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sAmtliches.j Se. K. Majestät haben vermöge Höchster Ent­schließung vom 8. Nov. d. I. den Postsekretär Bauer in Calw zu dem Postamt Cannstatt auf Ansuchen gnädigst versetzt.

Stuttgart, 9. Novbr. Sonntag nachmittag 3 Uhr fand auf der Stöckachwiese die Feuerlöschprobe mit dem von dem Chemiker Schönberg erfundenenFeuertod" statt. Außer einer zahlreichen Zuschauermenge wohnten der Probe mehrere Sachverständige bei. Auf dem Platze waren 3 Bretter­hütten aufgestellt, welche mit Hobelspänen und Spalierlatten ausgefüllt und dann mit Petroleum begossen waren. Die Hütten wurden der Reihe nach angezündet. Bei der ersten Bude platzte die oberhalb derselben angebrachte Flasche und die derselben entfließende Masse erstickte nach wenigen Sekunden das Feuer. Bei der zweiten ward dies durch das Ausschütten der Masse erreicht. Um den Brand der dritten Hütte zu löschen, ging der Erfinder mehrmals mit seiner Flasche um dieselbe herum und bespritzte die einzelnen Teile, so daß auch dieses Feuer nach kurzer Zeit bewältigt war. Nach der gestrigen Probe zu urteilen, ist das Mittel sehr zweckentsprechend.

Stuttgart, 10. November. Ihre Majestäten der König und die Königin sind heute Vormittag 10 Uhr 25 Min. mittelst Extrazugs von hier abgereist, um Sich zum Aufenthalt während der kälteren Jahreszeit nach Nizza zu begeben.

Stuttgart, 10. Nov. Seine Majestät der König haben in Betreff der Besorgung der Staatsgeschäfte während HöchstJhrer Abwesen­heit zu verfügen geruht, daß Gegenstände von größerer Wichtigkeit zur Ein­holung der Entschließung Seiner Majestät an HöchstJhren Aufent­haltsort nachgesendet, die übrigen Angelegenheiten im Vollmachtsnamen Sr. Majestät des Königs auf den Vortrag der Minister von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm erledigt werden.

Tübingen, 6. Nov. Am 7. Mai d. I. machte sich der Bankdiener Jakob Kemmler von Reutlingen mit 510 ^ einkassierten und unterschlagenen Geldes unter Zurücklassung von Frau und Kindern in Begleitung der ^jäh­rigen ledigen Fabrikarbeiterin Rosine Katharine Klein von da, mit der er ein Verhältnis unterhielt, flüchtig. Trotz sofortiger energischer Verfolgung gelang es ihnen, am 16. Mai von Rotterdam aus nach New-Aork in See zu gehen und diese Stadt zu erreichen. Hier fristete er als Taglöhner, sie als Magd ein kümmerliches Dasein und die allmälig eintretende Erkaltung ihrer Gefühle, Reue und Sehnsucht trieben die Klein in ihre Heimat nach Reutlingen zurück. Sie kam dort in den letzten Tagen an und wanderte alsbald in das Amts- gerichtsgefängnis, wo sie ihrer Aburteilung wegen Hehlerei entgegensieht.

Tübingen, 7. Nov. Die T. Chr. schreibt: An Blutvergif­tung verstarb gestern mittag im akademischen Krankenhaus der im Jahre 1876/77 hier inskripiert gewesene mell. osaü. Joh. Süllwold aus Blasum in Ostfriesland. Derselbe hatte während der Ferien einen Operationskursus mitgemacht und verletzte sich vor ca. 14 Tagen bei einer Sektion, ohne der allerdings unbedeutenden Wunde Aufmerksamkeit zu schenken, bis es leider zu spät und eine Rettung nicht mehr möglich war.

Heilbronn. Der 33 Jahre alte Oekonom Balz in VölkliNshofen, Gemeinde Kleinaspach, O.A. Marbach, hatte Verdacht auf einen seiner Tag­löhner, den Gottfried Kurz daselbst und dessen Familie, dieselben seien die Urheber verleumderischer anonymer Briefe, welche an die Schwiegereltern des Balz kamen und dessen Verhältnis zu seiner Frau störten. Ohne daß er für diesen Verdacht nähere Begründung wußte, beharrte er auf demselben und es steigerte sich sein Grimm gegen die Kurz'sche Familie derart, daß er am 24. August d. I., an welchem Tage er in verschiedenen Wirtschaften in Kleinaspach herumtrank, nach seiner Rückkehr in seinen Wohnort nachts gegen 10 Uhr seine Doppelflinte lud und sich vor das Wohnhaus des Kurz begab. Er fand die Fenster der ihm bekannten Wohnung des Kurz nicht mehr er­leuchtet und schloß daraus, daß die Kurz'sche Familie bereits zu Bett gegangen sein werde. Er trat nun auf eine Entfernung von etwa 30 Schritten von dem Kurz'schen Hause zurück und feuerte den einen Lauf seiner mit Schroten

