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Nach der Verlesung der Urtheilsformel, wonach sich der Kaiser entschlossen habe von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen, und den üblichen Ceremonien wurde der Delinquent, der dies Alles hochaufgerichtet mit- anhörte, dem Henker übergeben. „Nieder mit der Barbarei, hoch mit der Anarchie!" mit diesen Worten, deren letzte nur noch undeutlich vernommen werden konnten, nahm er Abschied vom Leben, denn den Delinquenten packen, seiner Kleider entledigen, war das Werk einiger Sekunden. Das Beil saß im Richtblock, das Haupt lag vor, der Körper hinter demselben. Nach wenigen Minuten war nichts mehr von der Blutthat zu sehen, alles war gereinigt.
— Auf einen Wink des Staatsanwalts wurde sodann Küchler vorgeführt. Küchler ist untersetzt und macht den Eindruck eines vierzigjährigen Mannes. Sein Gang ist unsicher, sein Blick unstät, seine Haltung gebeugt. Neben ihm schritt, ihm Trost zusprechend, ein Geistlicher. Apathisch stand er da, apathisch hörte er das Verlesen der oben erwähnten Schriftstücke an und apathisch ließ er sich von den Schergen ausziehen und zum Richtblock schleppen. Sein Haupt fiel ohne jeden hörbaren Laut. Auch die zweite Prozedur dauerte sehr kurze Zeit. Von dem Moment, in welchem Küchler dem Nachrichter übergehen wurde, bis zum Fallen des Hauptes war noch keine Minute verstrichen. Nachdem auch dieser Verbrecher seine irdische Strafe gebüßt hatte, verließen fast sämmtliche Anwesende die Richtstätte. Der dritte Hochverräther, Rupsch, ist durch die Gnade Sr. Majestät der Strafe seiner Mitthäter entgangen und wird eine lebenslängliche Zuchthausstrafe verbüßen.
Gleich nach Vollstreckung der Todesurteile wurde an den Plakatsäulen der Stadt die diesbezügl. Bekanntmachung angeheftet.
Wien, 4. Februar. Die an dem Raubmordversuche beteiligten Personen (s. l. Nr.) befinden sich jetzt alle in den Händen der Behörde. Die That wurde von Jakob Klein und Ignaz Julinek ausgeführt. Der „Dritte", von dem gestern gesprochen wurde, existirt nicht. Ueber die Verhaftung des Jakob Klein ist bereits berichtet worden. Ignaz Julinek wurde von einem Polizeiagenten in einem Gasthause in Margarethen festgenommen. Bei der Verhaftung versetzte er dem Detektive mit einem stumpfen Instrumente mehrere Schläge auf den Kopf. Einer seiner Tischgenossen insultirte den Detektive ebenfalls und nahm sich des Julinek mit Wärme an. Auch dieser Mann wurde verhaftet. Er steht aber in keinem Zusammenhänge mit der That selbst. Als Julinek sah, daß sein Spiel verloren sei, stellte er sich irrsinnig, und bei seiner Vernehmung im Polizeigefangenhause wußte er die Rolle mit vieler Geschicklichkeit weiterzuspielen. Julinek ist Ziegeldeckermeister. Er betrieb zuletzt 2 Geschäfte, hatte einen Geschäftsführer und einige Gehilfen und die Ziegeldeckerei warf ihm so viel ab, daß er mit seiner Familie ganz gut sein Auskommen hätte finden können. Allein feine Vorliebe für das Gasthausleben verschlang einen großen Teil seines Verdienstes, so daß Julinek immer tiefer in Schulden geriet. Vor zwei Jahren nahm sein Geschäft einen derartigen Aufschwung, daß er nicht weniger als 122 Gehilfen in seinen Diensten hatte. Doch trotz des größeren Einkommens verbesserte sich seine Lage nicht. Zu den Kunden zählte auch Frau Chomiak, welche von ihm hin und wieder Reparaturen ihres Hauses besorgen ließ. Auf diese Art erklärte sich auch, wie die so vorsichtige Frau die beiden Männer anstandslos in ihre Wohnung eintreten ließ.
Werrmifchtes.
