ziehen müsse, weil jene Länder sich Jahrhunderte hindurch im Genüsse von Prohibiiiv- und Schutz-Zöllen auf einen solchen Kampf vorbereitet hätten. In den verschiedensten Geschäfts- Kreisen ist man geneigt, eine Schwenkung unserer Handels-Politik nach der schutzzöllnerische» Seite hin für ein Rettungs-Mittel anzu­sehen, ohne zu bedenken, daß wir dabei nur vom Regen in die Traufe kommen würden. Das einzige Heilmittel, welches unseren Handel, unsere Industrie und die mit ihnen darniederliegende Rhein-Schifffahrt wieder auf einen grünen Zweig bringen kann, ist die Erfüllung der vom Finanzminister Camphausen gestellten Bedingung: wir müssen billiger produzircn lernen. Das heißt aber nichts anderes, als wir müssen auf größere Theilung der Arbeit, Ausbildung von Specialitären, auf raschere Cirenlarion der Betriebsmittel, kürzeren Credit, auf Erziehung quatifieirier Arbeiter, auf Wiederherstellung eines tüchtigen Handwerker-Stan­des, auf Kräftigung des deutschen Mittelstandes, kurz darauf bedacht sei», die vielfachen tüchtigen latenten Kräfte und Anlagen der deutschen Nation zu ihrer vollen wirthschaftlichen Entwicke­lung frei zu mache», in Schule und Haus, in allen Werkstätten, durch die Presse, mit aller Energie. Ohne ein solches redlich, unermüdlich und allgemein verfolgtes Streben sind die Aussich­ten allerdings sehr getrübt; schutzzöllnerische Experimente würden sie aber sicher nur noch mehr und für länger trüben. Sie wür­den übrigens auch nur ganz erfolglos angestrebt werden, weder im Reichstage noch im Bundesrath auf Sympathie rechnen können.

DerHeidelb. Ztg." wird geschrieben: Ein wiederholt warnendes Beispiel religiösen Fanatismus liefern die in Plankstadt stattgehabten zweimaligen Brandstiftungen in den Häusern dortiger protestantischer Bewohner. Die Verbrecher:» wurde nämlich gestern verhaftet und in das Gefängniß verbracht, wo dieselbe bereits ein umfassendes Geständniß abgelegt haben soll. Die verruchte That war das Werk pfäffischer Aufhetzerei und ultramontanen Fanatismus, welcher die Verbrecherin, eine gewisse Marie Lutz, zu der strafbaren Handlung veranlagte und zwar, wie sie angibt, zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria.

München, 20. Mai. Nach einer hier eingetroffenen Meldung ist die Königin-Wittwe Amalie von Griechenland heute Mittag in Bamberg gestorben. Die Königin, eine Tochter des P Großherzogs Paul Friedrich August von Oldenburg, war geboren 21. Dezbr. 1818; vermählt mit König Otto 22. Novem­ber 1836.

Der Redakteur einer ultramontauen Zeitung war zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt. Der Anstaltsdirektor war in Ver­legenheit, wie er ihn beschäftigen sollte, und beschloß, ihn zur Schreibhülfe im Bureau zu verwenden. Um seine Handschrift zu probiren, ließ er ihn unter dem Diktat Folgendes schreiben:

. den 29. April 1875. Zufolge Unheils des König!.

Landgerichts Hierselbst bin ich als Redakteur der .Zeitung

zu einer Gesängnißstrafe von 14 Tagen verurtheilt worden." Das Ergebnis; des Diktats war in den unbeholfensten, die völlige Ungewohntheit des Schreibens beweisenden Zügen Folgendes:

. den 29. neuend 29 Aprül 1875 zufollechen urteilen

des Köglligelantgerichts bin ich redaktör der .... Seitung zu einer gevaugenis vererurteteilt." Nach dieser Probe des Bildungs­grades der Redakteurs nahm der Anstaltsdirektor keinen Anstand, ihn mit Wollezupfen zu beschäftigen. (S. M.)

