die Mühe groß, so blieb der Dank und die Anerkennung der Beschenkten und des ganzen Bezirks hinter der Mühe nicht zurück.
Die hiesige Akademie der Wissenschaften hat gestern eine öffentliche Sitzung gehalten, bei welcher der Präsident der Akademie, I)r. von Döllinger, in seiner Eröffnungsrede über die Regierungsepoche des Kaisers Ludwig des Bayern zu sprechen kam. Wie grundverschieden sei das heilig-römische Reich jenes Kaisers von dem deutschen Reiche des Kaisers Wilhelm. Dort Zerklüftung und Ohnmacht, hier ein Bild der Auferstehung und Kraft. Die Regierung Ludwigs des Bayern war eine qualvolle Sisyphusarbeit, sein ganzes Leben ein stetes Ringen mit den zwei Erbfeinden deutscher Einheit, mit den deutschen Fürsten und dem Papste. Die Kurie habe durch die Aufhebung der Erbfolge, durch die Bischofs- und Kaiserwahlen das heilige römische Reich untergraben und zerstört, wie sie auch im kirchlichen Organismus die altkirchliche Form der durch Klerus und Volk gemeinsam ausgeführten Wahlen vernichtet und in den Domkapiteln eximirte Vereine hergestellt habe, die bewußt oder unbewußt dem Papste als Werkzeuge gegen den Bischof dienten, fast stets Simonie trieben und die Kurie bereicherten. Der Papst hatte mehr als Eine Schraube in den Händen, um die geistlichen Wahifürsten für seine Plane zu kirren, und diese geistlichen Kurfürsten verkauften die deutsche Königskrone an denjenigen, der ihnen die meisten Schenkungen und die weitgehendsten Forderungen bewilligte, ob er nun ein Deutscher, ein Spanier oder Böhme war. Eine weltgeschichtliche Ironie ließ damals auch durch den Orden der Minoritendie Frage über die Unfehlbarkeit des Papstes aufwerfen und es wurden 1!4 Miuoriten, welche behaupteten, der Papst sei unfehlbar, aus dessen eigenen Befehl der Inquisition überwiesen und von dieser auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt. Noch im Jahr 1149 habe Papst Nikolaus III. solche Personen, welche an die Unfehlbarkeit glaubten, verbrennen lassen. Und heute? Schon mit Kaiser Ludwig dem Bayer sei das deutsche Königthum zu Grabe gegangen, jetzt aber ein neues erstanden, dem nur noch eines der frühen; Hemmnisse im Wege stehe: der Religionszwist. Aber ohne zn weit zu gehen, dürfe man von diesem sagen: von reinem Anfang entsteht das Reich, neu an Glorie! Die Rede Döllinger's wird ihrem Wortlaut nach veröffentlicht werden.
Breslau, 31. Juli. Die Bresl. Morgen;, meidet aus Neisse, daß der Fürstbischof abermals dem Oberpräsi- deuren die beabsichtigte Berufung eines Priesters zum Regens einer geistlichen Anstalt unter Bezugnahme aus die betreffende Kabinetsordre angczeigi hat.
Wien. Die „N. Fr. Pr." beziffert das gesammt Armee- Mehrerforderniß auf 9 Millionen; darunter 6 Millionen für Kanonen.
Bern, 29. Juli. Unter den Arbeitern am Gotthardttunncl ist allgemeiner Strike, an welchem etwa 2200 Arbeiter theilnehmen, eingctreten. Dieselben versperren bewaffnet den Tunnel auf der Seite nach Göschenen. Die Regierung von Uri hat eine Kompagnie Militär zur Wiederherstellung der Ordnung dorthin entsendet. Die Arbeiter verlangen Lohnerhöhung und wollen von der Verpflichtung entbunden sein, ihre Alimentation aus den Depots Favre's zu beziehen. Favre hat deßhalb bewaffnete Unterstützung verlangt. — Der „Agence Havas" wird von hier telegraphirt, daß die gegen die sinkenden Arbeiter bei Göschenen aufgebotenen Truppen auf erstere Feuer gegeben haben. Zwei Arbeiter wurden getödtet, mehrere verwundet und die Sinkenden auseinanderge- trieben.
Der ehemalige Führer der Sozialdemokraten A. v. Schweitzer ist am 28. d. Mts. in Gießbach am Brienzer See gestorben. Schweitzer hat sich bekanntlich seit Jahren von der politischen Thäligkeit zurückgezogen und als Verfasser geistvoller Lustspiele sich einen neuen Ruf gegründet.
Petersburg, 31. Juli. Am Mittwoch ist in Briansk (Gouvernement Orel) eine Fcuersbrunst ausgebrochen, welche bis Freitag wüthete und zwei Drittel der ganzen Stadt in Asche legte. Ein Gußregen rettete die ganze Stadt vor dem vollständigen Untergang.
Das katholische Wochenblatt The Rock sagt, in wohlunter- richteten Kreisen werde versichert, der Papst habe 8 neue Kardinale in petto, die sich alle verpflichtet hätten, bei Erledigung des päpstlichen Stuhles für Kardinal Manning zu stimmen. Diese würden mit den übrigen Stimmen, auf welche man bereits rechnen könne, eine Mehrheit für Kardinal Manning im Kardinalkollegium ergeben und so feine Wahl zum Papste sichern. Sitze er einmal aus dem päpstlichen Stuhle so werde er ohne Zweifel sich nach Kräften bemühen, einen allgemeinen Krieg auf dem Festlande anzufachen, in der Hoffnung, während der allgemeinen Verwirrung die weltliche Macht des Papsithums wieder Herstellen zu können.
Vor der Auswanderung nach Venezuela, für welche sich gegenwärtig viel Mühe gegeben wird, warnt der „St.-A." ebenso wie vor der nach Brasilien.
