Samstag, j»e« 20. Februar 1943
^ ^Lcitc Nr. '3
Dke Versorgung der Großstadt
Abliescruugsschlacht als «rnährungswirtfchaftliche Aufgabe
-leben der Erzetzgungsschlacht zur Sicherung unserer Bolks- ernäftrung kommt der Ablieferungsschlacht höchste Bedeutung -u. Sie bildet die sinngemäße Ergänzung der ersten Maßnahme, ^ deren erfolgreicher Durchführung das deutsche Landvolk einen kriegsentscheidenden Beitrag zum Freiheitskampf des deutschen Volkes leistet. Auch in der Ablieserungsschlacht steht das deutsche Landvolk seinen Mann. Es darf jedoch nie veraasen werden, d«) die eigene Erzeugung aus deutscher Schelle das Rückgrat unserer Versorgung bildet. Die Lieferungen ans den besetzten Ostgebieten können vorerst immer nur die Mengen liefern, die früher aus Uebersee eingeführt wurden, und das waren nur Bruchteile der heimischen Produktion. Aus diesem Grunde darf es in der. Ablieferungsschlacht keine Atempause geben.
! Die große ernährungspolitische Aufgabe der Ablieferungs- schlacht, wie man dis ständige Versorgung der Nahrungsmittel- mcirkte mit den Agrarerzeugnissen in einem prägnanten Schlag- I wort nennt, geht insbesondere aus der Notwendigkeit der Belieferung der Großstädte mit den notwendigen Lebensmitiel- mengen hervor. Der einzelne Verbraucher macht sich kaum jemals eine richtige Vorstellung davon, welche Riefenmengen die Millionenstädte täglich verzehren. Wie der Reichshauptabteilungsleiter des Reichsnährstandes Bauer Walter Zschirnt in einem bemerkenswerten Aufsatz „Die Großstadt als ernäb- l wngswirtschaftliche Aufgabe" in dem neuesten Heft der von
Herbert Backe herausgegebenen „Deutschen Agrarpolitik" nach» weist, leben rund 28,6 Millionen oder 3k v. H. der Vrvölke- Mg des Eroßdeutschen Reiches in Großstadt- und Jndustrie- : Mten. Mit Recht betont er, daß die Spannungen und Schä-
t. d«i, die sich in der Stadt bemerkbar machen, sofort auf das
? Mcrland auswirken, weil die Großstadt der Konzentrations- flillt des gesamten öffentlichen Lebens ist. Weiter wird in
-ein Ansatz auf die Tatsache verwiesen, daß von den rund ! B,k Millionen Nichtselbstversorgern, die in den wichtigsten
! Industrie- und Großstädten leben, allein rund 7,3 Millionen
oder 26 v. H. auf die drei Großstädte Berlin, Hamburg und Wien entfallen Weitere 7 Millionen oder 2k v. H. entfallen auf das Gebiet der Landesbauernschaften Rheinland und West- ialen und weitere 3 9 Millionen oder 1k v. H. auf Sachsen und Sachsen-Anhalt. Diese wenigen Gebiete umschließen somit allein ! 6k v, H. der GesamtbevLlkerungszahl unserer wichtigsten Groß- stävte und Industriegebiete. Es ist völlig ausgeschlossen daß I die Versorgung solcher dicht zusammengedrüngten Bevölkerungs- I mafs-n aus der unmittelbaren Umgebung herangeschafft wer- k, den kann.
« Die Versorgung des Landes und der ländlichen Gebiete kann also, wie Zschirnt weiter in seinem Aufsatz unter besonderem Hinweis auf die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit der Marktordnung des Reichsnährstandes betont, nicht mehr sich selbst überlassen bleiben, und man kann nicht mit dem vor- lielmchmeii, was als „Spitze" übrigbleibt. Deshalb ist gerade im Kriege die Sicherung der Ernährung für die Großstadt uns das Industriegebiet eine vordringliche Versorgungsausaabe. Die : deutschen Bauern haben somit eine Verantwortung übernom- > kien, die weit über den Bereich der Landwirtschaft als Erzeugungsstätte im engeren Sinne des Hofes hinausgreist und sie sind dieser Verantwortung gerecht geworden. Damit hat das , aber zugleich das Recht erworben, bei der Stadt
Verständnis für die eigenen Sorgen zu finden.
