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Hlcrges-Weirigkeiten.
Stuttgart, 12. Mai. (Vom Stuttgarter Musik fest.) Die Vorbereitungen für das auf 17.—19. Juni projektierte Musikfest sind nunmehr bis in die Einzelheiten getroffen, das Erscheinen der Mitwirkenden, insbesondere auch der auswärtigen Gäste ist gesichert und man darf mit Zuversicht einer Reihe von genußreichen musikalischen Festabenden entgegensetzen. Wie bekannt, ist das Unternehmen eine Veranstaltung des Vereins zur Förderung der Kunst, welcher über seinen Bestrebungen für die Verschönerung der württembergischen Hauptstadt durch Werke der Plastik und Malerei nicht vergißt, daß der Ruf Stuttgarts als einer Stätte der Kunst bisher sich in erster Linie nach der musikalischen Seite hin bewährt hat. So reich und mannigfaltig aber unser musikalisches Kunstleben ist, so ist doch die Veranstaltung eines Musikfestes für Stuttgart wenigstens für die jetzige Generation eine Neuheit. — Im allgemeinen schließt sich das hiesige Fest den Vorbildern der berühmten und vielbesuchten rheinischen Musikfeste an; es teilt sich in drei Abende, deren erster der Monstre-Aufführung des Händel'- schen Oratoriums Samson, die beiden andern einem nach historischen Gesichtspunkten angeordneten Konzertprogramm gewidmet sein werden, wobei die ganze Reihe unsrer großen Tonmeister von Bach und Gluck bis herab zu Wagner, Liszt und Brahms in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit durch Vokal- und Jnstrumentalvorträge in Solo und Ensemble an den Hörern vorüberziehen wird. Wie bereits bekannt, werden alle unsre musikalischen Kräfte bei dem Feste Zusammenwirken, das Hoftheater insbesondere wird in den letzten Aufführungen der Saison, an deren Ende sich unmittelbar das Musikfest an- schließt, eine Art von einleitender Feier zu demselben veranstalten, indem es den Gluckschen Orpheus mit dem auch beim Musikfest in hervorragender Weise mitwirkenden berühmten Gaste, Frau Rosa Papier (Frau vr. Paumgartnsr) vom Wiener Hofoperntheater in der Titelrolle zur Aufführung bringen wird. Neben der genannten Künstlerin, welcher der Ruf einer großartigen Gesangkunst und einer beispiellosen Vielseitigkeit vorangeht, wird man in Stuttgart bei Gelegenheit des Festes auch den Tenoristen Gudehus, einen der ersten Wagnersänger, erstmals kennen lernen. Verspricht so das Fest in künstlerischer Beziehung seltene Genüsse, so ist anderseits das Konnte bemüht, demselben auch nach der geselligen Seite hin alle Anziehungskraft zu verleihen. Es wird Alles geschehen, um dem Feste einen heiteren, fröhlichen Anstrich zu geben und ihm den Charakter des Schweren und Anstrengenden, der ähnlichen Veranstaltungen oft anhaftet, völlig zu benehmen.
Bodels Hausen, 11. Mai. Heute nacht hat der 34 Jahre alte Weber Bernhardt Rill von hier, wohnhaft in der Parzelle Oberhansen seine Mutter und seine 5 Kinder ermordet und hierauf sein Haus angezündet. Allen hat er mit einem scharfen Beile den Kopf gespalten. Das älteste Mädchen befand sich bei Verwandten in Bodelshausen, wo er das arglose Kind um die Mitternachtsstunde abholte und auf dem eine Viertelstunde betragenden Weg nach Oberhausen (seinem Wohnort) mordete. Eine groß? Blutlache auf dem einsamen Feldweg bezeichnet die Stelle der grausigen That. Nach Mitternacht begab er sich in das Haus seines Schwiegervaters, gegen welchen er längst gehässige Gesinnungen hegte, schlug mit einer Axt die Hausthüre ein, und richtete im ganzen Hause zahlreiche weitere Zerstörungen an. Ein Versuch, seine Schwiegereltern mit der Axt anzugreifen, wurde durch das Dazwischenkommen des mit einer Flinte bewaffneten Sohnes vereitelt. Indessen wurde seine Schwiegermutter verwundet. Ueber die Veranlassung und Beweggründe dieser wahrhaft bestialischen Vorfälle verlautet nichts Näheres im Publikum. Bernhardt Nill verließ vor 2 Jahren heimlich seine Heimatsgemeinde, um nach Amerika zu reisen, und überließ die Fürsorge für Weib und Kind der ohne-
