,,Nichts, sagte Frau von Weinheim beruhigend, ,,sie scheint einen bösen Traum zu haben."
,,Bah, wie kann man neben einer Leiche angenehm träumen! Hali, hier muß es sein, ich fühle den Knopf einer Feder, ein Druck und — sehen Sie wohl, das Geheimniß ist entdeckt."
Eine Schieblade sprang, von einer Feder herausgeschnellt, vor Fahrenschmidt zog sie aus, sie enthielt mehrere Dokumente. In den Augen Henriette's loderte ein verzehrendes Feuer, sie wollte sich der Papiere bemächtigen, FahrenschmiLt breitete rasch seine Hände darüber.
,.Sehen wir zuvor, was diese Schriftstücke enthalten," sagte er mit erzwungener Ruhe. „Erstens Anerkennung des Vermögens meiner Tochter Leonie, auf welches ne den ersten, unangreifbaren Anspruch hat."
„Jn's Feuer damit!" flüsterte Henriette in fieberhafter Erregung.
„Geduld, Henriette! Zweitens Kodizill zu meinem Testamente, nach meinem Tode zu öffnen."
„Oeffnen Sie es nur, die Aufschrift gibt Ihnen d:e Erlaub- niß dazu."
„Das wäre Alles," fuhr Fahrenjchmidt fori, während er die Sieget erbrach. „Ah, ich dachte es mir; hören Sie nur: „Ich Endesnttterzeichneler und so weiter erkläre Einganges dieses Schriftstückes mein früheres Testament ungültig."
„Himmel!"
„Still!"
„Aber so fahren Sie doch fort!"
Fahrenschmidl durchflog hastig das Schriftstück, seine Züge nahmen einen boshaften, tückischen Ausdruck an.
„Ganz so, wie ich vermuthete," sagte er, „der Verstorbene vermacht seiner Tochter Leonie das ganze mütterliche Vermögen und beauftragt die Testaments Exekuwren, unter denen wir Beide uns nicht befinden, diese verschollene Tochter aufznsuchen und ihr nebft ihrem Vermögen den Segen ihres Vaters zu überbringen."
„Wie romantisch!" spottete Frau von Weinheim. „Sie soll dieses Triumphes nicht rheilhaftig werden."
„Sodann vermacht er seinem Sohn den Rest der Hinterlassenschaft mit der Bedingung, daß der Justizrath Stein unter Kontrole des Herrn von Nomberg dieses Vermögen bis zur Großjährigkeit Arthurs verwalten und Ihnen jährlich fünftausend Thaler aus dem Fonds der Zinsen auszahlen soll."
In den Augen der gnädigen Frau blitzte es auf wie Wetterleuchten in schwüler Sommernacht."
„Run, gottlob, daß wir dieser Gefahr vorgebeugt haben," sagte sie mir bebender Stimme, „diese Dokumente müssen vernichtet werden."
Fahrenschmidt legte schweigend einige unwichtige Papiere in vas geheime Fach, schloß es und schob die schiebladen, nachdem er ihren Inhalt geordnet hatte, wieder ein, dann erhob er sich und schloß den Sekretär.
„Wir werden in Ihrem Boudoir davon reden," versetzte er, und in dem Tone, in welchem er diese Worte sprach, prägte sich eine Entschlossenheit aus, welche der gnädigen Frau ahnungsvolle Besorgnisse einflößte, „hier ist nicht der Ort dazu."
Die Beiden schritten leise an der Schlummernden vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Fahrenschmidt ging rasch hinaus, Frau von Weinheim blieb auf der Schwelle stehen und warf einen Blick zurück.
Ein leiser, halbunterdrückter Schrei entfuhr ihren Lippen, sie schloß hastig die Thüre und eilte an ihrem Freunde vorbei.
„Was haben Sie?" fragte Fahrenschmidt überrascht, als er die Frau einholte und nun ihre verstörten Züge bemerkte.
„Sahen Sie ein Gespenst — bah —"
„Es muß eine Täuschung gewesen sein," erwiderte Henriette in fliegender Hast," und doch meine ich deutlich gesehen zu haben, daß das Gesicht der Leiche — aber es ist ja nicht möglich.
Fahrenschmidt zuckte die Achseln.
„Sie glauben eine Veränderung wahrgenommen zu haben P fragte er gleichgültig. „Das kommt oft vor, es ist durchaus weder selten noch auffallend."
„Aber es war mir, als ob eine Drohung —"
„Bah, ein Trugbild der Phantasie, wie kann ein Todter drohen?"
„Wir wollen über die Papiere reden," sagte Frau von Weinheim, die rasch ihre Fassung wieder gefunden hatte, „Sie werden mir doch beipflichten, daß sie vernichtet werden müssen?"
„Nicht so ganz."
„Aber mein Gott, welchen Zweck könnte ihre Aufbewahrung haben?"
Fahrenschmidt schien, seitdem er die Dokumente besaß, ein Anderer geworden zu sein, sein Gang und seine Haltung waren sicherer, stolzer, es lag ein herausfordernder Trotz in seinem Auftreten, seinem Blick, seiner Sprache, seinem ganzen Wesen.
„Henriette, Jeder ist sich selbst der Nächste," sagte er kühl,
eines Jeden, alle Mittel zn benützen, um seine Zukunft sicher zu stellen. Ich denke, Sie werden mir darin Recht geben."
