5. Seite Nr. 188

Nag«!der TagLlattDer Gesellschafter

Samstag, den 18. Juli 1842

Zn Woroncsch

(PK.-Aufnahme: Kriegsberichte Gregor. HH.. Z.)

Die Murman-Bahn

Ihr Werden und ihre Bedeutung

Von A. Falkenhorst

Der Gedanke zum Bau der Murman-Bahn, die Petersburg mit dem damaligen kleinen Fischerort Romanow verband, den man stolz eine Stadt nannte und später in Murmansk um­taufte, ist nicht bei den Sowjets entstanden und auch nicht von ihnen in die Tat umgesetzt worden. Schon im Herbst 1890 legte der spätere Premierminister Witte dem Zaren Nikolai II. das Projekt dieser Bahn vor. Dabei wurde besonders auf die un­geheuren Vorteile für den Seehandel und die Wirtschaft hinge­wiesen, die aus der Verbindung Petersburgs mit denrstets eis­freien Hafen von Romanow zu erwarten waren. Der Zar und die zur Prüfung des Projekts einberufene Sonderkommission willigten ein, und so trat man 1894 an die Untersuchungen und Ausarbeitung der technischen Pläne heran.

Die ganze 1460 Kilometer lange Strecke wurde in drei große Bauabschnitte geteilt: in den südlichen von der Station Swanka, südlich des Ladoga-Sees bis zur Stadt Petrosawodsk (Petroskoi) am Onega-See, den mittleren bis zurKleinstadt Kem am West- ufer des Weißen Meeres und den nördlichen bis Romanow (Murmansk). Der Bau des südlichen Teiles wurde in ruhigen Jahren technisch recht gut ausgeführt, zumal auch die Gelände­verhältnisse hier verhältnismäßig günstig, waren. Als aber der erste Weltkrieg ausbrach, Petersburg und die baltischen Häfen von der deutschen Flotte blockiert wurden und die Verbindung mit den verbündeten Staaten auf dem Seewege damit zerrissen war. beschloß die Zarenregierung den Vau der beiden restlichen Abschnitte, des mittleren und nördlichen, im Eiltempo fortzu- ietzen^, wozu die deutschen Kriegsgefangenen herangezogen wurden.

Das Gelände in dem mittleren Bauabschnitt ist moorig und verlangte gründliche und sorgfältige Dränage. Derartige Arbei­ten brauchten geraume Zeit, viel Material und fortwährende Prüfung der Belastung. Die Zarenregierung aber hatte es sehr eilig. Daher wurden diese Dränierungsarbeiten nur oberfläch­lich ausgeführt; auch die amerikanischen Ingenieure, lste den Bau beaufsichtigten und ausführten, schienen kein allzu großes Jnteresse'an der Gründlichkeit ihres Werkes zu haben. Die künst­lich und schlecht angelegten Dämme hielten nicht, sie versanken in den moorigen Grund, die Schwellen und Schienen verkrümm­ten sich und die Betriebsaufnahme wurde stark hinausgezogen. Man mußte sich damit abfinden, obwohl die militärischen Ereig­nisse an der Front die amerikanische Hilfe an (Geschützen, Muni­tion und sonstigen Kriegsmaterial sehr dringend machten. Unter solchen Umständen war man froh, daß die eingleisig angelegte Bahn schließlich einigermaßen funktionierte.

Erst unter den Sowjets wurde die Strecke SwankaPetros­koi zweigleisig ausgebaut. Dabei setzte die Moskauer Regierung nach dem Vorbild der zaristischen Gefangene zur Arbeit ein, diesmal politische Häftlinge der GPU., die aus dem benachbarten Reservoir, dem bekannten Gefangenenlager Mcdweschja Eora" (Bärenberg) am Onega-See je nach Be­darf hcrangeholt wurden. Gleichzeitig wurde die Murman-Bahn noch 30 Kilometer weiter nördlich bis zur Tyvä-Bucht ver­längert. Hier, in Polarnoje, liegt der Stützpunkt der sowjeti­schen Eismcerflotte. Von hier aus gehen zwei Stichbahnen direkt auf die finnische Grenze zu, die "nur militärischen Wert haben. Der Bau dieser Strecken wurde während des finnisch-sowjetischen Krieges im Februar 1940 in aller Stille und Heimlichkeit aus- geführl. Auch hier wurden die Arbeiten von den Häftlingen der GPU. vollbracht, die dort alle einen frühzeitigen Tod fände».

