Beilage zum Gesellschafter.
AK
Freitag den 8. Juli
Verbrechen nnd Sühne.
(Fortsetzung.,
So hatte er also die Schlüssel zur Schatzkammer in den Händen, er, der Arme, von äußerlicher Noch geplagte. Und dort standen Säcke mit Gold gefüllt, von denen ein einziger hingereicht hätte, um viele Familien, wie die seine, in die glücklichsten Verhältnisse zu versetzen. Der Gedanke erfaßte jedoch den Schlosser nur einen Augenblick, sein Gewissen, sein Herz, sie waren rein und noch stand das Bild des todien nnd verstümmelten Räubers vor seinen Augen, der also seine verruchte Hand auch nach der Schatzkammer seiner Vaterstadt ausstrecken wollte.
„Gott hat mich offenbar geschützt vor einem furchtbaren Verbrechen, daß er jenen Räuber nicht allein vor mir entlarvte, sondern ihn auch für ewig verstummen ließ. Aber, was sollen mir nun die Doppelschlüssel? Kann ich sie doch nicht, ohne mich selbst anzuklagen, dem Rathe abliefern? —Zeh will sie umschmieden, noch diese Nacht — ja, ja noch diese Nackt!"
So dachte der Schlosser, als er mit seinem Lohn nach Hanse ging. Der Entschluß, den er gefaßt, hatte ihn wirtlich heiter gestimmt, er fühlte sich ordentlich befreit von seinem Bangen, das ihn erfaßt hatte — er wünschte den Abend herbei, die Nacht, um die Schlüssel zu vernichten.
Gegen Abend kam der Pater Martin; er unterhielt sich im Hinkerstübchen mit Frau Martha, und Meister Kilian machte etwas früher Feierabend, um den Leiden eher Gesellschaft leisten zu können.
Pater Martin hatte die Geschichte des Räubcranführcrs zu erzählen versprochen. Er hielt Wort. Es war eine lauge Reche der furchtbarsten Verbrechen und Vergehen, von denen wohl einzelne den Ehegatten bekannt waren, die meisten jedoch, theils »n Badischen ober Vordcröstreichischeu begangen, waren nicht bis in die Werkstatt des Schlossers gedrungen. Da übrigens diese Räuberchronik auf den weitern Verlauf unserer Geschichte keinen Einfluss mehr übt, so wollen wir dieselbe hier übergehen.
Nachdem Pater Martin seine Erzählung geschloffen, konnte sich Frau Martha nicht enthalten, ihrerseits eine Frage an ihn zu richten. „Ihr sagtet neulich, ehrwürdiger Vater, sprach sie, daß auch unser Gevatter Wurmbach mit diesem Menschen in Verbindung gestanden sei; hat auch er an den Verbrechen mit Lheil genommen?"
„Man weiß nur, daß er an vielen Orten Gegenstände verkaufte, die gestohlenes Gut sein sollen. Er ist ein schlauer Bursche, der sich durchzulügen weiß. Er hat hier seine Schlupfwinkel, seine Hehler und Helfershelfer."
So sprachen die Drei noch lange fort, bis der Pater Abschied nahm und heimkehrte.
„Legen wir uns auch zur Ruhe," sagte nun der Schlosser, welcher seine Absicht vergessen hatte und sich in der Thal ermüdet fühlte.
Der folgende Tag war Sonntag, und da die Sonne so klar leuchtete und die Winterkälte die Wege gefroren, so wollte der Schlosser seiner kleinen Familie einen Festtag bereiten nnd sie nach St. Jakob fuhren, auf die schöne Malte, auf welche schon damals alljährlich einige Male die Jugend Basels zu wallen gewohnt war, um sich mit Schneeballe» zu bekämpfen. Sie kamen spät heim und die Freude ihrer Kinder strahlte aus den zufriedenen Zügen der Eltern wieder.
Allein der Schlosser ging auch de» folgenden Abend nicht an die Schlüssel — hakte er's auch wieder vergessen? Nicht besser war's die a»dern und die darauffolgenden Abende. Freilich näherte -sich der Schlosser auch nicht der Truhe, in welcher das Bund Schlüssel lag; allein man sah es ans seinen scheuen Blicken, an seinem Sinnen, daß etwas in ihm vorgehe, ein Kampf, über den er selbst nicht Meister werden konnte.
Jedenfalls halte er etwa drei Wochen nach den erzählten Vorfällen die Doppelschlüssel nicht vergessen; denn er kam eines
Morgens — Mangel an Arbeit machte das Halten von Arbeitern überflüssig — in die Werkstättc und schloß die bisher vernachläßigte Truhe auf; er nahm de» Schlüsselbund heraus, sah ihn mit wechselnden Gefühlen an.
