Berlin, 26. Juni. Der Congreß hat den festen Boden der Verständigung erreicht durch die An­nahme des Grundsatzes, daß die Einzelinteressen den europäischen untergeordnet werden. Die Zulassung Griechenlands ist Thatsache.

Die Zweitheilung Bulgariens, wie der KVngreß sie acceptirt hat, erregt nicht überall Befriedigung. Viele meinen, es sei damit wieder nur eine provisorische statt eine nachhaltige Lösung gefunden. Das neue Rumelicn, wie die Südproviu; genannt werden soll, fürchtet man, werde nur allzu bald dem zu schaffenden Fürstenthum Bulgarien gleichen wollen, und so dürsten in abermals zwei oder drei Jahrzehnten die Verhält nisse im Südosten unseres Erdtheils kaum anders liegen, wie vor zwei Jahren.

In den letzten Sitzungen des Staatsministeriums zu Berlin hat dasselbe sich nicht allein mit Vorlagen gegen sozialdemokratische Ausschreitungen, sondern auch mit Besprechungen darüber beschäftigt, welche wirth schaftlichen Vorlagen wohl dem Reichstag zu unter­breiten sein dürften. Es handelt sich dabei keineswegs um Steuer- und Zollsragen, denn damit wird sich der Reichstag in seiner nächsten Session wohl kaum zu befasse» haben, sondern um eine weitere Revi­sion der Gewerbeordnung, um eine Aenderung des Freizügigkeitsgesetzes rc. Sicher soll auch sein, daß dem Reichstage wiederum bas in der letzten Session uner­ledigt gebliebene Gesetz wegen Beschränkung des Schank­konzesstonswesens vorgelegt weiden wird. Ob dem Reichstage auch eine Vorlage wegen Revision des Wahlgesetzes zu machen sei, darüber sollen im Mini­sterium noch die Verhandlungen schweben.

DieNorddeutsche" meldet die Erzielung eines Einvernehmens über die Schleifung der bulgarischen und Donau-Festungen; die bulgarischen Grenzen bis auf die westliche seien bestimmt, wobei Serbiens Er­weiterung festzustellen sei. Das Blatt fixirl den Con- greßschluß auf Ende der Woche.

Die wachsende Jnimität zwischen dem Fürsten Bismarck unb dem Lord Beaconsfield wird in Berlin sehr bemerkt. Der englische Staatsmann scheint von allen Kongreßmitgliedern am häufigsten in den Bißmarck'schen Familienzirkei gezogen zu werden. Auch am Sonntag speiste er bei dem Reichskanzler im engsten Kreise.

Das Attentat Nobiiings bat ein Menschen­leben zum Opfer gefordet! Die Ehefrau des Kriminal­schutzmanns Suß, welche unter de» ersten Personen war, die in das Zimmer des Mörders eindranqen, und irrthümlich als schwer verwundet bezeichnet wurde, ist in Folge der durch jene Nachricht erlittenen Ansregung verstorben, nachdem sie zwei Tage vorher von einem todten Kinde entbunden war.

Posen, 26. Juni. DieOstdeutsche Zeitung" meldet aus Kalisch vom 25. d. M.: Die am 23. vor­gefallene Revolte wurde durch das Militär unterdrückt. Der Gouverneur erließ einen Tagesbefehl, wonach die Läden am folgenden Tag geschlossen bleiben mußten und nur je drei Menschen auf der Straße Zusammen­gehen durften. 80 Personen, darunter mehrere Geist­liche, wurden verhaftet. 200 andere zur Anzeige gebracht; alle sollen vor daS sofort eingesetzte Kriegs­gericht gestellt werden.

Posen, 26. Juni. DiePos. Ztg." meldet, die russische Grenzstadt Wieruszaw sei fast gänzlich niedergebrannt. (Fr. I.)

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 24. Juni. Es bestätigt sich, daß Serbien und Montenegro in entschiedener Weise von Rußland benachrichtigt wurden, sie hätten in keinem Falle mehr auf russische Unterstützung zu rechnen, wenn sie sich nicht den sie betreffenden Congreß-Beschlüssen fügen würden. Daran schloß sich der Rath, die in Berlin weilenden Vertreter der beiden Fürstenthümer möchten sich bei Zeiten mit dem Grafen Andrassy zu verständigen suchen, noch bevor der Congreß ihre Angelegenheiten verhandelt. Diese für Oesterreich recht günstige Haltung Rußlands soll aus deutsche Einwirkung sowie auf englische Unterstützung des Andrassy'schen Stand­punktes zurückzuführen sein.

