Breslau, 8. Mai. Nach der „Schlesischen Zeitung" ge denkt der Fürstbischof ans Johannisberg nicht znrnckznkehren. Alle wesentlichen Vermögens-Objekte, Geld und Docnmente, sollen in Sicherheit gebracht sein. Der Fürstbischof beabsichtigt nicht, die Verwaltung der hiesigen Diurese von Johannisberg ans foUzu setzen, ivill vielmehr Schwierigkeiten für den Klerus vermeiden. Die Ernennung eines geheimen Delegaten ist nicht zu erwarten.
Hamburg, 8. Mai. Laut Telegramm an Hamburger Assecnr adenre ist der Dampfer „Schiller l " mit 260 Passagieren und 800,000 Dollars baar und der australischen und neuseeländischen Post gestern bei den Scilly Inseln an Bishop-Rock gescheitert und soll total verloren sein, mit Ausnahme von einigen geretteten Personen.
Das angesehenste Organ der periodischen Presse Frankreichs, die Revue des deur Monde?, konstaurt die ungemeine Po° pularität Bismarck? in Deutschland und lnüpst daran einige mnteressanle Bemerkungen. Sie schreibt: Die ungeheure.Popularität, deren sich heute unter den Deutschen der Mann erfreut, welcher ehedem der allerundeliebtesie war, kan» nicht ans küust. lichen Mitteln beruhen. .Hr. v. WSmarck Hai seinen 'Weg in oer Welt durch Mißachtung der ösfenttichen Meinung gemacht. I n Jahre 1866, als er Preußen zwang, Oesterreich den Krieg zu erklären, hatte er wider sich das Parlament, die Parteien, den Hof, die Presse, die Städte und das flache tland, die Besorgnisse seines Heeres und die Bedenken seines Monarchen. Die Geschichte weist nirgends einen Mann ans, der so viel gewagt, der so viel ans sich genommen, mit so kühner Hano dem Geschicke den Fehdehandschuh hingcworseii Halle. Das Geschick hat seine Kühnheit nicht minder als seinen Scharfblick und vie Sicherheit seiner Berechnungen gerechtfertigt, und die öffentliche Meinung, der er getrotzt hatte, ist seine nnierthänigste Dienern! geworden. Wie sollte er nicht populär sein? Vor ihm besaß Deutschland ohne Zweifel den Frieden, den Wohlstand, die AnuehmUchkeitcn eines geordneten Hauswesens, den wissenschaftlichen und liiera- rischen Ruhm; eins aber ging ihm ad: der polnische Stolz. Der Mann, welcher einem Volke das Vergnügen, sich zu bewundern, und die Freude, Furcht einznflößen, verschafft hat, kann es führen, wohin es ihm beliebt. Die Popularität des Hrn. v. Bismarck nimmt von Tag z» Tag zu Im Jahre 18,0 sah man noch blos einen Preußen in ihm; durch den Feldzug, den er gegen Rom unternommen hat, ist er der Mann Denijchlands geworden. Seitdem er sich zum Kämpfer der GeisteSrechie, der Verstandesfreiheit gegen die llebcrgriffe oer röm Hierarchie aufgeworfen hat, hat er um seine Person und seine Plane drei Vierlheile der Süddeutschen, die Uurversiiäien und seine Primärlehrer, alle sene Schulmeister gesammelt, die er unlängst anssor- derte, mit ihm den großen Krieg gegen die Feinde der Zivilisation, den Kulturkampf zu bestehen. Ee kennt besser als irgeno Jemand das Temperament seines Volkes und dessen empfindliche Seiten. Die Prosa der gewandtesten Journalisten übt geringere Wirkung auf die deutschen Gemüther, als der unwillkürliche oder berechnete Ungestüm seiner nervösen und erregten Beredsamkeit, als einige von ihm in dem Reichstage oder in dem