Durch den Tod Gambetta's ist nunmehr Frankreich eine Hoffnung ärmer und Deutschland eine solche reicher geworden — eine Hoffnung, den Frieden erhalten zu sehen, den Gamdetta nur als eine Vorbereitung für den Krieg auszubeuten trachtete, wenigstens glauben wir sicher, daß dieser Gedanke tief und unerschüttert in seinem Herzen angegeben war. Es schließt dies aber keineswegs aus, daß wir nach wie vor scharfe Wacht halten, sowohl gen Westen als gen Osten, denn es wäre thöricht zu glauben, daß mit Gambetta und Skobeleff auch der Chauvinismus, der Haß gegen uns erloschen sei. Es ist dies leider keineswegs der Fall und daran wird sich auch wohl für lange Zeit nichts ändern, aber mit beiden Männern sind die begabtesten und deßhalb gefährlichsten Vertreter einer Deutschland feindlich gesinnten Richtung und Volksströmung aus dem Leben geschieden und darin sehen wir nicht die unwichtigsten Bürgschaften für ein friedliches Jahr 1883!
Oesterreich-Ungarn.
In den Kreisen der österreichischen Botschaft wird als Veranlassung des Selbstmordes des Grafen Wimpffen Streit mit seiner Gemahlin aus politischen Gründen oder auch wegen Geldverlegenheiten angegeben. Graf Wimpffen war von jeher Anfällen von Geistesabwesenheit unterworfen und diese hatten sich in letzter Zeit sehr gesteigert; er sprach häufig laut mit sich, und wenn er Depeschen erhielt, äußerte er, er verstehe sie nicht, und konnte die Antwort nicht finden. Die Leiche wird nach Oesterreich übergeführt werden.
Bei der vorgestrigen Neujahrsgratulation der liberalen Partei des ungarischen Reichstags gab der Ministerpräsident Tisza nochmals seiner Hoffnung auf Erhaltung des Friedens Ausdruck, indem er erklärte, daß es ihre ernste Pflicht sei, auf die Erhaltung des Friedens hinzuwirken, es werde daher auch fortan wie bisher eine der Hauptaufgaben der liberalen Partei sein, Verbündete nicht zum Kriege, sondern zur immer besseren Wahrung des Friedens zu suchen.
Frankreick.
Paris, 1. Januar. Die engeren Anhänger Gambettas sind durch seinen Tod in große Verwirrung gerathen. Ein Theil der republikanischen Union dürfte sich mit Allain-Targ« der gemäßigten Gruppe Ferry (demokratische Union), ein anderer hingegen der radikalen Linken anschließen. Der Mann der Lage ist jetzt der Kammerpräsident Brisson. — Der Pariser Erzbischof genehmigte die kirchliche Beisetzung des Grafen Wimpffen, da er. als er auf sich schoß, unzurechnungsfähig gewesen sein.
Paris, 1. Jan. Die Aerzte Gambettas sagen, da der Rothlauf nicht nach Außen ausbrechen konnte, führte er eine Zersetzung des Blutes herbei. Es bildete sich im Herzen ein Blutkuchen u. erstickte den Kranken. Der Abdruck des Gesichts wurde diesen Morgen vorgenommen, die Autopsie wird morgen ftatrfinden.
Paris, 2. Jan. Die Republique frantzaise (Gambettas Organ) ruft heute in einem Nekrolog aus: „Gambetta ist todt. was wird aus uns werden?" Die feierliche Beisetzung auf Staatskosten wird Donnerstag oder Freitag stattfinden.
Paris, 2. Januar. Die Leiche Gambetta's wurde heute secirt. Die Autopsie ergab, daß eine Operation vollständig nutzlos gewesen wäre und den Tod beschleunigt hätte. Die Beisetzung wird wahrscheinlich in Nizza stattfinden, da Gambetta's Vater noch heute Mittag an Duclerc telegraphirte, daß er gegen die feierliche Bestattung in Paris protestire.
