hakte, schritt er langsam und ohne irgend jemand desonderö zn beachte», auf einen leeren Platz a» dem Tische neben dem Fenster zu, und bat de» dicken Schenkwirlh, ihm cm KlaS Bier zu reichen.
Als dies geschehen war und der Greis sich durch einen Trnnk gestärkt hatte, trat der Fischer ans ihn zu und fragte:
„Nun, wie stehl'S, Lastow? Die von Euch gcsvrderlc Frist ist vorüber — gebt uns jetzt Bescheid."
„Ich habe Wentzn's HanS seil acht Tagen nicht betreten und auch mit keinem seiner Bewohner gesprochen, erwiderte jener. Schickt jemanden hin und lagt fragen, ob sich die Ohrringe gefunden haben."
Einer der anwesenden jungen Burschen lief sogleich' dorthin und kehrte nach Verlaus von zehn Minuten so außer Äibem zurück, daß er Anfangs kein Work hervvrzubringen vermochte.
„Sie sind da! sie sind da!" rief er endlich.
„Wer hal's Dir gesagt? Hast Du die Ohrringe gesehen? Wann sind sie zuräckgebracht worden? Wo haben sie gelegen?" rief es von allen Seilen.
„Ich habe Wenzin selbst gefragt, versetzte der Bursche. Ec sagte mir, seine Tochter habe die Ohrringe heute Morgen in aller Frühe aus der Schwelle der Garkeathnr gesunden und zur Bekräftigung seiner Worte ließ er sich dieselben bringen und zeigte sie mir."
Ei» allgemeiner AnSrnf des Erstaunens folgte diesem Bericht. Die meisten schanien den alten H»ten halb mii Bewunderung und halb mit Scheu an, gleich als ob sie ihm übernatürliche Kräfte znschriebcn, nur einige schüttelten zweifelnd den Kops.
Lassow selbst saß so ruhig da, als gehe ihn die ganze Sache nichts an. ' (Forts, folgt.)
T a g e s - N e u i g k e r t e n.
Paris, 12. Septbr. Diesen Morgen um 7 Uhr fand in Foix die Hinrichtung von Jacques Latour stakt. Eine zahllose Menschenmenge mar, wie der Telegraph meidet, znsammengestiöint.
Le Petit Journal ist das einzige Pariser Blatt, das dis jetzt, angeblich von dem Berlheitiger Latours, Näheres über das Ende dieses letzteren mittheilt. Die Einzcluheiten, welche dein Publikum geboten werden, find wirklich ganz überracchcnver und wahrhaft grausiger 'Natur. Sonntag Abend gegen 5 Uhr trat der ObcrdcschUcßcr in bic Zelle ratour's ein, und legte ihm bic Handschellen wieder an, die man thm seit einigen Tagen auf sein Nacksuchen abgcnommcn hatte, und thcilte ihm alSk-an» mit, daß seine letzte Stunde nahe sei. Einen Augenblick war Latour wie versteinert, dann brach er wuthschäumcnd in einen Strom von Verwünschungen gegen die Richtet den Geistlichen, das Gcfängnißpcrsviial, kurz gegen die ganze Welt aus. siDic Böscwichter — die Räuber, heulte er - daß mir nur der Pfarrer nicht mehr unter die Augen kommt, der HöUenbratcn! Den Rosenkranz, den er sich seit wenigen Tage» um den Hals hatic legen lassen, riß er ad, und zerbiß chn in Stücke, ebenso ein Gebetbuch; eie Muttergottesmcdaillcn, mit denen ihn seine Schwestern beschenkt hatten, riß er in Stücke. Zähnest.tschenv rief er: „Nu», der Pfarrer wirb saubere Arbeit finden! Wen» er es wagt, hereinzukoinincii, mag er sich in Acht nehmen!" Als später der Printer erschien und mit ihm zu sprechen begehrte, wies er ihn mit der größt-» Heftigkeit zniiick. „Ich rcspcktirc nur noch den Hcnkcr!" rief er aus. Nachdem man ihm gegen 8 Uhr Abends auf seine Anfrage mitgctheilt, die Hinrichtung werbe am nach:cn Morgen 7 Uhr stattfinben, erklärte er, bereit zu sttn. Ich will allen Räuber», die mich verfolgt haben, ein Stück meines Körpers vermachen. Sie mögen es ü In sauco pigusnte essen." J.i diesem Tone ging es fort bis gegen 1l Udr; am häufigsten schrie er: „Es lebe der Tob, es lebe der Henker, es lebe die Guillotine!" Mit einem Male hielt er an, und wandte sich an den Beschließer: „Aber wie, habe ich nicht bas Recht, morgen früh gut zu frühstücken und mir, was ich will, zu bestellen. Ich will zeitig frühstücken; ich muß einen Litte Wein und ein Viertel L tre Branntwein haben. Dann mag mein Kopf hinrollcn! Wie viel Uhr ist's? — Eilf Uhr, erwiderte man ihm. — Wohlan, machen wir uns den Abend zu Nutze. Morgen bin ich cingescharrt. Wein herbei undKrrtcn! — Nein, ich