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Man hat in Deutschland Zeit gehabt, sich an die kriegerischen Vorbe- deutungen zu gewöhnen, die jenseits der Vogesen niemals schweigen und ge­legentlich orescencio betont werden. Man hat aufgehört, die französische Nation mit den Pariser Chauvins zu idcntificieren; wir halten cs aber für unsere Pflicht, diese Erscheinungen öffentlich zu kontrolieren und beide Nationen im Interesse ihres Friedens darauf aufmerksam zu machen, wenn Staatsmänner, höhere Offiziere oder angesehene Preßorgane den Krieg gegen Deutschland predigen oder, wie derTemps" und kürzlich Cassagnac, den Kampf in den Vogesen als bevorstehend, als unwandelbares Ziel jeder französischen Politik hinstellen. Wenn man sieht, daß sich derTemps" jetzt auf eine chauvinistische Agitation einläßt, so liegt darin ein Anzeichen dafür, daß die friedliche Ent­wicklung der nachbarlichen Beziehungen Frankreichs, wie sie von Deutschland angestrebt wird, den Stimmungen der Leser desTemps" nicht entspricht und daß unsere Bestrebungen, die guten Beziehungen zu Frankreich zu pflegen und eine Politik der Versöhnung anzubahnen, bisher kein Glück gehabt, keine Gegen­seitigkeit gefunden haben. Wir müssen uns gegen unseren Willen die Sorge ausdrängen lassen, daß Frankreich nur auf eine günstige Gelegen­heit wartet, um allein oder verbündet mit Anderen über uns herzufallen. Trotz der Verdächtigungen und Verleumdungen eines Teiles der ausländischen Presse kann auch im Ausland kein aufrichtiger Zweifel daran bestehen, daß die deutsche Politik der Friedensliebe, dem Friedensbedürfnis des deutschen Volkes im vollsten Maße entspricht und daß Deutschland sicherlich unter keinen Umständen beabsichtigt, seine Nachbarn anzugreifen. Aber Keiner, dem das Wohl Deutschlands am Herzen liegt, wird sich der Besorgnis erwehren können, daß der von Frankreich seit 14 Jahren verfolgte Tag der Revanche noch immer das Mittel bietet, womit jeder Parteimann in Frankreich seine Landleute für sich zu interessieren und, wenn die Umstände günstig sind, fort­zureißen vermag. Die Möglichkeit für jeden Ehrgeizigen, das Feuer anzu­blasen und einer friedliebenden Regierung durch den Appell an die Revanche Schwierigkeiten zu bereiten, läßt uns befürchten, daß unsere französischen Nachbarn auch heute auf den Frieden mit Deutschland keinen höheren Wert legen, als zu irgend einer Zeit seit zweihundert Jahren.

So die Norddeutsche und die Kölnische Zeitung, die den Herrn Franzosen noch näher wohnt, bemerkt dazu:

Der Aussatz ist in einem bemerkenswert ruhigen Ton geschrieben. Er betont von neuem das große Friedensbedürfnis, das Deutschland beseelt und das für das unbefangen denkende Ausland in den letzten Jahren wiederholt und unzweifelhaft zu Tag getreten ist. Alle die Herausforderungen ehr­geiziger, unverantwortlicher Hetzer auf der Rednerbühne wie in der Presse, sind von der deutschen Regierung einfach übersehen worden. Man hoffte immer, daß die gemäßigten Elemente sich von ihnen fernhalten und auch ihrerseits das Bedürfnis nach einem längeren Frieden teilen würden, der allein zu einer gedeihlichen Entwicklung aller wirtschaftlichen Kräfte führen kann. Der Frieden kann nur aufrecht erhalten werden, wenn beide Parteien ihn wollen oder wenn die eine sich den Wünschen der anderen unbedingt unterordnet. Die letztere Möglichkeit ist ausgeschlossen. Deutschland ist französischen Wünschen offenkundig und häufig entgegengekommen; aber es ist nicht gewillt, um des lieben Friedens willen alle Beleidigungen und Herausforderungen ruhig hin­zunehmen. Dieser Thatsache sollten die maßgebenden und ruhig denkenden Kreise Frankreichs sich endlich bewußt werden; sie sollten wissen, daß ein gutes Einvernehmen nur dann gewahrt bleiben kann, wenn auf beiden Seiten das gleiche Streben, den Frieden aufrecht zu erhalten, herrscht. Deutschland hat lange Zeit jeden Ausbruch französischer Empfindlichkeit wie eine unausbleib­liche Naturerscheinung, wie Regen und Wind, ruhig hingenommen in der Hoffnung, daß schließlich doch der berühmte französische Menschenverstand die Oberhand gewinnen werde. Zeigt es sich, daß jene Art von Wahnwitz unheilbar ist, so ist Deutschland ja in der Lage, sich nach einer anderen Seite zu wenden.

