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Serbien, Bulgarien, Ostrumelien.
-- Auf dem Kriegsschauplatz um Slivnitza ist nach den dreitägigen Kämpfen vom 17., 18. und 19. augenblicklich Waffenruhe eingetreten. Beide Teile bedürfen derselben; denn die Verluste sind sehr bedeutend. Man schätzt die Kampfunfähigen auf beideu Seiten zusammen auf ca. 4000. Nach andern Angaben hatten die Serben 1500 Tote und Verwundete, die Bulgaren 800, darunter viele junge Offiziere. Die „Niederlage" wird auch von serbischer Seite offen eingestanden. Man erklärte dieselbe in den ersten Depeschen mit dem Ausbleiben des Sukkurses der Morava- und Schumadja-Division und stellte die Sache so dar, als ob die serbischen Befehlshaber Jovanovic und Miscovic eigenmächtig und gegen ihre Instruktionen den Angriff auf Slivnitza unternommen hätten. Dem scheint aber nicht so gewesen zu sein; es soll vielmehr König Milan selbst, durch die leicht errungenen Erfolge der ersten Kampftage irregeführt, die Widerstandsfähigkeit der Bulgaren unterschätzt und den Angriff beschlossen haben. Fürst Alexander halte aber einstweilen die Truppen aus Rumelien herangezogen. Von verschiedenen Seiten wird nun gemeldet, daß die beiden genannten serbischen Offiziere vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollen; als Grund wird aber jetzt mangelhafte Leitung des Vorpostendienstcs genannt. Sicher ist, daß der Kommandierende der Donaudivision, Milutin Jovanovics, wegen „Krankheit" sein Kommando niedergelegt hat.
— Die Pforte antwortete dem Fürsten Alexander, daß sie erst nach Wiederherstellung des stslus quo rmto in Ostrumelien die Mittel erwägen werde, um Bulgarien gegen Serbien Beistand zu leisten.
— Ein Telegramm des Berichterstatters der „Köln. Ztg." besagt: Die Niederlagen des 17., 18. und 19. haben in den Ruhen der Serben einen niederschmetternden Eindruck gemacht und große Entmutigung erzeugt. Der Befehlshaber des bulgarischen Vortrabs, Busino, meldet, daß die Serben sich in großer Hast auf Pirot zurückziehen, da sie keine genügende Zahl Patronen und keinen ausreichenden Schießbedarf mehr haben. Die Einwohner von Zaribrod behaupten, daß die serbischen Soldaten weinend, unter wilden Flüchen gegen König Milan ihren Rückweg durch den Ort nahmen. Die Serben haben in Voraussicht eines bulgarischen Angriffs auf Zaribrod die telegraphischen Apparate über die Grenze geschafft. Von allen Seiten treffen Nachrichten ein, daß eine Auflösung des militärischen Geistes über das serbische Heer hereingebrochen ist.
Sofia, 23. Noobr. Eine amtliche Depesche des Fürsten besagt: „Meine Truppen bivouakierten die vergangene Nacht in den eroberten Positionen und begannen heute früh den Kampf wieder, sie verfolgten den Feind und besetzten Zaribrod, wo ich mich augenblicklich befinde."
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Gages-Weuigkeiterr.
