292
seinen Begleitern nicht mehr rechtzeitig zurückgehalten werden konnte; der Fahnder erfaßte ihn zwar noch, kam aber beinahe selbst noch unter den Zug. Dem Unglücklichen gingen die Wagenräder über die Stirn, so daß er alsbald tot war.
Eßlingen, 11 . Juni. Gegenwärtig wird der Gittersockel von dem ehemaligen Schwurgerichtsgebäude, in welchem seit einigen Jahren die Kanzleien des K. Amtsgerichts und des K. Kameralamts nebst Dienstwohnungen untergebracht sind, ausgebessert. Heute mittag fanden nun die Steinhauer in einem Steine eine blecherne Kapsel mit der Aufschrift 1705 und in der Kapsel zwei hübsche gerippte Weingläser. Der Fund rührt ohne Zweifel von dem Erbauer des Gebäudes her.
Heilbronn, 11 . Juni. Heute früh wurde in einer hiesigen Fabrik ein schweres Verbrechen verübt. Der 16 Jahre alte Ciseleurlehrling Richard Hiemann von hier versetzte einem andern Lehrling in der Fabrik, nachdem er ihn veranlaßt hatte, sich über eine Arbeit niederzubeugen, um sie genau zu besichtigen, mit einem unter der Kleidung versteckt gehaltenen Hammer mehrere Streiche auf den Hinterkopf und sodann in's Gesicht und hätte auf den besinnungslos Niedergestürzten noch länger losgeschlagen, wenn nicht auf besten Hilfegeschrei andere Arbeiter herbeigeeilt wären und ihn weggezogen und entwaffnet hätten. Seinen Aeußerungen nach der That ist zu entnehmen, daß er sich schon seit Wochen mit dem Entschlüsse trug, den Verletzten ums Leben zu bringen, gegen den er einen tätlichen Haß hege. Die gerichtliche Untersuchung wird weiteres Licht in die Sache bringen. Bis jetzt werden die Verletzungen für lebensgefährlich erklärt; namentlich ist der Unterkiefer vollständig zerschlagen und ebenso liegen Zersplitterungen an den Schädelknochen vor. Der Verletzte befindet sich im hiesigen Krankenhaus, der Thäter im Untersuchungsgefängnis.
K i r ch h e i m u. T., 12. Juni. Gestern Abend 72/4 Uhr brach in einem Scheunengebäude der Gaisgasse hier Feuer aus, welches mit rapider Schnelligkeit sich 5 weiteren Gebäuden mitteilte. Trotz des sofortigen energischen Eingreifens der Feuerwehren brannten im Ganzen 6 Gebäude, 2 Wohngebäude, worunter 1 Notgerberei, und 4 Scheunengebäude vollständig nieder. Ein Menschenleben ist nicht zu beklagen, dagegen ist der Immobilien- und Mobiliarschaden ein beträchtlicher. Der erstere beziffert sich auf rund 25 000 der letztere ist noch nicht ermittelt; von den Abgebrannten sind 2 Familien nicht versichert. Nur der rastlosen Thätigkeit der Feuerwehren ist es zu verdanken, uaß die in diesem Stadtteil hart aneinander gebauten weiteren Gebäude gerettet wurden.
Neckarsulm, 12. Juni. Samstag nachmittag 5 Uhr findet auf der hiesigen Schiffswerft der Stapellauf eines eisernen Schleppkahnes von 4000 Ztr. Tragfähigkeit statt. Es ist dies das dritte größere Schiff, welches in diesem Jahre die Werste verläßt und die Taufpathin ist Freifrau Pauline von Gemmingen-Hornberg. Sofort nach dem Stapellaus wird, wie wir hören, ein großes Rheinschiff von 65 Meter Länge und 15,000 Ztr. Tragkraft in Angriff genommen werden; dasselbe ist für den Niederrhein bestimmt. Es soll ganz aus Stahl unter Anwendung der neuesten und praktischen Erfahrungen erbaut werden.
Heidenheim, 11. Juni. Vor ca. 14 Tagen wurden einige Personen wegen Wilderei, die auch in der Schonzeit ausgeübt wurde, verhaftet. Die seither angestellten Nachforschungen haben nun ergeben, daß es eine ganze Bande ist, die schon seit mehreren Jahren in unseren Waldungen ihren Unfug treibt. Bis jetzt sind 5 Personen zur Haft gebracht, zwei weitere stehen in Untersuchung. Da die Wilddiebe auch in der Schonzeit ziemlich viel Wild erlegten und dies nach Ulm an einen dortigen Händler, wie an verschiedene Hotels rc. verkauft haben, so werden wohl auch die Abnehmer zur Rechenschaft gezogen werden. Die Verhafteten sind aus Oggenhausen, Giengen, Staufen und Zöschingen.
