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Frankreich.
Paris, 14. Januar. Der Mörder des Eurepräfekten ist noch nicht ermittelt. Der Kopf der Leiche hat 2 Wunden, die eine von einem Revolver, die andere von einem schneidenden Instrument.
Paris, 14. Jan. Die Ermordung des Präfekten des Departements Eure, Baröme, im Eisenbahnwaggon erregt großes Aufsehen. Der Sachverhalt ist folgender: Baröme reiste mit dem gestrigen von Paris um 6 Uhr 55 Minuten nach Cherbourg abgehenden Zuge, der um 8 Uhr die erste Station in Mantes macht. Noch vor Mantes, zwischen Houilles und Maisons-Laffitte, 16 Kilometer von Paris, auf der ersten Seinebrücke, 500 Meter von der Station Maisons-Laffitte, fand man nun um 9 Uhr abends den Leichnam des Präfekten. Der Arzt konstatierte, daß die Leiche an der linken Schläfe eine Wunde hatte, die durch eine Kugel aus einem Revolver kleinen Kalibers verursacht wurde. Das Projektil hatte das Gehirn erreicht und der Tod muß augenblicklich eingetreten sein. Da ein Teil des Pelzes abgerissen war, wird angenommen, daß sich das Opfer gewehrt habe. Der Hut und Stock des Präsekten wurden etwa 1600 Meter von Maisons-Laffitte gesunden. Aus der Vorgefundenen Lage der Leiche wird geschlossen, daß dieselbe erst auf das Trittbrett des Waggons gestellt und von da hinabgeworfen wurde. Man glaubt an einen Racheakt; Baröme war nämlich ein eifriger Verfolger reisender Falschspieler (Bauernfänger, französ. bonnetours), die auf der Westbahn häufig in den Waggons die Reisenden durch falsches Spiel betrügen. Andererseits sagt man wieder, ein großer hagerer Mann, ordinär gekleidet, sei in Mantes auf der nicht dem Ausgange zugekehrten Seite des Waggons aus- gestiegen. Als ihn der Weichenwärter aufmerksam machte, daß dies nicht erlaubt sei, antwortete der Mann: „Ich habe mich geirrt."
Hcrges-Weuigkeiten.
ff Calw, 18. Jan. Auf Einladung des Herrn Grafen Uxkull, Vorstandes des Neuenbürger Schwarzwaldvereins, begaben sich am Samstag abend 5 Mitglieder des Ausschusses des hiesigen Vereins nach Pforzheim zu einer Zusammenkunft mit dem dortigen Vereine. Die Herren vom Enzthal hatten sich hiebei ziemlich zahlreich ejngefunden, noch zahlreicher natürlich die Herren von Pforzheim, so daß die Versammlung wohl 40—50 Teilnehmer zählte. Der Zweck der Versammlung war, gegenseitig Fühlung zu bekommen, vielleicht auch sich über die gemeinsame Tragung der Kosten zu verständigen, die bei einzelnen Ausführungen angezeigt sein könnte. Der geschäftliche Teil, d. h. bei; Bericht aus den 3 Vereinen über die bisherigen Leistungen und die nächsten Pläne wurde unter dem Vorsitze des Hrn. Fabrikant Wittum von Pforzheim bei einem Glase vortrefflichen bairischen Bieres im Prinz Karl erledigt, worauf man sich in ein größeres Lokal, in die ausgezeichnete Restauration zum Pfälzer Hof begab. Hier entwickelte sich in Rede und Gegenrede eine so gehobene, für die Endziele des Schwarzwaldvereins begeisternde Stimmung, daß keiner der Teilnehmer ohne die angenehmsten Eindrücke von dannen ging. Von ganz besonderer Wirkung waren die Reden des Herrn Wittum, der die ethische, das Volk bildende und veredelnde Seite der Bestrebungen des Schwarzwaldvereins, und des Hrn. Grafen Uxkull, der die vaterländische Seite, die Stärkung der Liebe zum eigenen Vaterlande, Beide mit zündenden, vom lautesten Beifall begleiteten Worten hervorhoben. Der Vizevorstand des Calwer Vereins, Hr. Horlacher, sprach dann noch seinen Dank für den freundlichen Willkomm, den die Württemberger in Pforzheim gefunden und seine Freude über die offenbare Begeisterung aus, die in Pforzheim für die Vereinszwecke in so weite Kreise gedrungen und deren Seele Hr. Wittum sei und schloß mit einem Hoch auf den Letztern. Viel zu früh mußte man ans Scheiden denken, konnte aber die freundliche Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen bei einem projektierten gemeinschaftlichen Gange über unsere Berge, wahrscheinlich durch das Kollbachthal nach Ternach und Calw mit nach Hause nehmen und können unsere Pforzheimer Freunde bei dieser Gelegenheit der wärmsten Aufnahme in Calw versichert sein.
