60. Jahrgang.
Uro. 129.
Amts- unä Intekkigenzökatt für äen Rezirkr.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt S H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Zamstag, äen 31. Oktober 1885.
Abonnementspreis halbjährlich 1 o« 80 durch die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in
ganz Württemberg 2 70 H.
Zum Abonnement auf das
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für Wovernbev und Dezember: ladet Jedermann in Stadt und Land freundlichst ein die Weöcrktiorr.
Amttiche Wekarrnimcichurrgen.
Calw.
An Lie Ortsvorsteher.
Nack den gesetzlichen Vorschriften hat das Oberamt für die Landgemeinden des Bezirks deren Ansprüche gegen die Militärverwaltung aus Anlaffung ,von Fouragelieferungen , Vorspanngestellungen u. dgl. zu liquidiren, soweit nicht beim Empfang solcher Baarzahlung erfolgte.
Es ergeht daher an die Gemeindebehörden die Aufforderung derartige, von der letzten Einquartirung im vorigen Monat herrührende Ansprüche, soweit dieß nicht schon geschehen ist, unter Anschluß der betreffenden Bescheini- gungen unfehlbar im Lauf nächster Woche hierher anzuzeigen.
Den 29. Oktober 1885. K. Oberamt.
Flaxland.
H*otitrfche WcrcHvicHten.
Deutsches Reich.
Berlin, 27. Oktober. Prinz Albrecht ist gestern nach Kamen; zurückgekehrt, von wo er in etwa 4 Tagen wieder hier eintreffen wird, um sich dann von hier aus zum Einzuge nach Braunschweig zu begeben. Prinz Albrecht wird das Kommando über das 10. Armeekorps noch behalten, bis von dem Kaiser die Entscheidung über den Nachfolger erfolgt sein wird. Prinz Albrecht soll sodann die 3. Armeeinspektion, welche durch den Tod des Prinzen Friedrich Karl erledigt worden ist, erhalten. Diese umfaßt das 7., 8. und 10. Armeekorps.
Berlin, 29. Okt. Bis jetzt liegen die Wahlresultate zum preuß. Landtag aus vier Berliner Wahlkreisen vor. Im ersten Wahlkreise haben erhalten: Die „Deutsch-Freisinnigen" 567 Wahlmänner, die Nationalliberalen 74, die Konservativen 223. Im zweiten Wahlkreise wurden gewählt: 768 Freisinnige, 32 Nationalliberale, 130 Konservative. Im dritten Wahlkreise: 538 Freisinnige, 24 Nationalliberale, 268 Konservative. Im vierten Wahlkreise: 541 Freisinnige, 10 Nationalliberale, 181 Konservative.
Berlin, 29. Okt. Der Etat des Reichsamts des Innern hat eine wesentlich andere Gestaltung erfahren; die Dampfersubvention ist darin ausgenommen. Das Neichsversicherungsamt hat in Folge umfangreicher Arbeiten eine Vermehrung des Personals beantragt. Der Zuschuß für die Afrika- Erforschung ist herausgenommen und an das Auswärtige Amt übertragen; auch für die Normalaichungskommisfion wird eine Mehrforderung verlangt.
Von der Ostseeküste, 27. Okt. Noch in keinem Winter find so viele größere Schiffe der deutschen Kriegsflotte in fernen Meeren stationiert gewesen, wie dies jetzt der Fall ist, und die Nachträge im Etat der Marine, welche dem nächsten Reichstag vorgelegt werden sollen, werden wohl eine nicht geringe Höhe erreichen. So ist jetzt nach Kiel per Telegramm die Nachricht gekommen, daß das Uebungsgeschwader unter dem Befehl des Kapitäns zur See, Stenzel, von Plymouth aus seine Fahrt nach Westindien bereits angetreten habe. Dasselbe besteht aus den Kreuzerfregatten „Moltke" und „Stein" und den Kreuzerkorvetten „Sophie" und „Ariadne". Treten nicht außergewöhnliche politische Ereignisse ein, so soll die Fregatte „Moltke" mit den Seekadetten am Bord in, Frühling von Westindien an die Westküste von. Südamerika gehen, die übrigen drei Schiffe dürften nach Europa heimkehM» In den letzten Tagen ist die Kreuzerkorvette „Olga", 10 Geschütze, 248 Mannz Korvettenkapitän Bendemann, die erst im Sommer von der westafrikanischen Küste zurückkehrte, auf dem Wege durch den Kanal von Suez nach der ostafrikanischen Küste und speziell nach Sansibar gegangen und soll zwei Jahre dort stationiert bleiben. Im Stillen Ocean und in den chinesischen Gewässern kreuzen jetzt die beiden Geschwader unter den Contre-Admiralen Knorr und Paschen; dieselben enthalten die Kreuzerfregatten „Prinz Adalbert", Elisabeth", „Bismarck" und „Gneisenau", die Kreuzerkorvette „Marie", die Kreuzer „Nautilus", „Albatroß" , „Habicht" und „Möwe" und die Kanonenboote „Hyäne" und „Iltis". Man sieht, für die Stärke unserer Marine ist es eine ganz ungewöhnlich große Zahl von Kriegsschiffen, welche jetzt auf fernen Meeren schwimmen.
