Der Gc
Amtsblatt für den Aöeramts-Aezirk Wagold.
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Samstag den 29. Juni.
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1878.
Zur allgemeinen politischen Lage.
V.V.6. Der Congrcß arbeitet mit Dampf: eine Sitzung folgt auf die andere und wie es scheint, schreitet das Frie- denswcrk in erwünschter Weise fort. Nachdem Rußland sich zunächst mit seinein Hauptgeguer, England, über die wichtigsten Punkte geeinigt, hat cs auch die Verständigung mit Oesterreich gesucht und gefunden. Dein Vernehmen nach kann die bulgarische Frage, welche Fürst Bismarck kluger Weise als die schwierigste zuerst in Angriff genommen, der Hauptsache nach schon als erledigt gelten. Ans beiden Seiten sind natürlich bedeutende Zugeständnisse gemacht worden. Rußland hat die Zweitheilung der Bulgare,, die Ucberlassung der Balkanpässe au die Türkei, die Entfernung Südbulgariens vom ägäischen Meer, sowie die Bcschneidung der östlichen und westlichen Grenzen desselben zugegeben, dagegen aber Varna und den Bezirk von Sofia für Nordbulgarien durchgesetzt. Serbien und Montenegro sind russischerscits angewiesen worden, ihren Appetit zu mäßigen und sich in Bezug auf ihre Zukunft vor allen Dingen den Wünschen Oesterreichs zu fügen. Für eine friedliche Lösung der besfarabischen Frage und eine befriedigende Ordnung der Verhältnisse an der unteren Donau überhaupt bürgen die guten Beziehungen Rußlands zu Deutschland und Oesterreich, deren Interessen dort in ersten Linie zu berücksichtigen sind. Griechenland endlich soll in denjenigen Sitzungen, in denen es sich um die Länder mit griechischer Bevölkerung handeln wird, mit berathender Stimme hinzugezogcn werden, und da Ruß-' land keineswegs feindselige Gesinnungen gegen die griechischen Stämme hegt, so wird sich auch über das Schicksal der von ihnen bewohnten Provinzen ein Einvernehmen unter den Mächten erreichen lassen. Kurz, der bisherige Verlauf der Congreß- verhandlungen berechtigt zu der Hoffnung, daß das Friedcnswerk bald, in .Folge der Berliner Hitze vielleicht noch eher, als man glaubt, zu einem glücklichen Abschluß gelangen wird.
Bedenklich ist zwar noch immer die auffallende Zurückhaltung der türkischen Bevollmächtigten und der schwankende Zustand der Dinge in Constantinopel, der unangenehme Zwischenfälle befürchten läßt und bisher auch den Rückzug der russischen und englischen Streitkräfte aus der Nähe der genannten Stadt verhindert ist. Offenbar vermindert sich aber mit jedem Tage, an dem das Einiguugswcrk in Berlin Fortschritte macht, zugleich die Gefahr, dasselbe von Constantinopel her gestört zu sehen. Für den Fall, daß es den Herren Türken einfallcn sollte, den Beschlüssen des Congresses Widerstand entgegenzusetzen, wird Europa ohne Zweifel kurzen Prozeß mit ihnen machen und Mittel und Wege finden, um seinen Willen zur Ausführung zu bringen.
Tages-Neirigkeiten.
Deutsches Reich.
Nagold, 26. Juni. Telegramm der Telegraphendirektion Stuttgart: Berlin, 26. Juni 10 Uhr Vorm. Die Kräfte Sr. Majestät des Kaisers und Königs haben sich ungeachtet der großen Hitze in dem Grade gehoben, daß allerhöchst derselbe ohne jegliche Unterstützung den rechten Arm in der Tragekapsel in der linken Hand einen Stock haltend im Zimmer herumgehen konnte. — Den 27. Juni, 10 Uhr Vormittags. Der Zustand Sr. Maj. des Kaisers und Königs Allerhöchst, welcher in der vergangenen Nacht sehr geschlafen, bietet keine Veränderung dar. Gez. vr. v. Lauer. I)r. v. Langenbeck. vr. Wilms.
* Nagold, 28. Juni. Leider haben wir schon wieder von einem Unglück zu berichten. Vorgestern Nachmittag nahm ein Fuhrmann sein 4jähriges Mäd chen beim Heuheimführen mit auf die Wiese. Beim Laden des Wagens scheint dasselbe ohne Beaufsichtigung geblieben und dadurch an die nahe Waldach gekommen zu sein. Der Vater glaubte, als er das Kind bei der Nachhausefahrt vermißte, daß es nach Hause gelaufen, doch als er es dort nicht fand und es auch noch in später Abendstunde sich nicht eingefunden, ahnten die Eltern erst ein Unglück. Und wirklich hatte sich diese Ahnung nur zu bald wahr gemacht, denn den andern Morgen früh zog man das Kind in der Nähe
der Tuchfcheererei ats Leiche aus dem Wasser. Wie es in dasselbe geralhen, war niemand Zeuge. Es sollte dieser Fall wiederholt eine Aufforderung an die Ellern sein, Kindern mehr Aufmerksamkeit und Aussicht zu schenken.
