kanzlers war seine erste Aeußerung über diese Angelegenheit. Offenbar wird aus diese Weise der Reichskanzler von einem großen Theile seiner Verantwortlichkeit entlastet, da mehrere Stellvertreter aus Mitgliedern des Bundesraths allgemein oder sür einzelne Anuszweige ernannt werden können. L>o ist damit die Möglichkeit herbeigsührt, verantwortliche Reichs-Minister zu schaffen. Freilich behält sich der Reichskanzler, seinen bekannten Grundsätzen gemäß, das Recht vor, selbstständig einzn greifen in die verschiedenen Zweige der Reichsverwaltung, deren Leiter dann die Verantwortlichkeit auch sür das übernehmen müssen, was der Reichskanzler anordne!, wenn sie nicht vorzichen, den Dienst zu verlassen. Offenbar bildet dieser Gesetzentwurf einen wichtigen Theil der Bedingungen, die der Reichskanzler für seinen Wiedereintritt in die Geschäfte stellen wird. Es bleibt abznwarten, was für Vorschläge er sonst noch zu machen hat. Mil dem Gesetzentwurf ist jedenfalls eine Lücke ausgefüllt, da die Verfassung bisher einer Bestimmung darüber ermangelte, wie der Reichskanzler sür den Fall einer Verhinderung in der ihm obliegenden konstitutionellen Verantwortlichkeit zu vertreten sei. Diese Lücke muß, wenn man an die Regelung der obschwedenden Frage gehen will, unter allen Umständen ausgefüllt werden. Die Verhandlung über den Entwurf wird dem Reichstage von selbst Gelegenheit zu einer Besprechung der inneren Krisis geben.
Saarbrücken, 10. Jan. Das k. Zuchtpoli zeigericht hatte sich gestern und heute mit dem Wunder schwinde! zu beschäftigen, der in Berschweiler in Szene gesetzt worden war. Augeklagt waren die Hauptdarsteller: Thierry, Schneider aus Berschweiler, dessen Frau und deren Kinder Katharina, 10, Matthias, 14, und Johann, 12 Jahre alt; ferner die Grünewald, Magd beim Wirthe Spaniol in Berschweiler, Adam Wilhelm, dessen Frau Margaretha und Tochter Barbara, der Wirth Spaniol und dessen Frau, dann Maria Kaltenborn, welche den Rosenkranzhandel betrieb und endlich die Wittwe Keßler. Als Zeugen fungirten einige Beamten und viele Frauen und Männer, welche zu den Erscheinungen gegangen waren. Rach den Zeugenaussagen fanden die Erscheinungen täglich und zwar mehrere Mal statt, und zwar einmal bei Thierry, dann bei Spaniol, ferner bei Adam und bei der Wittwe Keßler, und es hieß schon vorher im Dorfe, um die und die Zeit ist bei Thierry Vorstellung, oder heute wird bei Spaniol gespielt. Eine solche Vorstellung, wie sie bei Thierry mehrmals stattgefunden, verlief in folgender Art: Die kleine Stube ist gedrängt voll von Menschen, in einer Ecke steht ein Bett, auf welchem sich vier Mädchen und zu deren Füßen ein Knabe in heftigen Bewegungen hin- und Herwersen; plötzlich will die Grünewald den Teufel an der Decke sehen und wird von Männern emporgehoben, um mit demselben zu kämpfen; der Kampf endet damit, daß der Sohn der Hölle beschämt das Feld räumen muß. Später erscheint die h. Jungfrau in der Luft schwebend, mit dem Kindlein auf dem Arme; ferner haben der Schneider Thierry und sein Söhnchen die Namen Verstorbener, welche im Fegfeuer schmachten, auf Zettel geschrieben, die dann erscheinen, um von ihren anwesenden Verwandten durch Gebete aus der Verdammniß erlöst zu werden: letztere werden sogar aufgesordert, an die Fenster zu treten und den Geistern ihrer dort befind lichen Verwandten die Hand zu