prcuß. Abg. Hause h:n- geworsenen Worten, welche Deutschland wie ein Blitz durchzucken und schwäbische oder Frankfurter Herzen, die sich gelobt hatten, ihm aus alle Zeiten verschlossen zu bleiben,.tief aufwühlen. Dieser anßerordcnil'che Mann, in dem das Zeug zu mehr als einer Rolle steckt, ist der Tribun Deutschlands geworden, und er weckt in den Gemüther!! Leidenschaften, die zu berücksichtigen wir wohl ihun werden. Gewiß ist es uns gestaltet, die radikalen Lösungen, die er vorschlägt, zu tadeln und andern den Vorzug zu geben, nur dürfen wir nie den Schein aus uns laden, als ob wir uns heimlich mit seinen Feinden verschworen hätten und die Enzyklika oder den Syllabns gegen ihn in Schutz nehmen wollten; sonst würde sich der Enthusiasmus, den er erregt, zum Fanatismus gestalten. Paul Louis Courier schrieb im Jahr 1823: „Werden wir Kapuziner werden oder nicht? So stellt sich heute die Frage." Nein, diese Frage besteht nicht, wir werden keine Kapuziner sein. Es gilt unsere Ehre nicht weniger als unsere Sicherheit.
Athen/ 29 April. In Kyparissa (Morea) fand heule ein heftiges Erdbeben statt Die Kirche stürzte gerade in dem Augenblick zusammen, als die Messe gelesen wurde, und begrub 47 Menschen unter ihren Trümmern.
Der Erzbischof von Valladolid hat ein Hirtenschreiben erlassen, in welchem er die Civilehe als Konkubinat bezeichnet und bürgerlich gestauten Personen die Wiederaufnahme in den Schooß der Kirche, kirchliche Trauung und kirchliches Begräbnis; nur dann zusichcrt, wenn sie ihr Zusammenleben vorher thalsächlich aufgelöst haben
In Spanien ist die Lage der Dinge fortwährend eine trostlose. Don Carlos pfeift zwa^auf dem letzten Loch, aber die Unzufriedenheit mit der Madrider Negierung wächst im ganzen Lande und es sollte uns nicht wundernehmen, wenn die nächste Folge des Endes von Don Carlos ein neues Pronnnciamenlo gegen die Negierung des Don Alfonso wäre, dem die Tugend- rose Jsabella immer näher rückt.
Griech enlandhat wieder eine seiner permanenten Minister- ! krisen. In den letzten Tagen drohte sogar der Dynastie eine Krisis, die sich — Dank russischem Einfluß — wieder verzogen zu haben scheint.
In der Nordamerikanischen Union hat die Gcschästs- siocknng gewaltige Dimensionen angenommen und hält länger an als je eine der früheren. Es hat eben jetzt noch die ganze Welt an der Ueberproduktion und Ueberspeknlation der letzten Jahre schwer zu tragen und es ist dieß ebensogut diesseits als jenseits des Weltmeers der Fall.
Der Niug der Mutlter.
lAvrtsetzung.)
„Madame sie werden berechtigt sein, dieses Testament an- zusechten, aber bei solchen Prozessen —"
„Reden wir davon nicht, so lange die Leiche meines thenren Vaters noch über der Erde ruht! Ihr wißt nicht, ob die Beer- üignng schon festgesetzt ist.
„Morgen Vormittag."
Leonie harre sich erhoben, ein entschlossener Zug umspielte ihie Mundwinkel.
„Ich werde ihr gegenüber treten," sagte sie, „ich werde von ihr Rechenschaft fordern, nur Sie kann die Briefe unterschlagen haben."
„Glauben Sie, daß Sie es gestehen wird?"
„Nein, aber sie soll erfahren, daß ich die Machinationen kenne, die mir die Liebe und den Segen meines Vaters geraubt haben. Wollt Ihr mich begleiten, Meister Steffens?"