Die militärisch-strategische Wichtigkeit der Murman-Bahn bei schon lange geplantem Eindringen in Finnland veranlaßt« die Sowjets zum weiteren Ausbau der Bahn. Bis zum letzten Augenblick wurde dort fieberhaft gearbeitet. So wurden Anfang des vorigen Jahres die Zufuhrbahnen aus den östlichen Ge­bieten fertig gebaut. Obwohl der südliche Teil der Murman- Bahn durch die siegreichen militärischen Operationen den Sow­jets entrissen ist, wird die Verbindung mit dem Osten, und zwar mit der Archangelsk-Bahn (ArchangelskMoskau) durch Quer­bahnstrecken aufrecht erhalten; doch ist deren Leistungsfähigkeit eine recht beschränkte und kann niemals den Ausfall des süd­lichen Teiles rsetzen.

Neben der strategischen Bedeutung der Murman-Bahn wäre noch die wirtschaftliche kurz zu erwähnen. Wie die von den Bol­schewisten vorgenommenen Untersuchungen des Bodens, ergaben, sind im Bereich von Kola, etwa 100 Kilometer südlich von Murmansk, riesige Mengen von Mineralschützen, Apatit und .Phosphat, festgestellt worden. Zu diesen Orten sowie zu den

bis jetzt zur Ausbeutung gekommenen Kupfererzgruben sind verschiedene Stichbahnen angelegt.

Die errichteten Eisenbahnen östlich der finnischen Grenze be­weisen unwiderruflich die aggressive Politik Moskaus. Aber nicht nur Finnland, sondern auch die anderen skandinavischen Staaten wären von den Bolschewisten überfallen worden, wenn Finnland sich nicht so heldenhaft dem Vordringen der Sowjets entgegengestellt und Deutschland den Kampf für die Sicherung Europas gegen Osten auf sich genommen hätten.

Tagebücher unserer Zeit

Plauderei von K. H. Brinkmann

Tagebücher waren einst die große Mode. Dem Tagebuch ver­trauten die jungen Mädchen und jungen Männer ihr Innen­leben an. ihre geheimen Gedanken und Wünsche. Das Tagebuch, wußte man, konnte schweigen, ob Freundinnen oder Freunde schweigen konnten, war dagegen nie ganz sicher. Allerdings soll es - vorgekommen sein, daß Väter oder Mütter den geheiligten Ort, an dem das Tagebuch, vor jedem Zugriff sicher, ruhte, aufstöberten und darin herumschnüffelten. Meistens lächelte der Vater dann weise, während die Mutter an ihre Jugendzeit Lachte.

Ist diese Eroßmütterchenzeit vorbei? Ja, Tagebücher jener Heit sind eine Seltenheit geworden, sie haben Tagebüchern Platz machen müssen, in die nicht geheime Gedanken eingetragen wer­den, sondern die sich wirklich Tagebücher nennen dürfen weil sie das Erleben des Tages, unserer Tage aufnehmen. Viele'Men­schen schreiben heute in ihre Notizbücher alles persönliche Ge­schehen, das mit dieser Zeit, in der sich die Ereignisse über­stürzen, zusammenhängt.

Dadurch, daß man die Ereignisse der Zeit, in der jeder ein­gespannt ist. mit leinen persönlichen Eindrücken verbindet, ge-

<PK.-Aufnohme: Kriegsberichter Jäger. PBZ,. Z.)

Panzcrkampfwagcn als Truppentransporter im Raum um Rschew

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winnen sie erst ihren Wert. Durch Zufall fand neulich ein Vater die Tagebücher seiner beiden Jungen. Und was stand darin? Der Vater las es mit Vergnügen. Das meiste darin galt ihm und der Mutter. Mit wenigen Worten hatten die Jungen aber auch ihre besonderen Erlebnisse festgehalten. Ein­mal hatten sie Kräuter gesammelt. Dann wieder hatten sie mit anderen Pimpfen einen Bauern während der Ernte geholfen. Oder sie hatten einen schönen Tag bei der HI. beschrieben. So ging es munter fort. Unsere Soldaten dürfen aus bestimmten Gründen keine Tagebücher führen. Aber sie schreiben jeden Tag Briefe, in denen sie von allen erlaubten Dingen, von ihren Kameraden, von ibren täglichen, oft heiteren, oft ernsten Erleb­nissen erzählen. Viele Pläne für die Zukunft umschließen oft diese Briefe. Alle diese Briefe, von den Angehörigen, der Frau, den Eltern oder Geschwistern zusammcngefaßt, ergeben ein Tage­buch, das von den Taten und vom Erleben unserer Soldaten be­richtet. Die schönsten Tagebücher dieser Art schreiben wohl unsere U-Boot-Kommandanten in Gestalt der Bordbücher, in denen sie die Versenkungsziffern von ihren Fahrten gegen England und Amerika eintragen.