Eßlingen, 15. Jan. Die Eßl. Ztg. schreibt: Die Einrichtung einer Telephon-Verbindung sowohl innerhalb hiesiger Stadt, als mit Stuttgart und anderen mit letzterem verbundenen Städten ist schon mehrfach angeregt worden. Der Gewerbeverein hat sich mit der Frage näher befaßt und auf Grund der vom Vorstande eingezogenen Erkundigungen soll nun am nächsten Montag abend im Palmschen Bau eine allgemeine Versammlung zur Besprechung darüber stattfinden. Wenn sich genügend Teilnehmer (etwa 20) hier finden, so würden sich die Kosten für den einzelnen auf jährlich 230 ^ (in Heilbronn bei vorläufig 18 Teilnehmern 280 in Cannstatt bei 4 Teilnehmern auf 400 -^) belaufen; es würde auch eine öffentliche Telephonstelle errichtet, welche Nichtabonnenten um je 20 H 5 Minuten lang benützen könnten. Der Wert einer Telephon-Verbindung ist in mancherlei Beziehung so bedeutend, daß die Einführung dieses Fortschritts im Verkehrswesen hier sehr erwünscht wäre.
Ludwigsburg, 15. Jan. Se. Kgl. Hoheit Prinz Wilhelm von Württemberg ist in treuer Hingebung an die ihm übertragenen Negierungspflichten schon heute Mittag 1 Uhr 20 Min. wieder von seiner Brautfahrt von Nachod heimgekehrt und in erwünschtem Wohlsein auf Marienwahl eingetroffen. Unsere Stadt, die Zeugin von viel Freud und Leid in der prinzlichen Familie, begrüßt den Bräutigam mit allgemeiner herzlicher Freude und den innigsten Glückwünschen in der Heimat.
Schorndorf, 14. Januar. Ein Kreis von patriotisch gesinnten Männern fühlte sich veranlaßt, Sr. Kgl. Hoheit dem Prinzen Wilhelm die ehrerbietigsten Glück- und Segenswünsche auf telegraphischem Wege zuzusenden und erhielt umgehend aus Nachod die Drahtantwort: „Meinen innigsten Dank den Absendern des freundlichen Grußes und Glückwunsches aus der Heimat. Wilhelm, Prinz von Württemberg."
Göppingen, 14. Januar. Auf Kosten der Stadt wurde in den letzten Tagen durch Ueberrieselung eines großen Teils der mittleren Karlsstraße eine Eisbahn hergestellt, auf welcher Jung und Alt sich dem Vergnügen des Schlitlschuhlaufens hingibt. Wie man hört, soll diese Bahn im nächsten Winter noch vergrößert werden, was um so wünschenswerter wäre, als der Schlittschuhklub mit seinem See kein Glück hat. — Da auf unserem Stadtkirchenturm eine Glocke zersprungen ist, so soll ein ganz neues Geläute auf den Turm angeschafft werden. Hiezu sind 2000 ^ erforderlich. Obgleich die Bürger der Stadt in letzter Zeit zu wohlthätigen Zwecken stark in Anspruch genommen, ist es der unermüdlichen Thätigkeit unseres Oberhelfers gelungen, in wenigen Wochen 1600 zu diesem Zwecke zusammenzubringen.
— Aus Oberschwaben schreibt man der „Neck.-Ztg." : Der Ertrag der Bienenzucht im verflossenen Jahre war wohl der größte, der überhaupt in Württemberg erzielt wurde; man darf wohl 10,000 Zentner Honig annehmen, der einen Wert von ca. 700,000 repräsentiert. Dagegen war das Jahr ein ungünstiges Schwarmjahr, auch klagen die Imker trotz des Honigzolls von 20 pro 100 Kilogramm über schlechten Absatz ihres Ertrags. Der „Landesoerein für Bienenzucht" zählt 2600 Mitglieder in 48 Bezirks- und Gauvereinen.
Aachen, 14. Jan. Sechzehn Leichen sind bis heute Vormittag 10 Uhr nach der Köln. Ztg. auf der Brandstelle gefunden worden, jetzt fehlt von den Vermißten nur noch einer. Vielleicht liegt diese letzte Leiche in einem innerhalb der Spinnerei an'gelegten tiefen Brunnen, der gegenwärtig noch mit Schutt und Maschinenteilen angefüllt ist. Einem Gerüchte zufolge soll die vermißte 15jährige Fadnerin Elise Königs aus Bochholz (Holland) dieser Tage in Aachen gesehen worden sein; da aber nach den angestellten Ermittlungen das Mädchen bisher nicht zu seinen Eltern zurückgekehrt ist, erscheint jenes Gerücht wenig glaubwürdig. (Nach einer anderen Meldung sind die Leichen sämtlicher vermißten siebzehn Personen auf der Brandstelle gefunden worden. Die feierliche Beerdigung derselben erfolgt auf städtische Kosten.)
herbeigerufen, hatte die Wunde für nicht gefährlich erklärt, jedoch die größte Ruhe und Sorgfalt empfohlen.