geben. Die Zeugen, die sich jetzt nicht wenig schämten, an derartigen plumpen Schwindel geglaubt zu haben, mußten eingestehcn, von den armen Seelen weder etwas gefühlt noch gehört zu haben. Reichte der Platz im Hause Thierry's nicht aus, so ging man zum Wirthe Spaniol, in dessen Wohnung dann eine förmliche Messe von „unsichtbaren Geistern" gehalten wurde. Der Pastor von Eppelborn, welcher dem Thierry Vorwürse über die Tollheit machte, wurde von demselben förmlich vor die Thüre gesetzt. Aehnlich ging cs im Hause des Adam und der Keßler zu. Die Erregung war so gewachsen, daß man Abends nach der Vorstellung, welche gewöhnlich bis 12 und bis halb 1 Uhr dauerte, mit Knitteln versehen, gegen die Thüre» Nichtgläubiger schlug, und Drohungen gegen die Protestanten auSstieß; der Unfug hatte solche Dimensionen angenommen, daß Geistliche sich an die Regierung wandten, um dem wüsten Treiben zu steuern. Daß das Ganze eine Geldspekulation war, liegt auf der Hand; mehrere der Zeugen sagten aus, daß sie beim Schneider Thierry auf dem Fensterbrett Häufchen weißen Geldes, also Silber und Nickel liegen sahen; ferner hat man für das Aufschreiben der armen Seelen auch Geld gegeben, weil die Frau Thierry sagte, daß Papier, Dinle und Feder auch Geld kostet. Der Gerichtshof erkannte nach längerer Berathung auf folgende Gefängnißstrafen: Schneider Thierry zu 6 Monaten,
dessen Frau zu 10 Monaten, deren Kinder Katharina und Matthias zu je 3 Monaten unter Anrechnung von 2 Monaten Untersuchungshaft. Der jüngste Sohn Johann wurde sreigesproche», jedoch einer Besserungsanstalt überwiesen. Margaretha Grünewald zu 10 Monaten unter Anrechnung von 2 Monaten Unter suchungshaft. Die Wittwe Keßler wegen Betrugs zu 6 Wochen und wegen Beleidigung eines Beamten zu einer Haftstrafe von 3 Tagen, endlich die letzte der Beschuldigten zu einer Gefäugnißstrafe von 4 Monaten. Die Anzekl. Adam Wilhelm, dessen Frau Margaretha, deren Tochter Barbara, und der Wirth Spaniol nebst Frau wurden freigesprochen.
Oesterreich—Ungarn.
Wien, 26. Jan. Die österreichische Minister- Krisis ist noch nicht ausgelragen. Die Lage ist sehr ernst, man hört sogar die Besorgniß äußern, daß wir einem totalen Umschwung in der inneren Politik ent gegeneilen, einem Umschwung, nicht in freiheitlicher und auch nicht in constitutioneller Richtung.
Wien, 27. Jan. Die „Polit. Eorresp." meldet aus Athen: Heute findet geheime Sitzung der Kammer statt behufs angeblich wichtiger Beschlüsse hinsichtlich der auswärtigen Politik. Trotz der hier eingegangeuen Waffenstillstandsnachrichten beabsichtigt die griechische Regierung, wenn die Kammer zustimmt, den Ausstand in Thessalien und Kreta aktiv zu unlerstützen. Die Gerüchte von dem bevorstehenden Abschluß der Friedenspräliminarien veraulaßte gestern eine öffentliche Demonstration zu Gunsten des Krieges. Die Demonstrirenden und die Sicherheilswachen gerielhen aneinander. Meh rere Polizeiagenten wurden durch Steimvm fe verwundet. Au der Demonstration nahmen au 10,000 Personen Theil. Heule werden ähnliche Demonstrationen befürchtet. Die Truppen sind in den Kasernen konstgniri und haben strengen Befehl, energisch gegen die Ruhestörer einzuschreiten. (St.-A)
Ueder Waffenstillstand und Friedensbedingungen ist noch immer nichts Offizielles bekannt. Den Kabi- neten sind die russischen Forderungen eben vor einiger Zeit mitgethestt worden, das große Publikum muß sich mit Kombit'.alionen begnügen, deren Richtigkeit dahinsteht. (R. Z )
