332
hältnisse der Häfen von Antwerpen, Rotterdam und Vlissingen eingehend untersucht worden. Das Ergebnis war die unbedingte Entscheidung für Vlissingen. Es ist aber kein Zweifel, daß die Reichsregierung den Versuch machen wird, die lästige Bestimmung des Anlaufens eines belgischen oder holländischen Hafens aus dem Gesetze wieder fortzubringen. Der Vertrag ist bereits am Sonnabend in Bremen eingetroffen. Bekanntlich wird der Lloyd neun seiner gebrauchten und sechs neue auf deutschen Werften zu erbauende Dampfer einstellen. Die Reichsbehörden hatten, wie der „Nat.-Ztg." geschrieben wird, sich bemüht, den Lloyd zu Einstellung von neun neuen und nur sechs alten Dampfern zu bewegen. Allein darauf hat sich der Verwaltungsrat nicht eingelaffen und so ist es bei den neun alten und sechs neuen Schiffen geblieben.
Aachen, 6. Juli. Die Festlichkeiten zu Ehren des Kronprinzen verliefen dem Programm gemäß. Gestern besuchte der Kronprinz Montjoie, von wo er nachmittags zurückkehrte. Nach dem Diner bei dem Regierungspräsidenten trat der Kronprinz die Reise an, die über Köln und Ems nach Potsdam erfolgte. (S. oben.)
Frankfurt, 6. Juli. In ihrer Sonntags-Ausgabe beschäftigt sich die „Nordd. Allg. Zeitung" mit dem Prozeß Lieske und stellt dabei folgende Fragen auf: „Wie ist es möglich, daß gerade in unserem südwestlichen Deutschland, wo die Fruchtbarkeit des Bodens, sowie vielfach entwickelte Industrie jeder Thätigkeit mit Aussicht auf lohnenden Erwerb Raum gewährt, der Zerstörungstrieb in die Mafien gedrungen ist? Und wenn wir dabei an die fortwirkende Kraft der politischen Wühlerei denken, welche in den Mafien die Verachtung und den Widerwillen gegen die bestehende Ordnung erweckt — wie kommt es, daß die demagogische Wühlerei sich gerade dort eingenistet hat?" Das Fr. Journ. meint darüber: Was die demagogische Wühlerei anlangt, so leisten ultramontane und volksparteiliche Blätter und Agitatoren allerdings das Mögliche. Wenn aber die „N. A. Z." zu verstehen giebt, daß vorzugsweise in Süddeutschland der Zerstörungstrieb in die Mafien gedrungen sei, so ist das eine ungerechtfertigte Verdächtigung. Denn wenn schon in Süddeutschland einige besonderes Aufsehen erregende anarchistische Attentate stattgefunden haben, so ist doch andererseits festgestellt, daß dieselben im Auslande geplant und durch Emissäre vorbereitet, bezw. ausgeführt sind. Die Nähe der Schweiz, die bis vor Kurzem den Anarchisten eine Freistatt gewährte und die lebhaften Verkehrsbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland machen es erklärlich, daß die Anarchisten Süddeutschland zum Operationsfelde ausersehen haben. Daraus folgt aber noch lange nicht, daß hier in den Volksmassen der Zerstörungstrieb stärker entwickelt ist, als anderswo in Deutschland. Was speziell Lieske anlangt, so ist derselbe bekanntlich aus der Mark Brandenburg, und der Prozeß hat ergeben, daß er weder in Frankfurt nach anderswo Unterstützung gefunden hat — gerade das Gegenteil ist erwiesen!
Kiel, 3. Juli. Die drei hier liegenden chinesischen Panzerschiffe wurden heute durch den chinesischen Gesandten unter religiösen Zeremonien geweiht und haben Nachmittags die Reise nach China angetreten.
Schmelz.
Zürich, 6. Juli. Bei der gestrigen Volksabstimmung des hiesigen Kantons wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe mit 27,577 Stimmen gegen 21,377 Stimmen verworfen. Die Einführung der obligatorischen Fortbildungsschule wurde mit 24,995 gegen 21,849 St. beschlossen.
Spanien.
Madrid, 6. Juli. Die Cholera nimmt zu; gestern sind in Spanien insgesamt 1616 Erkrankungen und 785 Todesfälle vorgekommen. Die spanische Presse dankt den deutschen Blättern für das dem Könige Alfonso gespendete Lob und führt aus, daß seit der Reise des Königs nach Deutschland und seit Erwiederung des Besuchs durch den Kronprinzen die guten Beziehungen beider Länder immer enger geknüpft worden seien. Dem Könige werden fortwährend begeisterte Huldigungen dargebracht.
Gages-WeuigkerLen.