Unterdes schritt der menschenfreundliche Jüngling, welcher dem Deutschen bei dem Unfälle zuerst Hilfe geleistet hatte, mit raschen Schritten einem stattlichen Hause in der Douancftreet entgegen. Ein stilles Lächeln lag auf seinem Antlitz, die Befriedigung verratend, welche er über seine gute That empfinden mochte. Vor dem Hause angelangt, zog er hastig die Glocke. Die Thür flog, da der Morgen bereits zu grauen begann, sogleich auf. Er sprang in atemloser Hast fünf Treppen hinan und stand endlich verschnaufend in einem kleinen Dachstübchen, das ebenso originell wie geschmackvoll eingerichtet war.
Von der zierlich getäfelten Decke des Zimmers hing eine mattweiße Ampel herab, in der ein kleines Sparlämpchen brannte, das ein phantastisches Licht über alle Gegenstände warf. Blaßrote, mit Goldfarbe durchzogene Tapeten bedeckten die Wände, an denen dunkle Mahagoni-Möbel aufgestellt waren. Eine zweite Thür, welche in das Schlafkabinet zu führen schien, war durch eine schwere, duntgewirkte Woll-Portiöre verhüllt. Am Fenster stand eine Staffelei, vor welcher sich ein Drehstuhl befand. Ein angefangenes Bild, das eine romantische Gebirgslandschaft darstellte, sowie mehrere andere auf den Stühlen liegende Oelgemälde ließen sofort darauf schließen, daß man sich in dem Atelier eines Malers befand.
Der junge Mann begab sich gleich nach seinem Eintritt an den kleinen vor dem Sopha stehenden Tisch, zündete schnell ein zweites Licht an und zog dann ein zusammengerolltes Papier aus der Tasche. Hastig rollte er es auf und versenkte sich mit glänzenden Augen in die auf der weißen Fläche hingeworfene Bleistiftskizze, welche ihm die eben durchlebte Winshausscene noch einmal vergegenwärtigte. „Ah!" rief er dann, tief Atem schöpfend, „das ist ein herrlicher Entwurf für einen Maler. So etwas Originelles, effektvoll Lebendiges wird einem nicht alle Tage geboten. Ha! dieser schwarze Baßtiger mit dem grimmigen Antlitz! Ist es nicht gerade, als wolle er mit der wuchtigen Baßgeige Alles zerschmettern, was ihm in den Wurf kommt? Und erst dieser wütende Mulatte — Fitz, glaube ich, nannten sie ihn —
wie ec mit seinem Storchschnabel in den Haufen hineinpickt, und der wahnsinnige Flötenbläser, welcher sein sanftes Instrument als Knittel benützt und wie toll auf die Köpfe von Freund und Feind loshämmert; hahaha! da ist ja auch der lustige Trompeter, eben im Begriff, seine Messing-Bretzel zu verschlingen! o, herrlich! herrlich! und welch' eine Welt von wutglühenden Gesichtern! wie sie mit Dolch und Revolver drohen, dazwischen das entsetzte blasse Antlitz des Deutschen, der in gedrückter Haltung den Ausgang zu erreichen sucht! Ja, ehe ich es nicht vergesse —"
Er ergriff einen Bleistift und zeichnete noch einige Linien in das Gesicht, welches ihn zuletzt beschäftigt hatte. Dann hielt er das Papier mit der linken Hand von sich und betrachtete es aus einiger Entfernung; „hm, hm, brummte er, „er hat ein so ehrliches und dabei kluges Gesicht, dieser Deutsche. Interessiert mich! möchte wohl wissen, wie der eigentlich unter diese Horde gekommen ist. Ec muß viel, sehr viel gelitten haben, das muß auch einer, der nicht Maler ist, auf den ersten Blick sehen. Nun, ich werde ihn ja noch näher kennen lernen. Vorläufig habe ich ein vortreffliches Bilv, das meinen Namen berühmt machen wird. Freue Dich, Anton Goldberg ; Dein Glück ist gemacht. Ach, wenn ich es erst fix und fertig auf der Leinwand sähe."
In freudiger Aufregung ging der junge Künstler in seinem kleinen Stübchen auf und ab, wobei er sich die glänzenden Erfolge ausmalte, die seiner Meinung nach das neue Bild haben müßte. Schon mischte sich die Morgendämmerung mit dem fahlen Lichtglanz der Ampel, als er erst daran dachte, die nötigen Kräfte für das neue Werk zu suchen. Aber schon nach zwei Stunden war er wieder in seinem Atelier, in welches die Morgensonne bereits hell und freundlich ihre Strahlen warf, rückte die Staffelei in das beste Licht, spannte eine neue Leinwand in den Rahmen und begann die neue Arbeit mit Ernst und Eifer. Seine alte Haushälterin, welche ihn: das Frühstück brachte und die Ordnung allmorgentlich herzustellen hatte, wurde für heute bedeutet, das Aufräumen zu unterlassen. Er konnte sich nicht entschließen, die Staffelei auch nur auf eine Viertelstunde zu verlassen.
(Fortsetzung folgt.)