60. Jahrgang.
Uro. 57.
Amts- unä IntekkigenMatt für äen Aezirli.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Spalte im Bezirk, sonst 12
Donnerstag, äen 14. Mai 1885.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch
die Post bezogen im Bezirk 2 vtL 30 sonst in ganz Württemberg 2 70 H.
Amtliche Mekcmntmcrchungen.
Bekanntmachung der K. Centralstelle für die Landwirth- schaft und des Kgl. ' ^ . Bureaus,
betreffend die Ausstellung und Verbreitung von Witterungsaussichten.
Die von der meteorologischen Centralstation Stuttgart täglich je für den folgenden Tag aufgestellten und ausgegebenen Witterungsvorhersagen, werden mit höherer Ermächtigung auch im Sommer 1885 wieder für die vier Monate.Juni bis September auf Kosten der Centralstelle für die Land- wirthschaft alsbald nach Hohenheim und in die Oberamtsstädte derjenigen landwirtschaftlichen Vereine, welche die Zusendung gewünscht, sowie eine Kontrolle der Vorhersagen eingerichtet haben, telegraphisch befördert und dort durch Anschlag an geeigneter Stelle veröffentlicht werden.
Außerdem können diese täglichen Witterungsvorhersagen, welche von der meteorologischen Centralstation unentgeltlich abzugeben sind, auch von Gemeinden, Korporationen, Vereinen und Privatpersonen mittelst des Telegraphen gegen eine vom Empfänger zu bezahlende ermäßigte Gebühr direkt bezogen werden, in welcher Beziehung das K. Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Abtheilung für Verkehrsanstalten, Folgendes festgesetzt hat:
Die täglichen Witterungstelegramme werden wie dringende Privattelegramme behandelt und haben daher den Vorrang vor anderen Privattelegrammen ; sie genießen im Monat s-Abonnements eine Ermäßigung von 40o/y der einfachen, für das einzelne Telegramm nach seiner Wortzahl sich ergebenden Taxe, im vierteljährlichen Abonnement eine solche von 50°/o mit der weiteren Maßgabe, daß wenn die einzelnen täglichen Witterungstelegramme (einschließlich der Adresse) nicht mehr als 8 Worte enthalten, die" feste vorauszubezahlende Abonnementsgebühr beträgt: für 1 Monat 10
„ 1 Vierteljahr 24
„ jeden weiteren Monat je 8 ^ mehr.
Für jedes weitere Wort, welches die einzelnen Witterungstelegramme über 8 haben sollten, ist die gewöhnliche tarifmäßige Gebühr von 5 Pf. nachzubezahlen. Nach den bei der meteorologischen Centralstation getroffenen Anordnungen wird übrigens dieser Fall nur selten eintreten.
Gesuche um telegraphische Beförderung der täglichen Witterungsvorhersagen gegen ermäßigte Abonnementsgebühr sind durch Vermittlung des nächstgelegenen Telegraphenamts bei der K. Generaldirektion der Posten und Telegraphen anzubringen.
In Stuttgart werden die Witterungsvorhersagen nebst der ihre Begründung enthaltenden Wetterkarte wie bisher an verschiedenen Stellen angeschlagen.
Wird von Einzelnen der Bezug einer Wetterkarte gewünscht, so kann auf ein an die meteorologische Centralstation Stuttgart gestelltes Ansuchen die Zusendung alsbald auf Kosten des Empfängers erfolgen.
Stuttgart, den 7. Mai 1885.
K. Centralstelle für die Landwirthschaft. K. statistisch«
In Vertretung: topog. Bureau:
Schittenhelm. Schneider.
^ol'itiscHe WcrcHrricHlen.
Deutsches Reich.
Berlin, 12. Mai. Die Nationalliberalen imReichs- t a g beantragen , den Zoll auf Reis zur Stärkefabrikation mit 2 statt der in 2. Lesung beschlossenen 3 festzusetzen. Ein Teil des Zentrums beantragt: Zugochsen bis zu 5 Jahren 1 Stück 20 dagegen ältere und Mastochsen 30 Jungvieh bis zu 2 V? Jahren 6 — Eine Versammlung von Arbeiterinnen in Be.rlin, namentlich von Näherinnen hat bekanntlich beschlossen „ nochmals in einer Petition den Reichstag um Ablchmmg—der- Zvllerhöhung auf akkomodiertes Nähgarn zu bitten. Die Zollerhöhung ist bekanntlich in der 2. Lesung nur mit geringer Mehrheit angenommen worden. In Berlin hat die Petition über 8000 Unterschriften gefunden. In allen großen Städten haben Petitionslisten zirkuliert und sind mit zahlreichen Unterschriften bedeckt an die Sammelstelle Berlin zurückgekommen. Die Agitation für die Herbeischaffung der Unterschriften hat der Berliner Arbeiterinnen-Verein geleitet. Man wiill in Berlin nachgewiesen haben, daß der weitaus größere Teil der Näherinnen das Garn vom Posamentier bezieht und nicht vom Arbeitgeber empfängt. Größere Posamentiere verkaufen täglich 1000 Rollen Garn, die Kundinnen sind überwiegend Arbeiterinnen, die Schneiderei, Putz- und Weißnäherei auf eigene Rechnung betreiben.