Girre alte Jungfer. *)
Wer sollte sich in meiner Heimat der alten Reislingen nicht erinnern, wenn sie am Sonntag Früh zur Kirche ging mit dem weißbunten, engen, ausgeschrägten Kleide, dem großen, wunderlichen Hut von Anno fünfzehn und dem mächtigen schwarzen Pompadour, mit dem Gesangbuch drin, am Arm? Wann der Pastor dann so recht rührend predigte, trocknete sie sich mit einer stereotypen Hast die Augen in ihrem Winkel unter der Orgel wo sie schon als Kind gesessen hatte, wie meine Mutter mir oft erzählte.
Die jungen Leute lachten und spotteten über die alle Jungfer, und auch wohl mancher sonst ganz vernünftige Mensch, ohne was Arges dabei zu denken und wir Kinder thaten's nach, dafür waren wir nun einmal unverständige Geschöpfe, denen solches Vergnügen machte.
Und doch that die alte Neißtinge keiner Fliege etwas zu Leide, wie man zu sagen pflegt. Sie war immer freundlich, klatschte mit keiner Nachbarin und fast den ganzen Tag fleißig wie eine Ameise in ihrer kleinen Stube beim Schneider Hansen, wo sie wohnte und ihre Miethe pünktlich auf die Minute bezahlte.
Der kleine, schicsbeinige Schneider ließ nun freilich auch nichts ans der alten Reislingen sitzen, und seine Frau, die fast noch einmal so groß war, als ihr Schneider, erst recht nicht, weßhalb wir Kinder uns außerordentlich in Acht nehmen und aufpassen mußten, wenn das Ehepar nicht daheim war, um der alten Jungfer einen Possen zu spielen.
Meine Mutter, eine brave, resolute Fra«, dürfte jedoch beileibe nichts davon merken, sie litt es nicht und des Todten- gräbers ältester Junge wußte ein Lied von ihrem strengen Gericht zu singen, als er einst einen Tops an die Thür der alten Reislingen geworfen hatte.
Ich war damals ein Kind von fünf Jahren und wurde von Alt und Jung in der ganzen Nachbarschaft nicht anders als „kleine Biene" genannt, welchen Namen mein Vater mir in einer launigen Anwandlung gegeben hatte; und die größeren Kinder (worunter auch meine Schwester, die ausnehmend voll Schelmenstreiche stak) schoben die kleine Biene in der Regel vor den Rest, um die Suppe, welche jene eingebrockt, auszueffen.
Nun wußten wir alle, daß die alte Reislingen sehr schwerhörig war, dabei jedoch das Lied: „Willkommen, o seliger Abend!" außerordentlich liebte und es häufig sang, die Melodie drang oft ans ihrem kleinen Heiligthnm auf die Straße hinaus.
Da zogen wir dann Alle, wenn der kleine Schneider mit seiner großen Frau Abends spazieren ging, vor die Thüre der alten Jungfer und sangen — .wenn man ein solches Geschrei Singen nennen durfte — so laut wir nur immer konnten: „Willkommen o seliger Abend!"
Mehr wußten wir indessen nicht von dem Liede, was uns auch keinen Abbruch bei der alten freundlichen Person that, da sie die Worte doch nicht verstehen konnte, und so sangen wir lautes tolles Zeug aus die Melodie, wie z. B. „Der schwarze Pottkerl steht vor der Thür!"
. Sie hörte die Melodie, schloß ihre Thüre auf und brachte uns Obst und was sie sonst an Näschereien hatte, worauf wir unsere Tollheiten fortsetzen mußten.
Aber der Krug geht so lange zum Wasser, bis er zerbricht! So auch mit unserem improvisirten Gesänge.
Als wir eines Abends wieder vor ihrer Thür das Lied ableierten, kam die große Schneiderfrau wie eine Lawine über uns und die kleine Biene war richtig wieder die Letzte, um als Sündenbock für alle klebrigen zu dienen. Ja, es drohten mir dießmal Prügel, da die Schneiderfrau entsetzlich erbost war und mich für alt und neu bezahlen wollte, was ich im Grunde nicht verdient hatte, indem ich mein Lied mit einer wahren Andacht, selbst die tollste Improvisation meiner Schwester hergesungen hatte.
„Warte, Du kleine, boshafte Postür!" schrie sie, ,,Du willst alle Leute zum Besten haben? Das soll Deine Mutter wissen. Deinem Vater mag ich es gar nicht sagen, der schlüge Dich mause- tydt, was Dir eigentlich gar nicht schaden könnte."
Ich habe in späteren Jahren oft darüber nachgedacht, was mir damals eigentlich noch mehr hätte schaden können, als das Todlschlagen.
„Ach, lieber Gott, das ist ja die kleine Biene!" ertönte Plötzlich eine barmherzige Stimme hinter mir und das sanfte Gesicht der alten Reislingen schaute mich ganz wehmüthig an; „nein, meine liebe Hansen! dem armen Kinde sollen sic nichts thun, das weiß ja noch nicht einmal, was rechts oder links ist!'.
„Die kleine, boshafte Kreatur soll es auch nicht wissen?" rief die Schncidersfrau, mich zornig durcheinander schüttelnd. „Nein, Jungfer Reislingen! das muß ich bester misten, die kleine Kröte soll einen Denkzettel haben."
„Das leide ich durchaus nicht I" sagte die alte Jungfer sehr bestimmt und nahm mich dabei in ihren Arm. „Um meinetwillen soll kein Kind geschlagen werden, wenn ich's hindern kann. Komm, weine nicht so erbärmlich, meine kleine Biene! Du sollst einen großen Gravensteiner haben, ich habe den größten für Dich
*) Widerrechtlicher Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.