»Ich Euch keuien Befehl zu ertheilen, ich kann nur bitten. Aber eS ist wahr, die Cholera ist eine ansteckende Krankheit, und ich darf nicht verlangen, daß Ihr Euch der Gefahr der Ansteckung aussetzet."
Leonie hatte die letzten Warte mit schiefer Betonung ge- ! sprachen, ihre Gemüthsoersassnng machte sie bitter gegen den alten, treuen Diener, der weniger sein Leben, als eine sorgenfreie Existenz bedroht sah, wenn er die Feindin der jetzigen Brod- herrin begleitete.
Meister Steffens war zu alt geworden, ats daß er über diese Bedenken leichtfertig hätte hinweggehen können, er wußte ja nicht, wo er sein ergrautes Haupt betten sollte, wenn er aus seinem Häuschen vertrieben wurde.
Mit bedenklichem Kopfschütteln blickte er der jungen Dame nach, die rasch dem Schlosse sich näherte.
Zn derselben Stunde, in der Leonie das Haus des Gärtners betrat, beschäftigte Frau von Weinheim sich in ihrem Boudoir damit, einige Aktenstücke und Dokumente zu durchlstättern. s
Sie war eine hohe, stattliche und noch immer schöne Dame, eine imponirende, blendende Erscheinung in der Mitte zwischen i Dreißig und Vierzig.
Aber ihrer Schönheit fehlte die Anumth. die Wärme der Seele, sie konnte den Verstandesmenschen ölenden und bezaubern, den GemüthsMenschen ließ sie kalt.
Es lag in ihren feinzeschnittenrn Zügen etwas Herbes und Strenges, und in dem Blick ihrer großen, dunklen Angen, etwas ! Lauerndes, Stechendes, was den ersten angenehmen Eindruck, ! den Sie äußere Erscheinung machte, wieder verwischte. i
Wer dieses kalte, stolze Antlitz lange betrachtete, der mußte . zu dem Schlüsse gelangen, daß diese Frau kein Mitleid, keine i
Theilnahme für fremdes Leid empfinden könne, daß ihr das !
Gemüth fehle, saß sie eben nichts weiter sei, als eine schöne, marmorkalis Statue.
Der entschlossene, energische Ausdruck ihres Gesichtes mußte ihn erkennen lassen, daß sie konsequent den Weg verfolgte, der zu dem vorgestceckten Ziele führte, daß sie keine Hindernisse anerkannte und jeden Kampf, der ihr geboten wurde, mit lrctziger Kühnheit annahm.
Aber neben dieser zähen Festigkeit eines eisernen Charakters lag auch ein Zug der Gefallsucht in ihrem Antlitz, ihrer stolzen Haltung, ihrem ganzcn Wesen.
Ihre Toilette war gewählt, selbst der schwarze Traneran- zng, den sie heute trug, ließ die Absicht der Koketterie durchblicken.
Und diese Absicht spiegelte sich sogar in der luxuriösen Ausstattung des reizenden Boudoirs, in der Pracht der Farben der Gardinen und Polster.
Vor ihr stand ein elegant gekleideter Herr, eine kleine, ge- ' drnngene Gestalt mit einem ichars markirten Gesicht. !
Wollte sie diesen! gefallen ? Nahm sie zur Koketterie ihre l Zuflucht, um ihn zu fesseln? :
Die Dienerschaft erging sich in manchen Vermuthungen darüber, sie iah Manches, was dem verstorbenen Hausherrn un- ! bekannt geblieben war. Sie wußte, daß Hr, Fohrenschmidt sehr häufig mit Frau von Wcinheim zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten lange und geheime Unterredungen gepflogen halte, und daß Herr von Weinheim nie hinzu gezogen worden war, sie hatte manchen verstohlenen Blick bemerkt, manches bedeutsame Wort vernommen und daraus manchen, vielleicht gewagten Schluß gezogen, der dem Hausherrn freilich ein Geheimniß geblieben war.