61. Jahrgang.
Uro. 20.
Amts- unä IntelligenMatt für äen Aezirfl.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
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Donnerstag, äen 18. Februar 1886.
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Unsere Kriegsflotte und der Uord-Ostsee-Uanal.
Im Reichstage ist soeben der von dem Abgeordneten Wörmann erstattete Kommt ssionsbericht über den Gesetzentwurf, betreffend die Herstellung des Nord-Ostsee-Kanals, erschienen. Wir entnehmen demselben nach der Köln. Zeitung eine Ausführung des Chefs der Admiralität über die militärische und maritime Bedeutung des Kanals. Der Zweck des Kanals sei, die Verteidigung der Küste gegen eine feindliche Blockade zu erleichtern. Nach dem Flottengründungsplan seien 14 Panzer in Aussicht genommen; 13 seien davon fertig. Während die deutsche Marine nur 33 Millionen Mark im Ordinarium aufwende, seien für die englische 237 Millionen Mark erforderlich. Im gleichen Verhältnisse stehe der Bestand der Schiffe beider Länder. Die französische Flotte stehe in Etat und Bestand ungefähr viermal so hoch als die deutsche; noch in neuerer Zeit seien 16 große Panzer hinzugekommen. Das russische Marinebudget übersteige das deutsche nahezu um das Dreifache; die Flotte habe 14 Panzer; unter den vorhandenen Schiffen seien allerdings veraltete, es würden aber wieder neue Schiffe gebaut. Außer auf den russischen Werften, deren Leistungsfähigkeit sich in den letzten Jahren wesentlich gesteigert habe, lasse Rußland in Frankreich, England, Schweden und Dänemark bauen. Das dänische Budget der Marine betrage 6>/z Millionen Mark; Dänemark habe es aufgegeben, sich Deutschland gegenüber auf den Angriff einzurichten, verbessere aber seine Verteidigung und betreibe den Bau von Torpedobooten. Alle Mächte haben das Bestreben, ihre Seekräfte zu vermehren. Dem gegenüber dürfe Deutschland die Hände nicht in den Schoß legen. Mit Küstenfahrzeugen und Torpedobooten könne man die Küsten verteidigen; gegen eine Blockade könne uns nur eine Angriffsflotte schützen; die insbesondere für die Lokalverteidigung bestimmten Küstenfahrzeuge würden den Kanal nur ausnahmsweise benützen.
Bei der Kanalfrage handle es sich um die 13 Panzer Deutschlands gegenüber den 74 englischen, 54 französischen, 20 russischen und 4 dänischen Panzerschiffen. Unsere zentrale Lage zwinge uns, unsere Flotte im Frieden in eine Ost- und eine Nordseeflotte zu teilen. Die Küsten beider Meere seien für uns gleich bedeutsam; es werde für jedes der beiden Meere eine dem Angreifer an Stärke annähernd gewachsenen Flotte erforderlich sein, um die Blockade zu verhindern, und das sei nur zu erzielen durch eine Konzentrierung der im Frieden getrennt in der Nord- und Ostsee stationierten Schiffe. Zu einer wirksamen Blockade sei mithin nach Fertigstellung des Kanals eine unserer Kraft etwa um das Doppelte überlegene feindliche Kraft erforderlich
Das gefährliche Wagnis, der möglichenfalls mit Minen reich besetzten dänischen Meerengen zu durchfahren, brauche nach Herstellung des Kanals nicht mehr unternommen werden. Die Behauptung, daß durch den Kanal unsere maritimen, d. h. die insbesondere für den Küstenschutz bestimmten Angriffskräfte gewissermaßen verdoppelt werden können, sei demnach nicht übertrieben. Der thatsächlichen Verdoppelung der Marine stehen schwerwiegende Hindernisse im Wege, namentlich die Beschaffung der notwendigen Offiziere und Mannschaften. Während der Kanal eine lange Reihe von Jahren Dienste leisten würde, seien Schiffe bei den gewaltigen Fortschritten der Schiffsbautechnik meist nach zwanzig Jahren veraltet und nicht mehr voll diensttauglich. Außerdem erfordern Schiffe große Ausgaben an Unterhaltungskosten, für Mannschaften!, u. s. w., welche bei dem Kanal wegfallen, da diese durch Abgabe der Handelsschiffe gedeckt werden. Nur durch den Bau eines Kanals sei die Nützlichkeit der erwünschten Vereinigung unserer Kriegsflotte im Kriegsfalls gesichert. Der Wert des Kanals steigere sich mit dem Werte der Schlachtflotte. Diese Schlachtflotte müsse in der durch die Denkschrift von 1873 vorgesehenen Stärke auf der Höhe der Lage stehen, also durch Ersatzleute die erforderliche Ergänzung erhalten. Die Panzerflotte müsse für den Angriff jederzeit verfügbar sein, also von der Lokalverteidigung freigemacht werden, für welche außer Torpedobooten noch eine zunächst noch nicht genau festzusetzende Zahl von Küstenfahrzeugen erforderlich sei.