Calw, 24. Nov. Herr Stadtschultheiß Haffner hielt gestern abend «inen b/^stündigen Vortrag über das in diesem Jahre wesentlich abgeänderte Gemeindeangehörigkeitsgesetz, welches mit dem 1. Jan. 1886 in Kraft tritt. Viele dürften s. Z. die bezügl. Kammerverhandlungen nicht mit der dazu nötigen Aufmerksamkeit verfolgt haben und aus diesem Grunde wohl hielt es Herr Stadtschultheiß Haffner für notwendig in übersichtlicher Zusammenstellung die wesentlichsten Abänderungen den sich in großer Anzahl eingefundenen, dabei Interessierten, bekannt zu geben. Große Aende- rungen erfuhren die bisherigen Bestimmungen betreffend die Erlangung des Bürgerrechts. Mit dem 1. Januar 188 erhält z. B. ein hier schon im 3. oder 4. Jahre lebender und Wohnsteuer bezahlende Einwohner das Bürgerrecht in der Gemeinde gegen eine zu entrichtende Gebühr von 3. —; ferner ein im 1. oder 2. Jahre hier Ansäßiger ^ 5. —, während ein neu Zuziehender sofort das Bürgerrecht erlangt gegen die Entrichtung von ^ 15. —; bei allen vorausgesetzt, daß sie Würltemberger sind oder sich das württ. Staatsbürgerrecht erworben haben. Das Gesuch zur Erlangung des Gemeindebürgerrechts ist beim Gemeinderat anzubringen und entscheidet dieser über Aufnahme oder Abweisung. Den Aufgenommenen stehen Wahl- und
Wählbarkeitsrechte sofort zu, insofern sie sich in dieser Zeit im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht im Konkurs sind oder im vorangegangenen Jahre keine Beiträge zu ihrer oder ihrer Famlie Unter« > stützung aus öffentlichen Kassen empfangen haben. Solche Fälle sind auch mitbestimmend bei der Aufnahme seitens des Gemeinderats. Nichtgemeindemitglieder, die in ihrer Heimatgemeinde bisher NekognitionSgeld (weil ortsabwesend die Hälfte der Bürgersteuer) zu entrichten hatten, werden daselbst nach dem neuen Gesetz fernerhin das ganze, also den doppelten Betrag zu bezahlen haben. Die Folge davon ist leicht vorauszusehen. Wer nicht vorzieht, in beiden oder mehreren Gemeinden Bürgerrecht, zu besitzen, wird sich jedenfalls in seiner Heimatgemeinde ab- und nur da anmelden, wo er gegenwärtig ansässig ist. —Dies sind die wesentlichsten Punkte, die eine Aenderung erfahren und gestatten wir uns am Schluffe dieses gedrängten Berichts im Namen der gestern abend Anwesenden dem Vortragenden an dieser Stelle die gebührende Anerkennung und Dank zu zollen.
(Amtliches.) Infolge der vom 9.—19. November abgehaltenen Dienstprüfung evangelischer- und israelitischer Lehrer ist zu Versetzung von Schuldiensten u. Änd. für befähigt erklärt worden: Notier, Eugen, Unterlehrer in Altbura, Bez. Calw.
Bietigheim, 22. Nov. Zwischen 12 und 1 Uhr heute nachmittag brach hier ein Brand aus. Eine mit Vorräten gefüllte Scheuer stand schon in Flammen, als die hiesige Feuerwehr auf dem Brandplatze erschien. An eine Rettung des vom Brande ergriffenen Gebäudes war nicht mehr zu denken und die Feuerwehr mußte in ihrer Thätigkeit auf den Schutz der gefährdeten Nebengebäude bedacht sein, was bei diesem enggebauten Stadtteil mit besonderer Schwierigkeit verbunden war. Fremde Hilfe wurde nicht in Anspruch genommen. Die Ursache des Brandes ist bis jetzt nicht ermittelt.
Neresheim, 23. Nov. Von Seite einer Fabrik in Oberschwaben» die bis jetzt annähernd 2000 Ztr. Marmorabfälle von hier bezogen, lief dieser Tage ein Schreiben ein, wonach betr. Fabrik für die Zukunft regelmäßig jede Woche eine Wagenladung von 200 Ztr. bezieht. Es ist dies in- soferne sehr zu begrüßen, als dadurch nicht blos unsere Fuhrwerkbesitzer guten und regelmäßigen Verdienst, sondern auch unsere Arbeiterklaffe Beschäftigung haben.
