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nung mit der Originalphotographie hat, sondern auch deshalb, weil der Ver­fertiger Herr Lutz, früher Aufseher im Zellengefängnis, ohne alle Vorbildung nur durch eigenen Fleiß diese Fertigkeit erlangte.

Fellbach 1 . Juli. Der heute eingetretene Negen ist für die Vegetation eine wahre Wohlthat. Die Mbenländer wurden von der großen Hize stark 'n Mitleidenschaft gezogen; auch die Kartoffeln lechzten nach Feuchtigkeit, noch mehr die Wiesen und Kleeäcker und die Halmfrüchte. Daß die Trauben­blüte durch das Regenwetter beeinträchtigt würde, ist nicht mehr zu befürchten, weil die meisten Stöcke bei dem herrlichen Wetter rasch verblühen konnten.

Ludwigsburg, 30. Juni. Während des gestern abend über unsere Gegend hinziehenden Gewitters schlug in Möglingen der Blitz in das Haus des Bauers Häcker und traf von den um den Tisch sitzenden Familienangehörigen den 22jährigen Sohn, der sofort tot war, fuhr hierauf durch den Fußboden in den Stall und tötete hier eine Kuh. Der Blitzschlag war ein kalter und hat das Gebäude selbst nur wenig beschädigt.

Vom untern Remsthal, 26. Juni. Seit einigen Wochen herrscht in unserer Gegend infolge der Kirschenernte lebhafter Verkehr. Von Stetten, Strümpfelbach, Beutelsbach, Schnaith und Geradstetten werden täglich Hunderte von Kirschenkörben nach den Stationen Endersbach und Grunbach geführt, von wo sie ins Bayerische, besonders nach München und Augsburg, befördert werden. Obgleich der Ertrag hinter den während der Blütezeit gehegten Er­wartungen in quantitativer Hinsicht erheblich zurückbleibt, woran hauptsächlich die ungünstige Maiwitterung schuld ist, so kommen dennoch bei den ziemlich hohen Preisen, anfangs 2025 H, gegenwärtig zwischen 10 und 15 H per Pfund, tausende von Mark in unsere Gegend. Die Traubenblüte ist nahezu beendet. Die Weinberge stehen sehr schön und versprechen reichen Ertrag.

Urach, 1. Juli. Gestern mittag hat sich ein Arbeiter der hiesigen Baumwollspinnerei hinter einem Nebengebäude der Fabrik mit einem Böller, den er mit Sprengpulver geladen hatte, erschossen. Der Schuß hatte die ganze Vorderseite des Oberkörpers schrecklich zerrissen, so daß der Tod augenblicklich eintrat. Der Getöte ist 46 Jahre alt, hat 2 schon erwachsene Kinder und war ein tüchtiger Arbeiter, aber dem Trunk ergeben. Infolge dessen lebte er in häuslichem Unfrieden, der ihn wahrscheinlich zu der schreck­lichen Thal veranlaßt hat. Tags zuvor hat derselbe noch in größerer Gesell­schaft einen Ausflug auf den Hohenzollern mitgemacht.

Bietigheim, 1. Juli. Unsere Stadtschultheißenwahl ist vorüber. Derselben sind aufregende Kämpfe der Parteien vorausgegangen. Am Nach­mittag vor der Wahl erschienen nacheinander mehrere Flugblätter, in welchen sich eine Partei gegen die andere in heftigen Vorwürfen erging. Nach dem Ergebnis der heutigen Wahl vereinigten sich auf den res. Stadtschuttheißen Willig 359 und auf Ratsschreiber Häcker aus Eßlingen 204 Stimmen. Von 631 wahlberechtigten Bürgern haben 567, also gegen 90. Proz., von ihrem Rechte Gebrauch gemacht. Gemeinderat Ruoff erhielt 352 und Gemeinderat Bühler 351 Stimmen.

Bietigheim, 1. Juli. Die Heuernte hat in Folge der schönen Junitage einen raschen Verlauf gehabt; wenn auch die Menge des Futters ^u wünschen übrig ließ, so konnte man doch mjt der Güte desselben zufrieden sein. Die Weinberge bieten einen prächtigen Anblick dar. Die Reben sind gesund und kräftig, sie haben schön gewachsene Zweige, viele Trauben und sind dicht belaubt. Die Traubenblüte, welche mit dem Erscheinen der ersten Rosen Md der Entfaltung der Frühkartoffelblüte begann, wurde durch ein herrliches Wetter begünstigt und war in den letzten Tagen des Juni beendigt. Der Fruchtansatz ist ein reicher. Die Halmfrüchte haben ebenfalls erfreuliche Fortschritte gemacht, auch der Stand der Kartoffelfelder ist ein schöner. Das Obst wächst stattlich heran, doch gibt es viel mehr Birnen als Aepfel. Einige Gewitterregen haben den Pflanzen Erfrischung gebracht und nach der drückenden Hitze eine angenehme Abkühlung herbeigeführt.