Während Baltimore sich aus dem gräflichen Hause nach der Wohnung Jsmaels begab, hatte zwischen Graf Villefleur und seinem Sohne Leo eine äußerst stürmische Scene siattgefunden. Gereizt durch den Widerstand, den so plötzlich von allen Seiten seine Autorität fand, und entschlossen, mit Gewalt das Hindernis zu brechen, wenn er es nicht gütlich beseitigen könnte, das sich so unerwartet seinen Plänen und Berechnungen entgegentürmte, hatte der alte Graf seinein Sohne auf das Entschiedenste erklärt, daß er nicht nur niemals seine Einwilligung zu der unwürdigen Heirat geben würde, die Leo gewagt hatte, ihm vorzuschlagen, sondern daß er darauf bestehe, daß sein Sohn der Gatte Luciennes würde, ehe er in seine Garnison zurückkehrte. Anfänglich hatte Leo gegen die Tyrannei dieses Verlangens mit Mäßigung protestiert; nachher aber, als er sah, daß es vergebliches Beginnen sei, den Vater umstimmen zu wollen, hatte er sich offen gegen den väterlichen Willen aufgelehnt und hatte schließlich erklärt, daß er niemals, niemals in seinem Leben Lucienne zu seiner Frau nehmen werde, daß er, um ferneren Anträgen dieser Art aus dem Wege zu gehen, auch nicht länger mehr in Paris bleiben, sondern ohne das Ende seines Urlaubes abzuwarten, unverzüglich zu seinem Regiments zurückkehren würde. Damit hatte er das Haus verlassen, in welchem der Graf halb betäubt vor Entrüstung über ein solches Benehmen allein blieb; allmählich lebte jedoch dieser stets gleichmäßig leichtsinnige Mensch wieder in der Hoffnung auf. daß sein Sohn, der sich bisher stets so voller Achtung und Ehrerbietung gegen ihn gezeigt, zur Besinnung kommen und reuig zu ihm zurückkehren werde. Seiner Gewohnheit gemäß verließ er daher bald gleichfalls seine Wohnung, und inmitten der Zerstreuungen, die er überall suchte und fand, hatte er schnell die aufregenden Erlebnisse des Morgens vergessen. Jedoch erwartete ihn bei seiner Heimkunft zum Diner eine neue Enttäuschung; die Gräfin kam ihm in Luciennes Gesellschaft entgegen und empfing ihn mit der Frage:
„Weißt Du auch schon, daß Leo soeben gezwungen wurde, Paris unverzüglich zu verlassen und nach seiner Garnison abzureisen?"
„Der Graf halt» große Mühe, seine Fassung zu bewahren; aber seine Geistesgegenwart ließ ihn nicht im Stiche, und er antwortete:
„Ich wußte allerdings, daß er das Ende seines Urlaubs nicht würde
hin nicht wohlhabenden Gemeinde. Kurze Zeit nachher verfiel seine Frau in Irrsinn und wurde in die Heilanstalt Winnenthal verbracht, wo sie noch jetzt ist. Vorigen Herbst kehrte er zurück und arbeitete fleißig als Korsettweber. War auch sein Verdienst nicht glänzend, so brachte er doch sich und seine Familie durch, wobei freilich die Gemeinde den Hauszins bezahlte. Er genießt kein schlechtes Prädikat und machte bisher keinen übermäßigen Aufwand. Mit der Mutter, die ihm die Haushaltung besorgte, hat er im besten Einvernehmen gelebt. Am morgen nach der That fand ein Gemeinderat, ein Verwandter der Vermieterin seiner Wohnung, vor feiner Hausschwelle ein Geldpaket von 170 Allgemein wird geglaubt, daß dasselbe von dem Mörder herrühre. Nach vollbrachter That zündete er seine Wohnung mit Reisachbüschelen an, indes wurde das Feuer nach kurzer Frist gelöscht. So steht die erstaunte Gemeinde vor einem psychogischen Rätsel, von dem nur zu wünschen wäre, daß die eingeleitete Untersuchung volle Aufklärung bringen möchte. Geistesstörungen wurden an Nill bisher noch niemals beobachtet, auch war er dem Trunk nicht ergeben. (Wie der Redaktion soeben mitgeteilt wird, wurde der Mörder einehalbeStunde vom Ort mit durchschnittenem Hals tot aufgefunden.)
Reutlingen, 9. Mai. Seit einigen Tagen wird der von hiesigen Geschäftshäusern zu Inkasso- und ähnlichen Geschäften verwendete Jakob Kemmler von hier vermißt. Derselbe war von dem Agenten einer Feuerversicherungsgesellschaft mit dem Einzug von Versicherungsgeldern beauftragt und ist allem Anscheine nach mit dem Gelds, welches mehrere hundert Mark betragen soll, durchgebrannt. Seine Frau nebst Kind hat der Flüchtling zurückgelassen, dagegen soll ein 18jähriges Mädchen gleichzeitig mit ihm abgereist sein.