Der König von Sachsen ist in Berlin angekommen und als Gast des Kaisers im Schlosse abgestiegen.

Berlin, 20. Mai. Die Ankunft des Königs und der Königin von Schweden Hierselbst ist nunmehr definitiv auf den 28. d. M. festgesetzt. Fürst Bismarck wird dcßhalb am 27. Abends ans Friedrichsruhe wieder hier eintreffen.

Berlin, 21. Mai. Zur Verhandlung des Arnim'schen Prozesses in zweiter Instanz ist vorläufig nur Ein Sitzungtag, der 16. Juni, in Aussicht genommen, der ausreichen dürfte, da nach derVoss. Ztg." keine Zeugen zum Termin geladen sein sollen. Es scheint demnach die vom Staatsanwalt beantragte neue Beweisaufnahme als tatsächlich unerheblich abgelehnt wor­den zu sein.

Die Nachricht derKreuz Zeitung" über den beabsichtigten Rücktritt des Kriegsministers v. Kamele gewinnt derKöln. Ztg." zufolge an Wahrscheinlichkeit. Generallieutenant v. Voigts-Rhetz wäre zu feinem Nachfolger designirt und der Rücktritt soll mit der Pensionirung des Generals o. Fransecki erfolgen. General v. Kamecke würde Kommandeur des 2. pommer'schen oder des 15. (Elsaß Lothringen) werden.

Bonn, 10. Mai. Vor einigen Tagen ist ein junger Mann aus der Bürgermeisterei Godesberg zwangsweise in ein Infanterieregiment deßhalb eingestellt worden, weil er der Ver­pflichtung, seine alten hilfsbedürftigen Eltern zu unterstützen, nicht nachgekommen ist. Im Jahr 1872 wurde der junge Mann auf Reklamation vom Militärdienst freigelassen; statt nun aber Vater und Mutter nach Kräften zu unterstützen, verließ er sie, heira- theie und zog in ein anderes Dorf, wo er als Laglöhner sich beschädigte. Auf Anordnung der oberen Provinzialbehörden ist er nun nachträglich zum Dienst eingestellt worden und muß 3 Jahre und 5 Monate dienen. Seine armen Eltern werden nun

von der Gemeinde unterstützt werden müssen, seine junge Frau ist verlassen und auf ihrer Hände Arbeit angewiesen.

Die Einführung des Gebetes für Kaiser und Reich hat in den Reichslanden auch wieder böses Blut gemacht. Manche haben es benützt als Borwand und kommen nicht mehr zur Kirche. Manche Protest. Pfarrer haben das Gebet mit den Worten ein­geleitel:Weil die Obrigkeit geboten hat, so beten wir" u. s. w.; andere verweisen die Fürbitte für Kaiser und Reich ganz an das Ende; wieder andere haben den Text abgeändert und beten nicht, wie vorgeschrieben ist:Segne und erhalte das Deutsche Reich und unsern Kaiser Wilhelm!"Wir beten nach Vorschrift für das deutsche Reich und dessen Kaiser". Da heißt es dann, weil nicht alle Pfarrer gleich handeln: der ist der Deutsche, jener der patriotische Franzose. Klöster sind im Elsaß wenig oder gar keine, aber geheime Orden. Diese Nachteulen werden nun ausgeräuchert; das bringt auch allerlei. Nun Bismarck wird nicht zurückweichen. Gott verleihe ihm Sieg.

Mit den Woll Märkten, die schon hie und da ihren Anfang genommen haben, will es nicht recht ziehen. Man hat noch alte Vorräthe, die man gern los sein will. In Böhmen und Schlesien verkauft man zu geringen Preisen.

Graz, 19. Mai. Auf der Mur bei Judendorf scheiterte eine mit Landbewohnern (Wallfahrern) gefüllte UeberfuhrtSplätte und ertranken über 60 Personen. Bis heute sind 49 Leiche« aufgefunden worden.