Haitische Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 15. Febr. Reichstag. Erste Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend die Ergänzung des 8- 809 der Zivilprozeßordnung. Der Entwurf lautet: „Dem §. 809 der Zivilprozeßordnung tritt als dritter Absatz folgende Bestimmung hinzu: An - Stelle der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner genügt es, wenn die Post um Bewirkung der Zustellung ersucht oder, sofern eine Zustellung mittelst Ersuchen anderer Behörden oder Beamten oder eine öffentliche Zustellung erforderlich ist. (In der Begründung heißt es: „Ist — was bei Arresten nicht selten der Fall ist — der Aufenthalt des Arrestschuldners unbekannt, so ist der Arrestkläger nach 8. 186 auf den Weg der öffentlichen Zustellnng verwiesen. Nach 8- 187 und §. 189 Absatz 2 ist in solchen Fällen der Arrestbefehl als zugestellt anzusehen, wenn seit der Anheftung einer beglaubigten Abschrift an die Gerichtstafel
Ienilteton.
Der: Auswanderer.
Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika.
Von Karl Aastrow.
(Fortsetzung.)
Am Vormittage des folgenden Tages schlug der Neger mit eigentümlicher Hast den Weg ein, wecher ihn nach der glänzendsten und belebtesten Straße von Newyork, dem Broadway, führte. Hier blieb er vor dem ersten besten Schaufenster stehen, in welchem Gold- und Silberarbeiten, Schmuckgegenstände und Juwelen aller Art in verschwenderischer Pracht, das Auge blendend, ausgelegt waren. Nachdenklich betrachtete er einige Minuten alle diese in verführerischem Glanze schimmernden Wertsachen. Dann aber, wie von einem plötzlichen Entschlüsse getrieben, sprang er die Granitstufen empor und trat in den Laden, wo er jedoch durch die hier in höherem Grade herrschende Pracht und Eleganz von Neuem verwirrt, in sichtlicher Befangenheit an der Thüre stehen blieb.
„Was wünschen Sie?" fragte ein junger, kaum zwanzigjähriger, schlankgewachsener Mann in englischer Sprache, indem er mit einer leichten Handbewegung den Neger einlud, näher zu treten.
„Sir!" rief Red, der sich noch immer nicht ganz von seinem Staunen über die rings umher aufgespeicherten Luxusgegenstände erholt hatte, „ich habe einen Ring und den möchte ich gern verkaufen."
Der junge Mann betrachtete den Neger mit einem scharfen Blicke, der nicht frei von Mißtrauen war. „Lassen Sie einmal sehen!" sagte er dann.
Der Verkäufer trat vor und überreichte dem Commis den Ring, den er kurz vorher seines Papierumschlages entledigt hatte. Kaum aber hatte der junge Mann einen Blick auf das Kleinod geworfen, als er abwechselnd blaß und rot wurde und ein leises Beben seine Glieder schüttelte.
„Von wem hast Du den Ring?" fragte er mit zitternder Stimme, während seine dunklen, blauen Augen sich durchbohrend auf die Züge des Negers hefteten.
„Von wem ich den Ring habe, Sir?" fragte dieser, der inzwischen seine Sicherheit vollständig wieder erlangt hatte. „Müssen Sie das wissen, Sir? ist's nicht genug, wenn ich Ihnen sage, daß er kommt von einem ehrlichen Manne?"
„Daran zweifelt niemand, guter Freund!" entgegnete der Commis. „Der Mann, welcher ursprünglich den Ring trug, ist brav und rechtschaffen wie wenige, und wenn Ihr so ehrlich seid wie er, soll's mich sehr freuen. Ich bitte Euch aber dringend und bei Allem, was Euch heilig ist, sagt mir die reine Wahrheit, von wem habt Ihr den Ring?"
„Gut!" sagte Red, „da ihr mit solcher Achtung vom meinem Herrn sprecht und ihn brav und rechtschaffen nennt, so will ich Euch auch seinen Namen nicht verschweigen. Es ist Massa Borrmann, ein Deutscher, der von drüben hierher gekommen ist."
Nichts weiter als den Namen vernahm der fieberhaft erregte junge Mann. „Mein Gott, ist es möglich!" rief er, die Hände zusammenschlagend, „mein Vater, mein armer Vater wäre hier in Newyork? Geschwind, geschwind, lieber Mann, führen Sie mich zu ihm. Ich will es Ihnen lohnen, fürstlich lohnen, ja gewiß; aber lassen Sie uns eilen! Er ist vielleicht gar krank? oder schmachtet im Elend?"
Der Sprecher traf in der größten Aufregung seine Vorbereitungen, um in möglichster Schnelle den Laden verlassen zu können. Die anderen Commis waren neugierig herbeigeeilt und erboten sich, nachdem sie hörten, was sich zugetragen, ihren Kameraden während seiner Abwesenheit zu vertreten. Wenige Minuten später saß der junge Mann neben dem Neger in dem ersten besten Wagen, welchen man hatte auftreiben können, und rollte im scharfen Trabe durch ein Gewirr von Straßen der Wohnung seines Vaters entgegen. Red hatte viel zu thun, um die Menge der Fragen zu beantworten, mit denen sein junger Gefährte ihn bestürmte. Bald aber hielt der Wagen vor dem bezeichnten Hause. Der Commis, welcher seine Ungeduld kaum zu be- meistern vermochte, sprang hinaus, eilte in das Haus und stürmte die Treppen bis auf den Speicher empor. Durch eine schmale Dachluke fiel das schwache Licht des verdämmerten Tages und erhellte notdürftig den niit jedem Augenblick dunkler werdenden Raum. Nur eine einzige Thür zeigte sich an den