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Beilage zum Gesellschafter.
Dienstag den 20. September
Dev Dicbsbanner.
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Es war ein klarer sonniger Julimorgcn. Ei» leichter Hauch vom Süden kräuselte die üppigen Kornfelder, die sich dis zum fernste» Horizont gegen Norden ausdehnten, nur hie und da von einem kleinen Fichtengehölz oder einer Gruppe von Schlehen, und Brombeersträuchern »nterbrochen. In den Zweigen der blühenden Linden, deren wonniger Duft das kleine altersgraue GottesbauS umwallte, sangen und zwitscherten die Buchfinken und aus der vlauen Himmelsfcrne hallten die Jubellieder der Lerchen herab.
Jetzt ertönte» die Glocken droben im Thurm; ihr Klang webte weit über die Felder und Wiesen zu den fernen Dörfern hinüber, zwischen deren Baumgrnppen bald einzelne sonntäglich geschmückte Männer und Frauen erschienen, die langsamen Schul« tcs der lindenumschatteke» Höbe znwanderte». Diesen folgten immer mehrere und mebrere, bis endlich die ganze einsame Rande der sommerlichen Gefilde von Kirchgängern und Kirchgäugerinnen belebt war; von Männern, Frauen und jungen Burschen in dunk> ler Tracht, von Mädchen in farbcnschiminernden Röckenmiedern und Tüchern und in goldgestickten Mützen mit flatternden Hellrothen Bändern.
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An die graue Kirchenmauer gelehnt, schaute der alte Hirt ernst und still die Schaarcn der Frommen an und liest Alle an sich vorüberzichen, ohne eine Miene zu verändern.
Orgclklang und Chvrgcsang brauSte» bereits wie ein voller Strom durch das Gotteshaus — die weite Flur lag wieder einsam wie zuvor im goldenen Morgensonuenschein da — der Greis aber stand »och immer regungslos neben der offenen hohen Kirch- thür; cs war, wie wenn er noch jemanden erwarte. Als er aber weit und breit kein menschliches Wesen gewahrte und Orgel und Gesang verstummten, trat er leisen Schrittes in die Kirche und nahm auf einer Bank unmittelbar neben dem Eingänge Platz.
Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte er jedem Worte des Predigers und stimmte nach beendigtem Gottesdienst laut und kräftig in den Gesang der Gemeinde ein; sobald aber das Vaterunser gesprochen war, verließ er seinen Platz, stellte sich wieder neben der Thür aus, schaute die an ihm Vorüberziebenden wie zuvor ernst und ruhig an und ging darauf langsamen Schrittes zum Dorf zurück.
Als er sein frugales Mittagsmahl beendigt hatte, trat er nach seiner Gewohnheit eine Wanderung durch die Felder und Wiesen des Dorfes an, und suchte seltene Pflanzen und Kräuter, sprach nach seiner Rückkehr in einigen Häusern vor und begab sich dann nach der Schenke, wo Musik und Tanz bereits begonnen hatten.
Er schaute sich das lustige Leben ans dem geräumigen Tanzboden eine Weile an. unterhielt sich mit einigen jungen Burschen aus dem Dorfe und trat endlich in das Schcnkzimmer im unteren Stock, wo die älteren Männer rauchend und zechend beisammen saßen und theils Karten spielten, theils mit einander plauderten. Nur von wenigen bemerkt, setzte er sich in eine Ecke, ließ sich ein Glas Bier geben und knüpfte mit einem der Bauern aus einem benachbarten Dorf ein Gespräch an, gleich als ob er ganz vergessen, daß er eine schwierige Aufgabe zu erfüllen habe, auf deren Lösung das ganze Dorf begierig war.
Der Wächter hatte schon die zehnte Stunde abgerufen, als er die Schenke verließ. Beim Heraustretcn aus der Thür blickte er sich nach allen Seiten um und murmelte dann mit zufriedener Miene vor sich hin:
„Es müßte wunderbar kommen, wenn meine Kunst mich dies- mal im Stich ließe." '
I» der Nacht vom Montag auf den Dienstag ereignete sich ! etwas, was im ganzen Dorfe großes Aufsehen erregte. Kurz ! vor Mitternacht ward nämlich der alte Knecht des Halbhufncrs ! Wenzin vom Schlage getroffen, und da jede Rettung unmöglich
schien, so wurde schnell der Prediger herbeigerufen, der dem Sterbenden das heilige Abendmavl reichte und ihn auf den Tod vorderetteke. Ter Unglückliche starb auch noch in derselben Nacht.
