschaft beigegeben sind, von der Menge im Triumph umhergetragen und mit Hurrah- und Hochrufen auf Frankreich überall begrüßt worden seien.

Ein Herr Victor Saint-Paul und dessen Gat­tin in Paris haben der Pariser medicinischen Akade­mie 25 000 Franken zur Verfügung gestellt als Preis für diejenige Person, welche ein Heilmittel gegen Diphtheritis entdeckt, das die medicinische Aka­demie als wirksam erklärt. Die Stifter bestimmen ausdrücklich, daß der Preis obnc Unterscheidung der

Nationalität zu vergeben ist. Die Zinsen der 25 000 Franken sollen in der Zwischenzeit alljährlich für die beste Arbeit über diese Krankheit als Preis zu ver­geben sein.

DerGaulois" erhält über Riviöre's Tod folgende Nachrichten: Beim Ausfall aus Hanoi theilte Riviore die Truppen in zwei Hälften. Er avancirte mit 150 Marinesoldaten, während die anderen 250 zuweit zurückblieben. Die Vorhut wurde durch eine große Anzahl Eingeborener überrascht und vernichtet. Als die andere Abtheilung sich näherte, ergriffen die Schwarzen die Flucht, indem sie Rivisre und 15 Marinesoldaten gefangen mit sich fortführten. Die Gefangenen wurden am nächsten Morgen gepfählt. Italien-

Mailand, 29. Mai. (Schreckliches Unglück.) Mau meldet derFrkf. Ztg.": Eine Katastrophe mn dem Tessin bei Olcggio hat den Tod von 22 Arbeitern zur Folge gehabt. Dieselben waren an dem dort im Bau befindlichen Kanal Billoresti be­schäftigt und wollten sich nach vollbrachter Arbeit Abends nach Hause begeben. In der Hast drängten sie zu eilig in das leichte Fischerboot, das sie über­setzen sollte; dasselbe schlug um und von 30 Arbei­tern konnten sich nur 8 an's llfer retten.

Schweden und Norwegen.

Den Blick nach Oben zu richten, ziemt nicht blos dem Politiker, es ist angezeigt, daß wir Alle nach oben blicken, nämlich diesmal auf der Landkarte. Eine auffallende Erscheinung bieten die drei skandi­navischen Königreiche dar. In Dänemark, Schweden und Norwegen haben sich gleichzeitig die Gegensätze zwischen Volk und Regierung, zwischen Volksvertre­tung und König immer mehr zugespitzt. In Chri- stiania befindet sich ein ganzes Ministerium auf der Anklagebank, in Stockholm hat das gesammte Mini­sterium seine Entlassung eingereicht, nachdem die Kam­mer das neue Militärgesetz abgelehnt hat, und in Kopenhagen, wo das Ministerium trotz ununterbro­chener parlamentarischer Niederlagen unerschütterlich im Amte bleibt, mußte der König ausnahmsweise die Deputation einer Volksversammlung empfangen, welche sich in scharfen Worten gegen die Beibehaltung des Ministeriums erklärt hatte. Die Konflikte in allen drei skandinavischen Königreichen scheinen an Schärfe zuzunehmen.

Rußland.

Moskau, 30. Mai. Die Krönungskosten be­tragen über dreißig Millionen Rubel.

Moskau, 1. Jum. Stadtoberhaupt Czicze- rin sagte bei dem gestrigen Empfange der Stadt­vertretung durch den Kaiser, das Volk erhoffe vom neuen Regenten, daß er constitutionelle Reformen ein­führen werde. Der Kaiser war von diesen Worten sichtlich unangenehm berührt, der Hof aber geradezu consternirt. (Fr. I.)

Moskau, 2. Juni. Gleichzeitig mit dem mor­gen stattfindenden Chodinski-Volksfest wird ein gro­ßes Militärdiner, gegeben von der Stadt Moskau, stattfinden. Die Armee speist in den Kasernen, 12000 Gardetruppen speisen auf dem Skolnikifeld an langen Tischen, jeder erhält einen Holzbecher und Holzlöffel mit dem Stadtwappen zum Andenken; ein aufsteigender Luftballon wird Süßigkeiten auswerfen.

Moskau, 2. Juni. Das heutige Volksfest war wahrhaft großartig. Es fand auf einem Raume von 100 Hektaren statt, auf dem mehrere Theater, ein Cirkus und viele Zelte errichtet waren. Ein weißes Zelt mit Gold und rothem Sammt verziert, war für den Kaiser und die Prinzen bestimmt. Auf beiden Seiten des Kaiserzeltes dehnen sich ungeheure Tribünen für die Eingeladenen aus. Das Volk um­drängte die 140 mit Bier gefüllten, je mit 8 Hah­nen versehenen Wagen. Jeder dargereichte Becher wurde sofort gefüllt. Bei dem Betreten des Fest­platzes erhielt Jeder einen Becher, eine Pastete, Ku­chen, ein Beutelchen mit Naschwerk. Gegen Mittag waren alle Vorräthe erschöpft. Mehr als eine Mil­lion Empfänger präsentirten sich. Um 2^/r Uhr traf das Kaiserpaar, die kaiserliche Familie und die frem­den Fürstlichkeiten ein, empfangen durch begeisterte und hunderttausendfache Hurrahs. Das Fest war gegeben von der Stadt Moskau. Es herrschte die friedlichste, fröhlichste Stimmung.

In den Festberichten aus Moskau schwamm alles in Freude und Jubel. In der Wirklichkeit aber war es anders. Albert Wolfs, der berühmte Pari­ser Journalist und Berichterstatter desFigaro" über die Krönung, gesteht in seinem Schlußbericht ein,