will lieb.r ein Testament machen " — Sein Testament machte er nun mündlich, indem er in den unflätigsten Ausdrücken den Pfarrer und den Karmclüc- rinnen von Pamiers Legate auswarf. Mit ähnlicher Freigebigkeit bedachte er sämnttliche B-schsießer des Geiängnißcs. Um II st- Ubr schlief er ei», wachte jedoch bald wieder auf und brach aufs Neue in die gräßlichste» Schmähungen gegen die Priester aus. „Es leben die Henker", schrie er, „es lebe der Tod! Alle,», allein gehe sich aufs Schaffst. Geht der Pfarrer mit mir, so werfe ich ihn durch einen Stoß mit dem Schädel hinunter. Doch, reden wir von ernsthaften Dingen", wandte er sich an die WLckt r, „Wein und Branntwein haben wir zu trinken, allein was werden wir essen?" Rach eisigem Wählen entschied er fick für Rindfleisch und Birnen. Bald darauf verfiel er in eine» unruhigen Schlummer, der bis gegen 2 Uhr dauert- Er fuhr mit Geheul in die Höhe; die Kette schneide ihn zu sehr in die Arme ein. Man nahm sie ihm ab und band ihn mit einer Schnur fest, worauf er wieder emschlicf. Um 5 Ubr wurde
er geweckt; cs sei Zeit, sich zum Tode vorzueerciien. Um c: Ubr lam lcr Pfarrer wieder. „Was willst Du, schwarzes Thier", rief er ihm entgegen. „Ich brauche nur noch die Henker. Satan! fahre hin zu Luciferl D>d, ick, freue mich darauf, den Teufel von Angesicht zu Aug, sicht zu schaue»! Latour fürchtet den Tod nicht; der Teufel fürchtet sich vor ihm." Hierauf frühstückte der Delinquent. Er speiste mit vielem Appetit ein Stück Rindfleisch und trank eu, halbes Glas Wein dazu, und rief von Zeit zu Zett: „Ausgezeichnetes Rindfleisch; doch hätte ich lieber ein Stück von mcin.m Schenket gegessen. Wenn man nur cs znbereiten wollte, würde ich es glecch essen, und, fügte er bei, als gerade der Poiizcikom- nsiffär emtrat, diesen Herrn dazu cinladcn." Um (!'/- Ubr kamen die Hcnkcr herein- „Gtucn Morgen, meine Freunde. Ihr holt mich, um Euer Geschäft zu verrichten. Wohlan! ich bin bereit, Euch zu folgen. Bindet mich, wett cs der Brauch ist, doch nicht so fest, wie diese Halttmken von Bclchttcßern." Als ihn der Rachrichlcr dennoch etwas zu fest band und den Strick nicht lockerte, ries Latour: „Du bist der Henker selbst nicht, Canaille, Du bist nur sein Knecht." Der Nachrichicr schaute idn fest an- „Ich diu, sagte er, der Bevollmächtigte des Hrn. Bugad de Laffalle und der drei andern gcmordcrkcu Opfer." „Ach, sagte Laiour, Du ärgerst Dich, weit ich Dich Henker »eunc; »uu ich will 'Monsieur zu Dir sage». Macht dir das mehr V,rgnügcu?" fügte er lachend bei. Als ihn dcr'Ge- sängntßverwattcr fragte, ob er Audoup etwas zu sagen habe, erwiderte er nichts, als das klassische Wort Canibrounc'S, wie cs Victor Hugo l» einem Kapltet der Mperables der 'Nachwelt überliefert. Ein Viertel vor 7 Uhr erschienen ric Gendarmen. „Gaten Morgen, ihr Galgcnschwalbcn!" begrüßte er sie. Feile» Schritts verfügte er sich in den Hoi', wo er eines der Pferde wiehern hörte, csich, ries er aus, ich hörte Nostnantc, den Renner des Junker Don Qurrvte de ta Mancha!" Als man ihm am Gcfänglnßthor die Kelten avnahm, sagte er zu dem Gesang,ttßdirektor uns de» 'Nachrichtern: „Ihr solltet Euren Kopf aufs Brett siegen; das wäre ein sehr schönes Schauspiel!" Der junge» Tochter eines Beschließers sagte er: „Da ist ja Dulnnea von Tovojo, die Dame meiner Gedanke»! Guten Morgen Duieinea!" Den Gendarmen kommandirte er am Thorc: Gewehr aus! Dann fügte er bei: „Ihr seid die Hunde des Senkers. Ihr hott den Hasen und führt ton ans Schaffst." In dem Wagen ittied er aufrecht stehen uns saug ras Licv: la mors ttaspsxt. Hinter'dem Wagen schnit zu Fuß der Priester betend einher. Beun Ausstelgcn stieß Latour mit dem Kops ein Wageuseiister ein. Er beschaute sich die Mcugc und ging, indem er mit schalttnder Stimme seine bereits bssamite Guillotinen- marscillaise sang, die Stufen des Blutgerüstes hinan. Er sang dis zum lstztcii Augenblick, noch als das Brett, auf das er geschnallt war, bereits umgcschtagcu war. Das Fallbeil schnitt ihm ras Wort inort entzwei.