Paris, 2. Jan. Der Ministerrath beschloß gestern Abend die Leichenfeier Gambettas auf Staatskosten zu übernehmen.
Mit Leon Gambetta ist der bedeutendste Staatsmann, den das jetzige Frankreich besitzt, aus dem Leben geschieden. Sein Tod wird deßhalb von allen Franzosen als ein großer und unersetzlicher Verlust beklagt werden. Seine Popularität war deßhalb eine so unbestrittene und mächtige, weil sie auf der Bewunderung seines Patriotismus berubte, weil er in den gefahrvollsten Stunden für sein Vaterland seine ganze Kraft, all sein Denken und Wollen eingesetzt hatte, und weil sich die Franzosen sagten, daß kein anderer Mann an der Spitze der Republik so viel Garantien des Erfolges biete, wenn es einmal wieder zu ernstlichen Konflikten käme. Man betrachtete ihn als eine unvergleichliche Kraft, die man aber
vorerst noch in der Reserve halten müsse. Frhr. v. d. Golz, welcher diesen Mann zum Gegenstand seiner besonderen Studien gemacht hat, urtheilt über ihn: „Das Heer, das er aufstelltes, bewaffnete, bekleidete und organisirte, ist ein beredtes Denkmal seines Geistes. Mit dieser Riesenarbeit wurde er in kürzerer Zeit fertig, als jemals ein Organisator. Und auch für die Kriegführung traf er mit Scharfblick vieles Richtige, selbst in dem strategischen Entwurf für den Feldzug seiner Armee hatte er in großen Zügen Recht. . . . Läßt die Geschichte seiner Diktatur in Gambetta auch eher einen Cola di Rienzi, als einen Bonaparte erkennen, so bleibt er im Vergleich mit der Masse der Sterblichen dennoch immer ein gewaltiger Mann, und man soll sich hüten, ihn gering zu achten. Was er that, ist nur Wenigen vor ihm in ähnlicher Weise gelungen, und wird auch nach ihm nur von Wenigen erreicht werden. . ."
Die „N. Fr. Pr." sagt in ihrem Gambetta- Artikel: „Vielleicht werden sich Jene freuen, die in ihm die Verkörperung des Revanchegedankens erblickten und nun glauben, ein Feind des Friedens sei verschwunden. Eitle Täuschung! Die Franzosen wollen die Ruhe und erblassen vor der Möglichkeit eines Krieges; aber am Herzen eines jeden nagt der Frankfurter Vertrag wie eine zehrende Krankheit, im Gemüthe eines jeden lebt der heiße Wunsch nach dem Tage, wo die Schmach von Sedan wieder ausgelöscht sein wird. Müßige Illusion wäre es, zu hoffen, daß diese Wunden nicht mehr brennen, und die Stunde, welche Deutschland schwach sieht, wird auch die französischen Heere an seine Grenzen führen, mag der Träger der Gewalt ein Präsident, ein König, ein Diktator sein. Gambetta deutete an, was Alle empfinden, er sprach zuweilen aus, was seine kälteren Nebenbuhler sorgfältig verheimlichen. Das deutsche Reich hat einen Gegner weniger, aber geblieben sind die Millionen, welche das Land von den Vogesen bis nach Calais füllen. Die größte Gefahr eines Krieges bergen die Pöbelherrschaft, die Restauration, und deren unversöhnlichster Verfolger hat in Villa d'Avray die Augen geschlossen.
I Rochefvrt wurde noch im Laufe der Nacht von dem Todesfall benachrichtigt. „Gambetta's Tod," sagte er, „wäre ein Unglück, wenn die Legi- timisten daraus Vortheil ziehen könnten, so, da sie das nicht können, ist er ein Glück für die Republik."