„Allerdings, aber ich begreife nicht —"
„Wohlan, das Mittel, meine Zukunft sicher zu stellen, ist in meiner Hand, und ich wäre ein Thor, wenn ich es nicht benützen wollte. Sie haben mir heute Mittag gesagt, man könne nur einmal in seinem Leben lieben, diese Worte und einige andere Aeußerungen lassen mich vermmhen, daß Sie an eine Hei- ralh mit mir noch nicht gedacht haben."
„Was soll diese Einleitung?" fragte Frau von Weinheim ungeduldig. „Sie wissen, daß ich Ihre Freundin bin, Sie haben mein Versprechen, daß sie an meiner Leite das Leben genießen sollten."
„Ein Versprechen, das mir keine Garantieen bieten kann," entgegnete Fahrenschmidt geringschätzend. „Die Freundschaft nimmt oft plötzlich ein Ende, sie ist ein Blatt am Baume des Lebens, das Blatt welkt und ei» leiser Windhauch weht es hinunter. Sie sollen an mich gefesselt sein, Henriette, ich will nicht der Mohr sein, der mit einem Fußtritt weggeschickr wird, wenn ec seine Schuldigkeit gethan hat."
„Sie werden unverschämt!" fuhr Frau von Weinheim entrüstet auf.
„Ah — da erhalte ich ja den Beweis, daß die Rolle des Mohren mir zugedacht war!" spottete Fahrenschmidt. „Nun wohl, diese Papiere bleiben in meinen Händen, sie werden erst am Tage unserer Hochzeit in Ihren Besitz gelangen."
„Sic wollen mich zwingen —"
„Henriette, mäßigen Sie sich- Ihre Aufregung kann meinen Entschluß nicht ändern, und so schön Sie auch in dieser Aufregung sind, ich liebe Sie nicht. Von Zwang ist wohl keine Rede, Sie müssen ja selbst einsehen, daß die Heirath Ihnen nur Vortheile bietet, schon insofern, als Sie von lästigen Werbungen verschont bleiben. Ich werde Ihnen ein treuer und liebevoller Gatte sein, vorausgesetzt, daß Sie Ihren Willen dem meinigen unterordnen, beherrschen lasse ich mich nicht."
„Das ist eine Infamie!" sagte Frau von Weinheim mit bebender Stimme, Sie mißbrauchen mein Vertrauen, Sie —"
„Ich bitte Sie noch einmal, ereifern Sie sich nicht," fiel Fahrenschmidl mit eisiger Rahe ihr in's Wort, „denken Sie ruhig ohne Leidenschaft über diese Angelegenheit nach. Dann wird Sie Ihnen in besserem Lichte erscheinen. Sie haben freie Wahl, entweder gestatten Sie mir, Sie zum Altar zu führen, alsdann werden diese Dokumente vernichtet werden, over Sie ziehen vor, Wittwe zu bleiben, in letzterem Falle wird Leonie die Schriftstücke erhalten. Jeder ist sich selbst der Nächste!"
Er verbeugte sich nach diesen Worten mit der glatten Höflichkeit eines Diplomaten und ging hinaus.
Frau von Weinheim wanderte noch lange in wachsender Aufregung auf und nieder, sie sah sich überlistet und keine Möglichkeit, der Falle zu entrinnen, in welche sie arglos gegangen war, aber dieß ärgerte sie nicht so sehr, als die Entdeckung, daß Fahrenschmidt sie durchschaut und ihre geheimsten Pläne errathen hatte.
Als Leonie erwachte, fühlte sie einen dumpfen Schmerz im Kopfe, sie schrieb es der Wirkung des Glühweins und dem ungewohnten Nachtlager zu.
Es beunruhigte sie, daß sic so lange geschlafen hatte, ihr erster Gedanke galt dem Sekretär, da sie aber in dem Zimmer nichts Auffallendes bemerkte, so schwanden ihre Besorgnisse bald wieder.
Joseph brachte ihr das Frühstück, eine Stunde später kam ihr Gatte, den ein befreundeter Rechtskonsulent begleitete.
Leonie empfing die beiden Herren, nachdem sie den Kammerdiener beauftragt hatte, bei der Leiche zu wachen.
Sie sank weinend an die Brust ihres Gatten, der mit milden, ruhigen Worten sie tröstete und aufrichtete, sie berichtete ihm, welche Kämpfe sie bereits mit ihrer Stiefmutter bestanden und welche Mittheilungen die Diener ihr gemacht hatten."
„Wir werden noch manchen Kampf mit dieser Frau bestehen müssen," erwiderte der Rektor, welcher seine Entrüstung nicht verhehlen konnte, ich sah das voraus und habe deßhalb meinen Freund gebeten, mich zu begleiten."
„Hoffen wir, daß wir nicht zu spät kommen," sagte der Rechtskonsulent ernst.
Die Unterhaltung wurde durch den Eintritt des ArzteS und einiger Gerichtsbeamten unterbrochen, die Letzteren kamen, um die Rechte der Erben zu wahren.
Auch die zur Beerdigung geladenen Freunde und Nachbarn fanden sich ein.
Fahrenschmidt empfing sie, Frau von Weinheim ließ sich nicht blicken.
Leonie führte ihren Gatten in das Sterbezimmer, die Leiche war inzwischen in den Sarg gelegt worden.
„Die Beerdigung soll heute schon stattfinden?" fragte der Rektor betroffen.