— Vom 15. Juli d. I. an werden auf den württembergischen Staatseisenbahnen Hundebeförderungsscheine nach Wunsch auch für Hin- und Rück- fahrt ausgestellt. Der Preis eines solchen Retourbillets entspricht dem doppelten Betrag der einfachen Taxe, die Giltigkeitsdauer derjenigen der Personenbillete für Hin- und Rückfahrt.
Nagold, 3. Juli. Man schreibt der Neckar-Zeitung von hier: Die von Fabrikant Sannwald geleitete gemeinsame Ortskrankenkasse hielt dieser Tage die erste Generalversammlung auf hiesigem Rathause ab. Der Besuch derselben legte betrübendes Zeugnis von der den Beteiligten innewohnenden Jnterefielossigkeit an dem jungen Institute ab. Nur drei Arbeitgeber und einige wenige Arbeiter fanden sich ein. Andererseits muß betont werden, daß manche Arbeiter im Einverständnis mit den Arbeitgebern die Kaffe mißbräuchlich belasten, worüber das nach siebenmonatlichem Bestehen der Kasse bereits erwachsene Defizit derselben im Betrag von über 1200 sich deutlich genug ausspricht.
Cannstatt, 6. Juli. Das württ. Landesschießen hat gestern bei recht günstig gewordenem Wetter seinen glänzenden Anfang genommen. Die Stadt prangt im Festschmucke, wie wir Cannstatt schon lange nicht gesehen haben, namentlich sind die Straßen, durch welche der Festzug ging, prächtig dekoriert mit Fahnen, Kränzen und Draperien. Der Tag begann mit der musikalischen Tagwache um 5'/- Uhr, der um 6 Uhr das Frühkonzert im Kursaal folgte. Von 8 Uhr ab fand der Empfang der Gäste am Bahnhof statt, während die Musik auf dem Platze spielte. Die Stuttgarter Schützengilde mit dem Landesschützenmeister und die Haller mit der Buydesfahne wurden besonders freudig begrüßt. Von 11 Uhr an fand im Garten des Hotel Hermann Konzert statt, nachdem die offizielle Begrüßung der Schützen Württembergs durch den Schützenmeister der Cannstatter Gilde mit den herzlichsten Worten und die Fahnenübergabe erfolgt war. Schützenmeister Reichert- Hall übergab dieselbe dem Landesschützenmeister Föhr und dieser dem Stadtvorstand von Cannstatt, Stadtschultheiß Nast, zur treuen Bewahrung bis zum nächsten Landesschießen in zwei Jahren. Rast empfing die Fahne mit Worten des Dankes und der Versicherung, sie in Ehren zu halten und zu schützen, und schloß mit einem Hoch auf das liebe deutsche Vaterland, das begeisterte Aufnahme fand. Hierauf erinnerte Mauser-Oberndorf daran, daß bei dem letzten Landesschießen der Beschluß gefaßt worden sei, den jeweiligen Landesschützenmeister durch eine Auszeichnung zu ehren; das solle heute zum erstenmale geschehen. Hiermit hing Redner dem Landesschützenmeister Föhr-Stuttgart eine prächtig gearbeitete, kostbare, breite, silberne Kette mit Medaillon unter großem Jubel der Schützen um den Hals. Das Mittagsmahl wurde gemeinschaftlich im Hotel Hermann eingenommen. Um 1 Uhr setzte sich der inzwischen aufgestellte, wohlgeordnete Festzug mit seinen Fahnen und den frischen Schützenbrüdern unter den Klängen von 2 Militärkapellen in Bewegung und war gegen 2 Uhr auf dem Festplatze, worauf das Schießen sofort begann. Der Festplatz bildet das bekannte Bild des Cannstatter Volksfestes, Tausende und Abertausende drängten sich da am Nachmittag und am Abend bei der elektrischen Beleuchtung. Auch Se. Hoheit Prinz Hermann zu Sachsen-Weimar mit hoher Gemahlin, Se. Exz. Minister v. Hölder u. a. hervorragende Personen haben nicht verschmäht, das Fest durch ihr Erscheinen zu verherrlichen. Geschossen wurde viel und gut. Becher brachten heim: Stohrer-Stuttgart, Mayer-Ulm, Käß- Backnang, Knoll-Eichelberg, Barth-Eßlingen, Gentner-Heidenheim, Sigel-Stuttgart, Kohler-Gmünd, Mauser-Oberndorf. Abends 7 Uhr begann im Kursaal das Festmahl, an dem sich vielleicht 100 Personen beteiligten, u. a. auch Se. Exz. der Herr Minister v. Hölder, Graf v. Gronsfeld, Reg.-Rat Ra th u. s. w. Die Reihe der Reden und Toaste eröffnete Landesschützen-
„Jst das wahr, Lucienne?" fragte Leo heftig.