Manche Jungen schneiden Tag für Tag den Bericht des Ober­kommandos der Wehrmacht fein säuberlich aus und kleben ihn mit den Bildern in ein Buch. Diese Jungen, deren Väter oft an der Front stehen, machen es richtig. Sie führen ein Tage­buch, das der Spiegel unserer Zeit ist.

Der Lebensretter

Von Walter Persich

Dr. Petersen kam als junger Arzt in den Ort. Gleichmütig freundlich trat er in die Häuser der Bauern, schalt sie nicht, weil sie ihn oft nicht rechtzeitig gerufen hatten, und erwarb all­mählich Vertrauen.

Am Wocheiiende wollte Petersen zu seiner Erholung ausrei- ren. Auf seinem Wege kreuzte er die Landstraße. Ein unvorsich­tiger Fahrer steuerte mit ungeminderter Geschwindigkeit in die Biegung. Der Wagen fuhr dem Pferd in die Flanke. Das Tier stürzte so plötzlich, daß es Doktor Petersen unter sich begrub. Das Auto machte sich aus dem Staube. Stunden später befreite sin Bauer den Arzt aus seiner Lage und schaffte den Mann zu seinem Hause zurück. Hier stellte der Arzt eine Kniesplitterung fest. Er machte sich selbst eine Gipspackung.

Am Nachmittag wurde vom Gut Polterhagen angerufcn. Das Fräulein sei von einem tollwütig gewordenen Hunde ge­bissen worden. Petersen telefonierte sofort in die nächstgelegene Stadt Sein Kollege, den er mit der Vertretung beauftragen wollte, war nicht abkömmlich.

Mit übermenschlicher Anstrengung schleppte Doktor Petersen sich zur Garage. Er setzte sich schräg in den Wagen, so daß er Bremse und Gashebel mit einem Fuße bedienen konnte. Von einem Knecht gestützt, betrat er das Krankenzimmer.

Der Gutsherr versuchte vergeblich, ihn zu längerem Aufent­halt zu bewegen. Doktor Petersen fuhr sogleich wieder ab, nahm aber nicht die Richtung zu seinem Hause, sondern zum Kreis­krankenhaus.

Kurz vor der Bahnüberquer,ng hörte er das Warnungszei­chen der Sperrglocke. Da Petersen nur einen Fuß bewegen konnte, muß er versehentlich den Gashebel getreten haben. Der Wagen schoß vorwärts und wurde fast im gleichen Augenblick von der sich nähernden Lokomotive erfaßt und gegen die zweite, inzwischen gesenkte Schranke geschleudert.

Mehrere Tage nach dem Zusammenstoß erwachte Petersen im Krankenhaus. Zur Reglosigkeit verdammt, lag er in Heilpak-

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Dornan aus den Vergen von Dans Ernst

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Und doch hätte er da einen Verbündeten. Er weiß es nur nicht. Der Schmiedemeister Enzinger ist es.

Just zur selben Stunde gibt es dort in der Stube einen heftigen Auftritt. Die Magdalena hat die kleineren Ge­schwister ins Bett gebracht, und während sie dem Jüngsten noch die Geschichte von der Goldmarie erzählt, fliegen ein paar Steinchen ans Fenster. Sie schaut hinaus und sieht beim Holderstrauch jemand stehen. Und obwohl es schon sehr dunkel ist, weiß sie, daß es der Hochreiter-Sepp ist. Sie gibt hinter den Vorhängen ein Zeichen, daß sie gleich komme, ver­läßt die Kammer, horcht noch ein Weilchen an der Türe, hinter der der Vater schläft, und verläßt auf leisen Sohlen die Stube und das Haus.

Wohl eine Stunde mag sie draußen gestanden sein bei dem Burschen. Als sie das Haus wieder betritt und leise die Stubentüre öffnen will, wird im selben Moment der Licht­schalter angedreht. Der Schmied steht vor ihr, faßt sie scharf mit seinem Blick und fragt:

Wo warst denn du?"

Magdalena, halb erschrocken, halb vom Trotz erfaßt wie alle, die bei etwas Unrechtem ertappt werden, antwortet:

Draußen war ich halt Noch ein bisst in der frischen Luft. Wenn man den ganzen Tag rackert, möcht man doch ein Stündl für sich allein haben."

Der Schmied läßt sie nicht aus den Augen. Seine Stimme ist jetzt nicht mehr ganz so ruhig, als er sagt:

Lene, anlügen tust mich net, das rat ich dir im Guten. Ich Hab dich nausschleichen hör'n und Hab dir nachg'schaut von mein Fenster aus. Wer war's denn, der da draußen bei der Hollerstauden g'wartet hat?"

Das Mädchen senkt den Kopf und zerrt verlegen an ihrem Schürzenband.

Dann muß ich's dir sagen", schreit der Schmied.Der Hochreiter-Sepp war es."