und Rehposten geladenen Flinte gegen die Kurz'sche Schlafkammer ab. Eine Anzahl von Scheiben wurden zertrümmert, die Geschosse schlugen in die Zimmer­decke und einen Schrank ein. Die Ehefrau und die Tochter des Kurz, welche allein zu Hause und im Bette waren, standen rasch auf und begaben sich in ihr Wohnzimmer, worauf alsbald ein zweiter Schuß in dieses erfolgte, der die Zimmerthür durchlöcherte. Von den Personen wurde keine getroffen. Der von ihnen erkannte Thäter Balz wurde anfänglich wegen Verdachts der versuchten Tötung in Untersuchung gezogen, es konnte aber für dieses weiter­gehende Verbrechen kein hinreichender Beweis gegen ihn erbracht werden. Bei seiner Verteidigung in der Sitzung der Strafkammer des K. Landgerichts vom 9. Nov. brachte er vor, daß er die Kurz'schen nur habe schrecken und sie vor der Wiederholung ihres anonymen Schreibens habe verwarnen wollen. Die letzteren zogen eidlich in Abrede, irgend eine Kenntnis von den fraglichen Briefen zu haben. Mit Rücksicht auf die Schwere der That wurde der An­geklagte wegen Bedrohung mit einem Verbrechen zu der Gefängnisstrafe von fünf Monaten verurteilt und sein zur That gebrauchtes Jagdgewehr eingezogen.

Heidenheim, 4. Nov. Zwei hiesige Kaufmannslehrlinge machten sich am letzten Sonntag das Vergnügen, von einer Altane aus mit Zimmer­flinten Schießübungen vorzunehmsn. Die Kugeln flogen aber weiter als die jungen Herren ahnten, und zwar über eine Straße, die lebhaft be­gangen wird, in das Comptoir eines Fabrikanten, wo sie noch in den Schreib­pult eindrangen. Ein Glück war es, daß niemand getroffen wurde. Die beiden Schützen wurden gestern zu 8 Tagen Arrest verurteilt.

Ravensburg, 9. Novbr. Die Frist für die Bewerbung um die hiesige Stadtschultheißenstelle ist letzten Freitag abgelaufen. Obwohl mit dieser Stelle ein Einkommen von ca. 6000 v-L verbunden ist, so haben sich bis jetzt doch bloß 3 Bewerber gemeldet. Wenn man die Stimmung in der Wähler­schaft richtig kennt, dürfte es als wünschenswert erscheinen, daß noch weitere MeÜiungen einlaufen. Einem Kandidaten, welcher rücksichtlich seiner Persön­lichkeit die nötigen Garantien bietet, kann wohl die einmütige Unterstützung aller Parteien in Aussicht gestellt werden. Der Wahltermin ist auf 26. November l. I. bestimmt.

Eine schauerliche Szene ereignete sich auf dem Dache eines Hauses des Westendes in Frankfurt. Ein Dachdecker war damit beschäftigt, das Dach auszubessern. Als er in der Nähe der Dachrinne arbeitete, glitt er plötzlich aus und wäre sicher in die Tiefe gestürzt, wenn er nicht die Geistes­gegenwart gehabt hätte, sich an der Dachrinne festzuklammern. Ein Mit­arbeiter, der sich in einer Dachkammer aufhielt, gewahrte zufällig die Gefahr, in welcher der andere schwebte. Er band sich einen festen Strick um den Leib, befestigte diesen in der Kammer und begab sich auf das Dach, erfaßte den zwischen Himmel und Erde Schwebenden und zog ihn mit einem gewal­tigen Ruck auf das Dach und zum Fenster der Kammer hinein. Der Mann hatte über eine Minute in größter Lebensgefahr geschwebt.

Die Frage, ob ein von einem Arzt ausgestelltes Rezept eine Urkunde im Sinn des Gesetzes. also die Fälschung eines solchen' eine Ur­kundenfälschung sei, beschäftigte am 31. v. Mts. die Strafkammer in Hirsch­berg. Es wird der Bresl. Ztg. darüber geschrieben: Angeklagt war die Tochter des verstorbenen Strafanstaltsdirektors Patzke zu Rawitsch, Frl. Elisabeth Patzke. Im vorigen Jahre konsultierte dieselbe wiederholte Hrn. I)r. Scheurich aus Hirschberg und ließ sich von demselben Morphium-Ein­spritzungen verschreiben. So wurde ihr auch am 10. Dez. ein Rezept aus­gestellt, auf dem bei 50 Proz. Wasser 1,20 Gramm Morphium verschrieben wurden. Als die Patzke aber das Rezept in der Hirschapotheke abgab, war aus dieser Zahl 6,20! Gr. gemacht. Die Umänderung der 1 in eine 6 und die Nachschrift des Ausrusungszeichens, das bei Verschreiben einer solchen Dosis Morphium von dem verschreibenden Arzt hinzugesetzt werden muß, ließen sich deutlich Nachweisen. Da, wie festgestellt wurde, das Rezept aus den Händen der Patzke in andere Hände nicht gekommen war, wurde sie unter

Aeuiü'elon. «Nachdruck vnbotkn.»

