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für die preußischen Seenovizen. Die Engländer werden sich den Bauch halten vor Lachen über den verlegenen deutschen Michel, wenn ihm urplötzlich die Augen darüber aufgehen, daß das Wasser keine Balken hat, nachdem er sich eingebildet hatte. man könne ebenso rasch und billig nach Afrika und Australien kommen, als man einst nach Paris gelaufen war. Alle offiziösen Hallelujas und Jubelrufe werden es nun wohl leider nicht hindern, daß unser ganzer afrikanischer, sowie nicht minder der neueste australische Himmel ins Meer stürzt. Ja wir wollen uns gratulieren, wenn es nur bei dem kläglichen Finale sein Bewenden hat, und wenn Deutschland außer der Blamage nicht noch gar die bittere Pille recht artiger auswärtiger Verwicklungen zu verschlucken bekommt. Klar ist: das deutsche Reichskolonialgestirn ist im Sinken begriffen, und der Schlußakkord des Kolonialwalzers dürfte kläglich verstimmt ausklingen. Wir fürchten sehr, es möchte von unserm kurzen Kongorausche nichts weiter übrig bleiben, als jene 6 Meter hohe Landkarte im Berliner Konferenzsaal, um schlicht als Erinnerung an einen kurzen schönen Traum ihren Platz in einem historischen Raritätenkabinet zu finden.
Man braucht über diesen Erguß weiter kein Wort zu verlieren.
— fAus der R e i ch s h a up t st a d t.) Dem Prinzen August von Württemberg ist auf einem Jagdausflug bei Zehdenick ein Unfall zugestoßen, worüber die Nat.Z. berichtet: „Der Prinz erkrankte plötzlich und es heißt, daß diese Erkrankung auf einen Schlaganfall zurückzuführen sei. Zehdenicker Aerzte, welche sofort geholt wurden, leisteten dem Prinzen die erste Hilfe. Der Prinz konnte zunächst nicht nach Berlin transportiert werden und mußte in Zehdenick Zurückbleiben, wo ihm im „Deutschen Haus" daselbst Unterkunft bereitet wurde. Prinz August ist am 24. Januar 1813 geboren, also 72 Jahre alt. Die Tochter des Prinzen, welche sich erst kürzlich vermählt hat, wurde sofort von der Erkrankung benachrichtigt. Der Kaiser sandte sofort seinen Leibarzt, den Generalarzt Dr. Leuthold nach Zehdenick."
Oesterreich.
— Die letzte Verhandlung im deutschen Reichstage und die eminent bedeutsamen Erklärungen desFürstenBismarck werden in den großen Wiener publizistischen Organen mit größter Aufmerksamkeit behandelt. Das „Fremdenblatt" und die „N. Fr. Presse" bringen heute bereits Leitartikel, in welchen sie sich für die deutsche Kolonialpolitik sehr sympathisch äußern. Das letztgenannte Blatt hatte noch vor wenigen Tagen seine Bedenken nicht zu unterdrücken vermocht und das Facit seiner Betrachtungen dahin gezogen, daß, während Frankreichs Freundschaft für Deutschland noch -eine Zukunftsziffer sei, sich um England ein Kranz von Mißvergnügten zu aruppiren beginne, die allesammt ihre Verstimmung gegen Frankreich auf Deutschland übertrügen. Mit großer Genugthuung bespricht dasselbe Blatt deshalb die Bismarck'sche Rede vom Sonnabend, die es als „eine der stärksten Bürgschaften für die Festigkeit und Dauer des europäischen Friedens, die überhaupt in dem bis an die Zähne bewaffneten Europa sich erdenken lassen," bezeichnet. „Sie gipfelt in dem Satze: Deutschland ist von Freunden umgeben." Ein kompetenteres und zugleich entschiedeneres Urteil über die eminent friedliche Lage des heutigen Europa könne es nicht geben. Auch wenn Fürst Bismarck nicht schon wiederholt Proben dafür abgelegt hätte, daß seine diplomatische Kunst in Täuschungen und Zweideutigkeiten nicht bestehe, müßte man diesen Worten schon deswegen vertrauen, weil die so vorsichtige deutsche Reichspolitik selbst auf die Sicherheit des Friedens baue und den Zeitpunkt für geeignet halte, um ohne' Furcht vor einer europäischen Verwickelung ihre Kräfte in überseeischen Unternehmungen zu verwenden. Wenn die Politik des deutschen Reichskanzlers noch immer die alte Friedenspolitik sei, wenn er sich bemüht zeige, nicht blos seine eigenen Antipathien zu unterdrücken, sondern auch dort, wo er bisher nur gefürchtet war, herzliche Töne anzuschlagen und ein von Mißtrauen freies Entgegenkommen zu erreichen, so ergebe sich für die europäischen Staaten die Wahrscheinlichkeit, daß sie sich, in den nächsten Jahren
wenigstens, ungestört den Aufgaben ihrer inneren Entwicklung werden widmen können.