Frankreich
Das Memorial diplomatique schreibt: „In der englijqen und französischen Finanzwelt ist man sehr beunruhigt wegen der Kriegsentschädigung, die Rußland der Pforte auferlegen will. Der größte Theil der türkischen Obligationen ist in den Händen der französischen und englischen Kapitalisten. Als sie ihr Geld der türkischen Regierung borgten, hatten sie als Pfand die Gesammtheit des ottomanischen Bodens und der oltomanischen Einkünfte, sowie die von den Vasallen dieses Kaiserreichs gezahlten Tribute. Indem dieser Boden vermindert wird, vermindert man den Werth des unbeweglichen Pfandes, sowie die Einkünfte, die zur Bezahlung der Schuld dienen. In anderen Ländern hat man die Interessen der Gläubiger dadurch befriedigt, daß man der den Boden acquirirenben Macht einen verhältnißmäßigen Theil der Schuld des Staates zu Lasten legte. Aber dieses Mittel ist hier nicht wirk sam. Werden die so armen Provinzen Herzegowina, Bosnien, Bulgarien, wenn sie von der Türkei losge trennt werden, die Gläubiger befriedigen? Die Tribute von Serbien und Rumänien, sollen sie diese» zwei Provinzen nun zu gute kommen? Es sind dies schwie rige, verwickelte Probleme, womit sich die Finanzweit in England und Frankreich in diesem Momente veschästigt, und auf welche sich auch die Aufmerksamkeit der occi dentalen Diplomatie richten wird, wenn sie berufen wird, über die neu einzuführende Ordnung der Dinge im Oriente zu beralhen."
Italien.
Rom, 26. Jan. Der deutsche Kronprinz hat, bevor er aus der Rückreise nach Deutschland die italie nische Grenze überschritt, aus Ala das nachstehende Telegramm an den König Humbert gerichtet: „An Se. Maj. den König von Italien. Sonntag, 20. Jan, 10 Uhr 40 Min. Vorm. Bevor ich die Grenze über- schreite erflehe ich jegliches Wohlsein auf Dich, auf Margherita und aus Italien herab. Ich bete für Dein Reich zur Vorsehung. Sei umarmt von Deinem Bruder Friedrich." (Sch. M )
Telegramme aus Mailand stellen die Zahl der bei der im dortigen Dome veranstalteten Todtenmesse verunglückten Personen auf 5 Todle, 11 Schwerverwundete und an 100 Leichtverwundete fest. Der Anblick der fast buchstäblich zerdrückten oder zertretenen Todten mit kohlschwarzem Gesichte und weit aus ihren Höhlen hervorgetretenen Augen soll grauenerregend gewesen
sein. Das Unglück geschah beim Hinausdrängen der Menge nach den geöffneten Thüren.
Die Mailänder Geistlichkeit, die, wie berichtet, einen Protest gegen den hiesigen kaihol. Beobachter, anläßlich der Schmähungen jenes Blattes gegen Victor Emanuel unterschrieb, und übereinstimmende Ansicht beim hiesigen Erzbischof Calabiana fand, las in der gestrigen Rümmer des kath. Beobachters nicht ohne Befremden, daß der Papst nicht nur der Gesinnung des Erzbischofs und des Klerus nicht bestritt, sondern auch die schmutzigen Worte jenes Blattes gutheißt und in freundlichster Weise belobt mit der Aufforderung, auf begonnenem Wege zu verharren. Dem Redakteur des Blattes entbietet er sein väterliches Wohlwollen.
Spanien.
Madrid, 26. Jan. Der Erzbischof von Toledo Hai den Pfarrer an St. Sebastian zu Madrid abgesetzt, weil dieser ein Todtenamt für Viktor Emanuel gehalten hatte. Die Zeitungen sprechen ihre Mißbilligung über die Maßregel aus. (Fr. I.)
Türkei.
