60. Jahrgang.
Aro. 112.
Amts- unä Inlekkigenzbkatt für clen Kezirkr.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Sa«»tag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 ^ p. Spalte im Bezirk, sonst 12 H.
KoMische Wachrichten.
Deutsches Reich.
Kiel, 16. Sept. Heute morgen lagen vom inneren Hasen bis hinaus nach Bellevue große deutsche Kriegsschiffe, daneben der russische Panzer Peter der Große und eine russische Dacht. Der Chef der Admiralität General v. Caprivi traf heute in Begleitung des Kapitäns z. S. Köster, Chef des Stabes der Admiralität, und des Korvettenkapitäns v. Reichenbach, Dezernent in der Admiralität, hier ein. Es liegt im Manöverplan, einen Angriff auf die Hafenbefestigung Kiel auszuführen. Dieser Angriff soll voraussichtlich in der Nacht vom 17. auf den 18. Sept. bewerkstelligt werden. Die zum Angriffsgeschwader gehörenden Schiffe verließen heute mittag gegen 1 Uhr den Hafen. Dieselben werden bis an die dänischen Inseln hinübergehen und von dort alsdann in Thätigkeit treten. In Friedrichsort herrschte heute bereits reges Leben. Kurz nach mittag wurden die zur Küstenverteidigung bestimmten Mannschaften des Seebataillons und der Werstdivision nüch dem äußeren Hafen befördert, sie werden in den am Strande belegenen Dörfern Brodersdorf, Seekamp, Laboe u. s. w. untergebracht. Den Laboer Hafen beziehen kleine Wachtboote, Pinasien und Torpedoboote, welche die etwaige Annäherung des Feindes zu erspähen haben.
Metz, 16. Sept. Durch Verfügung des Ministeriums ist das in Elsaß- Lothringen viel gelesene Petit Journal, sowie der Kourier de la Moselle bis auf Weiteres verboten worden. Letzteres Blatt siedelte nach dem Kriege von Metz nach Nancy über, hielt aber mit Rücksicht darauf, daß sich die Mehrzahl seiner Leser im Reichslande befindet, in hies. Stadt eine Filiale. Wenn, wie es den Anschein hat, ein schärferes Vorgehen gegen die französische Presse zur Durchführung kommt, so kann dies nur von Jedem gebilligt werden, der es mit den wahren Interessen des Landes gut meint. Wenn heute das Deutschtum vielfach noch nicht die erwarteten Fortschritte aufzuweisen hat, so ist einer der Hauptgründe für diese Erscheinung in den fortwährenden Hetzereien der französ. Presse zu suchen, der kein Mittel zu schlecht ist, wenn es sich darum handelt, die Gemüter der reichsländischen Bevölkerung gegen die bestehende Ordnung der Dinge aufzureizen.
(Nachdruck verboten.)
Gin Irauenkeöen.
Roman aus den baltischen Provinzen Rußlands.
Von Milly Pabst.
(Fortsetzung.)
Am andern Morgen sah man die Dienerschaft leise und ängstlich auf- treten — die Herrin war in der verflossenen Nacht lebensgefährlich erkrankt. Oft steckten sie die Köpfe zusammen und flüsterten geheimnisvoll mit einander, stoben aber erschreckt auseinander, wenn der Herr plötzlich erschien und mit finsterer Miene ihnen seine Befehle kurz und barsch zurief.
An demselben Tage fuhr auch Frau Agloja davon; manch böser Blick aus den Augen der weiblichen Dienerschaft folgte dem schnell davonrollenden Wagen, während die männlichen Dienstboten ihrem Groll in einem halb unterdrückten Fluche Luft machten. Sahen sie doch Alle das stille Leid ihrer geliebten, engelguten Herrin und das kokette Wesen dieser schönen Unheilstifterin dem Herrn gegenüber war ihnen auch nicht entgangen. Frau Harders dagegen bewahrte ihre stolze, kalte Rübe und erteilte nach wie vor klar und kurz ihre Befehle. Zur Pflege der Erkrankten wurde eine alte Magd bestellt, die früher im Waldschlößchen gedient hatte und die noch mit großer Liebe an Lina hing.
Lange schwebte Lina am Rande des Grabes. In ihren wilden Fieberphantasien verriet sie die ganze Qual ihres Herzens, die so lange an ihrem Lebensmark gezehrt hatte. Immer wieder nannte sie Aglaja den bösen Dämon, der ihr das Herz ihres Gatten gestohlen. Ab und zu erschien Feodor im Krankenzimmer, als er aber die ihn anklagenden Phantasien hörte, floh er wie von Furien gejagt, hinaus. Er hatte sich willenlos einer wilden Leidenschaft hingegeben und vielleicht dadurch sein Weib getötet! In seiner Gewissensangst suchte er Rat und Trost bei seiner Mutter. Frau Harders erkannte seinen Seelenzustand sofort und beschloß, ihn zu Gunsten ihres Planes auszubeuten.
„Mutter", Hub Feodor tiefernst an, „wie soll ich das Leben ertragen, wenn Lina stirbt? Ich bin dann der Mörder meines unglücklichen Weibes
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England.
