Ein trauriges Geschick hat einen Berliner Kaufmann, Paul M. betroffen. Derselbe war durch Fleiß und Sparsamkeit vorwärts gekommen und beschloß nunmehr, sich zu verehelichen. Am jüngsten Donnerstag sollte die Vermählung des jungen Paares stattfinden; die VorbPxitungen zu dieser festlichen Handlung waHv laiH^ vorher Mtroffen. Am Mittwoch früh, dan Ä»ge vö» de« anberauMte« Trauung, als der junge Bräutigam erwacht, nimmt er zu seinem Schrecken wahr, daß er über Nacht erblindet ist. Unter diesen traurigen Umständen ist die Vermählung vorläufig ausgesetzt worden. Die Aerzte, welche der Ansicht sind, die Erblindung sei durch Zugluft herbeigeführt worden, hegen wenig Hoffnung, daß M. das Sehvermögen jemals wieder erlangen wird.
In Reichstagskreisen verlautet, daß der Gesetzentwurf, betr. die Arbeiterunfall-Versicherung, welchen Geheimrath Lvhmann ausgearbeitet hat, unter Mitwirkung des Professor Schäfflezu Stande gekommen sei. Der Gesetzentwurf soll ca. 100 Paragraphen haben und auf der Basis der Zwangs- genossenschaften der gleichen Gefahrklassen und ein Drittel Staatszuschuß beruhen. Die Erhebungen über die Unfallstatistik, welche soeben im Reichsamt des Innern zusammen gestellt werden — eine Arbeit, die vor Mitte Februar kaum beendet sein dürfte — würden dann als Grundlage für die Kostenberechnung zu dienen haben.
Die Reic!-tagsverhandlungen nahen sich ihrem Ende und werd.u bis zum Schlüsse des Reichstages nur noch Tage vergehen; ob jedoch der Reichstag im Frühjahr nochmals zu einer Sejsion zusammentreten wird, ist vorläufig noch ungewiß. Am Donnerstag führte der Reichstag die erste Berathung des von den liberalen Fraktionen eingebrachten Gesetzentwurfes, betreffend die Entschädigung bei Unfällen und die Unfallversicherung der Arbeiter zu Ende und überwies den Entwurf an eine Cvmmiffion von 21 Mitgliedern zur nähern Prüfung. Hierauf setzte das Haus die zweite Lesung der Vorlage über die Erhebung einer Berufsstatistik fort und genehmigte schließlich die Einstellung der für die Ausführung des Gesetzes erforderlichen Summe in den Etat. Die Freitags-Sitzung des Reichstages gehörte ausschließlich der vielbesprochenen „Hamburger Frage" und zwar trat das Haus an diesem Tage in die zweite Berathung der Vorlage über den Anschluß Hamburgs an das Zollgebiet ein. Die Debatte begann mit der Wiederaufnahme des Antrages des Abg. Hänel, den Schiffsverkehr auf der iintcrelbe auch nach Verlegung der Zollgrenze nicht der zollamtlichen Behandlung zu unterwerfen, sofern die Schiffe unter Zollflagge oder -Leuchte transitircn, welcher Antrag in der Hamburger Commission verworfen worden war. Nach längerer Debatte über diesen Antrag, gegen welchen sich besonders der Abgeordnete Windthorst entschieden aussprach, welcher auch energisch für die Regierungsvorlage eintrat, wurde der Antrag Hänel mit erheblicher Majorität abgelehnt und K. 1 der Vorlage, wonach auf das Freihafengebict der Hansestadt Hamburg der Artikel 34 der Reichsverfassung fortdauernd Anwendung findet, dem Commissionsantrage gemäß, angenommen. (Ärt. 34 der Reichsverfassung besagt, daß die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem Zwecke entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes als Freihäfen außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze bleiben, bis sie ihren Einschluß in dieselbe beantragen.) Hierauf trat das Haus in die Berathung des tz. 2 der Vorlage ein, welcher den Reichskanzler ermächtigt, im Namen des Reiches einen Beitrag zu den Kosten des Hamburger Zoll- anschlusscs bis zur Höhe von 40,000,000 Mark zu leisten, welche nach längeren Reden der Abgeordneten Sandtmann (Hamburg) und Dr. Bamberger abgebrochen wurde. Am Sonnabend setzte der Reichstag die Berathung über die Hamburger Vorlage fort.