Obgleich der Hingeschiedene stets hinfällig und schwach ge- wesen war, so dänchle cs doch Manchem sehr auffallend, daß sein Tod gerade innerhalb der Frist erfolgt war, binnen welcher es sich entscheide» sollte, wer die Ohrringe ans dem Hause Wen- zin's entwendet halte. Andere meinten zwar, der alte Knecht sei eine ehrliche Haut gewesen und niemand könne ihm etwas Böses naLsagen; allein auch sie mußte» gestehen, daß es besser für seine» Nacbruf gewesen wäre, wen» er noch einige Tage gelebt hätte. Die Möglichkeit, daß er zu dem Schuldigen in irgend einer Beziehung stehe, und daß die Angst, als Mitwisser des Diebstahls genannt zu werden, seinen Tod herbeigeführl habe, konnte niemand leugnen.
Der alte Hirt war der Einzige, der sein Urtheil über das plötzliche Hinscheiben des alten Knechts zurückhielt. Auf alle Fragen, welche die Leute in Bezug darauf an ihn richteten, erwiderte er achselzuckend:
„Man soll den Tobten nichts BöseS Nachreden."
In der darauf folgenden Nacht kehrte einer der jungen Bauer» ans Dambin von einer Wanderung nach dem nächsten Städtchen zurück, wo er mancherlei Bestellungen für den Prediger ausgerichtet hatte. Um sich eine» Umweg zu ersparen, schlug er einige tausend Schritte vor Dambin einen schmalen Pfad ein, der von der breiten Landstraße quer durch die Felder hinlief und zu den Gärten führte, welche das Dorf rings umschlossen.
An der Umzäunung angelangt, die den Garten seines Vaters begrenzte, glaubte er in dem nicht weit entfernten, aber hinter Bäumen gelegenen Hänschen des alten Hirten noch Licht zu bemerken. Anfangs meinte er, er täusche sich, denn eS war lange, lange Mitternacht vorüber; als er aber näher hinzuging, sah er ganz deutlich, wie Lassow am Tische saß und laS.
„Da möckl' ich wirklich wissen, was der Alte jetzt lieSt, sprach der Bursche bei sich, indem er auf seines Vaters Haus zuschritt. Er hat zwar Keinem auf der Welt etwas BöseS zuge- sügt — aber wenn ich ihn anblickc, nberkommt mich allemal eine heimliche Scheu — — ich meine immer, er müßte einem bis auf den Grund des Herzens sehe» können! Mich wundert gar nicht so sehr, daß er Diebe und Betrüger unter Hunderten heraus« findet. Den Ohrringendieb hat er wahrscheinlich schon längst entdeckt."
Endlich war die siebente Abendstunde deS siebenten Tages herbeigekomme». Der alte Hirt hatte sich auf den Wunsch des Fischers Rasteimke bereits erklärt, gleich nach sieben Uhr in der Schenke zu erscheinen und vor allen den Gästen, welche am Mittwoch zuvor dort versammelt und Zeuge der Wette gewesen waren, das entscheidende Wort zu sprechen.
Natürlicherweise halten sich außer den damals Anwesenden noch viele Andere eingefuuden, die sämmtlich im höchsten Grade neugierig waren, wie die Sache ablaufen werde, und in der gespanntesten Erwartung dem Eintritt des alten Hirten entgegensahen.
Von de» beiden Wettenden, Drewitz und Bellin, schien jeder die feste Ueberzeugung zu hegen, daß er den Sieg davontragen werde; namentlich war der letztere ungemein zuversichtlich und lustig und rechnete dem wohlgenährten Tolbitz, der sich über die in Aussicht stehende ungewöhnlich starke Einnahme vergnügt die Hände rieb, lachend und scherzend vor, wie viele Gläser Bier und Rhum in den zehn Thalern steckten, welche er von Drewitz für die verlorene Wette erhalten werbe.
Endlich erschien der alte Hirt. Augenblicklich verstummte das Plaudern, Lachen und Schreien und Aller Augen richteten sich auf den Eintretenden, um in seiner Miene die Entscheidung zu lesen. Allein nicht der leiseste Zug in seinem tiefgefurchten bleichen Gesicht verrieth, was in seiner Seele vorging. Nachdem er allen mit vernehmlicher Stimme „Guten Abend" gewünscht