Das Mädchen leugnet nun nicht mehr, sie sagt nur ein wenig trotzig, warum der Vater sie denn noch frage, wenn er es doch wüßte?

Weil ich net haben will, daß du in dein Unglück rennst. Der schmiert dich an, Madl, dös sag ich dir."

Nein, Vater!"

Schau ihn doch an! Dem schaut ja die Falschheit aus den Augen raus. Das merkst du natürlich net in deiner Ver­liebtheit. Mir scheint, da Hab ich die Augen zu wenig offen gehabt. Aber von heut an soll das anders sein."

Magdalena sucht nun dem Vater zu erklären, daß sie doch schon ein paar Jahre über die Zwanzig sei, in einem Alter also, in dem andere Mädchen auch ihren Schatz haben. Warum denn sie keinen gern haben dürfe.

Dös Hab ich net g'sagt", antwortet der Meister nun ruhiger.Mir ist jeder recht, wenn es ein anständiger Bursch ist. Aber den Sepp schlag dir aus dem Sinn. Erstens ist er ein großer Bauernsohn und wird nur eine nehmen, die brav mitbringt. Mit die paar hundert Markl, die ich dir geben kann, wird er net zufrieden sein. Und für ein Spielzeug da bist du mir zu gut. Der soll sich seine Händ wo anders ab- putzen, net an dir."

Aber laß dir doch sagen, Vater!"

Nix laß ich mir sagen. Schluß, ich will nix mehr hören. Richtest dich nach mir, dann ist es gut. Und das will ich dir noch sagen: wenn du mir einmal daherkämst ver­stehst mich schon, dort geht die Tür naus. Und rein­kommen tust mir dann nimmer."

Der Schmied geht wieder in seine Kammer hinaus, wohl wissend, daß er der Magdalena weh getan hat. Jawohl, weh hat er ihr tun müssen, aber nicht Unrecht. Der Schmied ist einer von jenen stillen Menschen, die selber nicht und nirgends auffallen, die aber scharf beobachten. Und den Hochreiter- Sepp hat er schon oft genug beobachtet. Er hat gesehn, wie der Sepp zum Beispiel beim Kartenspiel betrügt, wie er es mit den Weibern nicht recht genau nimmt, und der Schmied

könnte vielleicht auch behaupten, daß die kürzliche Haus­suchung auf dem Hochreiterhof nicht ganz unbegründet war. Darum ist er auch nicht gewillt, ein Verhältnis seiner Mag­dalena mit dem Sepp zu billigen.

Die Magdalena freilich, die denkt anders. Sie verkennt den guten Willen des Vaters, legt es sich so aus, daß sie nur arbeiten und sorgen dürfe, aber keine Freude haben sollte. Sie ist aber nicht gewillt, sich einfach um irgendeiner Laune willen aus dem Herzen reißen zu lassen, was darin brennt und glüht. Und wenn der Vater nun glaubt, besser aufpassen zu müssen, so kann er es ruhig tun. Liebe findet ja doch immer wieder Wege und Schliche, die nur der kennt, der ebenfalls einmal in seinem Leben Hals über Kopf verliebt war.

Als sie sich das nächste Mal traf mit dem Sepp, war dieses Treffen so heimlich, daß es der Schmied wirklich nicht merkte. Magdalena suchte dabei immer wieder die Augen des Burschen und konnte darinnen wirklich nichts von Falschheit entdecken. Nur Zärtlichkeit und den Hunger eines dürsten­den Blutes. Nein, wie die Väter sich doch täuschen können.

Und so leben zwei Menschen ihre Liebe den Sommer hindurch, wohl wissend, daß ihre Väter davon nicht entzückt sind. Der Achleitner-Franz und die Schmied-Magdalena. Franz ist in die Hochreiter-Veronika schrankenlos verschossen, und die Schmied-Magdalena in den Hochreiter-Sepp.

Der Oberförster verliert zwar kein Wort mehr darüber, und da auch im Staatsrevier von Wilderern nichts mehr be­merkt wird, ist Franz ein vollkommen glücklicher, junger Mensch. Wohin er schaut, ist nirgends ein Mißkkmg, nir­gends ein Schatten, nirgends das Singen dumpfer Sorgen. Wie eine einzige Freude gleiten die Tage des Sommers über ihn hin, gleiten allmählich in den Herbst hinein. Und da finden sie sich noch fester zusammen, denn sie wissen, daß bald der Abschied kommt. So nützen'sie die Tage noch, nehmen sie wie ein Geschenk Gottes und wandern auf einsamen Wegen in den Bergen umher. Nur manchmal bleiben sie stehen, um entzückt der Melodie zu lauschen, die in ihren Herzen singt.

(Fortsetzung 'otS)