Ravensburg, 11. Juni. Die Züge um halb 1 und halb 5 Uhr haben schon eine Maste Fremde hiehergebracht, ebenso ist schon die weitaus größere Anzahl des zur Ausstellung gelangenden Viehs zugeführt, eine große Menge Auswärtiger und Hiesiger strömt zur Kuppelnau, deren Eingangspforte den Landwirten den Gruß entbietet:
„Der Grund und der Pfeiler in dem Land,
Das ist ein tüchtiger Bauernstand;
Er schafft ja zu aller Nutz und Frommen,
Ihr Bauern seid darum von Herzen willkommen."
Gegen die Kuppelnau grüßen die Worte:
„Daß dir fein alles und wohl gelinge,
Brauch' Hand und Kops bei jedem Dinge;
Denn nicht die Kraft thut es allein,
Auch der Verstand muß im Bunde sein."
Bessert sich die Witterung und wird der Himmel auch nur halbwegs dem Feste günstig, so ist in den nächsten Tagen auf großen Zufluß von Gästen sicher zu rechnen. N. Tagbl.
Aus Baden, 11. Juni. Im Lahrer Reichswaisenhaus befinden sich zur Zeit 11 Zöglinge; davon sind 6 aus Baden, 3 aus Sachsen, 1 aus Altenburg und 1 aus der Rheinprovinz. Mit Rücksicht auf die Lage des Hauses vor der Stadt und auf Grund der aus einer größeren Anzahl der bedeutendsten Waisenanstalten Deutschlands eingegangenen Gutachten werden nur Knaben ausgenommen; das nächste in Baden zu errichtende Waisenhaus soll dagegen eine Anstalt für Mädchen werden. Der Verband Stuttgart hat zum Einweihungsfest der Anstalt einen wertvollen Regulator, einen Barometer mit daran befindlichem Thermometer und ein prachtvolles Bild in Rahmen gestiftet. Für 1885 hat die Generalfechtschule 154,000 Mitgliedskarten ausgegeben, der selbstständige Verband Leipzig 16,520 und der Verband Chemnitz 6200 Karten. Der Fonds des ersten deutschen Reichswaisenhauses beträgt bis 1. Juni d. I. 192,836 14 H.
Aus Baden, 12. Juni. In Folge freiwilligen Geständnisses wurde gestern in Kehl der Schneidergeselle Friedrich Urff von Bockenheim bei Frankfurt wegen Kirchenraubs verhaftet. Derselbe hatte sich, wie der „B. Lztg." berichtet wird, in die Wallfahrtskirche zu Ottersweier, bei Bühl, eingeschlichen, daselbst das Tabernakel mit einem Messer gewaltsam geöffnet, von einem Kelche das goldene Kreuz abgebrochen und ferner das goldgestickte Schutzmäntelchen des Kelches entwendet, während ein bis jetzt unbekannter Handwerksbursche vor der Thüre während der Verübung der That Wache hielt. Beide Individuen zogen dann während der Nachtzeit weiter, wobei der Unbekannte seinen Reisekollegcn heimlicherweise verlassen hat. Gewissensbisse mögen den frechen Räuber znm freiwilligen Geständnis veranlaßt haben.
Madrid, 12. Juni. Gestern sind hier 4 Choleraerkrankungen und 1 Todesfall, am Mittwoch in der Stadt Murcia 28, in den übrigen Teilen der Provinz Murcia 32 Choleraerkrankungen vorgekommen. Der König und die Königin beschlossen, Madrid während der Epidemie nicht zu verlassen.
Madrid, 13. Juni. Gestern gab es hier zwei Choleratote.
Wevrnifchtes.
— Der Hildb. Dorfztg. schreibt man von Frankfurt: Glück und Unglück liegen bekanntlich oft nahe zusammen in demselben Menschenleben, aber selten am nämlichen Tage so unmittelbar neben einander, wie bei einem jungen Mann von hier. Derselbe erhielt am Vormittag die frohe Nachricht einer unerwarteten Erbschaft im Betrag von 10,000 aus Straßburg und am abend ertrank er beim Baden im Main. Auch ein reicher Rentner, welcher 2 Millionen besaß und 21/2 Millionen an Börsen-Differenzgeldern für Spekulationskäufe Ende Mai zu bezahlen hatte, verschwand im Main
Sie werden darum doch nicht stolz gegen mich sein! Geben Sie mir die Hand, daß ich Sie in ihr Zimmer führe!"
„Hier, führen Sie mich, wohin Sie wollen; ich folge Ihnen blindlings; versetzte Lucienne und erhob sich.