An den Reichskanzler hat der-Vorstand derFreien Organisation junger Kaufleute" folgendes Ersuchen gerichtet:Der Reichskanzler wolle seinen Einfluß geneigtest dahin geltend machen, daß bei der von der Reichsregierung zu veranstaltenden Enquete über die Sonntagsarbeit, bei welcher vorzugs­weise die Ansichten der Arbeitnehmer gehört werden sollen, der große Stand der bei dieser Frage besonders interessierten Handlungsgehilfen ebenfalls gehört werde."

. Hcrges-Weuigkeiten.

Calw, 10. August. Am Samstag früh fuhren die am Freitag in Cannstatt Versammelten des Geometertags über Calw nach Wildbad. Dieselben wurden bei ihrer Durchfahrt mit Böllersalven be­grüßt. Ein vom kaufmännischen Verein in Stuttgart nach Calw und Tein ach bereits angemeldeter Extrazug wurde am Samstag vormittag ab­gemeldet. Wegen ungenügender Beteiligung konnte derselbe nicht zustande kommen.

Unsere Stadtmusik war gestern im Waldhorngarten in Nagold engagiert. Es ist dies in diesem Sommer bereits das zweitemal, und auch in Hirsau spielte sie vor kurzem mit gutem Erfolg. Wir freuen uns, daß die Leistungen derselben auch auswärts allmählich Anerkennung finden, umsomehr, als man bei verschiedenen Festlichkeiten im Bezirk schon die Wahrnehmung machen konnte, daß die dazu nötige Musik von allen möglichen Seiten be­stellt wurde, nur nicht von Calw. Fälle, wie wir einen anführen können, wo bei einer Fahnenweihe in einem größeren Bezirksorte schon am Mittag die Musik infolge Zungenlähmung rasch durch eine andere ersetzt werden mußte, dürften übrigens geeignet sein, daß man sich für die Folge auch unserer gut besetzten Stadtmusik erinnern wird. Dieser kleine wohlgemeinte Hinweis gewinnt noch dadurch weitere Berechtigung, als dieselbe keine höheren An­sprüche stellt als ihre Konkurrenz.

Stuttgart, 6. Aug. Der heutige Wochenmarkt ist mit Kern- und Steinobst nicht besonders stark befahren, da es an Absatz fehlt; es kamen etwa 800 Körbe Birnen, Pflaumen und Beeren zu Markte. Die Detailpreise sind sehr gesunken, Pflaumen werden zu 3 ^ per Pfund (2 Pfd. 5 L) ausgeboten. Paradiesäpfel sind ziemlich vertreten und werden 3540 per Pfund hiefür erzielt. Auf dem Gemüsemarkt sind Bohnen vor­herrschend mit 3 V»5 H per Pfund je nach Qualität. Auf dem Blumen­markt sind Veilchen, welche seither nur vereinzelt auftraten, mit Rosen do­minierend.

Ferienkolonien. Man schreibt dem Stuttg. N. Tagblatt von der Kolonie Engelsbrand: Das Befinden der Kinder ist ein durch­weg gutes, sie sind alle gesund und ihre Farbe bessert sich zusehends. Dabei sind alle munter und fröhlich und bedauern nur, daß der Aufenthalt im schönen Schwarzwald nur noch kurz bemessen ist. Besondere Anziehungskraft hatte für uns das prächtige Nagoldthal, wir besuchten daselbst das roman­tische Weißenstein und das idyllisch gelegene Unterreichenbach zu mehreren- malen und versäumten dabei nie, ein Bad in der Nagold zu nehmen, deren Wasser viel kühler und darum auch viel erfrischender ist als das des Neckars. Ein ganz in unserer Nähe (auf badischem Gebiet) gelegener Aussichtsturm, der schon durch seine eiserne und luftige Konstruktion interessant ist, wurde öfters von uns bestiegen und in der That genießt man bei Hellem Wetter von seiner Spitze aus eine herrliche Aussicht. So werden denn die Kinder gekräftigt an Leib und Seele und voll angenehmer Erinnerungen wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Dürrmenz, 4. Aug. Gestern geriet ein auf Besuch hier weilender Schüler, der in der Nähe der unteren Enzbrücke badete, in eine Tiefe und wurde von den Wellen fortgerissen, in welchen der des Schwimmens Unkundige sicherlich den Tod gefunden hätte, wenn nicht Gastgeber Spihlmann mit eigener Lebensgefahr denselben aus dem Wasser geholt hätte. Es ist dies schon der fünfte Fall, daß Herr Spihlmann Menschen das Leben gerettet hat.