sAus der Reichshaup tstadt.j Die Tribüne berichtet: Ein älterer, anständig gekleideter Mann schlug am Mittwoch ein Schaufenster des Gerson'schen Modebazars an der Werderschenstraße mit einem Steine ein und begab sich sodann in das Gerson'sche Geschäftslokal, woselbst er sich als den Thäter bezeichnet« und an das Personal die Aufforderung richtete, ihn festnehmen zu lassen. Nach dem Kriminalkommissariat gebracht, gab er an, ein Kaufmann aus Posen zu sein und erzählte, daß er dort ein eigenes Geschäft betrieben und in Folge
zahlreicher Verluste in Konkurs gerathen sei. Seit einiger Zeit ernähre er sich und seine Familie als Buchhalter in kümmerlicher Weise. Seiner Körperschwäche wegen (er ist auf einer Seite gelähmt) konnte er jedoch in letzter Zeit seine Stellung nicht mehr ausfüllen und mußte sie schließlich aufgeben. Seme hier wohnende« Verwandten ließen ihn im Stich , weßhalb die Verzweiflung über ihn- kam. Ohne Obdacht, und vom Hunger gepeinigt, wollte er sich freiwillig tödten, aver der Gedanke, daß er dadurch seinen Kindern einen Mackcl ausdrücken würde, hielt ihn davon ab. Auf der Straße konnte er nicht liegen, stehlen wollte er nicht und deßhalb schlug er, um im Gefängniß Obdach zw finden , die Schaufensterscheibe eines Mannes ein, den der zu- gefügtc Schaden nicht sehr schmerzen würde. Dem Wunsche des Unglücklichen rvurde entsprochen, er wurde zur Haft gebracht.
Posen, 18. Jan. Nach zweitägiger Verhandlung wurde gestern vom Schwurgericht der Barbier Heinrich Bose, der vor etwa 10 Jahren wegen Ermordung des Buchdruckers Fischer bei dem Dorfe Grvß-Gay zum Tode verurtheilt, jedoch zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt worden war und deswegen seit seiner Ver- urtheilung bis jetzt im Zuchthause zugebracht hatte, von der Anklage des an Fischer verübten Mordes sreigesprochen, während der Arbeiter Hermann Theodor Stellmacher dieser Mordthat für schuldig erklärt und deshalb zum Tode verurtheilt wurde.
Im Jahre 1882 haben wir 13mal Vollmond, im Mvnat Juli 2mal. Es wird nicht an Leuten sehlen, die aus dieser schaurigen Thatsache Unheil prophezeien werden.
Es ist nicht unsere Schuld, wenn die gegenwärtige Weltlage kein rosigeres Aussehen hat. Unsere Regierung hat ihr bestes gethan, dem Weltfrieden größere Sicherheit zu verleihen und sie kann sich die Hände in Unschuld waschen, wenn etwa wieder ernsthafte Verwickelungen eintreten sollten. Zündstoff ist in Masse da und wer kann nicht sagen, daß es heute weniger sogenannte Fragen gibt wie zu einer andern Zeit? Die orientalische Frage an zwei Punkteil (Dalmatien und Aegpyten), die große russische Frage, bestehend in Nihilismus, Deutschen- uuv Judenhetzc, die Papstsrage (materiell am ungefährlichsten), die französische Revanchefrage, die irische Frage — kurz überall glotzt uns eine Sphinx mit ihren kalten und durchdringlichen Augen an und verscheucht uns die Freude aus dem Herzen.
(Notiz für Auswanderer.) Für Auswanderer nach 'Nordamerika, weiche über Bremen reisen, wird die Mittheilung von Werth sein, daß der unter dem Vorsitz des Landgcrichtsdireklors Dr. Carstens bestehende Berein für innere Mission in Bremen die Fürsorge für Auswanderer neuerdings sich zur besondern Ausgabe gemacht hat. Diejenigen, welche auf ihrem Weg durch Bremen Rath oder Auskunft brauchen und suchen, mögen sich an das hiezu aufgestellte Mitglied jenes Vereins, Hrn. Pastor Cuntz, Rolandsstraße 1 in Bremen wenden.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 19. Jan. Heute Nachmittag 3*/, Uhr schleuderte ein Individuum einen großen Stein durch das Fenster des Wagens, in welchem der russische Botschafter v. Oubril und Sekretär Krupenski von der griechischen Kirche nach dem Botschaftshotel zurückkehrten. Beide blieben unverletzt. Der Attentäter wurde verhaftet; er soll Johann Zich heißen, aus Böhmen gebürtig sein und als Freiwilliger in der russischen Armee den Türkenkrieg mitgemacht haben. Er wollte einen Racheakt verüben, weil er angeblich von der Botschaft mit einem Bittgesuch abgewiesen wurde.
Wien, 19. Jan. Vorgestern fand in der Herzegowina das erste größere Gefecht zwischen österreichischen Truppen und einer 80 Mann starken Abtheilung Aufständischer statt. Von den unsrigen sind ein Offizier und fünf Mann verwundet, die Insurgenten haben zehn Mann verloren. Die Aufständischen wenden ihre alte erprobte Taktik an: sie überfallen die Truppen und ziehen sich nach dem Gefecht in ihre unzugänglichen Schlupfwinkel zurück. Sämmt- liche Berichte konstatiren die vollständige Organisation des Aufstandes.
