die Diphtherie in den meisten Fällen durch direkte Uebertragung der Keime, welche die Krankheit verursachen, vor sich geht, bedenkt man ferner, daß es kein besseres Mittel, um den Krankheitsstofs zu übertragen, gibt, als das Küsten, und daß endlich das Küssen bei allen Gelegenheiten Sitte geworden ist, so ist es sicher nicht auffallend, daß diese Krankheit so leicht epidemisch wird. Selbst-- verständlich ist es Unsinn, alle Diphtherieansteckungen aufs Küssen schieben zu wollen — denn da sprechen noch andere Faklore mit —, aber es sieht gewiß Jeder ein, daß eS den Kleinen besser bekommen würde, wenn sie weniger geküßt würden.
Der alte Schäfer Th ow as bat sich unterstanden, in seiner „Prophezeiung für das Jahr 1876" den Untergang der östreichi- schen Monarchie in diesem Jahre in Aussicht zu stellen. Dies konnte man sich in Wien natürlich nicht ruhig gefallen lasten und die hochverräterische „Prophezeiung" ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft weggenommen und mit dem Einfuhrverbote belegt woroen.
Agr.am, 17. Mai. Die Ueberschwemmungsgefahr ist für Agram geschwunden, dagegen wird aus Sissek gemeldet: Die Dämme sind durchbrochen; viele Bewohner retten ihren Biehstand und ihre Habseligkeiten in die Militärgrenze.
Nom, 13. Mai. Heute tritt der Papst sein 83. Lebensjahr an.
In Catania ist der Domherr Bacarra als Fälscher von Banknoten und Stempelpapieren verhaftet worden. Man fand in seiner Wohnung nicht weniger als 5'/» Kilogramm falscher Banknoten und Stempel und sehr böse Briefe.
Nach offiziellen Berichten hat gestern früh in Salo nicht das Begrädniß des ermordeten deutschen und des französischen Konsuls stattgefundeu. Der Akt war auf das Feierlichste in Szene gefetzt. Die Begleitung der Leichen bestand nicht nur aus den höchsten türkischen Behörden, sondern auch aus den angesehensten Personen aller in Salonichi vertretenen Nationen. Die im Hafen stationirten Kriegsschiffe hatten Deputationen entsendet und halbmast geflaggt. Die ursprünglich beabsichtigt gewesene Truppenausschiffung hat nicht stattgefunden, da sich die Bevölkerung ruhig verhielt. (B. T )
Salonichi? Kommt vielen Lesern, auch solchen, die sich nie viel um die Türkei bekümmert haben, der Name nicht so bekannt vor? Wir wollen ihnen auf die Sprünge Helsen. Das sind dieselben Leine, an die seiner Zeit der Apostel Paulus zwei Briefe an die Tessalonicher geschrieben hat, an die erste Christengemeinde, die er selber gegründet hatte. Aus seinen Schilderungen erkennt mau die Leute noch heute wieder. Die Thessalonicher kamen gleich nach den Kretern, die er faule, böse Bäuche nennt, sie waren faul, falsch, abergläubisch und thaten nichts lieber als auf die persönliche Wiederkunft Christi hoffen uud harren; denn damit sollte das 1000jährige Reich, das goldene Zeitalter anfangen, da man gar nichts mehr zu ihun brauchte. Der eifrige Apostel liest ihnen in beiden Briefen in aller christlichen Liede tüchtig den Text und hatte auch persönlich Grund dazu; denn wäre er seiner Zeit nicht bei Nacht und Nebel aus Thestalonich entwichen, so wäre es ihm ergangen wie dem deutschen und französischen Consul. Die Leutchen dort sind also alte gute Bekannte und wir wollen abwarten, was für Briefe die Diplomaten au die Thessalonicher schreiben.