In ihrem geschnitzten Sessel aus altem Eichenholz, saß die Irre immer noch und beschäftigte sich mit ihren Blumen, die sie abwechselnd losband und zu einem neuen Strauße wand. Lucienne verneigte sich gegen sie, und jetzt erst schien die Unglückliche die Anwesenheit der Fremden zu gewahren. Sie sah sie an, ohne indessen irgendwelche Ueberraschung an den Tag zu legen und bot ihr den Blumenstrauß an. Aber sofort schien sie sich eines Andern zu besinnen, und indem sie sich an ihre Tochter wandte und deren Hand aus der Hand Luciennes löste, reichte sie Therese den Strauß mit den Worten:
„Nimm Du diese Blumen, Kind! Blos die Blumen haben schöne Seelen! Liebe nie etwas anderes, als Blumen, Therese!"
Dann setzte sie sich wieder in ihren Sessel und blickte unverwandt in die Flammen des Holzfeuers.
„Arme Mutter!" seufzte Therese und reichte im Hinausgehen Lucienne die Blumen. Katharina begleitete sie, um ihnen voranzuleuchten, und eine Viertelstunde später herrschte tiefe, friedliche Ruhe in der einsamen Behausung.
Früh am nächsten Morgen traten schon die beiden jungen Mädchen hinaus ins Freie. Die Sonne malte die .weißen Schneehäupter der Berge mit rosigem Lichte. Jetzt konnte Lucienne des Felsens Amphitheater von Gavarnie bewundern, das am vorgangenem Abend für sie in so schwarze Finsternis gehüllt gewesen war. In einem weiten Halbkreise erhebt sich eine senkrechte, dunkle Felsenwand von annähernd fünfzehnhundert Fuß, und oberhalb dieser riesigen, von der Natur gebauten Granitmauer liegen, wie eben so viele Stiegen einer unermeßlichen Treppe, sechs Terrassen, von ewigem Schnee und Eis bedeckt, die nach der einen Seite von den Kuppen von Franzonna beherrscht, und von den andern von mehreren gegen das Himmelsgewölbe anstrebenden turmartigen Pics überragt werden; und über all diesen gigantischen Monu
menten der Schöpfung erhebt der Daillons sein stolzes Haupt an die eintausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel, und blickt gleichsam als der Schirmer und Wachtposten des Gebirgs weit in das Land von Frankreich und in das von Spanien hinaus. Von einer der untern Granitterraffen stürzt einer der höchsten Wasserfälle der Welt herab; auf etwa zwei Fünfteln seiner Höhe begegnet er einem mächtigen vorstehenden Felsblock, von dem er in zornigem Aufbäumen wieder hoch emporfliegt, stürzt dann wie eine milchige Wolke von Neuem weiter hinab und wälzt tief unten seine in Dampf und Milliarden von unfaßbaren Perlen zerstiebenden Wassermassen in rasender Jagd das stark abneigende Bett hinab, das er mit unwiderstehlicher Gewalt sich durch den granitnen Boden gewühlt. Lucienne fühlte sich überwältigt von der Großartigkeit des Ortes, und in ihre Bewunderung mischte sich Entsetzen über all die Gefahren der Gegend, die sie in der vergangenen Nacht auf ihrem Irrwege so unversehens und so glücklich vermieden hatte.
„Das ist in der That der herrlichste und der wunderbarste Erdenfleck, den man finden könnte", sagte sie, „aber wie mögen Ihre Eltern mit Ihnen solch schaudervolle Gegend bewohnen, Therese?"
Setzen wir uns zunächst einmal auf diese Moosbank, die die Sonne schon getrocknet hat", versetzte Therese und zog ihre neue Freundin gegen den Rand eines kleinen Baches, der sich von dem großen Gießbache abgezweigt hatte, und gerade an der bezeichneten Moosbank einen etwas mehr als mannshohen Fall that. „Von hier aus haben wir den schönsten Ausblick auf das Amphitheater, und die Zeit wird Ihnen beim Beschauen weniger lang, wenn ich Ihnen Ihre Frage beantworte; lang ist freilich meine Erzählung nicht", setzte sie lächelnd hinzu, während sie Seite an Seite nebeneinander auf dem Moossitze Platz nahmen. Therese erzählte, daß Sie bis vor wenig Tagen mit ihrer Mutter in Paris gewohnt habe, daß aber ihr Vater, der seiner Geschäfte wegen sich mehr in Spanien als in Frankreich aufhalten müsse, sie nun nach Pampeluna habe führen wollen, woselbst seine Geschäftsniederlage sich befinde, und wo sie künftig wohnen würden. Auf der Durchreise durch