Areurtztelsn. «Nachdruck «erboten.,
Gin Irauenleben.
Roman aus den baltischen Provinzen Rußlands.
Von Milly Pa bst.
(Fortsetzung.)
„Steh', Tom, stehe!" rief sie.
Tom hatte seine Herrin verstanden und blieb auch stehen. Jetty stieg nun wieder schnell aus dem Wägelchen und begann von Neuem ihren Lauf. Aber die ermüdeten Füßchen wollten nicht mehr vorwärts, die kleine Brust keuchte immer heftiger, bis Jetty plötzlich mit einem Wehruf zusammenbrach, während ein Blustrom ihren Lippen entquoll und sich über das weiße Kleid ergoß.
Tom sah seine Gebieterin fallen, hörte das herannahende Wagengerassel und begann heftig zu bellen. Der Wagen kam in schnellerem Tempo näher und hielt dicht vor Jetty still. Ein junger Mann mit intelligenten Zügen und wohlwollendem Ausdruck im Antlitz, rief bei Tom's Anblick erstaunt und überrascht aus:
„Das ist ja Falkensteins Tom und — gütiger Gott, es wird doch nicht Klein-Jetty sein!" —
Schnell entstieg er dem Wagen und hob die leblose, kleine Gestalt auf.
„Johann!" rief er dem Kutscher zu, „fahre so schnell die Pferde laufen können, — zum Waldschlößchen! Der Himmel mag wissen, auf welch' rätselhafte Weise das arme Kind so weit vom Hause hierher gekommen sein mag!"
Und eiligst lud er Tom mit seinem Gespann in den Wagen und stieg selbst ein, das Kind vorsichtig auf seinen Knieen bettend.
Jetty atmete sehr schwach, war aber noch immer bewußtlos. Dank den schnellfüßigen Roffen langte der Pfarrer (denn das war der junge Mann) bald im Waldschlößchen an.
Wer beschreibt das Entsetzen und den Jammer seiner Bewohner, als sie ihren Liebling, den sie am Morgen so schön und blühend hatten fortfahren
sehen, jetzt blutüberströmt und leblos unter so unfaßlichen Umständen wieder bekamen.
Bei Jetty's Anblick war cS Lina, als werde ihr ein Schwert durch die Seele gestoßen, sie wankte und verlor ebenfalls die Besinnung. Voll tödlichster Bestürzung brachte man Mutter und Kind in's Zimmer. Lina erholte sich bald und half nun mit bebenden Händen der Pflegemama, Jetty zu entkleiden und zu Bett zu bringen.
Unterdessen erzählte der Pfarrer Herrn Falkenstein, wo und wie er Jetty gefunden und erfuhr, daß Jetty heute zum ersten Mal nach Hardershof zu ihrem Vater abgeholt worden war.
Als Herr Falkenstein dieses mit düsterem Antlitz berichtet hatte, sah ihn der Pfarrer bestürzt an.
Was hatte man in Hardershof mit dem Kinde begonnen? Wie war es überhaupt möglich, daß Jetty sich allein so-weit vom Gute entfernt haben konnte? Der Blutsturz war offenbar in Folge von anhaltendem schnellem Lauf bei der trockenen, heißen Sommerluft eingetreten. Eine drückende Stimmung bemächtigte sich beider Männer. In beider Seelen war ein schrecklicher Verdacht gegen die jetzige Gemahlin Harders aufgestiegen und sie wagten nicht, sich anzuschauen, nur damit nicht Einer in dem Äuge des Andern die Bestätigung dieses Verdachtes lesen müsse.
Unterdessen gelang es den beiden Frauen, Jetty wieder in's Leben zurückzurufen. Matt schlug das Kind die dunklen Augensterne auf, deren Glanz jetzt etwas unsäglich Trauriges hatte. Beim Anblick der geliebten Mutter und Großmutter verklärte ein Strahl seliger Freude dar blaffe Gesichtchen und sie lispelte:
„Ach, wie bin ich doch so froh, daß ich wieder bei Dir bin, mein Herzensmütterchen !"
„Schluchzend, von unnennbarem Weh erfüllt, bedeckte Lina das geliebte kleine Antlitz mit Küssen und fragte mit thrünenerstickter Stimme:
„Mein Herzensliebling, hast Du Schmerzen?"
„Nein, Mütterchen", flüsterte das Kind, „mir ist ganz wohl, nur müde bin ich — schrecklich müde!" und halb im Schlafe schon murmelte es noch: „Ich bin so weit, so weit gelaufen!"