Der österreichische Gesandte in Paris, Graf Beust, vielfachen Andenkens, ist plötzlich nach Wien berufen worden, wie verlautet auf Veranlassung des Ministers des Auswärtigen, bei dem eine Beschwerde
über des Botschafters Wühlereien in Zeitungen von Seiten eines „befreundeten- Eabinets eingekaufen sind. Es gibt Krüge, die sehr lange zu Wasser gehen; damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß auch sie einmal brechen.
Die NaGckchten. lvslcht- «,s Süd-Dalmatien und dem auMrizrpM Vheilr Kr Herzegowina in Wien einlauM, läuten mik Menv Tage beunruhigender. In den letzten Wochen sind den panslavr- stischen Comite's in den größeren Orten der aufständischen Gebiete große Geldsendungen behufs weiterer Förderung des Aufstandes zugegangen; ferner sollen sich verschiedene aufständische Banden zu größer» Massen vereinigt haben. Außerdem zeigt sich die montenegrinische Bevölkerung immer feindseliger gegen Oesterreich und Fürst Nikita hat die größte Mühe, seine Czernagsrzen von offenen Feindseligkeiten gegen die Oesterreicher zurückzuhalten. Die österreichische Regierung rüstet denn auch zu einem vollständigen Feldzuge im Süden der Monarchie u. hoffentlich werden hierbei die Lorbern für die österreichischen Wahlen nichck so zweifelhafter Natur sein wie 1869.
Schweiz.
In Wiedlisbach (Schweiz) wurde laut „Fr. Berner" Notar Meyer verhaftet. Er hinterläßt ein - ff Defizit von mehr als Fr. 700,0001
Frankreich.
Paris, 19. Jan. Die heute gewählte Ko m--
Mission zur Borberathung des Revrsionsentwurfs beginnt morgen ihre Berathungen; es wird bestätigt, daß das Kabinet fest entschlossen ist, abzutreten, falls die Kammer nicht den Regierungsentwurf in seiner Gesamnttheit au nimmt.
Paris, 19. Jan. (Europa und die Pforte.)
Der „Temps" hält, durch die letzte Rote der Pforte gereizt, dem Sultan eine Standrede : „Die Herrschaft des osmanischen Reichs hat sich als eine gemeinschaftliche erwiesen, darum hat man es beschnitten und zurückgedrängt. Wiederholt aufgefordert, andere Bahnen einzuschlagen, hat es sich jeder Verjüngung unfähig gezeigt und damit war sein Loos besiegest.
Der letzte Krieg oder vielmehr der letzte Friede, der Berliner Vertrag, hat ihm klar gemacht, was es von Europa zu erwarten hat. Warum hat man ihm- der Reihe nach zwei Drittel seiner europäischen Besitzungen genommen? Weil es sie nicht zu regieren verstand. Warum hat man aus seinen Staaten ein großes Stück ausgeschnitten, um damit Griechenland abzurunden? Weil Griechenland für fähiger erachtet wurde, als die Pforte, die betreffenden Bevölkrun- gen glücklich zu machen. Und so wird es weiter gehen, so lange die türkische Regierung sich selbst von den Bedingungen der modernen Politik fernhält.
Man wird von ihr Reformen für Armenien verlangen; sie wird sie nicht gebm, weil sie weder Andere noch sich reformiren kann, und sie wird Armenien verlieren. Der Sultan soll es begreifen; seine Herrschaft in Europa hängt nur noch an einem Haare.
Und er möge sich nicht etwa einbildeu, daß Europa geneigt ist, ihm zur Entschädigung die afrikanische Küste preiszugeben! Die afrikanische Küste ist jetzt auch nur Europa, und den Boden, welchen Europa einmal betreten hat, wird es nie mehr dem Despotismus. der Barbarei wiedergeben."
Paris, 20, Jan. Die gestrige Abstimmung in den Bureaux brachte eine unerwartete Ueberra- schung, selbst die Feinde der Listenwahl hatten eine solche zerschmetternde Mehrheit nicht erhofft, in ihrem Lager war daher die Freude übergroß. Alle stimmen darin überein, daß die Listenwahl zu Grabe getragen sei. Gegen sie war hauptsächlich der Widerwille der Kammer gerichtet, während unter den 32 nur 3 erklärte Gegner jeder Revision sitzen.
Die Zusammensetzung der Kommission verbürgt, daß diese die Verwerfung der Listenwahl beantragen wird. Dagegen ist es unsicher, ob nicht gar eine Gesammtrevision der Verfassung beantragt wird. Die „Justice" nennt die Abstimmung vernichtend und kann an eine Aenderung des Stimmenverhältnisses nicht glauben, sie verlangt eine rasche Berathung und schließt: „In einigen Tagen wird die Kammer oder das Ministerium am Boden liegen." Eine Vergleichung der in den Bureaux abgegebenen Stimmen ergibt, daß unter 438 Stimmen 300 gegen Gambetta stimmten, 138 stehen für Revision ein, kaum die Hälfte von diesen für Revision in Verbindung mit Listenwahl.
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