E u a l a s d.
London, 12. Jan. Alle Zeitungen sprechen sich zustimmend zu den Erklärungen des Fürsten Bismarck in der Sitzung des Reichstags vom Samstag aus. Die Times sagt, sie beeile sich, das richtige Gefühl und den guten Sinn der Erklärung hervorzuheben. Daß einzelne schwierige Fragen zwischen England und Deutschland entstehen könnten, sei wohl möglich, doch liege kein Anlaß zu ernstlichen Mißverständnissen vor. England sei verpflichtet, die legitimen Rechte der übrigen Mächte zur kolonialen Ausdehnung zu achten. In Europa habe England Deutschland stets als große Sicherheit für den Weltfrieden angesehen. Ebenso liege auch in der Entfaltung der Kolonisations-Unternehmungen seitens Deutschlands kein Anlaß zu Beunruhigungen für England vor. Der Standart sagt, mit Deutschland deshalb streiten, weil es genommen, was England hätte vor ihm nehmen können, sei lächerlich und nichts einer großen Nation unwürdiger, als unbestimmte, unpraktische Eifersüchteleien. Daily News schreibt, soweit sie sehe, habe die deutsche Kolonial-Politik überall der unverständigen Panik, welche sie zuerst in England erregte, den Boden entzogen.
Hages-Weirigkerten.
* Neubulach. In unserer sonst so wasserarmen Gegend haben wir seit Weihnachten ein ungeheuer reges Leben. Innerhalb 10 Tagen wurden von hier nicht weniger denn 90 Eisenbahnwagen Eis nach allen möglichen Stationen versandt. Der Station Teinach wurden allein an Fracht 2700 bezahlt, der Gesammtumsatz beträgt ca. 8000 ^ und trotzdem ist noch eine Masse Eis zu haben.
— Von der medicinischen Fakultät der Landesuniversität sind die'Hrn. Georg Zahn in Calw und Eugen Fröhner aus Hirsau, Professor an der Tierarzneischule in Stuttgart, zu Doktoren creirt worden.
— Seine Königliche Hoheit der Prinz August von Württemberg ist heute Abend in Zehdenik gestorben.
Stuttgart, 13. Jan. Das Königliche Haus hat durch das nach kurzer Krankheit erfolgte Hinscheiden Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen August von Württemberg einen schmerzlichen Verlust erlitten. Prinz August Friedrich Eberhard war der zweite Sohn des Prinzen Paul, Bruder des höchstseligen Königs Wilhelm, und der Prinzessin Charlotte von Sachsen- Altenburg. Er wurde am 24. Januar 1813 geboren, und hätte somit nächster Tage sein 72. Jahr vollendet. Der junge Prinz wurde. wie sein älterer Bruder Prinz Friedrich (geb. 21. Febr. 1808, gest. 9. Mai 1870) sehr streng erzogen. Er trat 1829 in württembergische, 1830 in preußische Dienste, in welchen er auch bis zu seinem Lebensende verblieben ist. Er wurde sofort als Rittmeister in das Regiment Garde du Corps eingereiht. Nachdem er zum Obersten aufgesliegen, erhielt er 1840 das Kommando des Gardekürassier-Regiments, das er 4 Jahre führte, worauf er als General major eine Brigade und als Generallieutenant von 1854 an ein Divisionskommando erhielt. Im Jahre 1856 wurde er Kommandeur der Gardekavallerie und 1858 kommandierender General des Gardekorps. Als solcher machte er in der zweiten preußischen Armee unter dem Befehl des Kronprinzen den Krieg von 1866 gegen Oesterreich mit, und zeichnete sich bei den Gefechten von Burgersdorf und Königinhof, namentlich aber in der Schlacht von Königgrätz aus. Das Gardekorps, welches an jenem Tag eine bewundernswürdige Marschleistung vollbrachte, brach durch seinen Angriff auf die rechte Flanke und das Zentrum Benedek's und durch die Erstürmung von Chlum den Widerstand der Oesterreicher. Den deutsch-französischen Krieg machte Prinz August ebenfalls in der Eigenschaft als Kommandeur
und zwischen ihr und dem ehemaligen Werber schien die Streitaxt begraben für immer.