Die Tat Wilhelm Konrad Röntgens
s „Was ich entdeckt habe, gehört der Allgemeinheit"
k V. A. Dieser Tage jährte sich der 26. Todestag des großen deutschen Physikers Wilhelm Konrad Röntgen, des Entdeckers der X-Strahlen. Ohne seine Entdeckung wäre die synthetische Herstellung tausender organischer und unorganischer Stoffe nicht ^ möglich gewesen. Es gäbe kaum Buna und Vistra, keine Mole- 1 ^ lularforschung der Zusammensetzung von Zellulose und Kunstharz sowie vieler anderer Ausgangspunkte für die Kriegsindustrie. Die heutige Zeit ist darum mehr denn je verpflichtet, das Lebenswerk Wilhelm Konrad Röntgens zu würdigen und in seiner Bedeutung anzuerkennen.
Konrad Röntgen wurde am 27. Mäez 1843 zu Lennep, Regierungsbezirk Düsseldorf, geboren und gewann sich in der wissenschaftlichen Welt schon als Assistent August Kundts, dem er von Zürich nach Würzburg und später nach Straßburg folgte, einen Namen. 1876 wurde er in Straßburg außerordentlicher Professor der Physik, um bereits 1879 als ordentlicher Professor nach Eichen berufen zu werden. 1888 ging er an die Würzburger Universität, die den Ruhm sür sich in Anspruch nehmen darf.
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
die Geburtsftätte jener epochalen Enidecknng zu sein, die heute die ganze Welt unter dem Namen „Röntgen-Strahlen" kennt.
Es war am 8. November 1898, als Röntgen in seinem Würzburger Laboratorium in einem verdunkelten Zimmer mit einer sogenannten Hittorsschen-Röhre experimentierte, durch die er einen hochgespannten Strom sandte. Plötzlich bemerkte er, daß ein auf dem Tisch liegendes Stück Platincyanürpapier hell fluoreszierend aufleuchlete. Die Röhre war mit lichtdichtem Papier umwickelt. Es konnte sich bei dieser ungewöhnlichen Erscheinung also nur um Strahlen handeln, die imstande waren, feste Stosse zu durchdringen, Röntgens Forscherdrang war erwacht. Er ließ sich in seinein Laboratorium ein Bett auffchlagen und verbrachte zwei Monate in seinen Arbeitsräumen, ohne mit der Außenwelt in Berührung zu kommen. Während dieser Zeit erforschte er systematisch die neuen von ihm entdeckten Strahlen, die er mit der Bescheidenheit des deutschen Forschers schlicht als „X-Straq- len" bezeichnete.
Als Röntgen dann seine Erfindung in den Sitzungsberichten der Würzburger physikalisch-medizinischen Gesellschaft veröffentlichte, gab es in den Kreisen der Wissenschaftler eine Sensation, die wohl als die größte des vorigen Jahrhunderts bezeichnet werden kann. Bald wußte es dis ganze Welt, daß es einem deutschen Gelehrten gelungen war, einen Apparat zu erfinden, mit dem man ins Innere des lebenden Menschen sehen kann.
Im Laufe der folgenden Jahre hat das Strahlenversahren eine Entwicklung genommen, die selbst weit über die Erwartungen Röntgens hinausging. Durch die immer weiter fortschreitende Verbesserung der Röntgenapparate hat das Verfahren der Röntgendiagnose immer mehr das Dunkel zahlreicher ernster Erkrankungen des menschlichen Körpers gelichtet. Doch nicht nur der Diagnose des Arztes kamen die Röntgen-Strahlen zugute, auch für die Heilung der Krankheiten selbst wurden sie als ein neuer, sehr bemerkenswerter Hcilsaktor in Anspruch genommen. Mannigfaltig sind darüber hinaus die Anwendungsmöglichkeiten der von Röntgen entdeckten X-Strahlen. So nimmt man z. B. in der Gemäldeforschung die Röntgen-Strahlen zu Hilfe, um die Echtheit eines Bildes nachzusorschen und um Fälschungen und Uebermalungen, besonders von Signaturen, aufzudecken. Mit Hilfe der Röntgen-Strahlen werden heute auch bereits Werkstücke durchleuchtet und auf Materialfehler hin untersucht. Easblasen oder Risse im Innern des Wertstückes zeigen sich bei einer Durchleuchtung genau so im Röntgenbild, wie es dem Arzt eine Kaverne in der Lunge des Menschen oder einen abgesplitterten Knochen verrät. .
