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stück sein zu der vor acht Tagen stattgehabten deutsch-nationalen Versamm­lung. Herr Geiser setzte in längerer Rede die Gründe für Nichtbewilligung de. für Besoldung eines zweiten Direktors seitens des Reichskanzlers ge­forderten 20,000 Mark dar. Die Ausführungen des Redners gingen dahin: Es herrsche bei allen drei Parteien, welche die Majorität bei jenem Be­schlüsse gebildet, eine persönliche Gereiztheit gegen den Reichskanzler, eine Gereiztheit, welche verschiedenen Ursachen entsprungen sei und insbesondere bei den Sozialdemokraten ihren Grund im Sozialistengesetz habe. So lange dieses Gesetz, dahin äußerte sich Herr Geiser, mit seiner ganzen Wucht auf urtsern Schultern lastet, so lange werden wir der Regierung keinen auch noch so kleinen Liebesdienst erweisen, sondern ihr feindlich gegenüberstehen; ja wir würden, wenn wir die Macht dazu hätten, nicht nur die 20,000 Mark, wir würden das ganze Budget der Regierung verweigern, solange, bis das Sozialistengesetz gefallen. Bei dem Centrum bestehe eine ganz ähnliche Lage der Dinge. Auch dieses leide unter Ausnahmegesetzen, den sogenannten Mai­gesetzen, und da trotz jahrelanger Verhandlungen eine merkbare Aenderung nicht eingetreten, habe der Führer Windthorst bei dieser Gelegenheit den Kanzler fühlen lassen wollen, daß er mit ihnen rechnen müsse, falls er seiner Gefolgschaft sicher sein wolle. Die Deutsch-Freisinnigen endlich, als Dritte im Bunde, seien wie bekannt, eine Oppositionspartei und würden es jeden­falls solang bleiben, bis ein oder der andere ihrer Führergütigst" ins Ministerium berufen sein würde. Bei letzteren wären für die Ablehnung nicht prinzipielle Gründe, sondern lediglich die Absicht des Führers. Eugen Richter, den Reichskanzler persönlich kräftig zu ärgern, maßgebend gewesen, da der Reichskanzler seinerseits die Deutsch.Freisinnigen durch seine Erklär­ungen bezüglich des Diätenantrages gereizt habe und ebenso durch die Be­schneidung der Freifahrtkarten. Redner gibt hier zu, daß diese Gründe zwar nicht besonders ehrlich und nobel seien, aber die Politik verderbe den Charakter. Weiter .r nun Rednek an, daß man bei Ablehnung des Direktorgehaltes allgemein der Ansicht war, es würde ein Sohn des Fürsten diesen Posten erhalten und das wäre erst recht Ursache gewesen, den Kanzler persönlich zu reizen. Trotz allen diesen Gründen müsse Redner zugeben, daß nach seiner Ueberzeug mg die Gelegenheit, den Kanzler zu reizen, sehr schlecht gewählt war; er yalte den Beschluß des Reichstages für einen Kehler und nur Mangel an 'Mut bei den Deutsch-Freisinnigen sei die Veranlassung, daß nicht an passenderer Stelle, z. B. durch Ablehnung des Gehaltes für den Reichskanzler selbst, der gereizten Stimmung gegen ihn Ausdruck gegeben worden sei. Es sei ganz unzweifelhaft sicher, daß in dritter Lesung diese 20,000 Ma k doch bewilligt werden würden.

D.m Schwäb. Merlur schreibt man von Heilbronn:Herr Härle erklärt in der N.Z. sein Votum vom 15. Dez. damit, (s. l. Nr.) daß er mnN-nnd Kak die Direktorstelle in der Budgetkommissionnur

Hcrges-Weuigkeiten.

Leonberg, 30. Dez. Gestern wurde auf Station Renningen ein 60 Jahre alter Dienstknecht vom Zuge überfahren. Der Unglückliche war übelhörig und hat den Ruf Renningen überhört; erst als der Zug wie­der im Gang war, bemerkte er dies und sprang aus dem Wagen, wo er von den Rädern erfaßt und ihm beide Beine abgedrückt wurden; er starb nach einigen Stunden.

JeuiLLeLon.

Der Dolderhof.

Eine Geschichte aus dem Volksleben von August Butscher.

(Unbefugter Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.)

(Fortsetzung.)

