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im Stande ist; besonders anziehend waren die VolksliederZu Straßburg auf der Schanz" undAm Brunnen vor dem Thore"; den größten Beifall fand das LiedWas schimmert dort auf dem Berge so schön", wobei die Soli von Calwer Sängern übernommen wurden. Nachmittags fand ein Umzug durch die Straßen der Stadt vom Rathaus auf den Festplatz statt, vr. Elben von Stuttgart bestieg die Tribüne und hielt eine begeisterte, mit großem Jubel aufgenommene Ansprache, lieber dem Festesjubel, führte der geehrte Redner aus, dürfen wir den uns alle umschließenden Schwäbischen Sängerbund, der seit mehr als einem Menschenalter gelungene Leistungen im Gesang vorführe, nicht vergessen; auch die kleineren Vereine haben von den schönen, großen Aufführungen gelernt, vor 20 Jahren hätten sie nicht ge­sungen wie heute. Um den ländlichen Vereinen Gelegenheit zur Vorträgen zu geben, sei ein Gaufest eingeführt worden; die Vereine sollen die Einigkeit festhalten und als höchstes Ziel das Wohl unseres großen und einigen Vater­landes, auf das er ein donnerndes Hoch ausbringe, nicht vergessen. Nach 3 Gesamtchören eröffnete der Calwer Liederkranz mit demLied der Deut­schen in Lyon" die Reihe der Einzelvorträge, worauf rasch nach einander andere Vereine auftraten. Noch einmal ließen sich die Calwer mit 2 Chören: Im Feld des Morgens früh" undDer Trompeter an der Katzbach" hören. Einer Kritik der Einzelnleistungen will sich der Schreiber ds. enthalten, doch glaubt er nicht verschweigen zu dürfen, daß den Calwern allgemein, auch seitens der Mitglieder des Schwäbischen Sängerbundausschufses, die Palme des Tages zuerkannt wurde. Mit großer Befriedigung über unsere Aufnahme verließen wir Sindelsingen und kamen wohlbehalten wieder hier an. Unser Erfolg wird uns ein neuer Sporn sein, mit größtem Eifer den Gesangsstudien ob­zuliegen, um im nächsten Jahr an den Wettgesängen des Schwäbischen Sänger­bundes in Heilbronn erfolgreich teilnehmen zu können.

Schließlich mag noch angeführt sein, daß die Stadt Sindelsingen ihr Möglichstes zur Annehmlichkeit der Gäste gethan hat, ebenso waren die Häuser reich beflaggt und mit Kränzen und Tannenbäumen geschmückt. An der Turnhalle fanden sich folgende Begrüßungsverse:

»Seid gegrüßet traute Brüder,

Seid gegrüßt in unsrer Stadt,

Wo zum schönen Fest der Lieder

Ihr Euch heut versammelt habt."

Stuttgart, 4. Juli. (Abschied der Singhalesen.) Nill's Tiergarten wurde gestern vormittag von den Singhalesen besucht, später der Stadtgarten. Die wilden Tiere fürchteten zum Teil die braunen Söhne Ceylons; die Löwin flüchtete sich in die fernste Ecke und der Elefant schlug aus sie mit dem Rüffel ein und der Schimpanese wollte ihnen die Hand nicht geben. Am Orchestrion hatten sie ungemeine Freude. Abends '^8 Uhr begann nach Schluß der Vorführungen, während die Singhalesen ihren Reis mit den Fingern aßen, der Abbruch des Gebäudes durch die Bediensteten, wobei die braunen Hände sich schonten. Alle nahmen herzlich Abschied von den Weißen, drückten ihnen die Hände, schrieben ihre Namen in deren Notiz­bücher und riefen:Atje, atje!" Nachts 10 Uhr fand der Rückzug auf den Güterbahnhof statt und um 2 Uhr erfolgte die Abfahrt nach Basel.

Heilbronn. Der Weingärtner Johann Jung in Eichelberg, OA. Weinsberg, war in Folge mehrerer schlechter Jahrgänge in Bedrängnis ge­raten und hatte zur Bezahlung von notwendigen Lebensmitteln am 10 Dez. 1878 ein zu 6o/g verzinsliches Darlehen von 70 ^ bei dem 71 Jahre alten Geldverleiher Salomon Kaufmann in Affaltrach ausgenommen, für welches er gleich beim Empfang ca. 15 Rabatt liegen lassen mußte. Das Darlehen wurde von Jung verzinst und einmal an denselben 10 «/L, ein anderesmal 25 abbezahlt. Am 26. Juli 1883 veranlaßt Kaufmann den Jung zu einer Abrechnung, bei welcher trotz der erfolgten Abzahlung die Summe des Darlehens wieder auf 70 ^ festgesetzt wurde, obgleich Jung sich dessen anfänglich weigerte, weil ihm Kaufmann andernfalls mit Klage drohte, welcher Jung zu Vermeidung seines Ruins unter allen Umständen ausweichen wollte. Kaufmann verlangte von Jung die Belasiung der be«

