— Zum Prozeß Lieske. Als Lieske am Samstag Abend aus dem Leinwandhaus, wo der Schwurgerichtshof tagt, per Drotschke nach dem Gefängnis zurückgebracht wurde, schaute er aufmerksam nach der linken Seite, als wolle er Jemand suchen. Kaum hatte sich die Drotschke in Bewegung gesetzt, als ein Jndividium seinen Hut emporhielt und mehrmals „Hoch" rief. Der Mann wurde sofort von einem Schutzmann verhaftet und ins Gefängnis abgefühct. Lieske wurde von und nach dem Klapperfeld, wo das Gefängnis liegt, in einer geschlossenen Drotschke in Begleitung der beiden Gefangenenwärter und von Schutzleuten transportiert, während reitende Schutzleute den Wagen umgeben.
Berlin, 29. Juni. 1000 fremde Maurer sind hier eingetroffen und werden hauptsächlich beim Reichstagsbau beschäftigt werden.
Berlin, 30. Juni. Ein Wolkenbruch verwüstete gestern nachmittag den hiesigen botanischen Garten derart, daß derselbe für einige Zeit geschloffen werden muß. Alle im Freien stehenden exotischen Pflanzen wurden vernichtet oder beschädigt; hundertjährige Bäume wurden gefällt. Abends wurden im Tiergarten zwei Männer, die sich unter einen Baum geflüchtet hatten, von einem Blitzschläge getötet.
Hamburg, 27. Juni. „West-Afrika. Behufs Uebersiedelung nach Kamerun durch Wörmanns Dampferlinie werden von einem ersten Exporthaus Handwerker, junge Kaufleute und Kapitalisten gesucht. Näheres durch Edward Millers, Hamburg." So lautete eine Annonce, welche im April d. I. in etwa 50 ersten Zeitungen Deutschlands erlaffen worden war und auf welche mehr als 1000 Briefe aus allen Teilen Deutschlands eingegangen waren, von Leuten, welche nähere Auskunft von dem Inserenten Millers verlangten und bereit waren, Geld in größeren oder kleineren Beträgen an das angekündigte Projekt zu wenden. Der Inserent war ein bereits wegen Bankrotts und Unterschlagung bestrafter ehemaliger Kaufmann und jetziger Schreiber (Willert), der in einer Nebenstraße Hamburgs ein kleines Logis bezogen hatte und dessen gute Absicht auf das Vermögen der ihm vertrauenden Afrika-Reflektanten nur durch den Umstand vereitelt worden ist, daß ein hiesiger Agent Millers, von vielen Freunden wegen der Annonce befragt, sich, zunächst an Wörmann, dann auf dessen Veranlassung an unsere Polizeibehörde wandte. Der Inserent wurde vernommen, es stellte sich heraus, daß er keinerlei Verbindung mit Wörmann und keine Anstalten getroffen hatte, im Sinne der erlassenen Annonce irgend etwas zu thun. Vor dem Schöffengericht sagte der als Sachverständiger vernommene Reichstagsabgeordnete Wörmann aus, daß er das ganze Vorgehen nur als ein schwindelhaftes Unternehmen bezeichnen könne, welches darauf berechnet sei, den sich Meldenden Geld aus der Tasche zu ziehen. Das Gericht verurteilte Willert wegen Betrugs zu 6 Monaten Gefängnisstrafe und ordnete die sofortige Verhaftung des Mannes an.
— Der A s s i s e n h o f zu Par i s verurteilte Marchandon den Mörder der Frau Cornet, bei welcher er in der Absicht, sie zu bestehlen, als Kammerdiener eingetreten war, zum Tode.
Madrid, 27. Juni. Gestern kamen hier 4 Erkrankungen und 1 Todesfall an Cholera vor; aus Murcia (Provinz) werden 254 Erkrankungen und 121 Todesfälle, aus der Provinz Castellon 106 Erkrankungen und 46 Todesfälle; aus den Städten von Valencia 56 Erkrankungen urü> 10 Todesfälle und aus der Provinz Toledo 24 Erkrankungen und 10 Todesfälle gemeldet; auch in Ciempozuelas, Aranjuez und Alicante kamen einige Fälle vor.
Madrid, 30. Juni. Gestern wurden in ganz Spanien 600 Choleratodesfälle gezählt, von denen 1 in Madrid, 34 in Aranjuez, 301 in der Provinz Valencia, 94 in Murcia, 43 in Saragossa.