Der Gemaßregelte schwieg, aber weniger dieser Zurechtweisung wegen als wegen Ulrich's Faust, die ihm einen solchen Rippenstoß versetzte, daß er fast vom Stuhle fiel.

Die Versammlung, die jetzt große Achtung vor sich selbst empfand, schwieg, und Born konnte in größter Ruhe hinzufügen:

Da der Herr Kandidat Rathfelder es unter seiner Würde hält, durch unliebsame Vorkommnisse bewogen, vorerst auf die gegen ihn geschleuderten Beleidigungen zu antworten, so überläßt er es einem Stellvertreter, seinen übrigens längst bekannten Standpunkt völlig klar zu stellen. Ich erteile deßwegen seinem Sohne, dem Herrn Förster Heribert Rathfelder das Wort."

Allgemeine Sensation, die sich übrigens nicht laut kundthat, folgte dieser neuen parlamentarischen Wendung.

Heribert hatte sich schon erhoben. Es galt, die Ehre des Holderhofers zu retten, und dies Eine nur stand ihm jetzt vor der Seele. Seine blauen Augen blitzten, und Marie und Bertha sahen entzückt auf den kühnen Ritter, der unverhofft, wie Lohengrin, für seinen Vater in die Schranken trat. Selbst Ulrich, in dessen Erstaunen sich eine halbe Anerkennung mischte, ließ kein Auge von dem Redner, der jetzt mit dem ganzen Feuer der Begeisterung ein Programm entwickelte, wie er es seines Vaters für würdig hielt.

Ueber eine Stunde lang floß der ungedämmte Strom der Rede dahin, und Niemand hätte wohl in diesem schlichten Forstmanne einen solchen Demosthenes vermuthet. Kein Auge verwandte sich von seinem in hoher Erregung glühenden Antlitz, als er am Schlüsse anführte, daß seinem Vater zwar keine hohe rednerische Begabung verliehen sei, aber ein braves, auf­richtiges Mannesherz, das nie von dem Wege der Ehre abgehen werde, bis

Stuttgart, 29. Dez. Zirkus Lorch. Obwohl die Gesell­schaft des Herrn Direktor Lorch bis jetzt in Stuttgart noch gänzlich un­bekannt war, so hat sie sich doch so vorteilhaft bei uns eingeführt, daß der Zirkus von Tag zu Tag mehr besucht wird. Die Pferde zeichnen sich zum Teil durch Schönheit und edle Rasse, jedenfalls aber durch mustergiltige Dressur aus. Auch die Künstler und Künstlerinnen leisten ganz Tüchtiges. Am vorigen Samstage führte Herr Plinke erstmals seine dressierten Schweine vor. Man sollte gar nicht glauben, daß das liebliche Borsten­tier , was wir bis jetzt nur durch Metzelsuppen, saftigen Schinken, zarten Braten und delikate Würste schätzen gelernt haben, so gelehrig wäre. Es folgt seinem Herrn auf den Wink, durchläuft in verschiedenen Gangarten die Manege, macht Drehungen, nimmt Barrier und springt, ohne zu scheuen, durch Feuerreifen. Das Schwein des Herrn Plinke vom Zirkus Lorch ist ein wirklicher Künstler. Schade nur, daß es allmählig fett und den Weg aller Schweine gehen wird.

Ulm, 27. Dez. Wie das Ulmer Tagblatt hört, ist am 23. auf dem hiesigen Postamt ein Geldbrief mit 14,000 Mark abhanden gekommen.

Riedlingen, 25. Dez. Nächsten Sonntag findet im Gasthof zur Linde in Ehingen eine Versammlung des Ausschusses des 11. Gauverbands statt, wobei dieErhöhung der Fruchtzölle" undDer Obstbau in Ober­schwaben" zur Besprechung kommen werden. Das älteste der württem- bergischen Blätter dürfte wohl dieNiedlinger Zeitung" sein; dieselbe be­ginnt mit dem 1. Januar ihren 172. Jahrgang. Sämmtliche Jahrgänge derselben waren auf der Stuttgarter Gewerbeausstellung ausgestellt.

