Vaters in Irrsinn gefallen sei und den Großvater ein Fußleiden zum Selbstmord geführt habe. — 30. Oktober. Das Gutachten des Hosraihs und Professors v, Ricnicker, mit welchem die Heu lige Verhandlung eröffnet wurde, gehl im Wesentlichen dahin, daß Kullmann, der, wie sich aus einer Anomalie des Schädels ergebe, physisch schon zu Gcistes-Krankheit disponirl, dessen Großvater ein Selbstmörder gewesen, dessen Mutter un Jrrenhause gestorben und dessen Vater ein Säufer sei, eine vernachlässigte sittliche Erziehung erhalten habe, welche einen falschen Jdeengang begünstige. Kulimann sei intelligent, aber nicht moralisch. Er sei wiederholt an Syphilis erkrankt, er sei außerdem ein Selave eines schrecklichen Lasters (Onanie) und habe sich diesem in sehr hohem Maße hingegebcn. Solche Menschen seien der Mißteiluuz durch Verführer am leichtesten zugänglich. Bei Kullmann stimmten alle Kriterien zusammen, daß er das Werkzeug sremder Einflüsterungen sei. In Salzwedel sei Kullmann ein anderer geworden. Bei einem solchen Menschen führten Aufhetzereien mit Sieben Meilen-Stiefeln bis zum politischen Meuchelmord. Zudem habe.Kullmann an Großmannssucht gelitten. Das Gutachten kommt zu dem Schlüsse, daß Kullmann zwar geistig gesund sei, daß aber bei ihm krankhafte Dispositionen vorhanden seien, welche geeignet, unter Umständen die Freiheit seines Willens zu beschränken. Es kommen hierauf mehrere Schriftstücke zur Verlesung, darunter ein Bericht der Staatsanwaltschast zu Salzwedel. Derselbe erklärt den Pfarrer Slörmaun daselbst, den Leiter des katholischen Männervereins, für einen fanatischen Katholiken, der wohl geeignet sei, »nqebildete Menschen zu fanatisiren. In einem seiner Vorträge im Verein, der zur Vorlesung gelangt, finden sich die Stellen: „Der jetzige Kampf ist ein Kampf mit der Hölle und dem Teufel selbst; gegen diesen müssen wir eine Attaque machen." — „Wir befinden uns in einer ähnlichen Lage und in einer noch schlimmeren, wie die ersten Christen" u. s. w. — Der Präsident erklärt hierauf die Beweisaufnahme für geschlossen und es erfolgt dann die Duplik des Vertheidigers und das Resume des Präsidenten, die wir nebst dem Urtheilsspruch in letzter Nummer mitaethcilt.
(Die Be r ich ter sta tter b ä u ke während des Kullmann'- schen Prozesses.) Aus Süd und Nord waren Reporter zu dieser Schwurgerichtsocrhandliing eigens nach Würzburg gereist. Da war nun ein Leben ans den nicht sonderlich gut siiuirten Bericht- erslatlerbänken! Alle arbeiteten um die Wette, um am schnellsten und ausführlichsten ihre Auftraggeber mit Nachrichten zu versehen. Das war aber auch eine Organisation, an der man seine Freude haben konnte! Wie wäre es auch sonst möglich gewesen, dritlhaidhundert Zeitungen mit Originalberichteu zu versehen, und zwar durch einen Apparat von etwa 40 Mann. So ein gewandter Reporter schrieb nicht nur einen Bericht, sondern drei, vier, ja sebst zehn zn gleicher Zeit. Wie war das möglich!? Ganz einfach! Der Mann halte Lagen von blauem oder rolhem Bauspapicr und dieselben zwischen weiße feine Briefbogenblätter eingeschichtct. Auf das oberste weiße Blatt schrieb er mit einem harten Stift im Fluge seinen Bericht oder drei, vier oder zehn Blätter waren schnell als eines beschrieben. Jede Seknnde wurde mit einem wahren Raffinement ausgenützt. Erfolgte die Beeidigung eines Zeugen oder trat sonst eine kleine Pause ein, schnell wurden Telegramme entworfen oder die bereits beschriebenen Bogen in gesonderte, bereits adressirte und markirle Couverts gelegt und weiter befördert. Die Berichterstatter verließen dabei ihre Plätze nicht; für die Beförderung waren eigene Wagen ersonnen. Die Einen reichten