mögliche und ausführbare, und so heftig er vor der Verwirklichung des Schrittes bangte, so klammerte er sich nun doch mit der Angst und der Ver­zweiflung des Ertrinkenden an dieses einzige Nettungsmittel, das ihm noch winkte: Die Gräfin, seine Frau, besaß ungemindert ihr elterliches Erbe, und zum letzten Male, so schwor er, sie um Hilfe in seiner Bedrängnis zu bitten. Sie würde unerbittlich ihn abweisen, das wußte er, und kein Zweifel konnte darüber bei ihm auskommen, wenn er nicht die volle Wahrheit, die ganze Größe der furchtbaren Gefahren enthüllte, in welcher er schwebte, und welche den Ruin und die Schande seiner Familie nach sich ziehen mußte. Um keinen andern Preis, als um die Rettung des Namens ihres Sohnes, wäre die Gräfin zu bewegen gewesen, nochmals mit dem Erbe Leos ihren leicht­sinnigen und gewissenlosen Gatten aus seinen Verlegenheiten zu reißen, welcher Natur dieselben auch sein mochten. Wenn er also sich mit dem Gedanken vertraut machen mußte, den guten Willen der Gräfin anzu­rufen , so konnte es ihm in keiner Weise erspart bleiben, daß er zugleich seiner Gemahlin bekannte, auf welche Art er sich dem Wucherer verkauft und sich der Gefahr der Galeeren preisgegeben hatte. Zwar fühlte er bei dem Gedanken daran alles Blut nach seinen Schläfen schießen, und er schloß krampshast die Augen, und schüttelte heftig verneinend den Kopf; sein ganzes Wesens sein Hochmut, sein Mannesgefühl, so weit es ihm im wilden Treiben seines Lebens geblieben war, sträubte sich gegen die furchtbare Selbsterniedri­gung , die er sich anthun sollte. Es litt ihn nicht länger allein mit diesem erdrückenden Gedanken; hastig verließ er sein Kabinet und begab sich zurück in den Frühstückssalon, wo die Unterhaltung, so langweilig und banal dieselbe auch für seine blasierten Ohren sein mochte, ihn wenigstens auf andere Ideen bringen würde; seine Meisterschaft in der Beherrschung seiner Mienen kam ihm zu Hilfe, um anscheinend in höchster Ruhe und Unbefangenheit sich bei den Seinen niederzulassen und selbst an der nun eifrigen Unterhaltung teil­zunehmen, in welche er geschickt auch seine Nichte hineinzuziehen wußte. Sofort

nach dem Frühttück verließ er das Haus und begab sich geradeswegs zur Wohnung Jsmaels, weil er sich vorerst von der zwingenden Notwendigkeit des halb von ihm beschlossenen schweren Schrittes bei seiner Frau vergewissern wollte und aus Jsmaels eigenem Munde zu erforschen gedachte, welcher Art die nahen Beziehungen seien, welche derselbe mit dem Banditenhauptmann besitzen mochte.

Der Wucherer empfing den Grafen mit sauersüßem Gesicht und mit ironischen Reverenzen und Höflichkeitsredensarten, die die schlechte Laune seines Besuchers noch erhöhten. Derselbe hatte sich in einen Sessel niedergelassen, welcher das Hauptmöbelstück in der armseligen Stube des reichen Geizhalses war.

Ihr habt einen schönen Gebrauch von dem unglückseligen Geheimnisse gemacht, welches Ihr bezüglich des leidigen Wechsels besitzt", sagte mürrisch der Graf;ich sollte meinen, daß kein Mensch in höherem Grade Veranlassung hätte, sich vor der öffentlichen Beachtung und aller Beziehung zur Polizei zu hüten, als gerade Ihr, Herr Jsmael."

Jsmael machte bei dieser Anrede ein höchst verdutztes Gesicht, als hätte er nicht im geringsten zu ahnen vermocht, wo hinaus der Graf mit seinen Vorwürfen und Anspielungen strebte. Er hüstelte einige Male krampfhaft und fragte dann mit vollkommenster Unbefangenheit:

Wollen der Herr Graf sich nicht etwas deutlicher ausdrücken? Ich verstehe bei Gott nicht, was Sie meinen, und was ich mit der Polizei zu thun haben soll."

Die heilige Einfalt I" spottete mit verhaltenem Aerger Graf Villefleur; wollt Jhr's deutlicher haben, so hört: Jsmael Gantz, der Freund, der Genosse und Helfershelfer des Banditen Jnigo Torreguy hätte bedenken sollen, daß Graf Villefleur für ihn nicht minder gefährlich ist als Jsmael Gantz für den Grafen, und ehe er mit meinem Sohne von der Wechselaffaire sprach, hätte er meine Vermittelung in Anspruch nehmen sollen, statt seine und seines Komplicen Situation gestalten, als sie ist. (Forts, folgt.)