zahlten 25 als Provision für die Stundung des Darlehens bis Martin 1883 und Jung verstand sich schließlich hiezu, um seine sofortige Einklagung zu beseitigen. Bei Gelegenheit eines späteren Prozesses zwischen Jung und Kaufmann kam diese Sache an den Tag und Kaufmann hatte sich in Falge dessen am 30. Juni d. I. vor der Strafkammer des K. Landgerichts wegen Wuchers zu verantworten, indem ihm zur Last gelegt wurde, er habe unter Ausbeutung der durch die vorausgegangene schlechte Weinernte herbeigeführten Notlage des Jung für die Stundung des fälligen Darlehens von 70 bis Martini 1883 durch die sich verschafften 25 ^ Provision sich Vermögens­vorteile gewähren lassen, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß dieselben im vorliegenden Falle in auffallendem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. Der verlangte Vermögensvorteil stellt auf das Jahr berechnet eine Vergütung von ca. 12M/g dar. Der Beweiseinzug ergab die Schuld des Angeklagten bezüglich des ihm zur Last gelegten Vergehens und es wurde derselbe demgemäs in Anbetracht seiner bisherigen Straflosigkeit und des an sich nicht erheblichen Betrags des erlangten Vorteils, zu der Gefängnis­strafe von einer Woche und zu der Geldstrafe von 150 -/L verurteilt.

Ebingen, 1. Juli. Mit grausem Bangen sah man gestern Nach­mittag von 3 Uhr ab dem Ausbruch des unheilverkündend vom Lochen her­aufziehenden schwarzen Gewitters entgegen, und erleichtert atmete alles auf, als dasselbe sich gegen 4 Uhr wider Erwarten weniger heftig als wasserreich über unserem Thal entlud. Nicht so glücklich ist leider der untere Teil des Bezirks davongekommen; nicht nur die Gemarkungen von Balingen, Endingen, Weilheim und Erzingen, sondern auch die nach Nottweil gehörigen Orte Roßwangen und Dotternhausen haben bedeutenden Hagelschaden erlitten, ins­besondere aber die beiden erstgenannten hart aneinander liegenden Markungen wo am abend links und rechts der Bahnlinie nach Ebingen, die noch wenige Stunden vorher so stolzen Früchte geradezu niedergemäht schienen und Felder und Obstbäume einen herzzerreißend traurigen Anblick boten. Auch einzelne Heuberggemeinden wurden von dem Hagelwetter mehr oder minder empfindlich gestreift, so z. B. Wehingen und Umgebung, doch scheint es sich hier nur um enger begrenzte, strichweise Verheerungen zu handeln. Dagegegen wurden die am Fuße des Hohenzollern gelegenen preußischen Gemeinden Bisingen, Wessingen, Weilheim, Steinhofen, Groffelfingen schon wieder hart betroffen, und leider letztere Markungen wohl bis zur Hälfte der gehofften Ernte, was für diese Orte ein um so größeres Unglück ist, als sie in den letzten Jahren mehrmals argen Hagelschaden erlitten und dadurch in ihrem Wohlstand sichtlich zurückgekommen sind. Auch die Oberamtsstadt Balingen hat bekanntlich letztes Jahr ebenfalls einen starken Hagelschaden gehabt; der gestrige aber soll den­selben nach allgemeiner Ansicht noch übertreffen und in einigen Lagen fast gar nichts mehr erwarten lassen. Möchten wir nur nicht genötigt sein, diesem Berichte noch weitere Hwbsposten folgen lassen zu müssen; es ist jetzt schon mehr als genug des Jammers um all die geknickten schönen Hoffnungen.

Neckarsulm, 1. Juli. Vorgestern abend versperrte ein junger Mensch in Züttlingen mit mehreren Hg^stücken und entfernter davon mit einem schweren Stein die Bahnlinie, um, wie er bei seiner Verhaftung angab, zuzusehen, wie ein Bahnzug entgleise; glücklicherweise entdeckte ein Mann aus Möckmühl kurz vor dem Eintreffen des Nachtzugs die begangene Bosheit.

Lahr, 1. Juli. In dem Prozesse Lahrs gegen Magdeburg wegm nicht abgelieferter Reichswaisenhausgelder begann am Montag die Verhand­lung vor dem Magdeburger Landgericht und sollte morgen früh fortgesetzt werden. Inzwischen ist man von Seiten Lahrs auf einen Magdeburger Ver­gleichsvorschlag eingegangen, wonach Lahr noch ca. 86,000 erhält. Damit ist die Angelegenheit erledigt.

Heidelberg, 3. Juni. Der Einjährig-Freiwillige Müller, wel­cher bei einer Zielübung seinen Unteroffizier erschossen hat, ist vom Kriegs­gericht wegen unvorsichtiger Behandlung der Waffe, bezw. des Schießbedarfs, zu 6 Wochen Festungshaft verurteilt worden.