'N'' ZCorrespondenz.) Gestatten Sie mir, anläßlich der Mautbronner Reise, einige Wahrnehmungen zu veröffentlichen, welche dem gebildeten Theil Ihrer Leser gewiß von Interesse sind, l) Während unsre Kriegervereine ihren gefallenen Kameraden, zugleich auch als Siegesdenkmal — Gedenktafeln setzen, finden wir im Badischen und an der dortigen Grenze wirkliche Denkmäler. So sieht man in Un terreichen bach eine Statue aus buntem Sandstein, welche allerdings in manchen Formen ziemlich primitive Verhältnisse aufweist (die Germania ist im Verhältnis; zum Sockel viel zu klein und der Hals derselben entschieden zu lang); allein ganz abgesehen vom Kostenaufwand, der sich auf 2000 eck beziffert und lediglich durch freiwillige Beiträge gedeckt wurde, so macht auch das Ganze durch seine romantische Umgebung: Bahnhof, eiserne Bahnbrücke, Einrahmung von hohen Bergen u. s. w. einen höchst wohlthuenden Eindruck Am Fuße des pyramidalen Sockels steht:
Frankreich erklärte Krieg;
Deutschland Vitrine Sieg;
Ein Hoch aufs deutsche Heer!
^ . Doch Gott allein die Ehr!
Die Enthüllung eines Kriegerdenkmals in Pforzcheim (Kosten circa 14000 -ck) auf dem Marktplatze steht in nächster Zeit bevor. 2) Besucher Pforzheims möchte ich auf die mit einem Kostenaufwand von 200000 -ck hergestellte, prächtige Gewerbeschule mit ihrem überaus stilvollen, reich ausgemalten und mit herrlichen Stuckaturarbeiten geschmückten Festsaal aufmerksam machen. Eine sehr schöne, letzten Sonntag ausgestellte kunstgewerbliche Arbeit darin ist die Hrn. Oberbaurath von Ehmann in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Wasserleitung gewidmete Votiv ta fe l. Dieselbe ist auf galvanoplastischem Wege hergestellt, besonders schön macht sich die Emailmalerei in der Mitte. Aber auch der Einband ist ein Meisterwerk von Galameriearbeit, besonders die Preßarbeit in Gold. Endlich macht auch die kunstvolle lithographische Schrift des Diploms den besten Eindruck. — Auch das Museum dorten (kostet mit Garten 250000 «ck) ist sehens- werth. 3) und schließlich: Wie ich es mit meinem geographischen Gewissen nicht recht zu verantworten vermag, den Enz Ursprung — wie die meisten Lehrbücher thun — nach Urnagold zu verlegen (denn dort entspringt der Poppelbach, so daß der Fluß von Rechtswegen die Poppel heißen sollte), so läuft eigentlich nicht die Nagold—Würm in die Enz, sondern umgekehrt. Denn die Nagold hat bei Pforzheim auch nach Abrechnung des von ihr abgeleiteten Floßkanals die größere Wassermasse, abgesehen davon, daß sie 24^» Stunden, die Enz aber nur 13 Stunden Flußlänge hat. Also auch hier: Undank der Welt Lohn!
Der Gewerbeverein Freuden st adt hat in der Generalversammlung vom 2. Juni d. I. und in den darauffolgenden Ausschußsitzungen beschlossen, nach dem Vorgänge anderer Bezirke, anreihend an die im Frühjahr 1879 in Ansicht stehende Eröffnung der Eisenbahnlinie Stuttgart—Freudenstadt für den Fall genügender Betheiligung seitens der Gewerbetreibenden eine Gewerbe-Ausstellung für den Bezirk Freuden st adt zu veranstalten.
Die Stadtgemeinde Böblingen läßt einen Steigerthurm sür die Feuerwehr errichten. — In Holzgerlingen erhängte sich letzten Sonntag Vormittag ein 71jähriger Mann auf dem Heuboden seiner Scheuer, nachdem er schon früher Erschießungsversuche gemacht hatte. Er werde nicht den rechten Tod sterben, pflegte er zu sagen, denn ein Mann habe ihm prophezeit, es könne nicht anders sein, weil er ein Zeichen (einen Fünfer) im Kopfe habe.
Beim Eisenbahnbau Ehningen wurden in jüngster Zeit zahlreiche Skelette, zum Tbeil höchst verwittert, alle in östlicher Lage, Waffen (Wurfspieß, Sperre, Schwerter, Dolch, Helmtrümmer) und andere Alterthnmer, wie Glasschmuck, Perlen, Thonarbciten, ein merkwüidiger Hornkamm, ausgegraben. Man hofft noch wettere Ausbeute zu finden.
