meiner Schatulle ausbewahrt. Du lieber Gott, Frau Hansen, wie ist das arme Ding erschrocken, das ist ja fürchterlich!"
Na, es war eigentlich kein Wunder, daß ich zitterte, Frau Hansen war der leibhaftige Riese Goliath, ihr Mann, der kleine David, hätte mich nicht so in Furcht setzen können.
Die größeren Kinder, meine Schwester, als die eigentliche Anstifterin an der Spitze, wagten sich aus Respekt vor dem Goliath nicht näher und ließen mich feige im Stich. Aber ihre Angst stieg zum Entsetzen, als sie plötzlich sahen, wie mich die alte Reislingen mit in's Haus nahm.
Das war noch niemals früher geschehen und selbst die Schneidersfrau starrte ihr wie Loi's Frau nach, in der gewissen Ueberzeugung, daß die alte Jungfer nicht lange mehr leben werde.
Ich war nur ein unmündiges Kind, aber diesen Abend vergesse ich mein Lebtag nicht ^
Ganz verwirrt schaute ich mich in der kleinen Stube um und wunderte mich nicht wenig, daß hier so Alles hübsch und nett war.
Lieber Himmel', da stach) sogar eine große Puppe in einem Glasschrank und bunte Figuren, die mit dem Kopfe wackelten, ich kam aus der Verwunderung gar nicht heraus, und auf einmal — nein, nun wurde mir doch angst und bange — auf ein mal fing die alte Reislingen ganz melodisch an zu singen: Willkommen, o seliger Abend!"
Als ich genauer zuhörte, merkte ich, daß es eine Spieluhr war, welche jedesmal, wenn sie voll schlug, die Melodie jenes Liedes herunterspielte und das hatten wir Kinder für Singen gehalten.
Was mir aber zuerst nicht recht gefallen wollte, war Ka- ling, der alte, dicke Mops; ich hatte es aber bald heraus, daß er vor Fett nicht mehr bellen konnte und zum Beißen keine Zähne hatte.
,,Er thut Dir nichts, kleine Biene!" sprach Jungfer Reislingen freundlich, „streichle ihn nur, es ist ein treues Vieh und alt wie ich, wir Beide sind zusammen alt geworden. Ja, mein Kindl Du hast noch eine lange Reise vor Dir, gottlob, daß ich bald am Ende bin/'
Ich verstand diese Worte damals nicht — nun freilich besser — und habe auch keine ganz leichte, heitere Reise gehabt — aber deßhalb geht es immer munter vorwärts, bis das Ziel erreicht ist.
Die alte Reislingen zeigte mir ein großes Buch mit schwarzen Bildern, es war die Bibel und zwischen den Blättern lagen überall Stückchen Papier, auch trockene Blumen. Als ich ein Vergießmeinnicht mit meinem Finger berührte, erschrak sie ordentlich und sagte ängstlich : „Das mußt Du nie wieder thun, kleine Biene! diese Blumen sind mir nicht für hundert Thaler feil!"
„O," meinte ich naiv, „auf der Wiese stehen so viele, ,,da will ich Dir morgen eine ganze Schürze voll pflücken."
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte nichts. Nun weiß ich wohl, warum die trockenen Blumen ihr so theuer waren. Arme, alte Jungfer!
Kaling schlief auf einem weichen Kissen und schnarchte wie eine Säge, weiter verstand das alte Vieh nichts, es konnte nicht mal laut bellen, und ich respektirte es eigentlich gar nicht als richtigen Hund, vor welchem ich sonst eine ziemliche Furcht besaß.
Es gefiel mir ausnehmend gut bei der alten Reislingen, und als ich endlich nach Haus verlangte, mußte ich ihr versprechen, am nächsten Tage wieder zu kommen und nun sprang ich seelenvergnügt mit meinem großen Gravensteiner aus der Thüre.
Meine Schwester wartete richtig draußen auf mich, sie hatte sich ohne mich nicht nach Hause wagen mögen und mir auch schon im nächsten Augenblick meinen Apfel abgeschwatzt.
„Warte nur, Du wirst's aber kriegen!" prophezeite sie mit unheilverkündender Miene. Unsere Mutter aber kannte ihre Pappenheimer und so kriegte sie für dasmal, was sie mir prophezeit hatte.
Von diesem Abend an war ich der tägliche Stammgast der Jungfer Reislingen und als Kaling starb, war ich, wie sie mir selber sagte, fortan ihr einziger Trost.
Als ich in der Schule Fortschritte im Lesen machte und ihr dann täglich mit lauter Stimme aus dem Cvangelio vorlas, meinte sie oft, wie schade es wäre, daß ich als Mädchen nicht studiren könne, es säße richtig ein Pastor in mir.
Auf einmal änderte sich das Aussehen der alten Reislingen ganz merkwürdig, sie wurde matt und elend und meine Mutter, welche sie ebenfalls zuweilen besuchte, schickte unfern Arzt zu ihr.
Sie wurde bettlägerig, wodurch mein Predigeramt bei ihr etwas Rührendes bekam, da ich in meinen Freistunden nicht von ihrem Lager wich.