Wien, 3. Juli. Ein Raubmörder mit bürgerlichem Habitus steht

langte erst auf den Höhenpunkt, als er plötzlich Therese, gespensterhaft bleich und entstellt, mit verzweiflungsvoller Miene vor sich erblickte, wie sie, die Arme ausstreckend, in unbeschreiblicher Angst ihm entgegenrief:

Leo, Leo, um Gottes willen, kürze das grausige Mißverständnis ab! Sag' Deinen Soldaten, daß Du meinen Vater kennst, daß er Baltimore heißt, und nicht Jnigo Torreguy! Befiehl ihnen, vor dem Mann, den Sie beleidigten, Abbitte zu thun! Zaudre nicht, Leo, ich beschwöre Dich, oder ich hasse Dich als meinen rötlichsten Feind!

In diesem Schrei der Verzweiflung lag so viel Ueberzeugung und Wahr­heit, daß Leo keinen Augenblick mehr zweifeln konnte: Therese war unwissend bezüglich ihres Vaters, unschuldig selbst und im Glauben an die Unschuld Baltimores; sie glaubte, eine gerechte und schuldige Genugthuung für ihren Vater gefordert zu haben. Sich in die grausame Notwendigkeit gedrängt zu sehen, Therese in das furchtbare Geheimnis einzuweihen, das ihren Vater für sie umgab, stürzte den jungen Officier in die namenloseste Seelenangst. Er konnte den Anblick Theresens nicht ertragen und wanbte verwirrt und ge­peinigt den Kopf ab. Aber Therese forderte ihn von neuem und dringender auf, ihren Vater zu befreien, und das arme Mädchen schien unter der Last des Augenblicks zusammenbrechen zu wollen. Er hatte nicht die Kraft ein Wort zu sagen! statt dessen deutete er mit der Hand auf das Antlitz Baltimores, den die Soldaten fesselten, und dieses Antlitz war eine ganze Enthüllung; zu­gleich reichte Leo ihr das anonyme Schreiben Jsmaels. Kaum hatte Therese den Abgrund erkannt, der sich vor ihren Füßen bodenlos austhat, da erfaßte sie ein Schwindel; ihre Kniee wankten, sie schlug ihre Hände mit Gewalt vor ihr Gesicht und mit dem markdurchdringenden Schrei:O Gott auch ich werde wahnsinnig!" stürzte sie heftig auf den Boden und blieb einer Toten ähnlich liegen.

Selbst die rauhen Soldaten fühlten sich ergriffen von der Scene wahren Schmerzes; ein ehrerbietiges Schweigen herrschte im Raume, bis die durch den Alarm herbeigerufene Katharine hereinstürzte und schnell erkennend, was

vorgefallen war, jammernd Therese aufhob und in ihre Arme nahm. Gegen die Wand angelehnt durchlebte Baltimore, finster und stumm, eine Hölle von Martern; er hatte als er Therese niederfallen sah, Herzuellen wollen, um sie im Sturze aufzufangen, aber seine Fesseln hinderten ihn an jeglicher Be­wegung von seinem Platze. Therese hatte ihr Bewußtsein nicht verloren, sie riß sich aus Katharinas Armen los und warf sich vor dem Offizier auf die Knie nieder, um ihn zu bitten, daß er ihrem Vater die Freiheit schenken möge; sie versprach ihm, daß Baltimore nie wieder den französischen Boden betreten werde, und sie verbürgte ihr Leben dafür, daß er nie wieder zu dem entsetzlichen Gewerbe zurückkehren solle, das er bisher getrieben.

Ich schwöre es vor Gott", flehte sie händeringend,daß er über meine Leiche schreiten müßte, Leo, wenn er mein Versprechen nicht halten wollte."

Das war nicht das naive Kind von vordem; das war ein von über­mächtigem Schmerze, von gewaltigem Schlage des Schicksals plötzlich zu heroischer Entschlossenheit herangereiftes Weib. Aber Leo schwieg. Sein Pflichtgefühl sprach lauter in seiner Brust, als Bewunderung und Mitleid.

Gnade, Gnade!" jammerte mit erhobenen Händen Therese.Im Namen der Gefühle, die Du für mich gehegt hast, flehe ich Dich an, Leo, sei groß­mütig! Wenn Du meinen Vater der Gerechtigkeit auslieferst, reißest Du mir das Herz aus der Brust! Sieh, meine Mutter ist wahnsinnig! Willst Du, daß mein Vater verurteilt werde?. O, mache mich nicht zweimal zur Waise! Stelle mich nicht zwischen den Wahnsinn und das Grab! Wenn Du kein Erbarmen mit meinem Vater hast, habe Erbarmen mit mir!"

Sie war auf den Knieen bis vor Leo's Füße gerutscht und hatte seine Hände erfaßt, die sie mit heißen Thränen netzte. Die Thränen brachten zu Stande, was Worte nicht vermochten; sie benahmen dem Offizier den Rest von Entschlossenheit und Mut, der chm noch verblieben war; wie konnte er einer ewigen Schmach diejenige opfern, die ihn so anflehte, die er nach wie vor. trotz der grausamen Wendung des Geschickes, noch liebte?

Schnell, schnell, Therese!" rief er, indem er sich und seine Umgebung