Leipzig, 22. Juni. Man schreibt der „Fr. Ztg.": Allgemeines Entsetzen rief heute Nachmittag nach 2 Uhr ein unerhörter Vorfall hervor. Ein, wie es heißt, früherer Bahnbediensteter in Leipzig schoß auf seine von ihm getrennt lebende, auf dem Markte Grnn- waaren feilhaltende Frau einen Revolver ab und zerschmetterte der Nermsten den Oberarm. Der Gatten- mörder, der noch im Fliehen auf seine Verfolger schoß, wurde ergriffen und der Polizei überliefert.
Berlin, 25. Juni. Auch die heutige Kongreß- sttzung verlief günstig. Alle Vorbedingungen der bulgarischen Frage sollen erledigt sein, wenn auch definitive Beschlüsse noch nicht gefaßt sind. Die Ordnung der europäischen Türkei ist grundsätzlich geregelt. Der Kongreß, wie oft bemerkt, wird die Grundprinzipien festsetzen und die Regelung der Einzelheitc-n europäischen Konferenzen oder Kommissionen überlassen. Ru- melien erhält lokale Autonomie mit einem christlichen Gouverneur unter wahrscheinlich europäischer Kontrolle. 'Wenn dieser bei drohendem Kriege oder Ausstand die türkischen Truppen von der Grenze ruft, so wird er davon Rechenschaft geben müssen. Die Türkei erhält zur Verbindung der Grenzfestungen Etappenstraßen, während noch ungewiß ist, ob sie an diesen auch Kasernen halten darf. Im Innern soll eine Miliz und Gensdarmerie bestehen, deren Beziehungen zu einander und zu der Besatzung an der Grenze noch zu regeln sind. Bei der Einrichtung der Miliz soll nicht nur die Religion der Mehrheit der Bevölkerung, sondern der Bevölkerung überhaupt, also nach Prozenten berücksichtigt werden. Man spricht von einer russischen Konzession im Westen. Dies bezieht sich wahrscheinlich auf Beschränkung Serbiens im Westen und Montenegros im Norden, so daß die Eisenbahn von Saloniki nach Oestreich durch rein türkisches Gebiet geht. Die Türken sollen jetzt nachgiebiger sein, aber doch nicht über den Stefanovertrag hinausgehen wollen, werden also die griechischen Wünsche bekämpfen.
Berlin, 2». Juni. Der „Börs.-Cour." schreibt: „Während Fürst Bismarck mit den Congreß-Arbeiten über und über beschäftigt ist, und, wie man meinen sollte, kaum Zeit für intimere, sür private Regungen findet, ist die fürstliche Familie von einem recht herben Schlag getroffen worden. Der langjährige vertrauteste Freund der Familie, ihr fast täglicher und steter Genosse, der Geheime Oberregierungs- ralh v. Obernitz ist auf eine schreckliche Weise ums Leben gekommen. Er weilte in Düsseldorf mit seinem Bruder, dem Generallieutenant von Obernitz zum Besuche. Beide fuhren in einem offenen Wagen nach Schloß Eller spazieren. An einer Straßenbiegung schlugen die Pferde über den Strang, der Wagen wurde umgeworfen und die beiden Insassen, sowie Kutscher und Diener wurden herausgeschleudert. Der Geheime Oberregierungsrath wurde unglückseliger Weise mit dem Kopfe gegen eine Steintreppe geschleudert, verlor sofort das Bewußtsein, und kaum hatte man ihn in einem benachbarten Hause ins Bett gebracht, als er auch schon den letzten Seufzer that. Die drei anderen Insassen, der Generallieutenant v. Obernitz sowohl als Diener und Kutscher, wurden verhältnißmäßig nur leicht verletzt. Der Verstorbene war ei« kleiner, etwas verwachsener Herr mit klugem Gesicht und außerordentlich liebenswürdigen Manieren. Er war eine in den besseren Berliner Gesellschaftskreisen ziemlich bekannte Persönlichkeit. Fürst Bismarck zollte ihm eine außerordentlich lebhafte Zuneigung und besonders den Damen des Hauses, der Fürstin und der Comtesse Marie, war er ein treuer, beinahe unzertrennlicher Begleiter. Selbst wenn die fürstliche Familie in Kissingen oder sonst im Bade war, pflegte Herr v. Obernitz bei ihr zu sein. Er musicirte mit den Damen, er fuhr mit ihnen spazieren, besorgte selbst hier und da Einkäufe mit ihnen — kurz er war der treueste Freund des Hauses. Aus ihm, aus Lothar Bücher und zwei jüngeren Diplomaten bestand der weitere Circel des Bismarck'schen Hauses, in den nun so jäh eine Lücke gerissen ist. Die Familie des Reichskanzlers ebenso wie dieser selbst sind aufs Tiefste und Schmerzlichste von der Unglücksnachricht, die am Sonntag eintraf, betroffen worden."