Briefe und Depeschen von Hand zu Hand, bis selbe zu einem bestimmten Bediensteten gelangten, und dieser ließ durch Dienstmänner das Verbringen zur Post und auf Telegraphenamt besorgen. Wieder Andere, welche einen Fensterplatz hatten, warfen ihre Elaborate einfach durch das Fenster in den Hof herab. Dort standen schon ihre dienstbaren Geister mit Geld und Kredit versehen und fanden zu Fuß oder zu Wagen ebenfalls die schnellsten Wege und die beste Quelle, das kaum „dem Zaun der Zähne" entflohene Wort nach allen Richtungen der Windrose, sei es durch die Macht des Dampfes, sei es durch die des Blitzes, zu verbreiten. Die „Kölnische Zeitung" z. B. hatte im Magistratsgebände, wo sich der Gerichtssaal befand, ein eigenes Bureau für ihre Stenographen errichtet und ließ sich den stenographischen Bericht Wort für Wort durch den Telegraphen senden.
Frankfurt, a. M. 31. Okt. In der Anklage gegen die „Franks. Zeitg." wegen der Nosenfelder Katastrophe, wo am 31. Juli v. I Avon der 7. Kompagnie des 6. badischen Jnf.-Reg. Nro 114 auf dem Marsch von Hohenzollern nach Rosenfeld 8 Mann todt niedersanken, ist Redakteur Sonne mann heute von der Strafkammer freigesprochen worden und zwar nicht, weil die Thatsache wahr, sondern weil der Artikel unter dem Eindruck größter Aufregung und nur in der Absicht geschrieben worden, militärische Einrichtungen als fehlerhaft und ungenügend zu kennzeichnen.
In dem Fabrik-Orte Großenhain ist der Zwist zwischen den Fabrikanten und Tuchmachern zu einem hohen Grade der Erbitterung gediehen. Die Arbeitnehmer wollen sich den kargen
Lohn nicht schmälern lassen, und die Fabrikanten behaupten, der Zeit Verhältnisse halber zur Schmälerung desselben gezwungen zu sein. Vom 1. November ab werden gegen 1500 Arbeiter daselbst feiern.
Der Kaiser, welcher wenige Stunden nach der Eröffnung des Reichstages einer Einladung des Herzogs von Braunschweig nach Blanckenburg folgte, hat dem Fürstbischof von Breslau mittelst Telegramm seine Theilnahme au dem auf Schloß Johannisberg erlittenen Unfall ausgedrückt und sich von demselben zugleich Nachricht über sein Befinden erbeten, während der Fürstbischof von der Kaiserin gleichzeitig mit einem Beileidschreibeu beehrt wurde.
Berlin, 2. Nov. Die Fractionsbesprechungen machen eine rasche Erledigung der Reichstags-Arbeiten wahrscheinlich. Das Justizgesctz, das Bankgesetz und der Militär Etat sollen au eine Commission verwiesen und die Commissions-Arbeiten durch die Beschränkung der diesmonatlichen Plenarberathungen so gefördert werden, daß im Laufe des Dezember bis Weihnachten die gesammten Reichslagsvorlagen, die Jusiizgesetze ausgenommen, erledigt werden können.
Ein Berliner Korrespondent der Times kommt auf das Werk von vr. Golther „derStaat und die katholische Kirche" zu reden und nennt es „ein Werk, welches mehr Aufmerksamkeit erregt, als irgend eine andere Publikation über den Kirchenstreit". Die Papisten versichern gewöhnlich, daß, wenn die Kirchenzesctze in Preußen Widersprnch findenj, während sie in allen anderen deutschen -Staaten anerkannt und in Kraft seien, das daher rühre, weil diese Gesetze in Preußen blos durch den Staat gemacht seien, während sie in anderen Staaten aus Verträgen mtt dem Pabst beruhen, vr. Golther beweist, daß dieses Argument auf Württemberg keine Anwendung findet, und daß der Pabst, wenn er Preußen für das tadelt, was in Württemberg Krone und Parlament seit lange thun, er dabei nur von Gründen weltlicher Politik geleitet sein kann. Das Buch ist eine der wichtigsten und gelehrtesten Publikationen über den Gegenstand; es macht großes Aussehen und wird von erheblichem Einfluß ans den Ganz des Streits sein.
