60. Jahrgang.

Mo. 7.

Amts- unä Intekkigenzökatt für äen Äezirst.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrücknngsgebühr beträgt 9 H p. Spalte, und im Bezirk, sonst 12 H.

Donnerstag, äen 15. Januar 1885

Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch

die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

ganz Württemberg 2 ^ 70

HlcichvicHten.

Deutsches Reich.

Bei der Abstimmung am 9. Januar darüber, ob die Exigenz von 150,000 für die Erforschung von Afrika an die Kommission zurückver­

wiesen werden solle, stimmten von den württemb. Abgeordneten mit Ja die Herren Mayer, Graf Adelmann, Utz. Mit Nein stimmten die Herren Schott, Veiel, Härle, v. Lenz, Payer, Stalin, Schwarz, Frhr. v. Wöllwarth, Leemann. Abwesend: Frhr. v. Neurath, Frhr. v. Ow, v. Fischer, Erb- graf zu Neipperg, Graf v. Waldburg. Die Frage wurde mit 135 gegen 128 Stimmen bejaht.

Berlin, 11. Januar. Das vierte Petitions-Verzeich­nis des Reichstags enthält etwa 200 Nummern. Der Vorstand des Vereinszum Schutz deutscher Interessen im Auslande" zu München bittet, daß für die Weltausstellung in Antwerpen ein Reichskommissar ernannt und für die Beteiligung der deutschen Gewerbe an derselben eine angemessene Subvention aus Reichsmitteln zur Verfügung gestellt werde. Der Destilla­teurverein zu Magdeburg bittet für den Fall einer Erhöhung der Spiritus­zölle, den Zollsatz für Branntwein und Liqueure rc. mit Zucker versetzt auf 80 Mark und ohne Zuckerzusatz auf 48 ^ für 100 Kgr. festzustellen. Um Erhöhung der Zölle auf landwirtschaftliche Produkte, besonders Ge­treide, sind abermals sehr zahlreiche, meist schon bekannte Petitionen einge­laufen. Ebenso ward vielfach um rücksichtsvolles Vorgch.n bei einer euvaiMi anderweitigen Regulierung der Rübensteuer gebeten. Dagegen liegen auch neun Petitionen (meist von landwirtschaftlichen Vereinen) gegen jede Er­höhung der Korn-, resp. Getreidezölle vor. Vielfache Handelskammerpetitionen sind ferner gegen den Wedell-Malchow'schen Börscnsteuerantrag eingelaufen, andere für eine Börsenumsatzsteuer an Stelle der jetzigen Börsensteuer.

Berlin, 12. Jan. (Reichstag.) Der Reichstag beriet die Titel des Militäretats, die von der Budgetkommission vorberaten wurden, und nahm die von derselben vorgeschlagcnen Resolutionen betreffend Revision des Fouragewesens und Gleichstellung der Militärgeistlichen beider Kon­fessionen, sowie den Antrag auf Besetzung des zweiten Berliner Landwehr­regimentskommandos mit einem aktiven Offiziere an. v. Vollmar und Schott wenden sich heftig gegen die Verbote des Besuchs gewisser Wirtschaften durch Soldaten, weil dort Sozialdemokraten verkehren oder der Wirt Sozial­demokrat oder überhaupt in Opposition gegen die Regierung sei, ebenso gegen Wahlagitationen auf Kontrollversammlungen. Der Kriegsminister erklärt,

JeiriLteLon.

Der Holderhof.

Eine Geschichte aus dem Volksleben von A u g u st B u ts ch er.

(Unbefugter Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.)

(Fortsetzung.)

Durch das hölzerne Thor des Schlosses, dessen Schatten den Weg übergitterte, sah er eine Strecke weit hinein in den Schloßhos, in dem üppiger Goldregen wucherte, und der rotblühende Weißdorn.

Eben traten zwei Personen, wie lustwandelnd, an das Gitter. Born's Auge schärfte sich und ebenso sein Ohr. Den Baron erkannte er sofort an der ganzen Haltung und neben ihm erblickte er eine Frauengestalt in weiß­lichem Kleide. Da ging ein Stich durch sein Herz und trieb ihn auf voin Stuhle. Sollte es möglich sein, daß es Bertha wäre? Doch nein, sagte er sich sofort zur Beruhigung; Marie trug ja ganz das gleiche Kleid und und sie war es ohne Zweifel. Jetzt hörte er auch die Stimme der Beiden, und wieder durchzuckte es ihn schmerzlich; das war ja Bertha's sonore, nur etwas gedämpfte Stimmet Doch es wurde ihm noch einmal ein Trost. Er erinnerte sich, wie auffallend die Stimmen der beiden Mädchen sich glichen.

Das lustwandelnde Paar war stehen geblieben, und Born hörte die Worte:

O, er ist ein edler Mann, ein ganzer Mann, aber ich kann zu keinem Entschlüsse kommen. Es ist so Vieles

Mehr verstand der Lauscher am Fenster nicht. Dann aber hörte er den Baron sagen:

Man fühlt oft spät, was eine rechte Neigung ist"

Damit gingen die Beiden zurück und kamen aus Born's Gehör- und Sehweite.