Werden's denn die Franzosen nicht überdrüssig, gegen die Deutschen und alles, was Deutsch ist, zu geifern? Jetzt ziehen sie abermals über das „nordische Gebräu", das heißt das braune und blonde deutsche Bier her und gegen die Bierstuben in Paris. Diese Bierstuben, erzählt Aurelien Scholl, würden von verkappten deutschen Spionen errichtet : dann erzählt er eine Geschichte von einem bayerschen Offizier, der jahrelang vor 1870 eine Kneipe in der Nähe der Militärschule in Paris einrichtete, Offiziere und Soldaten anlockte, sie ausfvrschte und kurz vor Ausbruch des Krieges verschwand, um Bismarck Bericht zu erstatten. Endlich fällt er über die Pariser her, die dieses „Gesöff" trinken, während in Straßburg und Metz keine französische Katze sich dazu hergebe. Zwischen Deutschen und Oesterreichern wird kein Unterschied mehr gemacht; die Oesterreicher, sagt Scholl, sind „Sauerkraut so" und die Deutschen „Sauerkraut anders '.
Nach einem offenbar in Gambetta friedlichem Sinn gefärbter Bericht des „Gaulois" hatte Gambetta mit Madame Lson, mit der er früher im Konkubinat gelebt hatte, Händel über den Sohn Alphonse Lson, den Madame in Paris behalten und dessen Rückkehr von Dresden sie durchsetzen wollte. In Dresden besuchte derselbe das Politechniknm. Madame zog einen Revolver hervor und wollte entweder sich oder Monsieur erschießen; genug der Schuß fiel und der Vorfall in der Bille d'Avrah war da. Gambetta's Sohn ist 17 Jahre alt, im Kollege Saint Barbe war Alphonse Leon ein schlechter Schüler, nicht dumm, aber faul, und nicht an Schulzncht zu gewöhnen; Madame trat für alle seine Dummheiten ein. Im Jahre 1881 berief Gambetta seinen Dresdener Korrespondenten der „Rep. Frany.", Hessel, einen Schweizer, der Lehrer am Polytechnikum sein soll, aber vor allem Berichterstatter. Hessel kam im Aprill 1881 nach Paris und entführte den unbändigen Burschen nach Dresden, wo er bis April 1882 blieb. In dieser Zeit hatte Gambetta sich mit Hessel gründlich überworfen. Als Gambetta im September 1881 nach Deutschland kam, wurde Hessel, der die Elbbriefe schrieb und Antonin Proust das Material für seine Schrift über Bismarck zutrug, benachrichtigt. Bismarck hatte Gambetta nicht vorgelassen; das erregte Spott; aber wer hatte ausgeplandert? Gambetta, der Hessel in Verdacht hatte, entzog ihm seinen Sohn und die Elb-Korrespondenz. So im April; seitdem erfolgte die Versöhnung zwischen Hessel und Gambetta, und in Folge dessen wurde jung Leon wieder nach Dresden abgegeben. Darüber der Streit mit Mama und der Schuß.
Ein schweizerisches Blatt, die „N. Zürich. Z.", sagt: „Gambetta ist todt und mahnt uns stärker als die verklingenden Neujahrsglocken an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Das von ihm innig geliebte Frankreich wird mit ihm so wenig sterben, als es mit Thiers gestorben ist, aber es wird im politischen Leben Frankreichs eine ungeheure Lücke entstehen; nicht bloß die Republik, Frankreich hat einen großen Mann verloren. Preußische Pastoren werden in ihren nächsten Weihebetrachtungen in der „Abberufung" Skobeleffs und Gambetta's den Finger Gottes sehen, und vom deutschen Standpunkte aus mag der Tod des talentvollsten Vertreters der Revancheidee ein Glück sein. Die übrige Welt wird gerechter sein."