Die Aufregung in dem türkischen Reiche ist deshalb so groß .weil die orientalische Frage ueuestens — was übrigens mit dem Akuterwerden der Frage nothwendig kommen mußte — ein religiös fanaüjch-s Gesicht zeigt und es gilt dies von den Christen im Orient fast noch mehr als von den Osmanen. In Bulgarien namentlich trägt der Ausstand den Charakter als Religionskrieg. Dort ist das Gerücht verbreitet, daß die Derwische aus Konstantinopel ausgezogen seien, um in den Provinzen den heiligen Krieg zur Rettung des Glaubens zu predigen. So sind die Befürchtungen der Europäer in den türkischen Städten keineswegs grundlos.
Wenn es noch dazu kommen sollte, daß von den Mächten das freundliche Ersuchen an den Sultan gerichtet würde, sich außerhalb Europas aufzuhalten, wo es ihm beliebt, so ist freilich nicht zu übersehen, daß er sich im Besitze eines wunderthätigen Reliquievschatzes befindet, dessen furchtbare Macht gegen seine Gegner zu Hilfe gerufen werden würde. Das Hauptstück ist jedenfalls die berühmte Fahne des Propheten, dann kommt ein Mantel, der Bart, ein Vorderzahn desselben und endlich ein viereckiger Kalkstein, ans den Mnhammed den Fuß stellte, als er mithalf, die Kaaba in Mekka erbauen, und der noch heute den Eindruck trägt, den der Fuß damals gemacht, hat. Was nun dis Fahne anbelangt, so diente dieselbe einst als Thürvorhang im Gemache der Ajefcha, der Lieblingsgattin des Propheten. Sie ist von Farbe schwarz und wurde 1825 zum letzten Mal entfaltet, als der Vater des jetzigen Sultans, Mamud H., die Bewohner seiner Residenzstadt anfsorderte, die widerspenstigen Janitscharen niederznfäbeln. Der Mantel des Propheten ist ein gewöhnlicher, schwarzer, arabischer Mantel, der jährlich einmal in einer Moschee ausgestellt wird, damit ihn die Gläubigen, dar- MMHsr^dsri.Pqdischa.selbst, küssen können. Der Bart des Pro- rjpßet^chhfftbMe ÄänMS0nL,'Z^A,-uMzst;^v2n,^^fz;aMr^arbe. ^
Der Zahn wurde dem Propheten in einer Schlacht ausgeschlagen und von einem seiner Streitgenossen gefunden. Der Stein endlich ist von weißer Farbe und hat die Form eines Quadrates. Wer an der Aechlheit dieser Reliquien zweifelt, ist ein Ungläubiger und wird sich nach muselmännischen Anschauungen nie ay dem Anblicke des Paradieses weiden. Alles gerade so wie bei uns!
Der Ammeifter von StraHburg.
(Fortsetzung.)
„Tausend Stockprügel meint Ihr wohl," brummte er dann, „der wälsche König schüttelt das Geld nicht aus dem Aermel. Uebrigens ist ein Hundeleben anjetzo hier in Straßburg," setzte er zornig hinzu, „immerdar auf Wache ziehen und dabei Steuern und immer wieder Steuern, das halte der Kuckuk aus, ich hab's fall. Früher durfte man noch selber an der Befestigung Mitarbeiten, nun aber muß man schon lange Frohngeld zahlen und hat doch selber keinen Verdienst mehr."
„Na, so lange der Gevatler Schwertfeger noch aukreidet, mag's schon gehen," lachte der Schreiber, „und die Zukunft soll uns nicht kümmern; mir gleich, ob ein Magistrat mit einem Ammeister oder ein König regiert, wenn ich nur lustig leben kann. Kommt, Meister Veil l stoßt mit mir an auf ein lustiges Leben !"
„Mil leerem Ktug?" brummte der Schuhmacher.
„Heda, Meister Schwerifeger! Wein her! Füllt mir des Meister Veil's Krug bis zum Rande, — schreibt's aus mein Schuldenregister. Pah, nur nicht den Kopf hängen lassen, auf Rcgen folgt Sonnenschein, besser französisch erwerben, als deutsch verderben. Die großmächtigen Herren vom Rath haben gut kom- mandiren, sitzen noch immer im Vollen und taffen Andere arbeiten ; möcht' auch wohl Rathsherr oder gar Ammeister sein, glaub's wohl, daß es den Herren nicht mundet, ihre Macht dahinzugeben
— aber wenn man die Bürger fragen wollte?"