Heut« gedenkt die ganze Welt des großen deutschen Gelehrten, dessen Tat der Menschheit einen ungeheuren Dienst geleistet hat. Bezeichnend für die Persönlichkeit Röntgens ist die Tatsache, daß er das Ansinnen eines großen Unternehmens, seine Erfindung zu einem für ihn gewaltigen pekuniären Verdienst auszunutzen, brüsk mit den Worten ab lehnte: „Was ich entdeckt habe, gehört „er Allgemeinheit!" Der Allgemeinheit hat er sein Werk gewidmet. Die Menschheit der ganzen(Welt muß ihm dies aus ewige Zeiten danken.
Die Suppe
Kleiner Ehescherz von Marianne Eilers
Wer kennt nicht die Sorgen einer treuen, liebenden Hausrau, noch dazu, wenn sie diese Würde erst seit kurzer Zeit auf hren jungen Schultern trägt. An einem Tag in der Woche libt es Weißkohl, am nächsten Wirsingkohl, und am übernächsten vieder einmal Weißkohl, und die nötige Zeit, um die Gerichte cerschieden zuzubereiten (nach gut empfohlenen Zeitungsrezep- en) fehlt leider, da ich (die junge Hausfrau nämlich) nebenbei roch berufstätig bin.
Eines schönen Tages liegt der heißgeliebte junge Ehemann nit einem höchst fatalen, unangenehmen Schnupfenfieber im 8ett. Es ist das erste Mal, daß ich ihn etwas pflegen kann. Was liegt näher, als eine schöne, würzige Abwechslung in den Küchenzettel zu bringen. Man sitzt also mit sorgendurchfurchter Stirn auf einem Küchenstuhl und denkt nach.
Ha, da ist er ja, der rettende Einfall. Vor ein paar Tagen chickte ein Bekannter eine Flasche ungesüßten Holunderbeersaft, im Volksmund Fliederbeersaft betitelt, als Kostprobe ins» Haus. Ich entsinne mich voll Entzücken einer früher genossenen Fliederbeersuppe, die zugleich gesund, geschmackvoll und für Schnupfenkranke gerade das richtige sein soll. Ich freue mich auf das überraschte, frohe Gesicht meines Mannes und steige in den Keller, packe die inhaltsschwere Flasche am Halse und eile froher Hoffnungen voll wieder in mein Reich, die Küche, hinauf. Dort ergreife ich einen Topf, entkorke die Flasche und gieße den weitaus größten Teil der dunkelrot-violetten Flüssigkeit in den Topf, öffne den Wasserhahn, um den Saftextrakt etwas zu verdünnen und stelle alles auf das. Feuer.
Oas Fahrzeug hat sehr wenig Licht, Aufmerksamkeit ist äaher Pflicht,
Dis hierher ist nun weiter nichts Ungewöhnliches passiert, und man wird sich fragen, warum erzählt die Frau so eine alltägliche Geschichte. Aber es sei sozusagen zur „Erhöhung der Spannung" voraus bemerkt, daß, da wir im vierten Kriegsjahr leben, gewisse lukullische Dinge zu großen Seltenheiten gehören.
Nun zurück zu meinem Suppentopf. Inzwischen ist das Ganze heiß geworden und höchst appetitliche Düfte, die mir immer verdächtiger Vorkommen, erfüllen die Küche. Ich unterziehe die Flasche einer genauen Untersuchung — o Himmel — was habe ich da gemacht?
Nun mal sehen, was der liebe Mann dazu sagt. Also koch ich entschlossen meine Suppe zu Ende, fülle sie auf zwei Teller und bringe, sie auf einem Tablett meinem Liebsten ans Bett.
„Hm, riecht die aber gut", meint er, und macht ein ebenso genießerisches Gesicht, wie ich ein gespanntes, denn ich warte...
Aber er merkt nicht, jedenfalls nicht gleich, sondern er schnalzt nur verzückt mit der Zunge und sagt: „Kochen kannst du! Wenn ich das eher gewußt hätte, hätten wir noch früher geheiratet." So sind die Männer.
Aber schließlich fällt ihm mein ängstlich-fragendes Gesicht doch auf.
„Was machst du denn für ein Gesicht?" fragt er teilnehmend.
„2a, inertst du denn nichts", bricht es aus mir heraus, „schmeckst du denn nichts?"
„Doch", antwortet er, „es schmeckt hervorragend, viel bester als ich sonst Fliederbeersuppe fand."
„Es ist ja auch gar keine Fliederbeersuppe", rufe ich, „es ist eine Suppe von unserem kostbaren, gehüteten, aufgesparten Kirschlikör, von dem wir bis jetzt nur einmal drei Gläschen genommen haben, als wir unseren ersten Besuch empfingen, und nun . . .!" Ich bin restlos verzweifelt.