Wien, 24. Juni. DiePol. Corr." meldet aus Konstantinopel: Der Gesundheitszustand der rus­sischen Armee südlich des Balkans ist schlechter, auch find die letzten Nachrichten über das Schicksal des Aufstandes im Rhodopegebirge für die Russen ungünstig.

Wien, 26. Juni. DerPresse" wird aus Berlin berichtet: Die Occnpation Bosniens und der Herzegowina durch Oesterreich ist innerhalb der nächsten 14 Tage zu erwarten. Von guter Seite verlautet, Oesterreich habe bisher keineswegs der Ueberlaffung Antivaris an Montenegro zugestimmt.

Wien, 27. Juni. DiePresse" meldet aus Berlin: Rußland hat den Fürst Carl von Rumänien

zum Fürsten Bulgariens vorgeschlagen, vermuthlich behufs der Beseitigung der bessarabtschen Frage. Bis­marck unterstützt den Vorschlag wärmstens. Ferner meldet dasselbe Blatt aus Krakau, 27. Juni.: Zusolge eines telegraphischen Befehls aus Wien werden die Befestigungs-Arbeiten bet Przemyst in Galizien einge­stellt und die dem Civilstand angehörigen Arbeiter entlassen. Die Genie-Truppen sind in rhre srühree Garnison zurückbeordert.

Italien.

Aus Rom wird demStandard" unterm 18. d. telegraphirt: Der Papst hat an die Königin von Hannover ein Beileidschreiben gerichtet. Man glaudr, daß diese Dame damit umgeht, zur römisch-katholischen Kirche überzutreten.

Den neuesten Rachrichen zusotge scheint die päpstliche Curie Preußen gegenüber wirklich ein­zulenken. Soll sich doch mchr bloß der Slaatssecretär Franchi, sondern auch Papst Leo selbst mißbilligend über das Verhalten der Centrumssracüon, die bekannt lich bei den Verhandlungen über das Socialistengesetz mit den Socialdemokraten gegen die Regierung ge stimmt hat, ausgesprochen haben; und der Beschluß, daß die Generalversammlung der deutschen Katholiken in diesem Jahre ausfallen soll, wird von ultramontaner Seite ausdrücklich mit der Hinweisung aus die gegen­wärtig zwischen Rom und Berlin schwebenden vertrau­lichen Verhandlungen motivirt. Ein Theil der ultra- montanen Presse erklärt freilich, daß eine etwaige Aussöhnung der Curie mit der preußischen Regierung keine Aenderung in ihrer oppositionellen Stellung zu letzterer bewirken werde.

Frankreich

Paris, 26. Juni. DieAgence Havas" meldet aus Madrid von heute, Mittags 12 Uhr 35 Min.: Die Königin Maria Mercedes ist gestorben. Die Königin Maria de las Mercedes war geb. zu Madrid 24. Juni 1860, hat somit erst das 18. Jahr erreicht. Sie war die Tochter des Herzogs von Montpensier, Schwagers der Königin Jssabella, war somit leibliche Cousine ihres Gemahls, des Königs AlphonS. Die Hochzeit hat erst vor kurzem statt­gefunden.

Ganz Frankreich befand sich aus Anlaß der großen Revue, welche der Malschall-Präsident über die Pariser Garnison abhielt und bei welcher die Truppen einen günstigen Eindruck machten, in gehobener Slim mung. Auch Gambetta brachte dieser Stimmung den schuldigen Tribut dar, indem er bei der Jahresfeier des Generals Hoche ejnen Toast auf die Armee aus brachte, in welchem er sagte, letztere gehöre keiner Partei an und unter ihrer Fahne müßten alle Franzosen einig sein! Daß unter diesen Umständen die von Victor Hugo auf dem internationalen Congreß angestimmte Friedenshymne keinen allgemeinen Anklag fand, viel­mehr die Blätter der verschiedensten Farben zu der Erklärung veranlaßte, so lange Elsaß-Lothringen nicht zurückgegeben sei, könnten derartige hochherzige Ideen nicht verwirklicht werden, begreift sich und mahnt uns Dentsche eindringlich, Frankreich gegenüber unermüdlich die Augen offen zu halten.