— Die Krinoline ist wieder da," so wird dem „Wests. Merk." vom ersten Berliner Hofball am 29. Januar geschrieben. „Was wir schon lange im Blick auf die unheilschwangere „Tournure" gefürchtet haben, jetzt ist's Ereignis. Das Unbeschreibliche — auf dem Hofball ist's gethan: das ewig Weibliche — zieht sie wieder an. Prinzessin Friedrich von Hohen- rollern ist laut dem Zeugnisse zünftiger Toiletten-Historiker „in ganz weiten Kleidern" erschienen und mit ihr desgleichen die Prinzessin Vrktorra, die Gräfin von Hohenau, Frau von Ballussek und viele andere schöne Mitglieder des Mode-Staatsrats. Da hilft keine Petition. Mit Ausnahme der neudeutschen Provinzen in Afrika, die in Toilettesachen Reservatrechte haben, muß sich ganz Deutschland und Umgegend dem unerbittlichen Gesetze fugen. Mit der Tournure fing das Unheil an. Ganz leise steckte der Reifrock seinen Kopf in die Welt. Er kam, so zu sagen, hinterrücks. Aus der Tournure kriecht jetzt als Schmetterling der unverfälschte Reifrock.
KanöeL L WerrkeHv.
Preise auf dem Stuttgarter Wochenmartt vom 7. Februar.
Kilo süße Butter >/, Kilo saure Butter >, Küo Rindschmalz 1 Kilo Schweineschmalz 1 Liter Milch 1 dto. abgerahmt 10 frische Eier
«4L 1
1 1
1
1
1
1
1
1
Kilo Weißbrod —
Kilo Halbweißbrod —
Kilo Hausbrod
Paar Wecken wiegen 80—120 Gr. Kilo Mehl Nr. 0 42 ; Nr. 1 38
Kilo Kartoffeln Kilo Erbsen 1 Kilo Linsen 1 Kilo Bohnen Kilo Ochsenfleisch '/, Kilo Rindfleisch > , Kilo Schweinefleisch »/, Kilo Kalbfleisch
L
38
44
36
70
60
60
Kilo Schasfleisch 1 Gans 1 Ente 1 Huhn 1 Taube
50 Kilo Kartoffeln 50 Kilo Welschkorn 50 Kilo Wicken 50 Kilo Haber 50 Kilo Gerste 50 Kilo Herr 50 Kilo Stroh 1 Raumeier Buchenholz 1 Raumeter Birkenholz
-.70 «4L - bis —. 2 20 1 40 40 ^
«4L 2.30 bis 2.70 «4L 9.-. 10 .
«4L 7. bis 7 «4L 9.— bis «4L 3.80 bis 4.
«4L 2.60 bis 2.
«4L 12 «4L 10
1 Raumeter Tannenholz «4L 9 —
Preisein der Markthalle, si, Kilo Rindfleisch — 54
'/, Kilo Schweinefleisch — 58
, V» Kilo Kalbfleisch — 58
60>'/, Kilo Hammelfleisch — 60
Aufruf.
Am 1. April d. I. feiert unser ReichÄanzler, Fürst Bismarck, seinen 70. Geburtstag und zugleich die 50jährige Wiederkehr des Tags da er begonnen hat, seine Kraft dem Dienste des Vaterlandes zu widmen. Nächst Seiner Majestät unserem Kaiser dankt Deutschland Ihm vor Allen seine Wiedergeburt, er hat sie von der ersten Zeit feines Wirkens an fest ins Auge gefaßt, durch alle Kämpfe hindurch hoch gehalten und das erhabene Ziel erreicht; er hat seither als erster Rat unseres Kaisers mit fester Hand das Steuer geführt und sein Deutschland zu dem sichersten, mehr und mehr von allen einst so eifersüchtigen europäischen Mächten anerkannten Horte des Friedens erhoben; er hat es in hochherziger Weife unternommen, den minder begünstigten Klassen des Volkes die Not des Lebens zu mildern und allen, soweit das möglich, die Wohlthat eines gegen alle Wechselfälle gesicherten Daseins zu gewähren; er hat dem Vaterlands und feinem Erwerbsleben durch eine geniale, ebenso maßvolle als erfolgverheißende Kolonialpolitik, wie sie für ein mächtiges Volk unentbehrlich ist, große Aussichten der Zukunft eröffnet.
Für all' diese Großthaten will ihm das deutsche Volk ein Zeichen seiner Treue, seines Dankes darbringen: Es wird dem Reichskanzler an seinem Ehrentage ein nationales Ehr enge schenk gewidmet werden.