Konstaiitiiiopel, 29. Jan. Bis am 27 Jan. Mittags ist nichts Offizielles über die Unterzeichnung der Präliminarien auf der Pforte eingetroffen. Uebri- gens ist die Verzögerung wahrscheinlich nur der Ueber- siedlung des russischen Hauptquartiers mit den türkischen Bevollmächtigte» nach Adrianopel zuznschreiben, wo die Unterzeichnung der Präliminarien stattfinden soll.
Konstantinopel, 29. Jan. Das Parlament hat die Regierung aufgesordert, die Albanese», welche die gesammte Bevölkerung des Dorfes Stathopulo bei Burgas niedergemetzelt, und die Tscherkessen, welche Tschorlu angegnffen haben, zur Verantworlung zu ziehen. Dem Parlament liegt ein Antrag auf Abschaffung des Zehnten vor.
Bukarest, 29. Im. Die Rumänen nahmen vorgestern unter erheblichen Verlusten das von drei Redouten vertheidigle Dorf Ewirdan, sowie die türkischen Positionen bei Rupcaz und Kapiianowtscha mit Sturm. Die Rumänen ve> trieben die Türken aus allen vorgeschobenen Werken Widdins, welches heute vollkommen eingeschloffen ist. (StA)
Der „Presse" wird gemeldet: „Sie dürften früher die Nachricht vom Eintreffen der Russen in Gallipoli, als von der Unterfertigung des Wafsenstill- standsaktes erhalten. Die Russen befinden sich in der Thal auf der Stiaße von Adrianopel nach Gallipoli.
Konstantinopel, 27. Jan. Einige bewaffnete griechische Banden sind auf das türkische Gebiet eingedrungen. Die Pforte beabsichtigt, dem griechischen Gesandten Vorstellungen zu machen. (St. A.)
England.
London, 29. Januar. (Unterhaus.) Der Schatzkanzler Sir S. Northcote erklärte: Die Kreditforderung sei in der Situation begründet, die Grundlagen des Friedens liegen noch nicht offiziell vor, sondern nur durch Berichte aus guter Quelle. Der Waffenstillstand sei noch nicht unterzeichnet; die der englischen Regierung bekannten Forderungen Rußlands gehen sehr weit und müssen das Aufwerfcn von Fragen veranlassen, die nur durch einen Kongreß zu regeln wären. Die Regierung verlange die Bewilligung als Vertrauensvotum, um in jeder Hinsicht stark auf dem Kongresse erscheinen zu können. Die Berathung über die Kreditfordcrung wurde nach längerer Debatte auf nächsten Donnerstag festgesetzt. (St.-A.)
Amtlicher Mittheilung zufolge willigte Derby nach Auseinandersetzung mit seinen Kollegen und in Folge der Rückkehr der Flotte in die Besika-Bai ein, auf seinem Posten zu bleiben. (Sr. A.)
Die „Times" und „Daily News" nennen die russischen Bedingungen befriedigend und maßvoll. Die „Times hofft, Lord Derby werde jetzt im Kabinet bleiben und die Regierung die auf Montag angekündigte Geldsorderung zurückziehen können. Nach einem Londoner Telegramm der „Köln. Ztg." dagegen wäre die Kreditoorlage bereits im Druck erschienen und beanspruche die 3 Millionen für das Heer, 2 für die Flotte und 1 für unvorhergesehene Fälle. Wie es heißt, betragen die bereits aufgewandten außerordentlichen Rüstungslasten drei Viertel bis eine Million.
Handel und Verkehr re.
Stuttgart, 28. Jan. fLanvesproduktenbörse.j Unsere heurige Börse blieb sowohl in Betreff des Verkehrs als der Preise unverändert, indem es eben immer noch an Kauüust fehlt. Wir notiren per 100 Kilogr.: Weizen, bayer. 2t »i dto. ungar. 24 »I. 50 kk. bis 25 !N. dto. bessarab. 24 ». 80 kk. Kernen 24 LI. bis 24 »>. 70 Dinkel 18 K. Hader 13 «. 40 kk. bis 15 L>. 60 kk. Mehlpreise pro 100