Ein Herr Salvi in Pest hat sich oorgenommen, den weiten Weg nach Paris auf seinem schönen Grauschimmel in 15 Tagen zurückzulegen und damit mehr als 100,000 Gulden an Wetten zu gewinnen. Seine Ausrüstung, aus einem dünnen Mantel, einem Feldstecher, Plaid und Packtasche bestehend, ist vor und hinter dem Sattel befestigt; er selbst trägt eine Reithose, leichte Jacke und ungarischen Hut. Außer einer genauen Wegbeschrei­bung führt der Reisende auch einen Vorweis vom Ministerium des Aeußeren bei sich, um sich auf französischem Grund und Boden vor dem landesüblichen Verdacht der Spionage zu sichern. Roß und Reiter sind schon über eine Woche unterwegs und müssen spätestens gestrigen Sonntag 10'?, Uhr Vormittags in Paris ein­getroffen sein.

InOo stacker bei Gent hat es bei einer Prozession, woran 1520000 Bauern, an der Spitze den Bischof von Gent und die Geistlichkeit, theilnahmen, blutigen Skandal gegeben, indem die mit Stöcken bewaffneten Pilger von der Bolksmasse mit Hohn­rufen und Pfeifen empfangen wurden. Nach den Mittheilungen derFlandre liberal" ist ein Pilger todt, ein anderer mit einem Messer schwer verwundet; die Zahl der bei den Excessen über­haupt Verwundeten ist auf über 1000 zu schätzen.

Ein neuer Lebensrettungsapparat für Passagiere und Schiffs- bemannnngen ist gegenwärtig in Glasgow zur Schau gestellt. Derselbe, besteht aus zwei Kissen aus präparirtem Korkholz, die theilweise mit Roßhaar gepolstert sind. Die Kissen sind so ar- rangirt, daß sie eines auf dem Rücken, das andere auf die Brust gelegt werden und dann mit einander verbunden werden können, wodurch der Kopf und die Schultern über dem Wasser gehalten werden. Während der Seefahrt können die Kissen zum Schlafen benutzt werden, und jeder Passagier kann sie im Falle der Ge­fahr schnell anlegen.

Ein italienischer Hauptmann erzählt, wie es ihm ergangen, als er während des Vollzugs des italienischen Kloster- gesetzes mit seiner Kompagnie 103 Klöster auszuräumen und für den Staat in Besitz zu nehmen hatte. Sobald das Militär in die Nähe des Klosters kam, marschirten die Mönche mit Kreuz und Fahnen vor den Pforten desselben auf und sprachen die ihnen von ihren Obern vorgeschriebenen furchtbaren Flüche über die Friedensstörer und Schänder des Heiligthums aus, wobei auch die brennende Kerze nicht fehlte, die schließlich ausgelöscht, zer­brochen und mit den Füßen zertreten wurde. Hatten die Mönche auf diese Art ihren frommen Pflichten Genüge geleistet, so durfte auch die christliche Nächstenliebe wieder ein Wort mitsprechen. Der Abt brachte dann mit freundlichem Gesicht eine Einladung für den Offizier und seine Leute zu einem gemeinschaftlichen Gast­mahle, wobei alle irdischen Sorgen abgeschüttelt wurden. So ist der Hauptmann 103ma1 verflucht und eingeladen worden, und er versichert, daß er niemals nachtheilige Folgen davon verspürt habe.

Madrid, 21. Mai. Gestern fand im Senats-Palaste eine Versammlung von Constitutionellen verschiedener Partei- fchattirungen statt, wobei die Vereinigung zur Eintracht aller monarchischen und liberalen Parteien, zur Erhaltung einer par­lamentarischen Regierung unter König Alfons betont und eine Commission zur Ausarbeitung eines politischen Programms nieder­gesetzt wurde.

Vor einigen Tagen verschied zu Konstantin opel im dortigen Harem des Sultans eine Sklavin, die das Alter von 110 Jahren erreicht hatte.

In Amerika bessern sich die Verhältnisse auch nur lang­sam. Während der Vorarbeiten zum 100jährigen Befreiungs- fest und der Weltausstellung hungern Tausende von Arbeitern. Man hofft wie in Europa das Beste von einer großartigen Ernte.