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sei. Das Geld, welches er von den Unternehmern bezogen und durch die Annoncen eingenommen habe, sei bis aus den letzten Heller verausgabt. Das war den Herren zu viel; Köblin wurde fortgejagt und die ganze Zukunft samt Zubehör meistbietend versteigert. In Folge dessen haben sich die Anar­chisten Philadelphias in kleine Gruppen gespalten, die sich jetzt gegenseitig dieselben Dinge an den Kopf schleudern, welche sie vorher gemeinsam den Kapitalisten und Blutsaugern des Volkes vorzuwerfen pflegten. Auch unter den Sozialisten Newyorks gährt es, sie beschuldigen Most, Gelder, welche er im Dienste der Freiheit verwenden sollte, sich angeeignet zu haben; auch soll er Lieske, den Mörder Rumpffs, verraten haben und jetzt im Dienste der deutschen Regierung Spionage treiben, und was dergleichen saubere Dinge mehr sind.

Hages-WeuigkeiLen.

Untertürkheim, 16. Sept. Wenn das prächtige Herbstwetter, dem bisherigen Karakter des Jahrgangs entsprechend anhält, können die Nach­teile des Orkans vom 11. ds. wieder ausgeglichen werden. Diese trockene Sonnenwärme kommt vor allem unfern Weinbergen zu statten. Die Trauben sind zwar im Vergleich zum vorigen Jahrgang in keiner Weise zurück, trotz der ungünstigen Witterung Ende Aug. und anfangs Sept., viel­mehr ist der Portugieser, Laurentius, wie auch der weiße Rißling und Trol- linger recht voran. Wir haben daher begründete Hoffnung, Heuer ein gutes Weinerzeugnis zu erhalten. .

Ebingen, 16. Sept. Seit Sonntag haben wir Wetter wie im Hoch­sommer , und der wohlthätige Einfluß desselben macht sich bereits nach allen Seiten bemerkbar. Mit den Erntearbeiten wird nun vollends rasch aufgeräumt; die über die Regentage gelegene Gerste hat aber sehr am Aussehen eingebüßt, dem Haber dagegen hats nichts geschadet und die Ackerbohnen werden jetzt erst geschnitten. Das Oehmd gibt nicht sehr aus, auf die Berge braucht man auf manche Wiese gar keine Sense zu tragen. Dagegen hat sich das Ackerfutter sehr erholt und deckt einen Teil des Ausfalls. Wenn aber die günstige Witterung nur noch einige Zeit anhält, so werden im Thal viele Wiesen noch zum dritten Mal gemäht werden können; von Futternot könnte man alsdann nicht reden, mit mehr Recht von Wassermangel, der nachgerade selbst unserm quellenreichen Thale sehr lästig zu werden anfängt.

Rottweil, 16. Sept. In der Uhrenfourniturenfabrik der HH. K. Mayer Söhne in Schramberg brach dem Grb. zufolge Feuer aus, welches den Dachstuhl des Gebäudes völlig einäschezte. Der Schaden am Gebäude, welches teilweise abgebrochen werden muß, sowie an fertigen und halbfertigen Metallwaren, Maschinen rc. ist ein sehr beträchtlicher und wird solcher durch die Unterbrechung der Fabrikation zurzeit des Einlaufs größerer Aufträge noch bedeutend vermehrt. Entstehungsursache unbekannt.

Karlsruhe, 17. Sept. Beim gestrigen Manöver ist der General­quartiermeister Graf Waldersee beim Nehmen eines Grabens mit dem Pferde gestürzt, ohne sich gefährlich zu verletzen. Derselbe begab sich auf Wunsch des Kaisers hierher zurück. Die gestrige Fahrt des Kaisers durch einen Teil des Albthals nach Ettlingen glich einem Triumphzug. Die beflaggten Dörfer-waren mit Ehrenpforten und Tannengrün geschmückt, die Fabriken des Thals hatten ihre Arbeiter aufgestellt zur Begrüßung des Kaisers; bei der großen Spinnerei war ein durch Maler Schurth von hier pracht­voll ausgeführter Triumphbogen errichtet, Ansprachen und Blumenspenden durch Kinder fehlten nicht. Heute nachmittag 2 Uhr fand ein vom hiesigen Reiterverein veranstaltetes Pferderennen auf dem großen Exerzierplätze statt, welchem der Kaiser und die fürstlichen Gäste beiwohnten. Es fanden 4 Rennen statt. Im Galoppreiten für badische Landwirte siegte ein Land­wirt aus Knielingen, im Chargenreiten Lieutenant Wittig mit seinem eigenen Pferde, der auch im Herbstjagdrennen mit dem Aerd des Rittmeisters v. Homeyer siegte, und im Trostrennen trug Lieut. Scheele den Sieg davon.

sc Are Stuttgarter Kuisertuge.

