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zwei Wochen verstrichen sind. Mit dem Ablauf eben dieser Schrift ist aber die Vollziehung des Arrestbefehls laut 809 Absatz 2 ausgeschlossen, da dieser die Vollziehung für unstatthaft erklärt, „wenn seit dem Tage, an welchem der Befehl verkündet, oder der Partei, aus deren Gesuch derselbe erging, zugestellt ist, zwei Wochen verstrichen sind." Die Vollziehung von Arresten würde also bei strenger Beachtung der bezeichnten Bestimmungen in allen Fällen unausführbar sein, in welchen der Aufenthalt des Arrestschuldners unbekannt ist. — Sie ist aber auch, wenn der Arrestschuldner im Auslande wohnt, nach dem bestehenden Gesetze häufig wegen der langen Zeit, welche die Zustellung erfordert, nicht möglich. Selbst in Frankreich und in Ungarn sind nach den Erfahrungen, welche von der hamburgischen Regierung bezeugt werden, Zustellungen in nicht kürzerer Zeit, als 4 bis 6 Wochen zu bewirken. Das Bedürfnis einer Aenderung des Gesetzes läßt sich um so weniger abweisen, als der aus der gegenwärtigen Rechtslage hervorgehende Mißstand namentlich in den Hansestädten, bei ihrem bedeutenden Verkehre mit dem entfernteren Auslande, sich auf das empfindlichste bemerkbar macht.". Bundeskommisiär Versmann begründet den Entwurf, v. Buol (Zentr.) beantragt Kommissionsberatung, ebenso v. Curry (nat.-lib.). Das Haus verweist die Vorlage an eine Kommission von 14 Mitgliedern.
Es folgt der Gesetzentwurf betr. die Unzulässigkeit der Pfändung von Eisenbahn-Fahrbetriebsmitteln. Bundeskommisiär Hägens und der bayerische Bevollmächtigte v. Lerchenfeld heben die Dringlichkeit der Vorlage hervor, um den Bahnbetrieb vor Störungen sicherzustellen, v. Cuny, v. Strombeck (Zentr.) und Schräder (freis.) sprechen für Kommisionsberatung. Das Haus verweist den Gesetzentwurf ebenfalls an eine Kommission. Der Gesetzentwurf betreffend die Fürsorge für Beamte und Personen des Soldatenstandes wird darauf bis § 12 mit wenigen redaktionellen Aende- rungen nach den Beschlüssen der zweiten Lesung genehmigt. § 12 wird entgegen dem Beschluß zweiter Lesung, wonach für Staats- und Kommunalbeamte dieselbe Fürsorge wie in der Porlage vorgesehene verlangt wird, auf Antrag des Frhrn. v. Franckenstein (Ztr.) in der Fassung der Regierungsvorlage, wonach diese Fürsorge der in diesem Gesetze vorgesehenen gleichzukommen hat, angenommen. In der Schlußabstimmung wird das ganze Gesetz genehmigt. Nächste Sitzung Mittwoch. Antrag des Grafen Molrke betreffend das Militärpensionsgesetz und Diätenantrag Hasenclevers.
England.
London, 14. Febr. Die Szene auf Trafalgar Square am letzten Montag wird, wie der „Daily News" geschieben wird, von dem russischen Maler Wereschagin gemalt werden. Dieser Künstler schreibt mit Bezug darauf an den Pariser Korrespondenten des Blattes: „Ich war zufällig in London während der Krawalle und Augenzeuge des Meetings in Trafalgar Square. Das Gebühren des Pöbels war fürchterlich; aber auf das Risiko, sie zu beleidigen, muß ich hinzufügen, daß ich niemals menschliche Wesen sah, die so ausgehungert, herabgewürdigt, schlecht gekleidet und gräßlich elend waren. Die Sprache ist ohnmächtig, um der Wirkung Ausdruck zu geben, die auf mich erzeugt wurde durch den Anblick einer so unaussprechlich unglücklichen und durch Elend brutalisierten Menge." Zu dieser Schilderung des russischen Malers bemerkt die „Daily News" gereizt, es scheine, daß die Phantasie dem Künstler einen Streich gespielt habe. „Möge er, wenn er solche Gestalten malen will, in Paris nach den Weinschänken des Faubourg St. Antoine gehen, deren Besucher ihm vielleicht unbewußt vorschwebten, als er schilderte, was er, wie er glaubte, in Trasalgar Square gesehen hatte." — Die Pariser Blätter geben die Details des Londoner Krawalls mit einiger Schadenfreude wieder. Der radikale „Cri du peuple" schreibt: Leider hat den englischen Sozialisten am Montag der Mut gefehlt. Statt die Kundgebungen gegen die Klubs zu Hetzen, hätte man sie gegen das gerade tagende Parlament führen sollen! Die Mitglieder des Ober- und Unterhauses hätten