Paris, 8. Sept. Gestern stand vor den Assisen eine junge Wäscherin, Clauruie Laddui, der freiwilligen Tödtnng ihres einjährigen Kindes angcktagl. Sie war vor einigen Jahren nach Paris gekommen, hatte bet ihrer Tante gearbeitet und die Betanutschafl eines Maurergesellm gemacht, der thr die Ehe versprach und sie beredete, mit ihn, gemeinschaftlich zu leben. Rhvl, so heißt der Bursche, faßte das Ncrhälrniß rem von der praktischen Seite auf. Cr lebte von dem Ertrage d.r Arbeit seiner Geliebten, unv schickte seinen eigenen Verdienst in die Seimath, um sich für feine künftige Niederlassung einiges Ackerland dafür ankaufcn zu lassen. Als die Folgen dieses Zusammenlebens sichtbar wurden, und die arme Wäscherin nicht mehr genug verdienen konnte, um ihm ein kostenfreies Dasein zu verschaffen, so ging er ans uns davon und ließ sein Opfer in der traurig,ien Lage und ohne iege.w eine Unterstützung zurück. Von ihrer Familie verstoße», von ihrem Verführ,r xreisgcgeden, luchte Etaue'ine Labde' sich und ihr Kmd durch ihrer Händceirbesil' zu erhalten, allem ihre Kräfte und Mi tcl reichten nicht uns. In der höchsten Verzweiflung suchte sic sich mit ihrem Kinde in Kohlendampf zu ersticken. Sic wurde gerettet, das Kmd diico tobt, und dieser Tha: beschuldigt erschien sic gestern vor den Geschworenen Der erbärmliche Npot war als Zeuge geladen. Er kam im somttäglicheu Aufputz mit dicker goldener Uhrkettc, und sein rohes, gefühlloses Benehmen erregte die allgemeinste Entrüstung. Die Staatsbehörde trug auf Freisprechung a». Nach der That selbst, sprach n. A. Staatsanwalt Jouffclin, mußte die Gerechtigkeit verfolgend einschreicen. Nach der heutigen De.Handlung tritt die Wahrheil zu Tag und wir erfüllen eine hohe Pflicht, indem wir hier laut crk.are.i: „Der wahre Schuldige sitzt nicht auf dieser Bank, er sitzi dort! (Aller Augen richteten sich auf Npot.si Wir haben Ihnen, m. HH. Geschworene», wencr nichts zu sagen. Wir wenden uns an Ihr Herz und Ihr Gewissen, um dieser armen Frau ihr gutes Recht zu Thcil werden zu lassen." Der Vcrthcidigcr verzichtete nah diesem Vortrag auf ras Wort. Der Präsident resumirt die Sache in wenigen, tiefbewegten Worten, uni zu lagen, daß die Angeklagte sehr unglücklich war, schwer gelitten hat und für ihre verzweifelte That grausam bestraft worden ist. Unter allgemeiner Znmmmung schlicht er mit der Bemcrkung, daß die Geschworenen mtt ihrem Herzen wohl gerne auch ibre Börse öffnen w H - den. Inzwischen hatte ein junger Mann Beiträge unter den Anwesenden gesammelt. Er hielt and dem Npot de» H»t hm, zog ihn aber, unter dem Bcijall der Umsteh,irden zurück, als dieser, nach langem Suchen in der Westentasche, einige Sousstücke spenden wollte. Nach einer Bcraihung von fünf Minuten sprach die Jurp einstimmig ein „Nichtschuldig" aus. Claudine Labde wurde in Freiheit gesetzt und erhielt in dem Dcliderations- zimmer des Hofes die Summe von 60» Fr., weiche die Richter, die Geschworenen und das Publikum für sic zusammcngesteuert hatten. Npot aber mußte von den Huissscrs und Gendarmen durch eine Ecitenthiir entlassen werden, da das Auditorium in der unverkennbarsten Weise sich an- schicktc, ihm handgreifliche Beweise seiner Entrüstung z» geben.
Auflösung des Näthsels in Nro. 75:
_ „Ach re'— Ehre." _
Druck unk Verlag der G. W. Z«iscr 'scheu Buchhandlung. Redaktion: Hölzl«.