Von dem Baron, der erfreut war über die erwiesene Aufmerksamkeit, empfieng die alte Großmagd für sich einen harten Thaler, für die Holder- hoferin ein zierliches Briefchen, gesiegelt mit dem Wappen Derer von Windhag, und für Bertha und Pauline zwei Sträuße herrlicher, taufunkelnder Rosen.
Aber das Gesicht der alten Jul war nicht sonderlich heiter, als sie durch den dunkeln Gang nach Mariens Küche schritt, denn die Galanterien des Barons gegen Bertha gefielen ihr nicht. Den Thaler aber verwahrte sie sorglich in der uns wohlbekannten Börse mit dem beziehungsvollen I.
Sie hielt ein wenig stille, als sie zwei Stimmen in Mariens Küche vernahm, und hörte wider Willen folgende Bruchstücke eines Gespräches zwischen Marie und Heribert an.
„Das wäre also begraben", sagte Heribert, „und ich glaube Dir, daß es mehr thörichte Eitelkeit war, als eine ernste Neigung für den jungen Baron. Lassen wir es vergessen sein! Aber freilich das Andere, das Neue! Dieses seltsame, ganz unschicklich rasche Verlöbnis bringt uns Alle in eine Lage, aus der ich kein fröhliches Ende absehe. Dein Vater —"
„Ja, mein Vater", warf sie mit bebender Stimme ein, „er will keinen Aufschub. Wenn er seinen Kopf aufgesetzt hat, bringt ihn Niemand von seinem Entschlüsse ab. Ich hatte gestern eine heftige Scene mit ihm. Aber das Eine sage ich Dir, Heribert: zwingen lasse ich mich zu nichts! Doch still; mir war's, als hörte ich Tritte."
Und nun trat die alte Jul in die Küche.
Heribert konnte nicht mehr abseits und mußte mit sauersüßer Miene die Grüße seiner Mutter an die künftige Schwiegertochter anhören, die es allerdings sein wollte, aber freilich auf etwas andere Weise.
„Da sei ein Schmalzhafen für das Fräulein", sagte die alte Jul mit ihrem hölzernen Basse, den der Holderjörg so sehr bewundert, „und zwei Paar Tauben für den Herrn — Turbinenrat, er ißt sie so gern. Und
vom Uri soll ich einen sonderbar schönen Gruß sagen, und er werd' jetzt bald kommen von wegen der gewissen Sache. Es hat, glaub ich, noch was gegeben mit dem Hellerwirt, ich weiß nicht warum, und das hat ihn vielleicht aufgehalten. Und mit dem — Klamissionär in Murrheim hat's auch noch einen Anstand gegeben von wegen seiner zwei gebrochenen Rippen — von meinetwegen dürften es auch drei sein — aber jetzt ist die Sache abgemacht, und die Hochzeit kann losgehen."
Heribert und Marie sahen sich bedeutungsvoll an und erbleichten.
„Wem gehören die Rosen und der Brief?" fragte er die redselige Alte.
„Hm", meinte sie etwas verächtlich, „die Sträuß schickt der Herr Baron für die Mädchen, und in dem Brief wird etwas Geschriebenes sein für die Holderhoferin, die auch noch mit den Herrischen anbindet in ihren alten Tagen. Ich werd' aus all den Geschichten nicht klug, und der Jörg meinte es führe noch zu bösen Häusern. Unser Herrgott bewahre den Holoerhof, in Gnaden und alle Holderhofer dazu!"
„Kannst Recht haben", murmelte Heribert und sah Marie an, die sinnend dastand nnd dann mit Entschiedenheit sagte:
„Ich muß noch eine Bresche reißen in die Mauern, die man um uns auftürmt. Wartet noch ein wenig, Jul, ich gebe Euch einige Zeilen mit an den Ulrich. — Adieu, Heribert I"
Damit ging sie rasch aus der Küche, und Heribert sah ihr fast ängstlich nach. Die alte Jul aber sagte:
„Das geht ja mit Briefschreiben wie ein Mühlrad. Nun, mir kann's gleich sein, aber ich mein', man sollt' solche Sachen mündlich abmachen. Aber freuen thut's mich, daß Du ein so großer Herr geworden bist, Oberförster und Landstand, das ist schier zu viel und macht sogar die Holderhoferin ganz stolz. Sie und die Mädchen nähen und bügeln den ganzen Tag und sagen, der Heribert müsse der Schönste sein in der ganzen Stadt, wo es doch so viel Leute haben soll, als Ameisen im Wald."
Der Gefeierte lächelte trübe und verließ die Küche.
(Fortsetzung folgt.)