„Jst's nickt eine Schickung, daß ich gerade diese Schlüssel habe machen müssen, freilich für den Räuber. Er sebrack bei dem Gedanken zusammen. Aber, fuhr er dann in seinem Selbstgespräche fort, ich will ja nicht so viel, nur das Noihwendigste, mehr nicht, nein, mehr nickt — aber stehlen — und dock, wir haben nur noch für heute Brod, »nd die Kinder haben seit vier Tagen nichts genossen, als jedes nur ein kärgliches Stück Brod, und keine Hilfe, keine Arbeit. Pater Martin versprach mir Arbeit, aber bald acht Tage haben wir ihn nicht gesehen. Ec seufzte schwer ans. Kan» ich die Meinen darben, verhungern lassen? und da liegen die Schlüssel zur Schatzkammer, ich kenne Weg und Steg dahier, ich selbst habe die Schlösser angelegt."
Er hörte Geräusch im Hinterzimmer. Er legte die Schlüssel wieder an ihren Platz, machte die Truhe zu.
Martha trat in die Werkstätte. Kummer, Sorge und Entbehrung hatte dieses sonst von Gesundheit strotzende Gesicht gebleicht, Furchen gezogen in die Stirne.
„Du hast noch nicht geöffnet?" fragte sie.
Kilian zuckte die Achseln. „Was »ützt's, armes Weib, sagte er; niemand kommt, um »nS Arbeit zu bringen; Noch und Elend herrscht in der ganzen Stadt; die Thcnrnng hält die Leute ab, uns arme Arbeiter etwas verdienen zu lassen."
Eine Thräne rann der Frau über die eingefallenen Wangen, aber sie faßte sich. — „Verzweifle nicht, Heiri, sagte sie, Pater Martin denkt an uns, er wird nicht ausbleiben."
Kilian sagte nichts, er wollte der Frau diesen Trost nicht rauben; aber der Entschluß, sie und seine Kinder durch eine Thar, die sein Gewissen in diesem Angenbttcke nicht mehr verdammte, zu retten, der Entschluß war in ihm gereift. — „Es muß sein," murmelte er und ging, den Laden zu öffnen.
Es war ein beitercr Fehrnarmorgen, aber die Straßen schienen verödet. — Niemand kam während des TageS, und als der Abend hereinbrach, hakte die Familie deS Schlossers ihr letztes Brod verzehrt nnd war noch hungrig zu Belke gegangen. Die Körpererschlaffung hatte Martha auch bald in Schlummer vcr- sinken lassen. Der Schlosser richtete sich in seinem Belte ans, er sah nicht die bleichen Gestchter der Seinen, aber sein geistiges Auge erkannte sie durch die finstere Nacht.
Er stand auf, kleidete sich, ohne ein Geräusch zu macken, an. Ec wollte, noch unberührt von dem Verbrechen eines Diebes, seine Lippen ans Martha's Mund, auf die Stirnen seiner herzigen Kinder drücken. — Nein, sie konnten erwachen. Gott segne ihren Schlummer.
Schon griff seine zitternde Hand nach der Thürklinkc, da traf sein Ohr der Ruf seines Weibes, bas im Traume seinen Namen nannte
,,Heiri, Heiri!" rief sie wie mit dem Ansdruck des Vorwurfs.
Der Laut drang lies in sein Herz. Er zögerte einen Augenblick, aber der Nus wicderhotte sich nicht.
Er trat i» die Werkstätte; geräuschlos faßte er die Schlüssel. In wenig Minuten siand er ans der Straße. Er hatte einen »och übrigen Kcrzcnstmiipen mit sich genommen.
Die Nacht war dunkel, aber nicht kalt. Es war spät, die eilste Stunde hatte geschlagen. Die Straßen waren vereinsamt. Er geht raicher dem Nachhause zu. Ec kennt ja die geheimen Eingänge, er kennt die Schlüssel, welche öffnen. Doch zandcrr ec wieder, als er das stolze Gebäude erreicht. — Und wenn man ihn entdeckte, faßte, »nd seine Familie in dem Elende noch das Brandmal des DiebeS im Vater schändete!
„Diebstahl oder Hungertod!" ruft in ihm der böse Dämon, nnd der Schlosser denkt an seine Kinder, denkt an seine Frau, an ihre bleichen, eingefallenen Wangen. Er zögert nickt mehr.