Dieser suchte die abgerissenen Worte in logischen Zusammenhang zu bringen und auf den Baron und die Tochter des Rentmeisters anzuwenden; ober es gelang ihm nicht, er konnte nicht klar denken.

die Regierung habe die Pflicht, darauf zu sehen, daß die Soldaten in der Treue gegen den Kaiser nicht erschüttert werden und nicht in schlechte Ge­sellschaft kommen. An der weiteren Debatte beteiligten sich Richter, Heine, v. Helldorf und wiederholt Schott und v. Vollmar. Richter dringt darauf, daß der Minister öffentlich vor dem Lande die Wahlagitationen bei Kontrolversammlungen mißbillige. Ein Kommandeur habe bei einer Kontrolversammlung eine lange Rede für den konservativen Kandidaten gehalten. Der Kriegs mini st er fordert Richter auf, Namen zu nennen; zu einem nicht konstatierten Falle könne er keine Stellung nehmen. Die auf Kontrolversammlungen an die Mannschaften gerichtete Mahnung, dem Kaiser den Eid der Treue zu halten, könne man nicht Wahlagitation nennen. An der weiteren Debatte nehmen Dirichlet, Kröber und Saro Teil. Das Haus genehmigt eine Resolution, wonach diejenigen Kommandanturen, die künftig wegfallen, besonders bezeichnet werden sollen. Dienstag 1 Uhr Fortsetzung.

Berlin, 12. Jan. In den Gefechten beiKamerun wurde der Matrose Bunge getötet und Lieutenant von Ernsthausen leicht verwundet. Nach weiteren Nachrichten wurden verwundet: Von S. M. S.Olga" die Matrosen Glude, Kuhnert und Krüger schwer, Meier und Leverentz leicht; von S. M. S.Bismarck" Obermatrose Schlaffer leicht, der Maschinisten­maat Pfeiffer hat ein Auge verloren.

Dasbayerische Vaterland" muß zur Zeit seinen Redakteur Dr. Sigl, der eine Gefängnisstrafe wegen Beleidigung des bayer. Kriegsministers und Generalstabs in Nürnberg verbüßt entbehren. Dock ist ein würdiger Stellvertreter vorhanden, der das Blatt ganz nach der Art seines Patrons zu redigieren versteht. In einer der letzten Nummern wittert das Blatt in der Kolonialpolitik eine Niederlage Bismarcks und kann bei diesem Anlaß seine wohl etwas voreilige Schadenfreude nicht bemeistern. Er schreibt von zwölfbemannten Kriegsschiffen", welche Portugal an den Kongo gesandt habe, um seine legitime Hand auf das Kongodclta zu legen, bereits sei dem deutschen Konsul Dr. Nachtigal das Betreten des südlichen Kongoufers durch eine Fregatte verwehrt worden. Welchen Schluß zieht nundas Vaterland" aus diesenThatsachen?" Es sagt:

Preußen wird wohl oder übel zum Rückzuge mit obligater Blamage für des Reiches erträumte Herrlichkeit sich bequemen müssen, falls nicht etwa der portugiesische Störenfried mit seinen zwölf Kriegsschiffen noch in letzter Stunde vor einer Dampfkrastnote des Olympiers erschreckt nach Lissabon zurückflieht. Das Reich in einen kostspieligen Seekrieg verwickeln, in welchem der Gegner schwerlich bündnislos bliebe, wäre immerhin ein gewagtes Spiel

So saß er eine Weile, bis er das Gitter knarren hörte.

Ging der Baron noch aus?" fragte er sich.Oder der Rentmeister oder Marie?"

Ja za, es war Marie. Er sah das weißliche Kleid, er hörte den elastischen Schritt. Aber sie ging nicht in den Park, sie schritt rasch an seiner Wohnung vorüber. Er saß im Dunkeln, und fieberhaft glühend sahen seine Augen der rasch Näherkommenden entgegen. Jetzt trat sie in den ' Lichtteppich, der sich über die Straße legte. O Himmel! Es war Bertha! Er sah sie deutlich mehrere Sekunden lang; ihr golden leuchtendes Haar, ihre blauen Augen, die wie ängstlich sein Fenster streiften.

Jetzt war sie vorüber.

Dort schritt sie eiligen Fußes dem Holderhofe zu.-

7. Ein grauer Tag.

Noch herrschte der Mai mit seinem Blütenzepter und im Wald und auf der Flur jubilierten die Vögel.

Es war eines Tages nach derMaiandacht", als Bertha zum ersten Male wieder nach jenem Abend des Jahrmarkttages den Lehrer Born erblickte. Sie schien bis in die Seele zu erschrecken, denn der sonst so stattliche Mann sah wie verwelkt aus. Nur ein müder, trüber Blick von ihm streifte sie, und er wich einer Begegnung mit ihr aus. Auf den Holderhof kam er fortan nicht mehr zu Besuch und er mied überhaupt jede Gesellschaft.

Bertha härmte sich im Stillen und verbarg ihr Herzeleid vor fremden Augen; aber das liebliche Lächeln mar ihren Lippen entschwunden.

Freilich auch Andere hatten ihren Teil Kummer, wie es folgende Scene darthut, die einige Tage nach dem Murrheimer Markt Statt fand.

Die alte Jul hatte einen riesigen Korb in das Schloß heruntergeschleppt. Der Baron empfing eine gewaltigeBalle Butter", die säuberlich in Kohl­blättern lag; der Domänenrat bekam zwei Paar junge Tauben und Marie einen vollbauchigen Topf mit goldgelbem Schmalz. Die alte Holderhoferin wußte zu geben, wenn sie wollte, oder wenn sie besondere Zwecke verfolgte,