60. Jahrgang.
Uro. 79.
Amts- und IntekkigenMalt §üe äen Oezir^.
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Dienstag, äen 7. Juki 1885.
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'UotrtifcHe Wcrchrrichterr.
Deutsches Reich.
— Der Reichskanzler ist von Kissingen wieder in Berlin eingetroffen, wird sich daselbst aber nur kurze Zeit aufhalten und sich in den nächsten Tagen schon nach Kröchelndorf zu den Schwiegereltern seines zweiten Sohnes begeben, um der Hochzeit desselben mit Fräulein Sybilla v. Arnim beizuwohnen.
Berlin, 2. Juli. Ueber die Stellung der deutschen Kolonisten in Brasilien läßt sich der neueste Bericht, den der englische Vizekonsul in Porto-Alegre, Mr. Archer, an seine Regierung erstattet, wie folgt vernehmen :
„Die Deutschen und Italiener teilen sich in die Kolonisierung der Provinz Rio Grande, doch sind die Deutschen bei Weitem am zahlreichsten. Na- türlich bringen es Gewohnheiten und Bedürfnisse mit sich, daß beide Nationalitäten ihre Verbrauchsartikel vorzugsweise aus Deutschland und Italien beziehen. So ist ein neuer und. wichtiger Absatzmarkt für die Erzeugnisse jener beiden Länder entstanden, der Handel mit Hamburg ist ungleich bedeutender als der mit England. Mehrere Artikel, die vordem beinahe das Monopol der englischen Verfertiger waren, werden durch die deutschen Erzeugnisse mehr und mehr vom dortigen Markte verdrängt. Freilich kommt letzteren die ausnahmsweise Gunst der Verhältnisse zu Statten, welche durch den Einfluß bedingt ist, den die erwähnte Einwanderung ausübt. Immerhin ist diese Lage der Dinge darum nicht weniger wert, von den englischen Gewerbetreibenden beachtet zu werden." ^
— Der Vertrag über die Lachs sisich er ei im Stromgebiete des Rheins ist dieser Tage von Bevollmächtigten der 3 beteiligten Staaten, Schweiz, Deutschland und Holland unterzeichnet worden. Daß sich Holland endlich zu Einräumungen verstanden hat, wird in Berlin mit besonderer Genugthuung begrüßt werden. Holland hatte sich in der letzten Zeit oft sehr unfreundlich erwiesen und es bedurfte zuweilen besonderer Mittel z. B. beim Küstenpolizeigesetz, um das kleine Land von seinen vorgefaßten Meinungen und Befürchtungen abzubringen.
Spanien.
— 2. Juli. Dis Cholera macht noch immer bedeutende Fortschritts. Allein vom vorgestrigen Tage werden folgende Fälle gemeldet: In Madrid 4 Erkrankungen, 1 Todesfall, in Aranjuez 152 Erkrankungen, 78 Todesfälle, in den Provinzen Valencia, Mircia, Castellon, Alicante und Saragossa zusammen etwa 1800 Erkrankungen und 600 Todesfälle.
Madrid, 3. Juli. Der König ist am Donnerstag früh, von nur zwei Adjutanten begleitet, nach Aranjuez abgereist, wo die Cholera am heftig, sten auftritt. Es sind daselbst vom Dienstag zweihundert Cholerafälle gemeldet, davon 74 Tote, bei einer Bevölkerungszahl von 6000. Der König, welcher in seiner Eigenschaft als Generalissimus der Armee handelt, beabsichtigt die Garnison zu besuchen, welche stark heimgesucht ist, und für die Kantonnierung der Truppen Anordnung zu treffen; er will aber auch das Zivilhospital besuchen.
Icrges-Wsuigkeiten.
X Calw, 6. Juli. Der schwäbische Sängerbund hielt dieses Jahr ein Gau fest in Sind elfin gen ab, zu dem namentlich die kindlichen Vereine, die an den allgemeinen Hauptfesten mit Preisgesängen aus verschiedenen Gründen nicht konkurrieren können, eingeladen waren. Auch der Calwer Liederkranz, der eifrig bemüht ist, den edlen Volksgesang zu pflegen und jede sich darbietende Gelegenheit zur Weiterbildung zu benützen, hatte schon iüsien letzten Wochen die im Programm ausgeschriebenen Lieder pünktlich eingeübt. Auf 3 Leiterwagen fuhren die beinahe vollzählig erschienenen Sänger fröhlichen Muts nach Sindelfingen ab. War auch das Wetter zweifelhaft, so daß wohl manche Vereine aus diesem Grunde nicht erschienen, so trat doch kein Regen ein und konnte das Programm vollständig durchgeführt werden. Um VzlO Uhr in Sindelfingen angekommen, nahmen die Sänger sofort, ohne sich nur zu restaurieren, an der in der Turnhalle abgehaltenen Probe unter Leitung des Oberlehrers Burkhardt von Nürtingen teil. Nach derselben wurde eine kurze Pause gemacht, worauf das Fest seinen Anfang nahm, indem der Smdelfinger Männergesangverein einen Begrüßungschor: „Der Sänger ist der freiste Mann", vortrug. Hierauf hieß Stadtschultheiß Frank die erschienenen Vereine herzlich willkommen und sprach seine Freude über den Beschluß des schwäbischen Sängerbundes, das Gaufest in Sindelfingen abzuhalten, aus und schloß mit einem vivat, üorest, cresost auf den schwäbischen Sängerbund. Von den 9 nun folgenden Gesammtchören wurden die meisten gelungen durchgeführt und von neuem hörten wir, welch gewaltige Wirkungen ein starker Männerchor hervorzubringen
F e s i 1 l e t o u.