große Gefahr gelaufen, einen Kopfsprung In die Temse zu machen. — Der gambettistische „Voltaire" sagt, die Engländer sollen den eigentlichen Urheber des Elends aus dem Lande schaffen/, das sei — der deutsche Arbeiter, der dem englischen den Bissen vor dem Mund wegschnappe. — Der „Temps" schreibt: „Die Unruhen in London haben deshalb so große Sensationen erregt, weil man sich daran gewöhnt hatte, zu glauben, in England seien solche Exzesse unmöglich, die öffentlichen Sitten verlangen dort gebieterischer als anderswo den Respekt vor den Gesetzen. Die ökonomische Krisis mit ihrer düsteren Gewalt hat uns eines anderen belehrt. Die englische Regierung steht vor der Frage, wie dem Elend zu begegnen ist, sie wird genötigt sein, Notstandsarbeiten vornehmen zu lassen, um das Verlangen nach Arbeit zu befriedigen, und die Quelle des Uebels zu verstopfen. Allerdings giebt es, ökonomisch betrachtet, nichts Jrrationelleres, als solche künstliche Arbeitsangelegenheiten, allein es giebt eben Lagen, wo die Regierung nicht anders kann, sie muß den Notschrei des Elends schon um der offenbaren Gefahr willen erhören, die Inspirationen der Humanität gehen dann Hand in Hand mit der Rücksicht für die öffentliche Sicherheit. Wir wünschen um so mehr einen glücklichen Ausgang dieser Krisis, als gegenwärtig in säst allen Hauptstädten dieselbe Erscheinung wiederkehrt uud in diesen Dingen eine Art Solidarität zwischen den Nationen besteht." Diese Bemerkungen des „Temps" sind gewiß richtig. — Man spricht in London mit großer Unruhe über die Arbeitskrisis in den Grafschaften Lancaster und Pork, wo das Elend eine nie dagewesene Höhe erreicht hat. Die Arbeitszeit ist reduziert, die Löhne sind unzureichend. Eine Statistik der in London unterstützten Personen (die Unterstützungen werden entweder in den koor lave boaräs, oder von den 6uar<ii»n8 ok tbe koor der Londoner Gewerbevereine, oder in den Arbeitshäusern, vvorkbouses, gereicht, neuerdings auch in den Wohnungen der Armen selbst) zeigt, daß die Zahl derselben in London allein von 80000 im Monat September auf 102000 Ende Januar gestiegen ist.
Gages-Weuigkeiten.
(Amtliches). Im Vollmachtsnamen Seiner Majestät des Kö' nigs haben Seine Königliche Hoheit Prinz Wilhelm am 12. Febr. d. I. die erledigte Amtsnotarsstelle in Teinach, Oberamts Calw, dem Kanzleiassistenten Schmid bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Gnaden übertragen.
Stuttgart. (Reiterfest) Die Arbeiten des württ. Rennvereins zu Ausführung des nach der Verehelichung des Prinzen Wilhelm K. H. in der kgl. Reitbahn aufzuführenden Karoussels haben begonnen mit einer durch kooptierte Komitemitglieder verstärkten Sizung unter dem Präsidium des Herrn Oberststallmeisters Grafen von Taubenheim. Der Vorschlag, Hauffs Lichtenstein dem Ganzen zu Grunde zu legen, gefiel allgemein und wurde angenommen, worauf zur Wahl von 4 Sektionen geschritten wurde vorbehältlich weiterer Sektionswahlen im Falle eintretenden Bedarfs.
Stuttgart, 16. Febr. Gestern abend brannten bei Bender u. Cie. zwei neukonstruierte Wenham-Gaslampen, durch die Wenham- Kompagnie in Berlin für Deutschland und von da durch Reißer hier eingeführt. Das Licht wird in der Hauptsache durch Gas hergestellt; in dem Brenner befindet sich ein Asbestdocht, der zur Weißglühhitze gebracht wird. Die Leistungen kommen dem elektrischen Lichte insbesondere dadurch nahe, daß das Licht der neuen Lampe ebenfalls in hohem Grade intensiv und rein weiß brennt. Ob eine so beträchtliche Ersparnis an Gas mit dieser Lampe verbunden ist, wie versichert wird, muß die Erfahrung lehren.
Tübingen, 15. Febr. Gestern fanden sich im Museum eine Anzahl Schützenmeister und Delegierter von Schützenvereinen des Schwarzwaldkreises zusammen behufs Gründung eines Schützenverbandes zur Abhaltung eines jährlichen größeren Schießens im Kreise. Sieben größere
kahlen Wänden, welche rings um ihn her ein Viereck bildeten. Er legte die Hand auf den Drücker und trat schnell ein.