Feuilleton.
Zm Abgründe.
Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des Romans: „EinVampy r.-)
Fortsetzung.
„Zehntausend Franken!" wiederholte Jsmael zögernd und bekam einen kleinen Hustenanfall. „Ich — ich weiß nicht, ob ich soviel Geld habe."
„Sehen wir unsere Rechnung nach", antwortete kurz Baltimore.
Jsmael ging langsam nach einem in die Wand eingelassenen schweren Eisenschrank, und nahm ein großes Geschäftsbuch heraus, das er offen auf den Schreibtisch ausbreitete.
„Als ich zuletzt hier war, gabt Ihr mir zwanzigtausend Franken als Nest meines Guthabens", bemerkte Baltimore; „etliche Tage nachher sandte Euch Biaritz, wie er mir nach London meldete, vierzigtausend Franken; wie steht die Rechnung damit?"
„Dreitausend dem Wirt im Pyrenäenhotel", sagte Jsmael und deutete mit dem Finger auf den betreffenden Posten in seinem Hauptbuchs.
„Stimmt", antwortete Baltimore; „diese Rente wird künftig nur mehr zur Hälfte an den würdigen Mann ausgezahlt, weil die letzten Meldungen, die er gemacht hat, sich nicht als zuverlässig erwiesen haben."
„Zwanzigtausend Franken", fuhr Jsmael fort, „für die falsche Truppenbewegung, die im vorigen Monat veranlaßt werden mußte."
„Ganz recht; das Geld war gut angelegt; es hat hunderttausend eingebracht. Weiter!"
„Sechstausend Franken der Unfall des Postwagens von Bayonne."
„Die hat der Postillon wacker verdient; sie hätten ihm den Hals brechen können."
„Sechstausend Franken dem Gensdarmeriekapitän von Pampeluna."
„Der Bursche giebt uns keinen langen Kredit! Freilich, er kann von einem zum andern Tage an den Galgen steigen."
„Summa fünfunddreißigtausend Franken", fuhr Jsmael fort; „dazu",
— ein neues Hüsteln unterbrach seine Rede, — „dazu fünftausend Franken für Provision, Honorar, Auslagen, Bureaukosten und so weiter.
„Ist nicht zu viel", sagte Baltimore mit einem leichten ironischen Lächeln. „Fahrt fort, Jsmael, uns mit gleicher Umsicht und Billigkeit zu bedienen. Apropos", fuhr er nachlässig fort, „was ist das für ein Diamantschmuck, von dem mir Biaritz schreibt, daß er ihn an Euch gesandt habe."
„Ach, meiner Treu, das ist wahr; gut, daß Sie mich daran erinnern", antwortete Jsmael, indem er die Verwirrung zu verbergen suchte, die ihm diese Frage bereitete. „Ich hätte den Posten auch garnicht ins Buch eintragen können, den ich erst vor einer Stunde realisiert habe; ich habe den Schmuck um fünfzehntausend Franken an den Grafen von Villesleur verkauft."
„An den Grafen von Villesleur!" rief Baltimore aus; „Ihr kennt diesen Mann, Jsmael?"
„Wie ich alle Verschwender und Spieler in Paris kenne."
„So, so, der Graf ist ein Spieler! Gut, Jsmael; verliert mir den Mann nicht aus den Augen; ich habe Euch vielleicht eines Tages Instruktionen mit Bezug auf ihn zu geben."
Jsmael hütete sich, zu sagen, daß er selbst schon ausreichende Gründe habe, den Grafen zu überwachen; er begnügte sich damit, zum Zeichen seines Einverständnisses zu nicken und sagte mit gedehnter Stimme:
„Es sind also diese fünfzehntausend Franken, die ich in Kaffe habe, und die Ihnen zur Verfügung stehen."
„Gebt mir nur zehntausend, den Nest haltet Ihr für alle Vorkommnisse in Bereitschaft."
Als Jsmael ihm den Betrag hingezählt hatte, erhob sich Baltimore, um mit den Worten Abschied zu nehmen:
„In einer Stunde verlasse ich mit meiner Frau und Tochter die Stadt; ich nehme sonst nichts mit. Ihr bemüht Euch, Haus und Mobiliar bestens zu verkaufen; die nötigen Papiere schicke ich Euch in etlichen Tagen hierher. Ueber den Verkauf gebt Ihr mir Abrechnung, sobald Ihr herüberkommt."
Ohne Jsmaels Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer, stieg leicht und sicher die Treppe hinab und fuhr mit seinem draußen haltenden Wagen davon.