Von der Tauber, 1. Juli. Gestern Nachmittag 2 Uhr ging in

Ansbach und Umgegend ein furchtbares Hagelwetter nieder. Das­selbe richtete an Häusern, Bäumen rc. großen Schaden an und vernichtete den größten Teil der Ernte.

Aalen, 1. Juli. Gestern nachmittag zogen sich von verschiedenen Seiten her schwere Hochgewitter über unserer Stadt zusammen. Sie lösten sich unter Donner und Blitz in einen reichlichen, hochwillkommenen Regen, ohne irgend welchen Schaden auf. Anders, wie man schon von hier aus beobachten konnte, in Unterkochen. Dort brach ein mit wolkenbruch­artigem Regen verbundenes Hagelwetter herein, so daß der Hagel haufen­weise zusammengeschwemmt wurde und die dem Aalbuch zugelegenen Berge noch nach einigen Stunden wie eingeschneit aussahen. Bei der vollkommenen Windstille dürfte jedoch der angerichtete Schaden von keiner besonderen Be­deutung sein.

Friedrichshafen, 1. Juli. Ihre Majestät die Königin ist mit den Herzoginnen Elsa und Olga heute mittag 12-/s Uhr mittelst Sonderzugs von Cannstatt aus hier eingetroffen und von Seiner Majestät dem König auf dem Bahnhof empfangen worden. Bei der Einfahrt des Znqes in die Holle ertönten Böllerschüsse und erklangen die Glocken der Stadt, aucy hatten sich daselbst die Beamten der bürgerlichen Kollegien und Vereine der Stadt zur feierlichen Begrüßung der Königin eingefunden, worauf beide Majestäten mit den Herzoginnen unter dem Hochrufen der versammelten Menge zum K. Schlöffe fuhren.

Frankfurt a. M., 1. Juli. Lieske, der Mörder des Polizeirats Rumpfs hier, zum Tode verurteilt. Nach 3tägiger Verhandlung wurde der Wahrspruch der Geschworenen, der Lieske mit mehr als 7 Stimmen des Mordes des Polizeirat Rumpfs schuldig erklärt, verkündet. Wenn bisher noch die Meinungen über seine Schuld geteilt waren, so hat die aufregende Scene, welche sich bei Verkündigung des Urteils im Gerichtssaal abspielte, allen Zweifeln ein Ende gemacht. Als Lieske wieder in den Gerichtssaal eingeführt und durch den Gerichtsschreiber das Verdikt der Geschworenen verlesen, auch der Staatsanwalt den Antrag auf Todesstrafe gestellt hatte, sprang Lieske, seine bisherige erzwungene Fassung vollständig verlierend, mit gleichen Füßen mehrmals kräftig von seinem Platze gleich einem wilden Tier in die Höhe, so daß der Fußboden zitterte, stieß einige unartikulierte Laute aus, aus welchen dann einzelne Worte verständlich heraus­klangen :Eure Bluturteile werden ein Ende nehmen! Ist mir etwas be­wiesen?" (damit schlug er mit geballten Fäusten auf die Barriere vor ihm), dann schrie er dem Staatsanwalt entgegen:Das war das letzte Bluturteil, welches Sie gefällt hoben." Die ry-.hu^ndv Ansprache, welche der Präsident inzwischen an Lieske gerichtet hatte« blieb vollständig wirkungslos. Lieske sank dann auf seinen Sitz, während der Gerichtshof sich zur Urteilsfassung zurückzog. Das Gesicht Lieske's, das vorher blutrot gewesen, nahm nach und nach eine leichenähnliche Farbe an, und die gespannten Züge wurden vollständig schlaff. Das Publikum, das Kopf an Kopf gedrängt den Zuhörer­raum füllte, war während dieser Vorgänge in eine unbeschreibliche Aufregung geraten, die, nachdem der Gerichtshof sich zurückgezogen hatte, sich durch laute Rufe und Gestikulationen äußerte. Nach kurzer Beratung erschien der Ge­richtshof wieder und sprach auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen das Todesurteil über Lieske mit den üblichen Nebenstrafen aus. Lieske wurde sodann rasch abgeführt; im Hinausgehen lachte er laut auf, hob die Arme in die Höhe, klatschte mehrmals kräftig in die Hände und schrie:Ha, ha, ha Rumpfs ist kaput!" Dann wurde er ins Jnculpatenzimmer ge­führt, wo er die zahlreiche Wachmannschaft wild höhnte und beleidigte und ihnen u. a. zurief:Ihr kommt noch alle an die Reihe." Kurz darauf wurde Lieske mit gefesselten Händen unter starker Bedeckung in die Droschke gebracht, die, umgeben von reitenoen Schutzleuten, nach dem Gefängnis da­vonfuhr.