Stuttgart, den 18. Sept. 1885. Llaets seuex Imperator,

Lanka Klauen triumpkator, tzni vioisti Calliaw.

M eoronae dermauornm ?oet viänvium sasenlorum Ueclcliüisti Alvriaw.

So sind die Tage denn endlich gekommen, welche den deutschen Heldenkaiser wie­der in unsere Mitte führen sollten, die Tage, welche schon seit Wochen alle Kreise der schwäbischen Residenz in Aufregung versetzten und in den letzten Tagen das Leben Stutt­garts zu fieberhafter Thätigkeit antrieben. Und wie sie sich herausgeputzt hat, unsere Rebenstadt, Tausende von Flaggen in den deutschen und württembergischen Farben, so­wie in den Stadtfarben flattern lustig in dem leichten Winde, der unser Thal durch­zieht, unzählige, geschmackvoll arrangierte Draperien und Guirlanden schmücken Häuser und Paläste, ein wogender Volksstrom drängt sich durch die Straßen, Alles in Fest­kleidern, Alles mit erwartungsfreudigen Festgesichtern, geschmückt mit der in diesen Tagen vielbegehrten Kornblume und darüber der klarste blaue Himmel, der herrlichste Sonnen­schein, mit einem Wort: das wahre und richtige Kaiserwetter, das unsere Nachbarn in Karlsruhe in den dortigen Kaisertagen so sehr vermissen mußten.

Mit dem Nahen der Mittagsstunde zieht sich der Strom der Menschen nach dem Schloßplatze, Jung und Alt, Arm und Reich, Männlein und Wciblciu, besonders aber letztere, Alles will dabei sein, wenn der greise Hcldenkaiser einzieht und so finden wir denn schon um 10 Uhr einzelne Stellen des Schloßplatzes und der Schloßstraße, von wo aus sich die Vorüberfahrt bequem überblicken läßt, so namentlich die großen Treppen und Aufgänge am Königsban, dicht von Volksmassen belagert und das trotz der wahr­haft sengenden Hitze und dem glühenden Sonnenbrände Um 12 Uhr zogen die Schützen­gilde, Feuerwehr, Turner, Knegervereine u. s. w., auf, um vom Bahnhofe bis an das Residenzschloß Spalier zu bilden. Auf dem Perron des Bahnhofes hatten sich inzwi­schen die Prinzen des Königlichen Hauses nebst Gefolge, die württembergischen Minister,