Lucienne errötete wi'er Willen und schlug die Blicke nieder; sie antwortete keine Silbe.
„O, das ist infam!" rief Leo aus.
Dieser Ausruf traf Lucienne wie ein Schlag ins Antlitz. Graf Ville- fleur verstand die heftige Erregung seiner Nichte, und er beeilte sich, durch seine Zwischenkunft ihre peinliche Situation abzukürzen.
„Nun, wirst Du bald der Scene ein Ende machen, Leo, und Deinen Gefangenen abführen? Wir haben keine Lust, länger die Bitten und Beleidigungen dieser Person anzuhören, welche der Schmerz wahnsinnig macht."
Er wollte das Gemach verlassen und bot Lucienne den Arm; aber in diesem Moment legte sich eine Hand auf seine Schulter, und eine tonlose, melancholische Stimme fragte:
„Wahnsinnig? Wer redet von Wahnsinn? Die Stimme kann wahnsinnig machen!"
Der Graf wandte sich lebhaft um. Er erbebte heftig und wich einen großen Schritt zurück, als Fr vor sich ein gespenstisch bleiches Frauenantlitz mit stieren, seelenlosen Augen und von leichenartiger Hagerkeit erblickte. Das Licht der Fackeln gab erst recht dieser Erscheinung etwas Abschreckendes. Auch Leo war bestürzt; denn es war dieselbe Person, die er im Garten Theresens in Paris gesehen und die ihm dort einen fast abergläubischen Schrecken eingeflößt hatte.
„Was wollt 7hr von mir?" fragte der Graf mit unsicherer Stimme.
Die Wahnsinnige antwortete nicht; sie riß einem der Soldaten eine Fackel aus der Hand, hielt diese dem Grafen ins Gesicht und suchte dessen Züge u erkennen. In des Grafen Mienen malte sich ein unaussprechliches Ersetzen, und mit Anstrengung fragte er nochmals:
„Was willst Du von mir, Weib?"
Die Wahnsinnige stieß einen fürchterlichen Schrei aus:
„Er ist es! Der Mann der Mitternacht!"
Sie ließ die Fackel fallen und stürzte ohnmächtig rücklings zu Boden.
Ein Geheul, wie das eines verwundeten wilden Tieres erscholl von der
Wand her; es war Baltimore, der an seinen Fesseln hin und her zerrte. Der Graf war wie zerschmettert; auf seiner Stirn perlten große Tropfen kalten Schweißes; vor seinen Augen tanzte Alles wirr durcheinander, als ob auch er plötzlich von Schwindel und Wahnsinn befallen wäre.
Mit lebhafter Ueberraschung gewahrte Leo die Bewegung, welche diese Scene auf seinen Vater ausgeübt hatte.
„Erschrick nicht allzusehr, Vater", sagte er beruhigend, die Frau ist irrsinnig!"
Der Graf machte eine äußerste Anstrengung, um seine Geistesgegenwart wieder zu erlangen.
„Irrsinnig!" sagte er, „ja, ich hätte es erraten sollen. Ich will nicht länger hierbleiben; komm, Lucienne, verlassen wir diese Höhle des Verbrechens und des Unhells, komm!"
Und er ergriff die Hand seiner Nichte und eilte, gefolgt von dem Führer, aus der Hütte hinaus.
„Gott, Gott!" knirschte Baltimore, indem sein Herz sich in der Brust umdrehte, „wenn er meiner Rache entgeht, so laß ihn nicht Deinem Gerichte entgehen!"
Auf Leos Befehl ward die Irre aufgehoben und in ein Nebenzimmer getragen, wo Therese und Katharina sich bemühten, sie zum Leben zurückzurufen. Als die Aufregung, welche die letzten Scenen hervorgerufen, sich gelegt hatte, beriet Leo, was er nun zunächst beginnen sollte. Sollte er Baltimore nach der neuen Garnison führen? Es waren alle möglichen Gefahren bei der finsteren Nacht und den schwierigen Wegen zu befürchten, und ein Ueberfall der Räuberbande, die leicht in einem Hinterhalte liegen konnte, würde nicht nur den Erfolg seines Streifzuges in Frage gestellt, sondern selbst seine Leute unnützer Weise in Gefahren gebracht haben. Er hielt es daher für das Vorsichtigere, den Tag in der Hütte zu erwarten und dort gute Wache auf seinen Gefangenen zu halten. Noch war er entschlossen, als ein Soldat, der draußen vor der Thür Posten gestanden, mit Tumult in die Stube trat und Jsmael Gantz am Kragen hereinführte.
(Fortsetzung folgt.)