Wenn wir unsere Mitbürger zur Beteiligung an diesem patriotischen Unternehmen einladen, so hegen wir das Vertrauen, daß der Fürst selbst: am besten über die Verwendung der Ehrengabe bestimmen wird: er wird auch hier mit glücklichem Griffe eine hohe Aufgabe des nationalen Wohles bezeichnen, welche durch die vaterländische Spende ins Leben gerufen oder gefördert werden soll.
Mitbürger! Wir bitten, daß sich überall im Lande, in jedem Bezirke, ohne Rücksicht auf Parteistellung, Männer zusammenfinden, welche die Sache in die Hand nehmen, einen Ausschuß bilden, die Sammlungen organisieren. Jede auch die kleinste Gabe ist willkommen: es ist vom höchsten Werte, daß: alle Klassen des Volkes, und nicht zum mindesten diejenigen, welche dem Kanzler so viele Sorge für ihr Wohl danken, unter den Gebern in großer Zahl vertreten sind.
Die Gaben werden in Einer Summe vereinigt, als der Anteil: unserer schwäbischen Heimat dem nationalen Ehrengeschenk von ganz Deutschland eingereiht werden.
Im Februar 1885.
(Folgen die Unterschriften aus 42 württ. Oberamtsbezirken.)
Unter Beziehung auf vorstehenden, von Männern aller Parteistellungen: in den württemb. Landesblättern erlassenen öffentlichen Aufruf, erlauben wir uns an die Einwohner der Stadt und des Bezirks Calw, die Bitte um Gaben ergehen zu lassen. Jeder der die großen Verdienste des Reichskanzlers um unser Vaterland und Volk ehren will, wird gerne eine Gabe beitragen und die Sammlung fördern helfen, um was wir insbesondere auch> unsere Freunde auf dem Lande bitten. Wir sind bereit Gaben zur Weiterbeförderung in Empfang zu nehmen.
Calw, den 9. Februar 1885.
StcröLschuktheiß Kcrffnev. Grnit Ioeppr-ih,
Grrgen StcreNn, Wichetnr Ieöerchaff, Ksrnvrch Kulten, Kugo Wuu,
Werrw.-Act. JechLev, Di-. Kbevhcrvö MüLev, EuftuV Wcrgnev sM., Gcrvt WieLcrnö,
Louis SLvoh, Johannes Karru.
Die Generakverjammkrmg äes tan^wirtkfckaMiHen Kezirksvereins
(Fortsetzung.)
Der Berichterstatter erwähnte dann noch des am 21. Dezbr. 1883 von Hrn. Oekonomierath Schosser gehaltenen Vortrags über das landw. Versicherungswesen, in welchem die Unmöglichkeit einer Zwangshagelversicherung nachgewiesen und über den in diesen Blättern s. Z. spezieller Bericht erstattet wurde; ferner der dem Ausfchußmitgliede Schull. Alber zu Theil gewordenen Auszeichnung durch Ertheilung des Septemberpreises, der ihm in einer besonderen Sitzung feierlich überreicht wurde. Endlich wurde noch die Frage von der Erhöhung der Getreidezölle, die sowohl im Bezirks- als im Gauausschuß wegen der getheilten Ansichten resultatlos be- sprachen worden sei, zum Gegenstand einer kurzen Erörterung gemacht, indem der Referent seinen im Gesammtkollegium der Centralstelle eingenommenen ablehnenden Standpunkt einem Vereine gegenüber, den er dort vertrete, glaubte begründen zu müssen. Er habe, wie schon im Jahre 1879 gegen die Getreidezölle überhaupt, so jetzt gegen deren Erhöhung gestimmt und zwar aus zwei Gründen, einmal weil er Zölle auf Lebensmittel, unter denen neben der industriellen Bevölkerung auch der größte Theil der landwirth- schaftlichen Bevölkerung, d. h. derjenige Theil, der nichts verkaufen könne, sondern noch zukaufen müsse, leiden müßte, während nur ein kleiner Theil der Landwirthe, in Baden 2°/o, in Württemberg ca. 13v/o, in Bayern 20o/g, in Preußen 13o/<> einen wirklichen Nutzen davon hätte, für unannehmbar halte, und dann, weil er der festen Ansicht sei, daß diese Zoll", wenn sie