die prcuß. Gesandtschaft, die Generalität nebst vielen höheren Offizieren, die zum Ehren­dienst kommandierten hohen Hofchargen, sowie eine Deputation des Gemeinderats mit Oberbürgermeister vr. v. Hack an der Spitze, eingefunden. Ferner war auf dem Per­ron eine Ehrenkompagnie ausgestellt, welche von dem Grenadierregiment Königin Olga abgegeben wurde und die unter dem Kommando des Hauptmann Schmid stand. In der geräumigen Vorhalle erwarteten den Kaiser die gesamte Geistlichkeit, die bürger­lichen Kollegien, der städtische Festausschuß, städtische Beamte, sowie der Liederkranz. In dem Hofwartesaal, der niit Pflanzen, Büsten und herrlichen Teppichen prächtig ge­schmückt war, fand sich kurz vor 1 Uhr der König ein. Kanonendonner von der Uhlands- höhe herab, sowie das festliche Geläute der Glocken verkündigten endlich, daß der kaiser­liche Extrazug sich nahe und kurz darauf fuhr der Zug in die Bahnhofhalle ein und die Spielleute des Olgaregimcnts intonierten den Präsentiermarsch. Als der Kaiser den Salonwagen verlassen hatte, schritt der König ihm entgegen, worauf sich beide Mo­narchen nach herzlicher Begrüßung umarmten und küßten. Hierauf begrüßte der Kaiser den Prinzen Wilhelm von Württemberg, den Prinzen Herrman zu Sachsen-Weimar und die übrigen Fürstlichkeiten und schritt sodann die Front der Ehrcnkompagnie ab, welche schließlich in Sektionskolonne vorbeidefilicrte, nachdem General v. Schacht- meyer den Rapport überreicht hatte. Als der Kaiser den Hofwartesaal betreten hatte, brachte der König das erste Hoch auf ihn aus und als der Kaiser an der Seite des Königs die Vorhalle durchschritt, wurde er mit weiteren Hochs empfangen von den dort aufgestellten Korporationen und Vereinen. Unter nicht zu beschreibendem Jubel fuhren nun beide Monarchen nach dem Schlosse, gefolgt von dem beiderseitigen glänzen­den Gefolge. Wieder erhoben sich donnernde Hochrufe, als die Equipage des Kron­prinzen kam, in welcher außer dem letzteren Prinz Wilhelm von Preußen, sowie Prinz Wilhelm von Württemberg Platz genommen hatte, als aber Generalfeldmarschall von Moltke dem Publikum sichtbar wurde, da wollte das Hoch- und Hurrahrufen gar kein Ende mehr nehmen. Im Schloßhofe hatte ebenfalls eine Ehrenkompagnie des Kaiser Wilhelm-Regiments sich aufgestellt, deren Front der Kaiser sofort nach Ankunft des Zugs abschritt. Der Zug war durch die Mrtglieder des Reitklubs zu Pferde er­öffnet worden. Im Schloß wurde der Kaiser von der Königin und den königlichen Prinzessinnen begrüßt.

Inzwischen waren die Vereine, welche Spalier gebildet hatten, wieder abgezogen, um für den Fackelzug die letzten Vorkehrungen zu treffen.

Schon lange vor Einbruch der Dunkelheit sammelten sich die Teilnehmer am Fackelzuge in den Höfen der Infanterie- und der Legionskaserne; die Eiseubahnzüge hatten Fremde in gewaltiger Anzahl hergebracht, und bald entstand auf denjenigen Straßen, welche der Fackelzug passieren mußte ein gewaltiges Gedränge. Nach 7 Uhr setzte sich der Zug durch die Rothebühl-, Paulinen-, Marien-, Königsstraße und über den Schloßplatz nach dem Schloßhofe in Bewegung. Stuttgart hat schon viele groß­artige Festlichkeiten erlebt, aber wohl schwerlich etwas imposanteres und großartigeres als diesen in allen Teilen so herrlich gelungenen Fackelzug. Eröffnet wurde der Zug durch das Stadtreiterkorps (mit Standarte), welchem der Reit-Klub mit Fahnen und Standarten folgte, worauf als Vorhut eine Abteilung Feuerwehr mit Transparent und den beiden Bataillonsfahnen als 1. Gruppe folgte. Jetzt folgten die verschiedenen Haupt-Gruppen des Zugs und zwar in 2. Gruppe berittene Burger, die bürgerlichen Kollegien und städtischen Beamten, denen Liedcrkranz, Bürgergesellschaft und Turner folgten. Die Gruppe 3, welche durch Turner, sowie durch die Schützengilde eröffnet wurde, darf wohl als Glanzpunkt des Zugs betrachtet werden. Die Baugewerke hatten Herolde, Pagen u. s. w. in altdeutscher Tracht bei sich, Modelle von Bauwerken wurden auf hübsch drapierten Gestellen getragen, während ein Teil der Mitglieder im Arbeits­kostüm erschien. Nun folgte als 16, Abteilung Kunstverein, Kunstgewerbeverein, Künstler­genossenschaft und dramatischer Klub mit einer kostümierten Gruppe, Huldigung der Kunst und des Kunsthandwerks darstellend. Zuerst kam eine Abteilung Gießer und Ciselenre mit einem prächtigen Tafelaufsätze der Sto tz'schen Fabrik (Das Schiff des Glücks), hierauf kamen Drechsler und Holzbildhauer mit einer goldenen Wiege, über welcher ein Baldachin von Genien gehalten, angebracht war (aus der Braue r'schen Fabrik), und sodann ein Wagen, worauf ein riesiger goldener Baum stand, mit Früchten behängen. Am Stamme des Baumes wurde von einer Frauen- und einer Männer­gestalt (Kunst und Gewerbe) das Wappen des Kunstgewerbs gehalten, während ein Genius den 4spännigen Wagen lenkte. Es würde uns hier viel zu weit führen, wollten wir alle die hervorragenderen Gruppen mit den prächtigen Bannern, Standarten und Transparenten der Reihe nach nennen. Wir wollen hier nur kurz erwähnen die Schützen­gilde mit Krone und Kaiserinsiguien, Ruderklub mit einem Rennboot, Kriegerverein mit eis. Kreuz. Sehr geschmackvoll waren die Lampions des Liederkranzes, welche eine Korn­blume darstellten. Den Schluß des Zugs, in welche vier Musikchöre cingereiht waren, bildeten nach Gruppe 4 (Bürger- und Kriegervereine) als 5. Gruppe die Gesangvereine Stuttgarts und die Feuerwehren der Vorstädte Berg und Gablenberg. Nachdem der vollständige Zug, welcher von Feuerwehr mit Pechfackeln flankiert war, im Schloßhof angelangt war, es war indes '/-9 Uhr geworden, sang der Liederkranz vier Chöre, wovon besonders der letzte/das prächtige Llaots Imperator, von großartiger Wirkung war. Der Kaiser, welcher in den Gemächern des Königs den Thee einnahm, hörte von dort aus dem Ständchen zu. Nach Beendigung desselben brachte Herr Oberbürger- meister vr. v. Hack nach einer kurzen Rede ein Hoch auf den Kaiser aus, welches be­geisterten Widerhall fand und auf welches alle Teilnehmer des Zugs die Nationalhymne anstimmten. Der Schloßhof bot mit den 6000 bunten Lampions, Flambeaux und Fackeln ein bezaubernd schönes Bild, das Auge konnte sich nicht satt sehen an all den tausenden herrlichen Farbenspielen.