Griechenland.

Athen, 26. Juni. Nach Berichten aus Kreta steckten die Türken Neochoai und Armem in Brand und bereiten einen Angriff aus Apokorona vor. Aus Epirus und Thessalien liegen Meldungen vor, wonach die Tüken in verschiedenen Orten Christen nieder­metzelten. Die Christen setzten bewaffneten Widerstand entgegen und vertrieben die Steuererheber aus mehreren Ortschaften. Der Ausbruch einer allgemeinen Revo­lution gilt als bevorstehend.

England.

London, 26. Juni. Nach hier eingelangten Congreßnachrichten ist man übereingekommen, daß die Occupationsfrist für alle durch die Russen besetzten Landestheile durchweg nach neun Monaten vom Frie­densschlüsse von Stefano ab gerechnet, zu bemessen sei und die allseitige Evacuation in weiteren drei Mona­ten beendet sein muß. Im Allgemeinen ist zu erwarten, daß die bulgarische Frage ohne jeden weiteren Zwi- schrnfall erledigt und dann die europäische Grenzregu- lirungs-Commission in Thätigkeit treten wird.

Asien.

Die Hungersnoth in China übersteigt in ihren Schrecken alle Vorstellungen. Chinesische Zeitungen veran­schlagen die Anzahl der aus Noth zu Grunde gegangenen auf über 5 Millionen Menschen und die grauenhaften Nach­richten über Leichenverzehrung lassen sich nicht mehr anzweifeln. Ein amtlicher Bericht in der Pekinger Staatszeitung von Mitte März, eingesandt von Li Ho-nien, dem Gouverneur von Honan, und Dan, dem obersten Kommifsarius der Un- kerstützungsdehörds, sagt darüber Folgendes:In der ersten Zeit dieser unerhörten Hungersnoth nährten die Lebenden

sich von den jLeichen der Gestorbenen: später wurden die Schwachen von den Starken verzehrt : jetzt ist das allgemeine Elend zu einer solchen Höhe gestiegen, daß die Leute ihre eigenen Blutsverwandten verschlingen Schrecklichere Zu­stände hat die Geschichte nicht aufzuweisen und wofern nicht rasche Hiifsmaßregeln getroffen werden, geht die gesammte Bevölkerung dieses Landstriches zu Grunde. Die örtlichen Hilfsquellen sind vollständig erschöpft, die Vorrathshäuser sind leer. Geld ist nicht vorhanden. Die wenigen Wohl­habenden baden alles, was sie besaßen, längst hergeborgt und verschenkt." Uebereinstimmend mit diesem Berichte schreibt der katholische Bischof von Schan»si, Msgr. Mona- gatte, aus Tai Auen, der Hauptstadt der am meisten heim­gesuchten Provinz, am 24. März:Bisher begnügte man sich mit dem Verspeisen der Leichen, jetzt aber tövtet man Lebende, um sie zu verzehren. Der Mann ißt seine Frau, Eltern verzehren ihre Söhne und Töchter, und umgekehrt nähren Kinder sich von den Leibern ihrer Eltern, wie man fast an jedem Tage zu hören bekommt " Die Regierung hat zur Linderung dieser furchtbaren Zustände bisher nur wenig beigetragen. Die Genehmigung einer Anleihe von 500,000 Taels und 100,000 Picus Reis, dazu ein Beitrag aus der Staatskasse von 200,000 Taels und 16,000 Picus Reis. dieS scheint so ziemlich alles gewesen zu sein, wozu sie sich auf­raffte. DieAllg. Ztg." fügt einem Bericht über die schreck­lichen Verheerungen twr Hungersnoth noch die beherzigens- werthen Worte bei: ,vo erfährt auch China Wiedereinmai, wie grausam sich die Ausrottung der Wälder rächt, welche im Norden bereits die größten Dimensionen angenommen bat. Die Folge dieses unwirtbschastlichen Treibens ist im Hochland die alles ertödtende Trockenheit und in den Nie­derungen zerstörende Ueberschwemmung "

Handel und Verkehr rc.