Berlin, 3. Nov. Den Morgenblättern zufolge will die Staatsanwaltschaft gegen die „Nordd. Allgemeine Ztg." und die „Germania" wegen Veröffentlichung der Anklageschrift gegen Kullmann, gegen die „Vossische Zeitung" wegen Veröffentlichung des Bülow-Aruim'schen Schriftwechsels gerichtliche Untersuchung beantragen.
Der Erzbischof von Olmütz gibt den Widerstand gegen die konfessionellen Gesetze auf. Heute meldet die Olmützer „Neue ! Zeit", daß nicht blos die Anzeigen aller Pfründbesetzungen nach , Vorschrift der konfessionellen Gesetze regelmäßig bei der Statt- , Halterei einlreffen, sondern daß die letztere auch bereits sämmtliche rückiichtlich der Kanonikate benölhigten 'Notizen vom Domkapitel erlangt hat. Könnte» die deutschen Bischöfe diesem gegebenen Beispiele nicht auch Folge geben?
Aus Lothringen, 30. Okt. Die Klagen über zahlreiches Auftreten der Wölfe und das Ueberhandnehmen der Wildschweine mehren sich neuerdings wieder in bedenklicher Weise.* Die Frechheit der Wölfe geht so weit, Hunde und andere Haus- thiere in unmittelbarer Nähe von Dörfern anzugreifen. Der von Wildschweinen in Kartoffelfeldern, namentlich aber in Rebpflan- zungen angerichtete Schaden ist enorm. ^ Darum ihr Jäger von der Churpfalz und des Nagoldthales auf nach Lothringen!
(Intelligenz eines Pferdes.) In der Nähe von Saarbrücken kam eine einspännige Fuhre einen ziemlich steilen, sandigen Feldweg hinunter, auf welchem mehrere Kinder sich mir Spielen vergnügten. Bei der Annäherung des Wagens, dessen Führer aus irgend einem Grunde zurückgeblieben war, wichen die Kinder aus, bis auf eines von zwei Jahren, welches ruhig weiterspielte. Was geschah? Das Pferd hielt, unmittelbar vordem bedrohten Kinde angelangt, stille, wartete einige Augenblicke ab, bis das Kind sich von selbst entfernen würde, griff endlich, als letzteres nicht geschah, das bedrohte Geschöpfchen am Kleide, worauf das kluge Thier seinen Weg fortsetzte. Die Thatsache ist verbürgt.
Paris, 31. Ock. Die Pariser Blätter finden im Allgemeinen das über Kullmann gefällte Urtheil sehr mild: nach hiesigen Begriffen hatte man sich auf eine Strafe von 20jähriger, wenn nicht lebenslänglicher Zwangs-Abeit gefaßt gemacht. „Die öffentliche Meinung in Frankreich — schreibt die „Presse" — wird von der Milde dieses Urtheils überrascht sein und sich dieselbe nur schwer erklären können. Sollen wir etwa vermuthen, daß der deutsche Richterstand, indem er über den Mann, welcher nahe daran war, eine so mächtige Persönlichkeit, wie Hrn. v. Bismarck, zu ermorden, eine so leichte Strafe verhängte, einen Beweis seiner Unabhängigkeit gegenüber der Regierung geben wollte? Gibt es auch Richter in Würzburg und nicht nur in Berlin?"
Paris, 31. Okt. Herrn Thiers, welcher vor einigen Tagen in Nizza ankam und dort von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt wurde, ist am 28. Oktober eine glänzende Ovation zu Theil geworden. Mit einbrechender Nacht fuhren 24, mit vene-