— Ueber die in dem Streit wegen der Karolineninseln von England gespielte Rolle waren in Madrid verschiedene Gerüchte im Umlauf. Die Times schreibt: Was thatsächlich stattgefunden hat, ist, daß die engl. Regierung die Minister des Königs Alfons benachrichtigte, sie beharre bei dem in 1875 angemeldeten Protest gegen den von Spanien erhobenen Anspruch auf die Karolinen, habe aber nichts dagegen, daß das wirkliche Besitzrecht durch schiedsrichterliche Entscheidung geregelt -werde. Sowohl England wie Deutschland haben auf diesen Inseln wesentliche Handelsinteressen, während Spanien keine desgleichen hat. Da die span. Politik sehr weit davon entfemt ist, den Handelsinteressen günstig zu sein, insbesondere denen von Ausländern, so muß der engl. Regierung zugestanden werden, daß sie in ihrem Anerbieten, ihre eigenen Ansichten über die Eignerschaft der Karolineninseln dem Wahrspruch eines Schiedsrichters unterordnen zu wollen, im Interesse des Friedens ein beträchtliches Zugeständnis gemacht hat. England behauptet, daß sich seit 1875 nichts ereignet hat, was die Schlußfolgerungen, denen Spanien sich damals fügte, umstoßen könnte, und daß folglich die Unabhängigkeit engl. Unterthanen auf den Karolinen nicht der ununterstützten Forderung der span. Regierung überliefert werden kann. Gleichzeitig ist die engl. Regierung bereit, falls Spanien ein Besitzrecht ans die Inseln begründen kann, welches von einem Schiedsrichter ausgesprochen wird, dessen Urteil gleichfalls anzunehmen und daran festzuhalten. Dies ist, wie die Times bemerkt, noch keineswegs „Unterstützung der deutschen Ansprüche und Forderung auf schiedsrichterliche Entscheidung", welche Form man unserer Handlungsweise in Madrid zugeschrieben hat.
Amerika.
— Wie aus Philadelphia gemelvet wird, ist die Gruppe der dortigen Anarchisten in voller Auflösung begriffen und ihr Parteiorgan, die Zukunft, hat zu erscheinen aufgehört. Das Blatt, ein Aktienunternehmen, wurde von einem gewissen Köblin, einem Freunde Mosts, geleitet; da aber noch niemals eine Dividende bezahlt worden war, so nahmen sich die Aktionäre die Freiheit, Köblin, welcher Verleger und Redakteur in einer Person war, zur Rede zu stellen und Einsicht in die Bücher zu verlangen. Köblin erklärte, daß er Bücher überhaupt nicht führe und in der Kasse kein Dollar vorhanden
— und auch meines Kindes", fügte er leise hinzu, indem er sein verzweifeltes Antlitz in den Händen vergrub.
„Du mußt nicht gleich das Schlimmste voraussetzen", beruhigte sie. „Der Arzt hofft ja, daß Lina's Jugendkraft die Krisis überwinden werde."
„Und dann, ÄMter, — wie soll ich weiter leben, an Lina's Seite mit dem Bilde der Anderen im Herzen! Wie soll das enden? Was soll aus Aglaja werden?" rief er verzweifelt.
„Feodor", begann nach einer Pause Frau Harders, „Du hast mich durch Deine übereilte Heirat tief gekränkt! Du glaubtest auch ohne den Muttersegen ein Glück behaupten zu können — nun wirst Du einsehen, daß es ein trügerisches, unbeständiges war. Doch ich habe Dir verziehen und will nur Dein bestes, darum frage ich nun: „Willst Du jetzt Dich meiner Führnng anvertrauen? Willst Du nun auf meinen Rat hören und ihn befolgen? Dann wüßte ich einen Ausweg aus diesem Labyrinthe, in welches Du geraten bist, und dieser Ausweg wird allen Teilen zum Heile gereichen!"
„Welchen Ausweg, Muttter! Laß hören, denn ich sehe keinen! Nichts als Verzweiflung und Elend!"
„Nun, so höre denn!" Frau Harders richtete sich hoch aus. „Lina war ein blutarmes Mädchen, als Du sie zu Dir erhobst, bescheiden und anspruchslos; ihr demütiger Sinn hat sich nie in die neue glänzende Stellung hineinfinden können. Sie fühlte sich unbehaglich als Gutsherrin, die ein Haus machen und den mannigfachen Verpflichtungen der Gesellschaft gegen, über Nachkommen sollte, daher ward sie nie heimisch in diesen Räumen, und ihr Wesen war scheu und unzugänglich, trotz aller meiner Bemühungen, ihr Selbstbewußtsein und ihren Stolz zu wecken. Nein, unterbrich mich nicht, Feodor", wehrte sie, „ich weiß, was Du sagen willst: Du willst mir Härte ihr gegenüber vorwerfen, die ihre Scheu vor mir noch vergrößerte, aber ich wollte dadurch nur ihre Selbständigkeit wecken, aber Du siehst, mit diesem gebrechlichen Wachspüppchen ist nichts anzufangen, bei jedem belehrenden Wort zerschmilzt sie schon in Thränen! Darum denke ich nicht falsch zu rechnen, wenn ich annehme, daß Lina, durchaus nichts dagegen haben wird, wenn Du ihr in aller Güte — Trennung und Scheidung vorschlagen wirst!"
Feodor fuhr entsetzt auf:
„Scheidung, Mutter! In ihrem jetzigen Zustande?! Und womit wollte ich denn die Notwendigkeit der Scheidung vor dem Gerichte begründen, ohne mich selbst bloszustellen? — Nein, nein, das ist unmöglich!" (Forts, folgt.)
Dienstag, äea 22. September 1885.