„Wie bekümmert Du Heute ausschaust, Vater!" sagte sie; „fast so traurig wie die Mutter; fehlt Dir etwas?"
„Nein, Kind", erwiderte Baltimore abwehrend, „Du dagegen, Therese, Du scheinst heute glücklicher und zufriedener, als seit langer Zeit. Du bist ohne Zweifel sehr froh, daß wir endlich morgen diese öden menschenleeren Berge verlassen."
Er that sich Gewalt an, um seine Schwermut abzuschütteln. Therese errötete lebhaft, verbarg ihr Gesicht in ihr Taschentuch und erwiderte in schelmischem Tone:
„Nicht allzusehr, Vater."
Baltimore blickte sie erstaunt an.
„Ich glaubte, Du langweiltest Dich endlos in diesem traurig öden Thals von Gavarnie; wenigstens hast Du mir es oft genug gesagt."
„Das ist wahr, Vater, und ich sagte Dir dabei meine wirkliche Meinung; aber ich bekenne, daß ich jetzt nicht mehr auf die Pyrenäen böse bin. Ich finde sie — wunderbar schön."
... welches Wunder hat denn diese Bekehrung hervorgebracht. Wirklich ich bm neugierig."
l^en Augenblick schien Therese zögern zu wollen, dann sagte sie lächelnd: . ^rbchen Erdbeeren trägt die Schuld, köstliche Erdbeeren, wie Du soeben selbst erklärtest."
„Ich verstehe Dich nicht, Kind."
„Katharina war mit mir ins Offonethal gegangen, um Erdbeeren zu suchen, und bei dieser Gelegenheit fanden wir, wie durch ein Wunder-"
„Nun, rede."
„Dü mußt mich nicht schellen, Vater; — er ist ein so guter, rechtschaffener, junger Mann — und dann, ich bin ja auch nicht Schmd daran, sondern der Zufall, daß wir uns begegneten, und daß ich so glücklich bin."
„Aber mm spanne mich nicht auf die Folter, Therese! Wer?"
„Leo von Villefleur. —- Konntest Du es denn nicht erraten? Er liegt auf der Grenze in Garnison. Er liebt mich immer noch, und jetzt, da er
WerxnrifchLes.
— Schiller's Honorare. Die „Weimarische Zeitung" veröffentlicht einige wichtige Ziffern in Bezug auf Schiller's Einnahmen. Danach beträgt die Gesamtsumme, welche Schiller von seinem Verleger Cotta in Stut - gart erhielt, 30,000 Gulden während einer Arbeitszeit von elf Jahren. Man darf dabei nicht vergessen, daß der Gewinn, den der Buchhandel aus dem Verlage der Schiller'schen Werke gezogen haben wird, gegen Ende des vorigen und zu Anfang des 19. Jahrhunderts kaufmännisch noch nicht zu taxieren war, zumal da der Buchhändler jener Zeit seine besten Unternehmungen durch die Freibeuterei des Nachdrucks gelähmt sah. Ungleich größer ist die Summe, welche Cotta an die Witwe und an die Erben bezahlte. An Charlotte von Schiller wurden gezahlt 1812 für den Verlag sämtlicher Schriften auf sieben Jahre 10,000 Thaler, 1817 auf sechs Jahre 10,000 Thaler, 1825 weiter Honorar auf sechs Jahre wieder 10,000 Thaler. Nach Charlottens Tode forderte Ernst v. Schiller für Abtretung des neuen Verlagsrechts auf fünfundzwanzig Jahre 70,000 Thal-::; so viel seien ihm „von einem der ausgezeichnetsten Buchhändler Deutschlands" geboten worden; wenn Cotta binnen elf bis zwölf Tagen eine Annahme des Vorschlags nicht ausspreche, werde er mit dem „«meldeten Pieter abschließen." Cotta acceptierke. Demnach leistete er als finanzielles Aequiv-lent für den Verlag der Schiller'schen Werke im Ganzen die Summe von annähernd 390,000 M., einschließlich der Hälfte des Honorars von 8000 Thalern für die erste Auflage des Goethe-Schillei'- schen Briefwechsels.
— Knaben-Duell. Vor einiger Zeit hatten sich in Höchst ein 12- und zwei 13jährige Knaben Pistolen zu verschaffen gewußt, dieselben scharf geladen und dann aufeinander geschossen, wobei dem einen der Arm > nicht unbedeutend verletzt wurde. Der eine Knabe wurde zu drei, die beiden anderen zu je fünf Mark oder einem Tag Gefängnis verurteilt.