Da sehen wir uns an, lachen herzhaft und essen dann in fröhlicher Gemeinsamkeit die Suppe auf, worauf ich leicht beschwipst, Verzeihung beschwingt, an den Abwasch gehe.
Ja, daher meine Anspielungen auf im vierten Kriegsjahr seltene lukullische Genüsse. Dem Schnupfen meines Mannes hat die Suppe aus Kirschlikör aber auch gut getan.
ZdR. Im Jahre 1917, also im dritten Jahre des ersten Weltkrieges, blieben aus Mangel an Arbeits- und Ecspannkräf.en rund 3 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche unbestellt. Die Kartoffelanbaufläche ging vom Jahre 1914 bis zum Jahre 1917 um rund 800 006 Hektar — 28 v. H. zurück, während sie im dritten Jahr dieses Krieges eine Steigerung um 400 000 Hektar — 13 v. H. erfahren hat. Im Zuckerrübenanbau war es ähnlich. Auch dort war bis zum Jahre 1917 ein Rückgang von rund 170 000 Hektar — 30 v. H. zu verzeichnen. In diesem Kriege erfuhr die Zuckerrübenanbaufläche eine erhebliche Steigerung.
Eine stete Steigerung des bäuerlichen Siedlungswillens ist zu verzeichnen. Im Jahre 1941, z. V. gingen 12 862 Anträge auf Erteilung des Neubauernscheines und der vorläufigen Bescheinigung ein. Davon wurden 8684 Bewilligungen erteilt, und zwar 8193 Neubauernscheine und 3461 vorläufige Bescheinigungen.
Wann wurde Amerika entdeckt?
Amerika ist, wie man heute weiß, mehrmals „entdeckt" worden. Die ersten, die den unbekannten Erdteil entdeckten, sind nach den neuesten Forschungen die Chinesen gewesen, und zwar geschah diese erste Entdeckung im Jahre 480 v. Chr. Man hat in der Stadt Nanaimo in Columbien (Südamerika) Steininschrif- ten gefunden, die auf die Anwesenheit chinesischer Mönche in jenen frühen Zeiten hindeuten. Man nimmt an. daß diese ersten chinesischen Entdecker über die Beringstraßc nach Amerika gekommen sind.
Zwischen Groß- und Klein-Basel ^
Die Stadt Basel ist bekanntlich in zwei Teile geteilt, die auf seiden Seiten des Rheins liegen und Eroß-Basel und Klein- Basel heißen. Vor Jahrhunderten befanden siche die beiden Stadtteile in ständigem Streit, der sich so zuspitzte, daß schließlich die Bewohner von Eroßbasel an der großen Brücke, die über den Rhein führt, eine riesige Karikatur-Statue aufstellten, die, durch einen kunstvollen Mechanismus bedient, Klein-Basel alle Viertelstunden die Zunge herausstreckte.
^ ^ N-imtnol-oman -»n 6ebb.5cbärrl6r-sieeasi
lUrkebereiliot» ckurcd lt.
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Der blaue Emil war entkommen, der saß längst irgendwo im Ausland in Sicherheit.
Den Versuch zum Weiterleben wollte sie ja machen, sie war ja noch jung.
Der Gefängnisdirektor hob den Kopf und sah sie nicht unfreundlich an.
„Sie sind frei, Nelly Rothe," sagte er. „Eigentlich schon heute früh. Aber.sie wollten selber nicht vor einbrechender Dunkelheit das Gefängnis verlassen. Ich glaube. Sie zu verstehen. Fassen Sie neuen Mut. Sie sind ja jung, es wird Ihnen gelingen, sich noch einmal emporzuarbeiten.
„Unterzeichnen Sie das hier," sagte er. „Die übrigen Formalitäten sind ja schon erledigt. Mit Ihrem Verdienst während der sechs Monate kommen Sie über die ersten Tage hinweg. Dann müssen Sie sich nach Arbeit umsehen.
Das Mädchen hob das Gesicht ein wenig.
„Darf ich fragen. Herr Direktor — stehe ich wirklich unter Polizeiaufsicht, auch jetzt, wo ich meine Strafe abgesessen habe?"
„Daran läßt sich leider nichts ändern. Das ist Gesetz,^ erwiderte der Direktor. „Aber wenn Sie sich gut halten."