Im Abgründe.
Roman von Louis H-ckrubrsich. ^Verfasser deö Romans: „Ein Vampyr.*)
(Fortsetzung.)
Während Vater und Tocher sich umfaßt hielten, hatte die Irre sich erhoben und ihnen unhörbar sich genähert; sie beugte'sich über sie herab und bemerkte die thränensiuchtrn Auaey Mres Gatte« und ihrer Tochter.
„Ihr weint?" sagte sie mit ihrer sanften melancholischen Stimme; „warum weint Ihr?" Die Sterns am Hnmoel lächeln; der Wind im Gebirge singt: weinet nicht; Thräneq sind:häßlich; sis sichen das Unglück an. Freut Euch' und singt; Ihr seid ja glücklich; deW das Glück ist die Ehre und der gute. Name." '
Mit diesen Worten kehrte sie an ihren Platz zurück und versank von neuem in ihre dumpfe Teilnahmlosigteit. Baltimore aber war aufgeregter als vorhin; er machte sich aus Theresens Armen los und schritt heftig und schnell in dem Zimmer auf. und ab.
„Ehre!" murmelte er; „guter Raine! Ol"
Bestürzt blickte Therese aus ihren Vater; er gewährte es, blieb stehen und sagte mit unsicherer Stimme:
„Beunruhige Dich nicht, Therese, alte, peinliche Erinnerungen quälen mich heute. Es wird vorübergehen; ich glaube, es macht dir Gewitterluft."
Er brach ab und lauschte überrascht. Von draußen war ein Geräusch am sein Ohr gedrungen.
.„Was kann das sein? Ich höre Schritte, — doch nicht schon Jsmael Gantz nnd Viaritz, — nein, das sind ihrer viel", murmelte er und auf seinem Gesichts malte sich Re Höchsts Unruhe. Ec riß Hastig eins Doppelflinte von der Wand herab, sah nach ob sie geladen sei und ries, an die Thüre tretend laut Henaus:
„Wer ist draußen?"
Entsetzt flüchtete sich Therese zu ihrer Mutter. Keine Antwort erfolgte und einige Sekunden lang herrschte Totesstille. Plötzlich erdröhnte ein ge- waltiger Schlag, und krachend und zerberstend flog die Thüre auf,' welche die Dragoner von draußen mit Hilfe eines schweren, von zwanzig Manu getragenen Balkens im Sturmschritt eingerannt hatten. Die Soldatm drangen in das Häuschen, die blanken Waffen in der Faust und umringten im Nu Baltimore.
„Jnigo Torreguy, Du bist mein Gefangener", rief die Stimme des Kommandanten der Truppe, und derselbe drängte sich, hinter den Soldaten Herein. .. - '
„Noch ftncht, mein Gebieter", antwortete Baltimore Md legte auf den Offizier an. Aber sofort ließ er die Flinte sinken, als er diesen erblickte.
„Leo von Viüestmr!"
„Baltimore!" gellte es erschütternd zugleich aus beider Munde.
Wie versteinert standen die zwei Männer einander gegenüber; dem einen fehlte der Much, den Geliebten seine Tochter zu töten, dem anderen dis Entschlossenheit, dm Befehl zur Fe,mahme des Vaters Theresens zu geben. Diesen Moment der Verwirrung benutzten schnell einige Soldaten, um sich auf dm BandiLmlMPtmäNtt zu werfen, ihn z-.r entwaffnen und die Briefschaften an sich zu nehmen, die derselbe bei sich trug.
„Er ist es!" rief ein Unteroffizier, indem er eines der Papiers triumphierend emporhielt, das mit verstellter Schrift und ohne Rammsunterzeichnung von J2:nael Gantz herrührte und die Angabe über Don Balthasar's Reise- plan enthielt. „Hier ist ein Beweis, daß wir den richtigen Jnigo Torregrm haben!"
Er reichte es Leo hin, der trotz seinein Widerstreben, an die Wahrtet seiner örsiür.zenden Entdeckung zu glauben, sich gegen das Augenscheinliche nicht vrkschließen konnte. Ihm war es, als würde sein Her; in Stücke Rffen, und er meinte kraftlos hinsinken zu müssen. Aber sein Schmerz ge-