— Ueber die Haltung des Lieske in der letzten Zeit vor seiner Hinrichtung berichten die Blätter noch: Er war bald trotzig-frech, bald wieder weich wie ein Kind, und nur die offenbare Furcht vor der Rache seiner Genossen scheint ihn abgehalten zu haben, mehr zu sagen, als er in der That gesagt hat. Charakteristisch ist, daß zwei Briefe an ihn von ehrlichen Handwerkern, deren einer lediglich frommen Inhalts' war, während der andere pihm ernstlich die Unsinnigkeit seiner anarchistischen Vernichtungspläne vorhielt, ihn bis zu Thränen gerührt haben. Den Gefängnis-Direktor hat er noch in seiner letzten Stunde seinen Vater genannt und unter Thränen gebeten, ihn an Stelle seines Vaters zum Richtplatze zu begleiten. Sein Gnadengesuch, es datiert vom 11. Sept. d. I., lautet: „Ich bin durch Erkenntnis u. s. w. zum Tode verurteilt, weil ich den Polizeirat Rumpfs ermordet haben soll. 'Ich habe von der That gewußt und bin selbst am 7. Januar durch das Los dazu bestimmt gewesen, doch ist die That mißlungen, und so hat man mir noch Vorwürfe gemacht. Und so habe ich auch meinen richtigen Namen angegeben in der Wirtschaft, wo ich gewohnt habe, damit ich der Sache nur los werde. Und so bm ich noch nachmittags nach Darmstadt abgereist und. da habe ich den ... . (folgt ein offenbar pseudonymer Name) wieder getroffen, da hat er mir erzählt, daß er die That ausgeführt hat. Wie die Sache richtig ist, habe ich am 5. .... zu Protokoll gegeben. Als ich im Jahre 83 nach Lausanne in der Schweiz und nach Gens gekommen bin, da bin ich gleich in die Hände dieser Leute gefallen. Ich habe deren Blätter gelesen und auch vertrieben, weil ich gedacht habe, es ist etwas Gutes, aber ich sehe jetzt ein, daß alles Unsinn ist, und so bin ich doch jetzt weiter nichts als ein verführter Mensch. Ich habe die That nicht begangen, habe mich der Teilnahme entzogen und bitte Euer Majestät um Gnade. Ich bin erst 22 Jahre alt und will zu sühnen suchen, was ich gefehlt. Julius Adolf Lieske."
Der Wildschütz.
Eine Geschichte aus den Alpen.
Bon P. K. Rossegger.
(Fortsetzung statt Schluß.)
„Weißt es schon!" nef er und sprang auf.
„Von fremden Leuten Hab' ich's erfahren müssen, was Du mir hast angethan und verschwiegen, von fremden Leuten, Gied! Ich weiß nicht, was jetzt werden wird. Ich will alles tragen, will gern Hunger leiden und betteln von Thür zu Thür. Nur laß es sein, mein lieber Mann, geh' nicht mehr in den Wald, laß das Wildern sein! Denk' an unser Kind, an das Einzige, was wir haben, dem wir nichts geben und hinterlassen können, als den ehrlichen Namen."
„Sie weiß es noch nicht", murmelte er und sank wieder auf die Bank zurück.
„Und wenn sie jetzt kommen und Dich wollen sortführen, Gied, sei nicht verzagr, schau, Du bist ein rechter Mann, und ich will die Folgen von dem. was Du ja doch nur Deiner Familie wegen gethan hast, tragen ohne Klag'. Die harte Zeit geht vorbei und Du wirst wieder gerechtfertigt sein. Wir werden Arbeit haben, und noch Freuden erleben. — Geh, sei munter, mein lieber Buiscb, komm', und sag' mir, was die kleine Emma macht."
„Bleib', bleib' noch!" sagte er tonlos und erfaßte ihren Arm, „setz' Dich erst ein wenig zu mir da auf die Bank, weißt, weil, weil der Abend so viel angenehm ist."
„Schläft sie?"
„Denk' wohl, Martha." — Thu mirs zu Lieb', daß Du noch dableibst. Hastig mit stoßendem Atem sind diese Worte gesprochen." Sie setzt sich auf die Bank, an seine Seite. — Ihm zu Lieb' t — Wie könnte sie da was abschlagen.
Sie begann wieder zu fragen, wie die Kindeswartung ausgefallen sei, er hörte es nicht.
„Das ist gählings kommen, Martha, gelt?" sagte er, „wie ein Blitz vom Himmel fährt. — Ich wollt', ich wär' auch bei euch gesessen vor etlichen Tagen dort unter dem Fichtenbaum, und hätten gewartet alle drei auf den Donnerschlag — es wäre besser gewesen."
„So inußt nicht reden, Gied."
„Es wäre besser gewesen, sag' ich Dir!"
„Jetzt auf einmal bist, wie verzweifelt", sagte er, „hast es denn nie bedacht, daß es aufkommen kann und aufkommen muß? Jetzt ists nicht mehr zu ändern, jetzt mußt es ertragen."
„Ich wollt's tragen!" rief er aus und rang die Hände, „ich Hab mein Lebtag keine gute Stund' mehr und will auch keine mehr suchen. Nur Dei- netweg, Deinetweg, Martha!"
„— Meinetweg allein?"
„Sonst — ist niemand mehr."
Jetzt kam plötzlich eine ganz besondere Unruhe über das Weib. Sie erhob sich, sah ihm scharf in das Gesicht und eilte dann in das Haus.
Er blieb sitzen und schloß die Augen. Da hörte er au? der Stube schon ihren gellenden Schrei.
(Schluß folgt.)