Jules Ferry und Chemenceau kamen zusammen in einem Wagen, um den Tobten zu sehen. Ferry weinte. Clemenccau rief aus, die Phrasen seien hier überflüssig. Es bleibe nichts zu sagen, als daß ein großes Unglück sich ereignet habe. Hunderte von hervorragenden Persönlichkeiten kainen nach Ville d'Avray, die Leiche zu sehen, auch viele El- süßer, die ihrem Schmerz den deutlichsten .Ausdruck gaben.
Rußland.
St. Petersburg, 2. Jan. Das „Journal de St. Petersb." sagt: Wir zählten niemals zu den enthusiastischen Bewunderern Gambettas, welcher mehr Redner als Staatsmann war.
Hochwasser.
Auch aus Württemberg kommen bereits wieder von der Murr, der Rems und dem Kocher Nachrichten über neue Ueberschwemmungen.
Darmstadt, 3. Jan. In Leeheim, einem Dorfe von 1100 Einwohnern gegenüber Oppenheim, steht in Folge eines Dammbruches das Wasser bis zum zweiten Stockwerk.
Ludwigs Hafen, 2. Jan. Das Wasser steigt noch. Die Noth ist bei uns unbeschreiblich. Tausende von obdachlosen und aller Habe beraubten Personen haben sich hierher geflüchtet. Ein mit 40 Personen besetzter Nachen, der von Oppau nach Lud- wigshafe wollte, ist in Folge des Sturmes an einem Baumstamm zerschellt. Nur 12 konnten sich retten.
Friesenheim, 1. Jan. Hier spottet der Anblick jeder Beschreibung. Die noch stehenden Häuser sind meist vollständig verlassen, das Wasser hat Thüren und Fenster zerstörr und man blickt in die noch mit den vollen Einrichtungen ausgestatteten Zimmer, die zur halben Höhe im Wasser stehen, wie es Bettzeug, Kleider und Hausrath wild durcheinander treibt. Und trotz der energischen Rettungsarbeiten der bayerischen Pioniere giebt es noch Hunderte, die seit Freitag Nacht oft an Plätzen haben ausharren müssen, wo sie allen Unbilden der schauderhaften Witterung ausgesetzt jwaren. Entsetzlich ist aber der Anblick der zusammengebrochenen Gebäude, deren Zahl bereits auf 136 angegeben wird. In diesen Trümmern sind Hunderte von Hausthieren begraben, deren Rettung unmöglich war.
Frankenthal, 1. Jan. In Frankenthal, Oppau, Edigheim, Moersch, Bobenheim, Roxheim und Studernheim sind seit gestern mehr als 500 Häuser eingestvrzt. Die Ortschaften gleichen Inseln und sind nur noch mit Kähnen zu erreichen. Es ist nicht abzusehen, welchen Umfang das Unheil bis morgen erreicht haben wird. Aber schon heute herrscht Noch und Elend, wohin das Auge blickt. Privathilfe ist zur unabweisbaren Nothwendigkeit geworden. In Frankenthal und Umgegend sind mindestens 9000 Menschen obdachlos.
Frankenthal, 1. Jan. Das Elend nimmt stündlich in nicht geahnter Größe zu. In dem überschwemmten Gebiete unserer nächsten Nähe sind bis jetzl eingestürzt: in Bodenheim 70 Häuser, in Roxheim 80 Häuser, in Mörsch 80 Häuser, in Edigheim 60 Häuser, in Oppau 80 Häuser, in Studernheim 20 Häuser, in Frankenthal 5 Häuser. Es ist nicht abzusehen, wie viele noch einstürzen. — In Bürstadt, Hofheim und Bobstadt ist Vieh massenhaft ertrunken.
U»n dev Kirbe Gnade«.
(Fortsetzung.)
Der berühmte Geigenvirtuose S . . . ., dessen Ruf damals durch ganz Europa drang, gab am Schluffe einer großen Concerttournöe in der Residenz W . . . sein erstes Concert.
Der Hof, die gesammte Aristokratie besuchte das-