Der VU-schrrtz.

Eine Geschichte aus den Alpen.

Von P. K. Rossegger.

1. Kapitel.

In lichtem Glück und dunkler Ahnung.

Auf dem Berge drei hohe Kreuze, im Thals drei arme Menschen das sind die Dinge, um welche die seltsame Geschichte sich abspielt.

Die Kreuze auf der Lahmerhöhe sind aus Lärchenholz neu gezimmert, sie leuchten in der abendlichen Junisonne wie rotes Gold hinaus auf die grünen Almen und in das Walvland. Sie sind vor wenigen Tagen erst aufgerichtet worden, ohne daß man ein Heilandsbild oder einen der armen, unschuldigen Waldbewohner an das Kreuz geschlagen hätte.

Was. bedeuten die drei kahlen Pfähle? Auf den Heiland und auf die beiden Schächer rätst Du und vergißt, daß man den Linken, den Verzweifelten und Verlorenen als Schirmherr gegen Blitz und Ungewitter nicht brauchen kann.

Die drei Kreuze", so sprach am letztvergangenen Sonntag der Pfarrer zu Traboden,die drei Kreuze, welche wir auf der Lahmerhöhe errichtet haben, bedeuten Glaube, Hoffnung und Liebe, in deren Zeichen wir siegen. So schreiben wir diese Zeichen nicht allein auf Stirne, Mund und Brust zum Schutze gegen die Ränke des Bösen, wir stellen sie auch auf gegen die verderblichen Mächte der Natur. welche uns unsere Wohnungen und unsere Erdfrüchte bedrohen, gegen Blitz und Ungewitter. So werden denn die neuen Wetterkreuze feierlich eingeweiht und zwar am nächsten Samstage, als am Feste des Täufers Johannes, um drei Uhr nachmittags. Mögen meine Pfarr- kinder, sowie die Andächtigen der Nachbarspfarren zu dieser heiligen Handlung zahlreich erscheinen!"

Diese Einladung drang auch in das waldumschattete Schirmthal und

bis zum letzten Hause. In diesem Hause lebte die Familie des Meisters Gied. Als vor wenigen Jahren ein Teil des Schirmwalbes geschlagen wurde, war der Gied (Aegidi) Holzmeister gewesen. Und weil ihm um dieselbe Zeit zu Mute war, als ob er ein Weiblein brauchen und ernähren könne, so nahm er sich eben eins, ein braves und kreuzsauberes. Warum auch nicht? 's ist Jedem zu raten.

's ist Keinem zu raten! Der große wirtschaftliche Krach von Dreiund­siebzig hat auch in den heitersten Wäldern wiederhallt. Im Schirmwalde hörte das Holzschlagen auf, der Meister Gied war ohne Erwerb und konnte seine Meisterschaft nur in der Genügsamkeit bewähren. Er hatte stets gute Freunde, stets genug Geld und war immer bei Humor.

Lustig singend und pfeifend oblag er den kleinen Geschäften, die nichts bedeuteten und nichts trugen, ging dann hinaus in den Wald und auf die Matten, um sich der Natur zu freuen, wohl auch um Arbeit zu suchen, fand er eine solche, so war sie meist in wenigen Tagen erschöpft, kam mit irgendeinem beim Jäger billig erstandenen Stück Wildpret wieder heim und führte das stille fröhliche Leben, wie jene Wesen, die nicht säen und nicht ernten und doch den Tisch gedeckt haben.

Es war ein glückliches Leben; die Leutchen hatten sich gar lieb und eines freute sich in der Freude des andern. Hernach kam das Kleine und nun war der Himmel auf Erden so viel als fertig, und es war eine Wald­idylle, wie sie der Dichter so gerne, die Wirklichkeit fast nie dichtet. Aber die Wirklichkeit hat Recht.

Daß der Gied immer satt war, ohne irgend einmal ein erkleckliches Mahl zu sich zu nehmen, das fiel seinem Weibe zuerst auf.

Gied", sagte sie eines Tages zu ihm,es kommt mir nicht recht vor mit Dir. Dir muß was anliegen, und Du sagst mir's nicht. Bist schon so lange ohne Arbeit, wie kann's denn sein, daß es uns alleweil noch so gut geht?"

Auf diese Anrede fuhr der Gied recht herzlich zu lachen an:

Geh, geh, Martha, grimm Dich nicht. Laß Dir's schmecken, und denk' auf's Kindel; ich leid keine Not."