Cleversulzbach, 9. Mai. Heute als am Todestage Schillers wurde unter großer Beteiligung der umwohnenden Bevölkerung der Gedenkstein eingeweiht, welcher sich nun über dem Doppelgrab der Mutter Schillers und Mörikes erhebt. Schillers Mutter starb in Cleversulzbach 1802 bei ihrem Tochtermann, dem dortigen Pfarrer A. Frank. Der nachmalige Ortsgeistliche Ed. Mörike entdeckte ihr Grab und schmückte es mit einem schlichten niederen Steinkreuz, in welches er selbst die Zuschrift „Schillers Mutter" meiselte. Als 1841 Mörikes Mutters im Cleversulzbacher Pfarrhaus starb, ließ er ihr die Ruhestätte neben Schillers Mutter anweisen und dieselbe mit einem ähnlichen Kreuze bezeichnen. Beide Gräber wären wohl im Laufe der Zeit der Vergessenheit anheimgefallen, wenn nicht Dank den Bemühungen des vor Jahresfrist zusammengetretenen Komite's, aus welchem wir besonders die Namen des Herrn Rektor Pressel von Heilbronn und des erst kürzlich von Cleversulzbach geschiedenen Herrn Pf. Dr. Paulus erwähnen, die Errichtung eines Gedenksteins zu Stande gekommen wäre. Die einfache Feier wurde eingeleitet durch den Gesang der Beethoven'- schen Hymne „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" von Seiten des Liederkranzes in Neuenstadt. Hierauf hielt Rektor Presse! die Festrede, in welcher er eine kurze Geschichte beider Gräber berichtete. Helfer Weitbrecht von Schwaigern trug ein schwungvolles Gedicht vor, hierauf sang der Liederkranz „Regst du o Lenz die jungen Glieder". Endlich nahm der damalige provisorische Ortsgeistliche das Denkmal im Namen der Gemeinde mit freudigem Dank entgegen. Beide Gräber umschließt nun ein geschmackvolles gußeisernes Gitter. Der Gedenkstein ist eine stehende Platte von Sandstein, in welche eine Marmortafel mit beiden Namen und Daten eingelassen ist. Unter den anwesenden Festgästen waren leibliche Verwandte beider Dichter, namentlich die noch lebenden Geschwister Mörikes. Der Schillerverein in Marbach hatte einen Ehrenkranz gesandt, andere Kränze wurden von den Verwandten niedergelegt. Im Laufe des schönen nachmittags vereinigten sich die Festgäste noch in Neuenstadt zu geselliger Unterhaltung, welche in anregenoster Weise verlief.
abwarten können; aber ich hatte doch gehofft, daß er noch etliche Tage bei uns weilen würde."
„Heute Morgen hat er den Befehl zur Abreise erhalten", versetzte die Gräfin; „der arme Leo war recht traurig, daß er nicht Abschied von Dir nehmen konnte."
Der Graf warf Lucienne einen forschenden Blick zu; sie war bleich, ihre Lippen noch dünner als gewöhnlich, ihre Augenbraunen zusammengekniffen, und ihre Mienen verrieten den dumpfen Zorn, der ihre Seele in Aufruhr setzte. Der Graf erkannte ohne Mühe, daß seine Nichte durch den von Leo vorgeschützten Grund seiner plötzlichen Abreise sich nicht hatte irreleiten lassen, und er erriet, daß Ihr Herz verwundet war; augenscheinlich hatten allzu eifrige Freunde oder bezahlte Spione die Eifersucht Luciennes geweckt und ihr den wahren Sachverhalt haarklein mitgeteilt.
Der ränkereiche, erfinderische Graf fand schnell ein Mittel, um seine Nichte zu zerstreuen, ein Mittel, das Lucienne in die Nähe Leos bringen und sie in gleichem Maße von den zu wohl unterrichteten Zwischenträgern entfernen sollte, die ihr Kenntnis von der Liebschaft Leos gegeben hatten.
„Gut", sagte er mit liebenswürdiger Freundlichkeit, „da Leo uns wider Willen hat verlassen müssen, so wollen wir ihm nachziehen, und die Badesaison in seiner Nähe, in Cauterets, verleben; sein Regiment liegt nur eine Meile von dort. Ich freue mich schon auf seine Ueberraschung und Freude! Seid Ihr einverstanden? — Gut! Jean soll morgen schon Extrapost für uns bestellen; ich gebe Euch drei Tage Zeit, Eure Schachteln und Koffer zu packen! Dann geht's auf Reisen! Das wird herrlich!"
Mit diesen Worten reichte er der Gräfin den Arm, die über das ihr angebotene Glück in Helle Freudenthränen ausbrach, unterdes Lucienne kalt und teilnahmslos einen tiefen Blick voll Mißtrauen auf das Antlitz ihres Oheims heftete.
(Fortsetzung folgt.)