— In Breslau haben sich die Studenten des guten Geschmacks mit Erfolg angenommen. Sie praktizieren den Damen heimlich süßes Backwerk auf den bekannten künstlichen Höcker, je höher desto mehr Backwerk. Es nimmt sich äußerst komisch aus, wenn die Damen stolz erhobenen Hauptes auf den Straßen und Promenaden ohne eine Ahnung spazieren, was hinter ihrem Rücken geschehen ist. Manche lacht ihre Vorgängerin aus, trägt aber selber süße Last und begibt sich durch ihr Lachen des Rechtes, auf Todesstrafe der studentischen Uebelthäter anzutragen.
— Der Wohlthätigkeitsverein der Londoner Drotschkenkutscher gab kürzlich sein übliches Jazxceseffrn., .welchem viele Patts und Unterhaus- Mitglieder beiwohnten. Den Vorsitz führte Lord Hampden, der frühere Sprecher des Unterhauses, der in seiner mit dem Toast auf das Gedeihen deS Vereins verknüpften Ansprache der Ehrlichkeit der Londoner Droschkenkutscher ein glänzendes Zeugnis ausstellte. Im verflossenen Jahre wurden nicht weniger als 20,000 Artikel in Droschken zurückgelassen und von den Kutschern der Polizei übergeben. Unter diesen Artikeln befand sich ein Dio- mantendiadem im Werte von 140 Pfund Sterling und ein Kästchen mit Juwelen im Werte von 750 Pfund Sterling. Die Zahl der Drotschkenkutscher beträgt etwa 40,000.
Kgk. Standesamt Kak w.
Vom 26. Juni bis 2. Juli 1885.
Geborene.
28. Juni. Gustav Heinrich, S. d. Adolf Schmidt, Metzgers hier.
Gestorbene.
26. . August Schippert, Kaminfeger von Korb O.A. Waiblingen, 41 Jahre alt.
2. Juli. Christine Barbara geb. Bügel in, Ehefrau dcö Johannes Keck, Fabrik
arbeiters hier, 64 Jahre alt.
mich wiedergefunden, ist er entschlossen, alle Hindernisse gewaltsam hinweg zu räumen, die sich unserer Verbindung entgegenstellen. Er will uns nach Spanien folgen und Dich um meine Hand bitten."
Sie senkte den Kopf und fragte leise:
„Wirst Du sie ihm abschlagen, Vater?"
Baltimore hatte an nichts weniger gedacht, als an diese Ueberraschung. Anfangs war er zweifelhaft und unschlüssig, was er auf Theresens Frage antworten sollte. Ec befragte sie um die Einzelheiten ihrer Begegnung mit dem Offizier, und als er sich überzeugt hatte, daß zwischen den beiden jungen Leuten eine lebendige leidenschaftliche Liebe herrschte, erwiderte er endlich:
„Wenn Herr Leo von Villefleur uns nach Spanien folgen will, so sollst Du seine Frau werden, mein Kind.".
Therese erbebte vor Glückseligkeit und Thränen der Freude rollten über ihre geröteten Wangen herab.
„Wie gut Du bist", sagte sie, indem sie ihren Kopf auf seine Schulter lehnte; „wie glücklich Du mich machst!"
„Jawohl, Therese", erwiderte Baltimore, indem er sie liebkoste, und während eine ungekannte Rührung und Weichheit ihn beschlich, „ja, für Dein Glück gebe ich, wenn es sein muß, mein Alles, mein Leben, Dir und Deiner Mutter opfere ich meinen letzten Tropfen Blut. Darum höre, was ich Dir sage, um was ich Dich jetzt bitte, mein Kind: Was auch kommen mag in unserem Dasein, verkenne nie die Liebe, die Hingebung Deines Vaters! und wenn, was der Himmel verhüten wolle, ich je von Dir mich trennen müßte, oder ein Schicksalsschlag mir Glück und Reichtum zerstören sollte, sei niemals undankbar, höre nie auf, Deines Vaters Liebe zu erwidern!"
„Nie, nie, Vater!" antwortete Therese warm und umschlang Baltimores Hals mit ihren Armen. „Wie kannst Du auch daran zweifeln! Wozu diese Worte, Vater? Es drobt uns ja kein Unglück!"
„Ich weiß, Kind, aber ich habe kein Vertrauen zur Zukunft."
(Fortsetzung folgt.)