Nomanshorn, 28. Dez. Bei dem Ausladen der Wagen aus dem württembergischen Trajektkahn, welcher heute um 6 Uhr Morgens von Friedrichshafen hier eingelaufen war, brach eine Zugstange des ersten Wagens, die 3 Hinteren Wagen, welche schon die schief liegende Trajektbrücke erreicht hatten, sprangen wieder aus das Schiff hinein, prallten an der Puffersteuereinrichtung auf, setzten sich wieder nach rückwärts in Bewegung und stürzten bei der Trajektbrücke in den See, nachdem die Verbindungen zwischen Schiff und Brücke sämtlich abgerissen waren. Von der Mannschaft wurde Niemand verletzt. Die Wagen waren mit Petroleum, Brettern und Getreide beladen. Die beiden elfteren Ladungen nahmen keinerlei Schaden; das Getreide wurde wesentlich vernäßt. Die 3 Wagen stehen auf dem See­grund in einer Tiefe von einigen Metern.

Ein Schwindel raffinierter Art wurde dieser Tage in Nürn­berg verübt. Ein Bursche verschaffte sich eine Mütze, wie solche von den Postbediensteten getragen werden, versah sich mit Packeten, auf denen ex die Adresse von reichen Leuten geschrieben hatte, nebst einem Zettel, der angeblich als Vorschußkarte ausgestellt war, und begab sich hiermit zu den Bedienten, k".v. --- mit dem Bemerken, daß er für

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. in welchem gedroht

wird, die Seewarte in die Luft zu sprengen. In Folge dieser Drohung ist das Gebäude in den letzten Tagen durch eine Anzahl Kriminal­beamter bewacht worden.

Ueber eine neue Rächerin ihrer Ehre in der Art der Frau Hugues wird von einem französ. Blatt aus Tonnerre berichtet:In dieser Stadt erfreute sich das Ehepaar Paul Francey des besten Rufes und Nie­mand hatte noch gewagt, die Ehrbarkeit der jungen Frau in Zweifel zu stellen, als eirl alter Junggeselle Namens Brisebard während der Abwesen-

zum letzten Atemzuge. Aufgabe der Wähler sei es nun, genau zu wägen- Der Gegenkandidat, Herr Rentmeister Stengel, sei ein hochachtbarer und hochgebildeter Mann, und es stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die Manchem die Wahl schwer machen. Aber zwischen diesen Beiden nur sei zu wählen, denn die Kandidatur Sturm's, die aus Bosheit und gekränkter Eigenliebe hervorgegangen, sei dahin zu verweisen, wohin sie gehöre, nämlich in den Kehricht.

Der Beifall, der jetzt erdröhnte, war unerhört in Mühlenthal. Auch die Anhänger des Rentmeisters konnten mit gutem Gewissen dieser merk­würdigen oratorischen Leistung Beifall spenden. In den Augen des alten Holderhofers standen große Thränen, und seine Lippen zitterten. Er konnte Heribert nur gerührt die Hand reichen. Der Baron war hoch überrascht, wie auch der Rentmeister, welcher sich den Umschwung noch gar nicht zurecht­legen konnte. Selbst in Ulrich's ernstem Gesicht malte sich eine gewisse Befriedigung, und über des Holderjörgs schiefe Nase kugelte eine erbsendicke Thräne nach der andern.

Wie versteinert saß Herr Sturm da.

Die nebenan beobachtenden Mädchen hatten sich nicht mehr halten können, sie waren hineingestürzt und beglückwünschten den Redner.

Aber die wunderbaren Dinge waren noch nicht zu Ende.

Am nächsten Tische erhob sich eine kleine Gretsengestalt mit schnee­weißen Haaren und in fast vornehmen Bauernkleidern.

Es war der Gemeindeamann (Ortsvorsteher) von Mühlenthal, der um's Wort bat, das ihm auch sofort ertheilt wurde. Er sagte ruhig, aber doch mit einem gewissen Feuer, das ihn gleichsam verjüngte:

Wer von Euch Allen hat wohl so etwas gehört seiner Lebtage? Mir ist das alte Herz weich geworden und weit bei diesem jungen und warmen Erguß. Aber wir müssen bei dieser ernsten Sache auch den Verstand mit­reden lassen, und der stimmt in diesem Fall merkwürdig zu dem mannbaren Eifer und den schönen Worten, die so warm machen, wie ein erster Frühlings­tag. Mir ist da ein Gedanke gekommen: Was hindert uns denn, den Herrn Förster selbst als Kandidaten aufzustellen? Er hat Alles, was