Ulm, 22. Juni. fViktualienpreise.j 1 Kilo Mastochsenfleisch 1 ^ 20 4t bis 1 80 < Kuhsteisch 1

bis > 20 4>, Schweinefleisch 1 8 dis 1 40 4>, Kalb,

fleisch 1 10 -4 bis 4 32 -I, Hammelfleisch 1 bis

1 40 4t, Salz 20 4t, 1 Liter Milch 18 4t, 1 Liter Lager­

bier 24 4t, 2 Stück Eier 9 4t, 1 Kilo Butter 1 so -t, Rindschmalz 1 80 4!, Schweineschmalz 1 40 4t, 1 Rm.

Buchenholz 11 50 4t, Birkenholz S 100 Stück Wellen

3 50 4t, 1 Ctr. Heu 2 2 15 4>. 2 ^ 30 4I, neues

Heu 1 50 4>. 1 6070 4t.

Frankfurt, 26. Juni. Der heutige Heu-und Stroh- Markt war gut befahren. Heu kostete je nach Qualität per Centner 2.50 3, Stroh per Centner 2-2.20. Butter im Detail 1. Qualität ^ 1.10, 2. Qualität 1. Eier daS Hundert .L 4.506. Kartoffeln alte -4L 5-6, neue ^L 20.

Tettnang, 21. Juni. sHopfenbericht.j Die Nachrichten über den Stand der Hopfenpflanzen sehen ganz buntscheckig aus. Während aus leichten sandigen Böden die­selben gesund sind und üppig wachsen, so sind sie auf nassen schweren Böden seit den letzten 14 Tagen fast gar nicht vor­wärts gekommen. Die Blätter sitzen als wenn sic frören, enge an den Stangen : die Farbe derselben geht ins Gelbliche. Die Ranken sind dünn und kein Arm streckt sich an ihrer Seite aus. In England und Belgien sieht es nicht besser aus, vielleicht noch schlimmer. Nur die Spalter loben den Stand ihrer Hopsen in Allweg: aber die Spalt hat einen den Regen durchlassenden Sandboden und kann viel Naß er­tragen. Wollte man nun aus dem geschilderten Stand der Hopsenpflanzen auf eine magere Ernte schließen, so könnte man sich arg täuschen, denn im vorigen Jahr um diese Zeit standen dis Hopsenpflanzen viel weniger gut und man hoffte kaum eine Mittelernte, machte aber eine gute. 14 Tage warme trockene Witterung und d:e Hopfengärten werden einen ganz anderen Anblick bieten. - Die Hopfenpreise bleiben sich im­mer gleich. Verkäufer hatten aber mit ihrer Ware zurück, auf ein Steigen der Preise wartend.

Lebenswege.

(Fortsetzung.)

Die Equipage, die der Graf zu ihrer Fahrt nach der Station angewiesen, stand bereits im Schloßhofe angespannt, als das junge Ehepaar von den Herr­schaften sich rasch verabschiedete, Anna noch einmal die Freundin umarmte und von den Glück- und Segens­wünschen der Dorfbewohner begleitet, dieselbe bestieg und davon rollte, der fernen, unberechenbaren, ver­schleierten Zukunft entgegen. Auch die übrigen Fest- theilnehmer zerstreuten sich bald, da die Rücksicht auf den Zustand des Grafen eine bis in die Nacht sich ausdehnende Lustbarkeit verbot, und mit Wehnmths- thränen schied auch Gertrud von dem Schauplatze ihrer Jugend, von tausend heißen Segenswünschen begleitet.

Am andern Tage gegen Mittag traf Helmer mit seiner jungen Frau in Berlin ein. Das großstädtische Leben, der Trubel und das Menschengewoge in den Straßen, die glänzenden Schaufenster und Equipagen, dazu der betäubende Lärm, das Alles machte auf Anna einen fast sinnverwirrenden Eindruck. Lächelnd be­trachtete sie Helmer, als er Arm in Arm mit ihr durch die Straßen ihrer künftigen Wohnung zuschritt.

Nun, nun, mein kleines Frauchen, nur nicht so ängstlich, freilich mag dir der ganze Spectakel unge­wohnt sein. Aber warte nur, bis Du unser Nestchen wohnlich eingerichtet hast, bist Du auch das fremde Leben gewöhnt. Komme, bald sind wir zu Haus."

O, wie gut, Heinrich, mir ist wahrhaftig ganz ängstlich zu Muthe, ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich auf unser trauliches Daheim freue."

Na, ich denke mit der Traulichkeit wirds wohl vorläufig nicht weit her sein" sagte Heinrich lachend; wo zwei flotte Junggesellen gehaust haben, pflegt's