Nach 9 V« Uhr war die Feierlichkeit beendet, welche ohne Unfall ablief, was nament­lich der vorzüglichen Organisation desselben durch Bauinspektor Dobel zu danken ist, welcher im Verein mit Stadtrat Reiniger seit Wochen für das Gelingen des ZugS unermüdlich thätig war.

Ich will nicht schließen, ohne noch einer Episode zu gedenken, welche die gegen­wärtige Stimmung deS unser sonst nicht so leicht erregbaren Publikums treffend charak­terisiert. Als einmal der Zug ins Stocken geraten war, ertönte plötzlich von den Treppen am Königsbau herab aus einem einzelnen MundeDie Wacht am Rhein" und Plötzlich sang Alles mit, lauter und lauter wurde der Chor, immer mehr vergrößerte sich die Zahl der Sänger und Sängerinnen, bis der Zug wieder weiter ging; ja nach dem, was wir heute wieder gesehen, können wir mit Recht noch singen:Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!"

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Stuttgart, den 19. Sept. 1885.

Das Kaiserwetter, das wir in unserem ersten Briefe noch so belobten, schien heute nicht Stand halten zu wollen, schon vor 6 Uhr rieselte ein sanfter Staubregen herab, und ängstliche Gemüter glaubten schon die Kaiserparade verregnet zu sehen.

Auf dem Bahnhof ging es um 4 Uhr morgens bereits äußerst lebhaft zu und mit der vorrückenden Zeit mehrte sich der Andrang des Publikums in solch großartiger Weise, daß das Bahnhofpersonal, Landjäger und Schutzmannschaft nur mit Aufbietung aller Kräfte im Stande waren, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Mancher hatte schon vor Stunden sein Billet gelöst, konnte aber dennoch weder den Perron betreten, noch viel weniger den Zug besteigen, und mußten somit auf die Parade verzichten, obwohl ein Extrazug nach dem andern abgefertigt wurde.

Um 10 Uhr war die Auffahrt der Fürstlichkeiten auf dem Paradefelde, dem sog. langen Felde, bei Ludwigsburg. Die Truppen hatten in zwei Treffen Ausstellung ge­nommen. Im ersten Treffen standen die vier Jnfanteriebrigaden, dieselben wurden kom­mandiert von Generallieutenant Pergler von PerglaS. das zweite Treffen kommandiert von Generallieutenant von Guretzky-Cornitz bestand aus zwei Kavallerie-Brigaden, einer Artillerie-Brigade und dem Train-Bataillon Nro. 13. Als die roten Röcke der königlichen Vorrciter sichtbar wurden, ertönte ein donnerndes drei-