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61. Jahrgang

Amts- unä Intekkigenzhkatt für äen Oezir^.

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Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Dienstag, äea 19. Januar 1886.

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! ganz Württemberg 2 70 H.

'MoLitrsche Wcrchvichtsn.

Deutsches Reich.

Ueber die Braut, welche Prinz Wilhelm von Württemberg sich erkoren, die Prinzessin Charlotte von Schaumburg-Lippe, schreibt man dem WienerVaterland" aus Nachod:Die hohe Braut hat es in ihrem jugendlichen Leben bereits verständen, die Herzen aller, die mit ihr in Berührung kamen, vollständig zu gewinnen uns für sich einzunehmen. Ebenso freudig, wie die Bewohner des Schlosses Nachod und der Umgebung das Ereignis ihrer Verlobung begrüßen, ebenso schmerzlich werden alle ihre hiesigen Anhänger und deren Zahl ist nickt klein es bedauern, die edle, hohe Braut von hier scheiden zu sehen, wenn der hohe Bräutigam sie in ihre neue Heimat führt. Prinzessin Charlotte ist nicht allein in allen modernen Wissenschaften und Künsten wohlunterrichtet und erfahren, sie ist auch, was viel mehr heißen will, ein durchaus edler und hoher weiblicher Charakter, der mit festem Sinne nicht allein das Gute will, sondern auch nach Kräften ausübt. Sie ist die Freude ihrer hohen Eltern und Geschwister, der Stolz der ganzen Herrschaft Nachod."

Berlin, 15. Januar. Im Reichstag stand heute die Besprechung der von den Polen eingedrückten Interpellation betreffs der Ausweis­ungen russischer und österreichischer Staatsangehörigen aus den Ostprovinzen Preußens auf der Tagesordnung. Vom Bundesrat ist Niemand anwesend, v. Jagdzewski begründete die Interpellation. Er kündigt sogleich an, er beabsichtige eine längere Ausführung und beginnt mit einer Uebersicht über die Entwicklung der Verhältnisse der Polen in den preußischen Provinzen. Er weist dann auf die Härte der Ausweisungen hin, bestreitet den Fanatismus der Polen, deren Wünsche ebenso gut gehört werden müßten, wie die der anderen Staatsangehörigen und hofft, der Reichstag werde die Ausweisungen mißbilligen. Nachdem der Redner geschlossen, wird das Wort nicht weiter verlangt. Windthorst konstatiert dies mit dem Hinzufügen, daß das Jnterpellationsrecht des Reichstags nunmehr gewahrt sei und man zur Be- ratung der Anträge übergehen könne. Es folgt die Beratung der bereits bekannten Anträge der Sozialdemokraten, der Polen, der Freisinnigen und Windthorsts. Zunächst spricht Liebknecht für den sozialistischen Antrag. Er sagt, die Ausweisungen erfolgen nicht auf Grund des Rechts, sondern durch Gewalt, sie seien vom Standpunkt der Kultur und Moral verwerflich und bedeuten einen Rückfall zur Barbarei. Der Reichstag möge sich ermannen und dem Urheber dieser barbarischen Maßregel namens des Volkes eine Lektion

erteilen. Darauf begründen v. Jagdzewski den polnischen, Möller den freisinnigen Antrag, v. Helldorf (konservativ) erklärt, die Anträge haben einen rein agitatorischen Charakter, da der Reichstag in dieser Sache nicht kompetent sei. Der Vorwurf des Reichskanzlers, daß der Reichstag sich zu einer Art Konvent aufwerfe, sei gerechtfertigt. Die Antragsteller fördern mit ihren Anträgen die Politik des Auslandes. (Lärm.) Er wolle den Pa­triotismus der Antragsteller nicht verdächtigen, aber aus Parteirücksichten handeln dieselben unpatriotisch. (Der Präsident ermahnt den Redner, sich gemäßigter auszudrücken.) v. Helldorf schließt: Sie treiben den Luxus der Opposition zu weit. Hüten Sie sich, es bis zu der Frage zu bringen, wo das eigentliche Fundament des Reiches liegt. (Zischen links. Beifall rechts.) Windthorst erklärt, die Kompetenz des Reichstags sei unbestritten; es handle sich um eine internationale Frage.Wenn die Reichs­politik Unfrieden anrichtet, müssen wir unsere Söhne, unser Geld hergeben, wenn es zum Kriege kommt." Die Beratung wird darauf abgebrochen und auf morgen vertagt.

Zur Bearbeitung des bei den Erhebungen über die Sonntags­ruhe gewonnenen Materials sind in das Neichsamt des Innern berufen: der Direktor der Kaiser-Wilhelms-Spende, Dr. Wilhelmi - Berlin , Dr. Stege m ann- Berlin, Negierungs-Referendar Dr. Scharpff - Stutt­gart und Landgerichts-Referendar Dr. v. d. Osten-Düffeldorf.