Nelly Rothe machte eine matte Handbewegung, die etwa besagte:
„Ich weiß es bester — was hilft mir da aller gute Wille! Wer wird denn eine Person bei sich aufnehmen, die unter Polizeiaufsicht steht!"
„Haben Sie Angehörige, Verwandte?"
„Niemand. Es ist auch qanz gut so."
„Einen Plan, wohin Sie sich von hier begeben wollen. haben Sie doch wohl schon gemacht?"
„Ich möchte erst noch darüber Nachdenken — draußen — hier war mir das nicht möglich — verzeihen Sie. Herr Direktor," sagte das Mädchen.
„Dann kann ich Ihnen nur Glück wünschen — ein Erreichen friedlicher Position. Sie haben sich hier gut geführt. Wenn ich Gutes von Ihnen höre, wird es mich aufrichtig freuen."
Er reichte ihr die Hand über den Tisch. Ihre Finger lagen kühl zwischen den seinen. Sie war etwas ergriffen und flüsterte ein: „Danke . . ."
Die kleine Tür in der großen Pforte drehte sich mit leisem Aechzen. Für eine Sekunde fiel der weiße Lichtstreifen des elektrisch erhellten Hofraumes in den Nebel hin- aus. Nellys Gestalt schlüpfte ins Freie; dort blieb sie eine Meile ganz betrübt stehen, und dann fiel die Tür hinter ihr zu.
In der Freiheit — aber unter Polizeiaufsicht!
Das sagte sich auch Doktor Borngräber, der das junge Mädchen herauskommen sah? sich aber so stellte, daß nichts von seiner Gestalt zu bemerken war. Und darauf baute er seinen Plan, wie er ihn in großen Umristen entwarf. immer bereit, ihn zu ändern, wenn es die Ereignisse nötig machten.
Das Mädchen schien zu frösteln. Die eine Hand zog die dünne Jacke fester, der Kopf sank tiefer, und dann schritt Nelly in den Nebel hinein.
Doktor Bornqräber folgte ihr sehr vorsichtig. Er machte, als er merkte, wohin Nelly Rothe strebte, sogar einen kleinen Bogen, überholte sie, ohne selbst bemerkt zu werden, und stand bereits an der Haltestelle, als das Mädchen etwas langsamer nachkam.
Er hatte den Rockkragen hochgezogen, den Hut über die Stirn gedrückt und durfte erwarten, daß sie ihn nicht wieder erkannte.
Noch einige andere Leute fanden sich ein, die auf den
Wagen warteten. Nelly stand beiseite, sie fühlte gleichsam trotz der Dunkelheit die neugierigen Blicke. Auf den gebeugten Mann im hohen Ueberrock mit der krampfhaft unter den Arm gepreßten Mappe achtete sie gar nicht. Sich irgendwo einmieten und dann auf Arbeit gehen . . . bis die Polizei kam und sie wieder verjagte?
Lieber ging sie zu einem, der gleich wußte, mit wem er es zu tun batte. ,
Dieser eine war — Moses Aron. Der nahm sie gewiß bei sich auf Sie hatte ihm damals einen großen Gefallen getan. Wenn sie alles in der Verhandlung ausgeplaudert hätte. . .
Der elektrische Wagen kam heran.
Nach Nelly stieg der Mann mit dem dunklen Ueberrock auf und stellte sich in ihre Nähe. Sie beachtete ihn zuerst nicht. Der Wagen sauste der großen Stadt zu.
Auf halber Fahrt begegneten Nellys Augen ganz zufällig denjenigen des Doktors. Er ärgerte sich in diesem Moment selber darüber, denn er sah, wie sie zusammenzuckte und eine Bewegung machte, als wolle sie abspringeu.
Er tat aber so unschuldig, daß sie die Arme schlaff sinken ließ . . . und blieb.
Nelly Rothe suchte sich zu beruhigen. Der Mann damals. ohne den sie gar nicht gefaßt worden wäre, sah doch ganz anders aus; wie Tay und Nacht waren diese beiden . . . aber die Augen ... die waren dieselben! Diese durchdringenden grauen Augen!
Auf dem stark belebten Alexanderplatz verließ Nelly als erste den Wagen. Sie warf einen raschen Blick hin- ter sich. Gott sei Dank! Der Mann in der Ecke stand fest, er fuhr weiter.
Da faßte sie ihre kleine Handtasche fester und eilt? über den nebelfeuchten Platz der Schönhauser Straß? ;n und weiter in das Gewirr der anschließenden Gast?;,
In einer dieser Straßen lag Moses Arons Wein- kneipe. —
(Forts, folgt.)