„O, die würden es noch immer in der großen Mehrzahl mit dem Raihe halten und ihre Freiheit nicht um ein Linsengericht verkaufen," fiel Veit hartnäckig ein. „Denkt nur an damals — eS war, glaub' ich, Anno 73 oder 74 — als der Franzose die andern Städte im Elsaß verbrannte und die angesehensten Bürger der Stadt an der Befestigung der Bollwerke selber arbeiteten, das lhäteu sie noch heute, glaubt es mir."
„Gewiß thäten sie's, weil sie noch immer viel zu verlieren haben," nickte der Schreiber triumphirend, „fragt aber nur die Armen, welche nichts verdienen und den letzten Groschen für Steuern hingebe» müssen; fragt diese, Meister Veit, sie werde» Euch die rechte Antwort geben. Was sperren wir uns länger gegen die Gewalt? Pah, hab's gleich gesagt, als der König uns einen Residenten, der ihm nun über Alles berichten kann, hierhersetzte,
— was sagte ich damals? — Nun ijt's gut, Kinder, sagte ich, der Bock ist zum Gärtner bestellt, was bauen wir noch Kohl?
— Aber wir müssen nach wie vor auf Wache ziehen und in Furcht
und Sorgen leben, während wir doch eigentlich schon lauge französisch sind." '
„Wir haben aber auch einen L-traßburger Residenten an des Königs Hofe," bedeutete ihm der Schuhmacher.
„Das ist's ja gerade, — da liegt ja eben der Hase im Pfeffer," eiserte der Schreiber, „über uns ist kein deutscher Kaiser mehr, der sonst ein solches Recht allein besitzen durfte; der listige Franzose hat Straßburg zu einer großen Macht erhoben und unserer Stadt immer geschmeichelt. Schon vor 150 Jahren hatte er ein Auge auf uns geworfen und den wohlweisen Rath bei einem Kriege gegen Deutschland um Neutralität gebeten, ja, demselben sogar ein Schiedsrichteraml angetragen. Damit wollte der listige Wälsche uns von Deutschland abwendig und unter einander uneins machen, und Ihr kennt doch das Wort der Schrift, daß nicht einmal die Hölle bestehen kann, wenn sie uneins ist."
„Wie der Schreiber doch gelehrt zu reden versteht," meinte der lange Tobias staunend, „woher Ihr dies mir Alles habt?"
„Das erfordert mein Amt," warf sich jener stolz in die Brust, „da kommt mir so manche alte Schrift unter die Hände, weiche ich mir fein säuberlich hinter's Ohr schreibe. Also um wieder zur Sache zu kommen, die Geschichte mit dem Residenten bedeutet hinwiederum nur einzig, daß wir so gut wie französisch sind und dem König nur in Gottes Namen die Stadt übergeben könnten, ans daß wir einmal wieder zu Alhem kommen und Geld sehen werden."
„Papperlapapp!" rief der lange Tobias, „so redet kein deutscher Bürger; wir Soldaten haben in erster Reihe mit dem Franzmann zu sprechen und fürchten uns nicht vor dem Prahlhans. Nun aber ein Ende damit, wie's kommt, so kommt's doch ohne unser Znthnn; laßt uns weiter spielen."
Die Soldaten würfelten von Neuem. Der Schreiber zog sich mit dem Schuhmacher an einen andern Tisch zurück, wo noch sieben bis acht Bürger saßen.
„Ihr habt da ein wahres Wort geredet, Herr Schreiber," bemerkte der eine, seines Zeichens ein Weber, mit leiser Stimme, „die Zeit ist so schlecht, so traurig, daß man lieber heut' als morgen ein Ende damit machen möchte. Ringsherum ist Alles