An dem in der Mitte des kleinen Stübchen stehenden Tische saß der Mann, welchen der Jüngling sofort als seinen Vater erkannte, welchen aufzusuchen er die weite Reise über das Meer gewagt und den er durch die allgütige Vorsehung eher aufgefunden, als er je zu hoffen gewagt hatte. Der alte Borrmann saß nachvenklich in dem Lehnstuhl und las in einem Buche. Die beiden Wachskerzen waren bereits angezündet und gaben dem Stübchen trotz seiner dürftigen Ausstattung einen Anstrich von Feierlichkeit. Beim Eintritt des Ankömmlings erhob er langsam den Kopf, hatte jedoch kaum einen Blick auf den jungen Mann geworfen, als er mit dem Ausruf: „Allmächtiger Gott! Andreas! wie kommst Du hierher?" aufsprang und mit jup t.-.cher Lebendigkeit auf den Jüngling zueilte.
Vater und Sohn lagen sich sprachlos und vor Rührung in den Armen. Draußen aber in der halboffenen Thür hielt sich eine lange dunkle Gestalt verborgen, welche es nicht über sich gewinnen konnte, die beiden Wiedervereinten zu stören, denen die heiligste Weihnachtsfreude beschieden war, die es auf Erden geben kann: ein glückliches Widersehen nach langen Tagen voll Leid und Trübsal.
„Setz' Dich her zu mir, mein Sohn," und erzähle mir, auf welche Weise Du nach Newyork gekommen bist und was die Mutter daheim macht und Fritz und Elise. Hoffentlich ist doch auch alles gesund? Kannst Dir denken, wie begierig ich nach einer Nachricht von meiner Familie bin."
„Vater," erwiderte Andreas, „die Mutter ist mit Fritzchen und Elisen
hier."
„Was sagst Du?" rief Bormann freudig erschreckt, „Die Mutter mit den Kindern wäre hier?"
„Ja, Vater!" nickte der Sohn, ich mochte sie nicht drüben lassen unter den mißlichen Verhältnissen ihrer Lage, und da ich nun im Gegensätze zu vielen anderen Auswanderern sogleich bei meiner Ankunft hier eine brillante Stellung fand, hielt ich es für das Beste, daß sie mit dem Bruder und der Schwester herüber käme. Wir wohnen zusammen in einem sauberen Hinterhäuschen, das zu den großartigen Besitzungen meines Prinzipals gehört. So
lange wir hier sind, haben wir keinen Tag vergehen lassen, ohne nach Dir zu forschen. Auch zahlreiche Aufforderungen haben wir in den amerikanischen Zeitungen erlassen, sie sind jedoch von keinem Erfolge begleitet gewesen."
„Habe, so lange ich hier bin, noch keine amerikanische Zeitung in der Hand gehabt," brummte der alte Borrmann, in leisem Verdruß den Kopf schüttelnd. „Ist mir aber lieb, mein Junge, daß Du so wacker für die Deinen sorgst. Deinem alten Vater ist es leider nicht so gut geworden. Ja ja, habe wenig freudige Stunden allhier verlebt, Andreas!"
„Ach, Vater," nahm der Sohn mit einem Anflug von Trauer das Wort, „warum giengst Du von uns fort? Wir haben uns alle so sehr gegrämt, und die Mutter hat fast Tag und Nacht gejammert. Sieh, Vater! Du hattest es ja nicht nötig zu fliehen. Es war alles in bester Ordnung. Kein Pfennig fehlte an der Kasse. Durch die Schuld eines Deiner Unterbeamten war ein Versehen vorgekommen. Ein Schreibfehler hatte sich in Deine Bücher eingeschlichen. Derselbe Fehler fand sich in den Belägen. Als Du an jenem Abend Deinen Kassenabschluß machtest, mußtest Du Dich überdies verrechnet, wohl in Deiner Bestürzung wiederholt falsch gerechnet haben. Wie dem auch sein möge, Du kamst durch ein seltsames Zusammenwirken von Zufällen zu der Ueberzeugung. daß ein Defekt vorhanden sein müsse. So erklärten es die Herren, die Tags darauf die Kasse revidierten. Der Unterbeamte, welcher die erste Veranlassung zu diesem Irrtum gegeben hatte, mußte eine starke Ordnungsstrafe bezahlen, Dich und uns aber beklagte man allgemein. Unsere Schritte, Dir Nachricht zukommen zu lassen, Dich zurück- zurufen, blieben ohne Erfolg. Wußte doch niemand, wohin Du Dich gewandt hattest. Der Mutter wurden die achthundert Thaler, welche Du beim Antritt Deines Amtes als Bürgschaft hinterlegt hattest, bei Heller und Pfennig ausbezahlt. Dazu haben wir alle redlich gearbeitet und so waren wir wenigstens für die nächste Zeit vor dem Mangel gesichert. So war es, liebster Vater! Deine Kasse war in der schönsten Ordnung und nur Deine übergroße Aengstlichkeit, welche Du in Bezug auf Deinen ehrlichen Namen hegtest, ließ Dich alles im schwärzesten Lichte erblicken, trieb Dich von Haus und Familie, einem trostlosen, kummervollen Dasein entgegen."
(Fortsetzung folgt.)