Ihre Schwäche nahm zu; eines Abends kam der Pastor und reichte ihr das heilige Abendmahl und eine Stunde darauf war sie lodt.
Ich war nun zehn Jahre alt — aber noch niemals so von Herzen traurig gewesen, als am Begräbnißtage der alten Reislingen. Bitterlich weinend ging ich hinter ihrem Sarge her; es war der erste große Schmerz meines Lebens und meine kluge, verständige Mutter weinte mit mir und versuchte es nicht, meine Thränen zu stillen— sie kannte das Kinderherz genau.
Am andern Tage, als meine Traurigkeit kein Ende nehme« wollte, schlug sie das Evangelium auf und sprach: „So, kleine Biene! nun lese mir auch mal etwas vor, meine Augen sind auch schwach und Du liest so schön und deutlich, wie Jungfer Reislingen mir oft gesagt hat."
Ich trocknete meine Thränen und las von Christi Wunder und Zeichen, wie er die Todten erweckte und die Kranken gesund machte.
„Siehst Du, mein Kind!" sprach meine gute Mutter, als ich mit dem Kapitel zu Ende war, „so wird unser Heiland auch die alte Reislingen vom Tode erwecken und ihr das ewige Leben gegeben."
„Wann thut er denn das?" fragte ich hastig.
„Am jüngsten Tage, kleine Biene!"
Da schaute ich kopfschüttelnd und enttäuscht vor mich hin, eine solche unbestimmte Zeit konnte mir nicht gefallen.
Nun, diese Tage der Traurigkeit gingen auch vorüber, ein Kind vergißt so leicht sein Herzeleid, und das ist gut so, sonst gebe cs doch auch gar zu wenig Freude und Glück auf Erden, hätte nicht die Kindheit das göttliche Vorrecht, in derselben Minute zu weinen und zu lachen.
(Fortsetzung folgt.)
Amtliche nud Privar-Be?u»n1machungeu.
Aufforderung.
Nr. 1363.
Am Freitag den 23. l. Mts. wurde auf der Straße zwischen Mühlhausen (diess. Bezirks) und Heimsheim ein 11 jähriger Knabe von zwei Handwerksburschen zu Boden geworfen, seines Frühstücks (Wurst und Brod) beraubt und an Händen und Füßen gebunden an der Straße liegen gelassen.
Der Knabe behauptet, eine in der Richtung von Heimsheim nach Mühlhausen gehende Frau habe ihn aus dieser Lag« befreit. Diese Frau fei schon bejahrt, habe sonntägliche Kleidung und am Arm einen Hängkorb getragen.
Ihr Zeugniß ist sehr wichtig. Da sie noch unermittelt, ersuche ich Jedermann bringend, mir zur Auffindung dieser Zeugin Geeignetes mitzutheilen.
Pforzheim, den 30. Juli 1875.
Großh. Bad. Amtsgericht.
U i b e l.
Schönbronn.
100 ff.
liegen beim Schulfonds zum Ausleihen parat.
Enzthal, Oberamts Nagold.
Verakkordirung von Bauarbriten.
Zur Vergrößerung des dortigen Schulhaufes, sowie zur Erbauung eines besonderen Schülerabtritts sollen die Bauarbeiten, welche wie folgt berechnet sind, in Submission vergeben werden.
SchulhauSvergrößerung. S ch üle r a b trit t.
Grabarbeit. 42 fl. 25 kr. 40 fl. 57 kr.
Maurer« und Steinhauerarbeit 687 fl. 58 kr. 403 fl. 23 kr.
Gipserarbeit. 267 fl. 8 kr.
Zimmerarbeit. 1308 fl. 29 kr. 161 fl. 11 kr.
Schreinerarbeit ..... 692 fl. 3 kr. 69 fl. 55 kr.
Schlofserarbeit. 205 fl. 17 kr. 30 fl. 30 kr.
Glaserarbeit.118 fl. 10 kr. 15 fl. 28 kr.
Flaschnerarbeit.163 fl. 9 kr.
Anstricharbeit ...... 263 fl. 36 kr. 3 fl. 30 kr.
Hafnerarbeit. 12 fl. 12 kr.
Pflasterarbeit. 74 fl. 48 kr.
Pläne, Kostenanschlag und Bedingungen können bis zum 7. August bei dem Unterzeichneten und vom 9. bis 16. August bei Schultheiß Stieringer in Enzklöfterle eingesehen werden.
Die Akkordsverhandlung findet
Montag den 16. August d. I , Vormittags 11 Uhr, im Schulhause in Unterenzthal statt, und wollen lustiragende Akkordanten ihre Offerte, welche versiegelt und mit der Aufschrift „Submissionsoffert zur Uebernahme der
.Arbeit am Schulhausbau in Enzthal" versehen sein müssen, rechtzeitig und
portofrei an das Schultheißenamt Enzthal einsenden.
A. A.:
Nagold, 31. Juli 1875.
H. Schuster, Oberamtsbaumeister.