Feuilleton.

Im Abgründe.

Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des Romans:Ein Vampy r.-)

(Fortsetzung.)

Sie urteilen, daß ich Mut habe, Herr; Sie besitzen denselben mindestens eben so groß, da Sie wagen, so zu mir zu sprechen. Aber ich liebe den Mann, der vor der Gefahr nicht zittert, und das sei Ihre Entschuldigung. Sie können Ihres Weges ziehen; bis Bilbao ist nun die Straße frei."

Etliche Mann schleppten mühsam in diesem Augenblicke die Eisenküste vor Torreguy.

Was ist mein Lösegeld", sagte Don Balthasar mit einem erstickten Seufzer.Es ist säst eine Million in Banknoten und Dublonen darin."

Eine Million!" wiederholten mit wilder, froher Gier die Räuber ein­stimmig.

Jawohl; aber", fuhr der Banquier fort, indem er scharf dem Bandi­tenhauptmann ins Gesicht schaute,ich wollte gern mein Bedauern über diesen Verlust unterdrücken, wenn ich wüßte, daß ich um diesen Preis auch nur einen einzigen von Euch wieder zum ehrlichen Menschen machen könnte; leider be­fürchte ich, daß das unmöglich ist. Adieu, Ihr Herren!"

Damit wandte er den Banditen den Rücken, stieg in den Wagen und gab dem Postillon den Befehl, seine Fahrt fortzusetzen. Unmittelbar darauf entließ Torreguy seine Bande, indem er sie am folgenden Mittag zur Begeg­nung am gewohnten Orte beschied.

Zwar war die Nacht sternenhell, aber im Gebirge herrschte solches Dunkel, daß die vollkommenste Ortskennntnis dazu gehörte, einen Weg zwischen den Felsen und Abhängen zu entdecken. Für Torreguy hatten die Pyrenäen keine Geheimnisse und keine Gefahren; er hatte bald den Raub in sicherem Versteck untergebracht, und nahm, nachdem er sich umaekleidet, den Weg zum Thals von Ossone. Eine seltsame Veränderung war mit ihm vorgegangen, seit er allein war; so entschlossen, so tollkühn er vorher im Kampfe und inmitten seiner Bande

sich gezeigt, so mutlos war der Ausdruck seiner Menen jetzt. Sein Kopf, tief auf die Brust herabgebeugt, schien unter der Wucht und Grausamkeit der Gedanken zu erliegen, die sein Gewissen bestürmte. So, schritt er, kaum seines Weges achtend, tiefsinnig vorwärts und betrat einen engen gefahrvollen Bergpfad, der oberhalb des Thales von Gavarnie einherlief und den Weg in dieses Thal beträchtlich abkürzte. Bald befand er sich in demselben und wandte sich nach der Hütte des Biaritz. Vor der Thüre der kleinen Behau­sung angelangt, zauderte er plötzlich. Ein seltsames Gefühl der Angst und Unruhe befiel ihn. In seinen beklemmenden Gedanken bemerkte er es nicht, wie in der Nähe eine menschliche Gestalt am Boden kauerte und ihn beobach­tete ; es war der Führer, der den Grafen Villefleur und Lucienne zum Ossone« thale begleitet hatte und von diesen zur Erspähung des Banditen ausgesandt worden war. Sobald Torreguy in das Häuschen eingetreten war, erhob der Lauscher sich und trat eilig den Rückweg zu dem Lagerplatze Leo's an.

Beim Eintritt des Banditensührers flog Therese demselben mit dem freudigen Ruf:Mein Vater!" entgegen. Jnigo Torreguy war Baltimore. Mit schmerzzerfressener Seele preßte der Unselige sein Kind an seine Brust Md murmelte anastvoll:

Gott im Himmel, behüte, daß ich nicht vor ihr zu erröten brauche."

Er trat zu seiner Frau, die in die leere'Ferne starrte, küßte sie auf die Stirn und seufzte:

Sie wenigstens wird niemals erfahren, in welche Tiefe ich gesunken bin. Armes Weib ! Glückseliger Wahnsinn!"

Auf dem Tische stand da» Abendbrot fertig, und Therese setzte die Stühle ihrer Eltern nebeneinander. Nach dem Mahle, das schnell beendet war, setzten alle drei sich vor das. flackernde Kaminfeuer. Baltimore war noch immer in Gedanken versunken; seine Frau hing ihren wirren Phantasien nach; auf Theresens Lippen spielte ein glückliches Lächeln der Erinnerung. Mehrmals hatte sie schon versucht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, um ihren überquellenden Gefühlen Raum zu geben, aber alle diese Versuche waren re­sultatlos geblieben.