Recht bezeichnend dafür, wie bösartig und neidisch man im Ausland allem begegnet, was aus Deutschland kommt, ist wieder einmal folgen­der Vorfall: Aus Buk arest wird dem Wiener Fremdenblatt unterm 11. dT. "Mts. indirekt über Kronstadt gemeldet, daß die von der rumänischen Regierung veranstalteten Schießversuche aus die für oie Befestigung von Bukarest gelieferten Probetürme der Hauptsache nach beendet sind. Die letzten Tage ergaben beim französischen Panzerturm den Bruch einer Schießscharten­wand und die Zertrümmerung eines Geschützrohres; die'deutsche Panzerturm­scharte blieb trotz empfangener größerer Schußzahl unversehrt. Das Ver­suchsschießen auf die Vorpanzer aus fünfzig Meter Distanz, wobei unter wesentlich ungünstigeren Verhältnissen der beschossene deutsche Vorpanzer be­schädigt wurde, sei für die Beurteilung der konkurrierenden Turmsysteme be­langlos gewesen. Sämtliche bereits in Abreise begriffenen fremden Offiziere seien für das deutsche System. Das Urteil der Bukarefter Militärkommission stehe noch aus. Die Depeschen aber jetzt kommts!, welche die thatsächliche Niederlage des französischen Systems meldeten, wurden vom Bukarefter Tele­graphenamt nicht angenommen.

Feuilleton.

Der Auswanderer.

Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika. Von Karl Zastrow.

(Fortsetzung.)

Mil unsäglicher Anstrengung gelang es ihm endlich, sich einen Weg durch den Haufen zu bahnen. Er hatte bemahe die Thür erreicht, als er einen Stoß in die Seite fühlte, der ihn für einen Augenblick des Atems beraubte. Mit einer letzten Anstrengung legte er die Hand auf den Drücker und stürzte auf die Straße hinaus. Er wollte hastig vorwärts rennen, da fühlte er einen heftigen, stechenden Schmerz in der Seite. Ein Gefühl der Kälte durchschauerte ihn. Er griff nach der Stelle, wo er den prickelnden Schmerz verspürte und zog seine Hand blulüberströmt zurück. In demselben Augenblick dunkelte es vor seinen Blicken. Das Bewußtsein schwand ihm. Er tastete wild mit den Händen um sich, als wolle er nach einer Stütze greifen. Dann sank er besinnungslos auf das Straßenpflaster nieder.

Lärmend und tobend wälzte der Rowdiehaufen sich an dem Ohnmäch­tigen vorüber. Die letzten Nachzügler suchten pfeilgeschwind das Weite und lieferten dadurch den Beweis, daß die Sicherheitsbeamten eingeschritten und die Räumung des Lokals befohlen, vielleicht auch einige Verhaftungen ins Werk gesetzt hatten. Einer der Letzten, welche das skandalöse Haus verließen, war ein junger, schlanker Mann, dessen anständiges Aeußere sich durchaus nicht mit den pöbelhaften Auftritten im Innern des Vergnügungslokals in Einklang bringen ließ. Er blieb, als er bei den Ohnmächtigen angelangt war, stehen, kniete nieder, und versuchte, dessen Kopf in die Höhe zu richten.

Das ist der arme Deutsche", murmelte er, indem er sein langes Haar zurückstrich, welches ihm, da er den Hut abgenommen, in das Gesicht gefallen war, er scheint schwer verwundet und hat doch bei der ganzen Geschichte die

wenigste Schulv. Wer weiß, unter welchen trüben Verhältnissen er in diese Spelunke gekommen ist. Was fange ich nur mit ihm an? Ohne Hilfe möchte ich den Unglücklichen nicht gern lassen. He, guter Freund!" redete er einen Neger an. der mit einer zertrümmerten Geige in der rechten Hand eilig vorüberschreiten wollte,habt Ihr nicht einige Minuten Zeit übrig, um mit mir vereint diesem armen Manne hier beizustehen?

Ah, Sir! der große Gott sei gelobt, daß ich meinen armen Mafia Borrmann wieder habe", rief der Neger erfreut,o, du grundgütiger Himmel! was sehe ich? er ist verwundet, vielleicht gar tot!" Und niit sichtlicher Angst in den erregten Zügen suchte er in dem blassen, starren Antlitz des Verwun­deten zu forschen. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf, sprang hastig auf und rannte wie besessen nach dem nächsten Straßenbrunnen, von wo er gleich darauf mit kaltem, frischem Wasser, das er in seinen Hut geschöpft, zurückkehrte.

Lassen Sie uns vor allen Dingen den Kranken in seine Wohnung schaffen", nahm der junge Mann das Wort.Es ist nötig, daß sofort ein Verband angelegt wird. Der Blutverlust muß ihn bereits sehr angegriffen haben."

Lassen Sie nur Red machen", rief der Neger hastig,der Red ist nicht umsonst ein halbes Jahr lang Diener in einem Krankenhause gewesen. Die Wunde ist tief, scheint aber sonst nicht gefährlich", fuhr er fort, indem er die Kleider mit geübter Hand entfernte und das Blut sorgfältig abzuwaschen begann. Dann zerriß er rasch sein Taschentuch. Auch der Fremde gab das seine her und in kürzester Frist war ein kunstgerechter Verband angelegt. Man rief einen vorüberfahrenden Fiaker an, hob den Verwundeten hinein und wies den Kutscher an, so schnell als möglich nach dem von dem Deutschen gemieteten Logis zu fahren.

Eine halbe Stunde später lag Borrmann in seinem Bette, vor dem­selben saß Red, mit liebevoller Teilnahme jede Regung in dem blaffen Antlitz des Krankezl, der in einen tiefen Schlaf gefallen war, überwachend. Der Arzt, welchen der junge Mann, nachdem er sich von den Beiden verabschiedet