einer so grausam getrennten Familie bleiben, in einem so durchaus entweihten Hause. Ich bat sie, zu erlauben, daß meine alte Mutter unsere Gefährtin werde, damit ihr Segen meine Versuche, eine neue Laufbahn des Glücks und der Tugend zu betreten, begleiten möge. Doch, obgleich innerlich erleichtert durch die freie Darlegung meiner künftigen Pläne, zitterte ich dennoch, als ich plötzlich an der Schwelle meines Hauses hielt. Ihr wieder zu begegnen — noch einmal meiner armen Mutter, die durch Blindheit und Schwäche verhindert worden war, mich während dieser Zeit zu besuchen, um den Hals zu fallen! Welche Prüfung! Der Lärm der Menge war in der Ferne erstorben, mein einziger Gefährte war ein alter, ehrwürdiger Diener meines Vaters, der schluchzend an meiner Seite saß. Er war mit als Zeuge bei'm Verhör gewesen, und in tiefer Trauer, wahrscheinlich der Unehre halber, die seines Herrn Hause widerfahren." —
,,Die Fensterläden sind ja alle zu,- sagte ich ängstlich aufwärts blickend, als der Wagen still hielt. Hat meine Frau, hat meine Mutter die Stadt verlassen?" —
„Ich durfte ja den Jammer nicht noch über Euch bringen, Master William, als Ihr so schweres Leiden hattet, sagte der alte Mann, meinen Arm fest ergreifend: Meine arme, alte Gebieterin ist schon seit 6 Wochen begraben; sie starb an einem Schlagsluß, den Tag nachher, als Ihr Euck selbst den Gerichten übergeben. Wir begruben sie, Herr, bei Eurem Vater." —
„Und mein Weib? sagte ich, als ich wieder so viel Fassung gewinnen konnte."
„Ich verstehe es nickt recht — ich bin nicht reckt im Klaren darüber. — Ich glaube, Herr, Ihr werdet eine» Brief vorfinden, sagte mein greiser Gefährte, indem er mit mir in's Haus trat."
„Von Marien?"
„Hier ist er, fuhr er fort, einen Fensterladen des kalten, schaurigen, mir so theuren Zimmers öffnend, und nach dem Tische zugehend."
„Von Marien? wiederholte ich, als ich ihn aufbrach. Nein! nicht von Marien, auch nicht von irgend einem Gliede ihrer Familie, auch nicht von einem Freude, — einem fernen Bekannten. Es war ein e S A dvoeaten Brief; er mackte mir darin in technischer Kürze die Mit- thcilung, daß seine Clientin Mrs. Marie Wargrave, in der Meinung gerechte Ursache und Veranlassung zu haben, mein Dach zu verlassen, ihren Aufenthaltsort bereits bei ihrer Familie genommen; daß er bereit sei, sie mit der strengsten Kraft der Gesetze gegen jede Opposition z» vertheidigen, die ihrer Absicht von meiner Seite ent- gcgengestellt werden könnte; daß er jedoch zu gleicher Zeit das Vertrauen hege, die Sacke werde sich in Güte beilegen lasse». Mrs. Wargrave verlange übrigens weiter nichts, als die ihrem Ehecontract stipulirte Kleinigkeit, zu ihrem Separat-Gebranck. Anstatt mick nach dem Continent zu begleiten, ziehe sie es vor, bei ihren Brüdern zu bleiben."
„Und durch einen Advocaten mußte ich alles dies erfahren! Das Weib — die Gattin — die ich geschlagen habe! — will mich lieber vor einem Gerichts
höfe der Grausamkeit beschuldigen, als ferner noch mit dem Mörder ihres Lieblings leben! Sie wußte, daß meine Hausgötter entschwunden sind; — und in solch einem Augenblick verläßt sie mich!"
„Trinkt dicß, Master William, sagte der arme, alte Manu, und brachte ans einem Präsentirteller eine Flasche Madeira, die wohl 40 Jahre gelegen hatte, Ihr bedürft der Stärkung, mein thenrer Herr, trinkt dieß."
„Gieb es her, rief ich, und riß das Glas ans seinen Händen. Noch cin's — nock ein's! Ick bedarf der Stärkung; denn ich will's vollenden. Laß den Wagen anspannen; ich will ausfahren. Nock ein Glas! — Ich muß Mrs. Wargrave sehen! — Wo ist sie?"
,,Drei Meilen von hier, Herr, in Sir Williams Hause. Meine Gebieterin ist bei Ihrem ältesten Bruder. Ihr könnt sic heute Abend wahrlich nickt mehr sehen. Wartet bis Morgen, bis Ihr etwas gefaßter seid. Ihr werdet nock Euren Verstand verlieren bei all' den grausamen Sckicksalsschlägen!"
„Ich habe ihn schon verloren! rief ich ans, mich in den Wagen werfend. Und deßhalb muß ick sie sehen — muß sie sehen, ehe ich sterbe."
„Während der ganzen Fahrt bis an's Thor von Sir William BrabazonS Hanse schwebten diese wahnsinnigen Worte ans meinen Lippen. Hier ließ ich den Wagen halten, und ging den Ricktweg zu Fuß, weil ick meine Ankunft nicht vorher verkünden wollte. Es war finster. Der Diener erkannte mich nickt, und durch eine Seitcn- thür eintretend, bat ich einen fremden Bedienten, mich bei Mrs. Wargrave za melden. Tie Antwort lautete, wie ich sic erwartet hatte: MrS. Wargrave könne Niemand sehen; sie wäre krank und hätte eben erst das Bett verlassen. Dem ungeachtet bestand ick auf der Nothwen- digkeit, sie sogleich zu scheu. Ick müßte sie eines dringenden Geschäftes wegen sprechen, wenn auch nur auf einen Augenblick. Es wäre Mrs. Wargrave unmöglich, irgend Jemand Geschäfte wegen zu sich zu lassen, da Sir William und Mrs. Brabazon eben in der Stadt wäre», und sie selbst ganz allein und sehr unwohl sei. — Trage diese Note hinein, sagte ich, ein leeres Blatt ans meiner Brieftasche reißend, und es in Form eines Briefes zurecht legend. Und dem Diener, der meine Botschaft überbrackte, mit Vorsicht folgend, fand ick meinen Weg zur Thür von Mariens Zimmer. Die Kranke saß in einem großen Armstnhl vor dem Feuer, und hatte ihren kleine» schlafenden Knaben im Arm. Vor dem Diener- Her trat ick in's Zimmer; und beim unvollkommenen Schein des FenerS hielt sie mich anfangs für ihren Arzt, den sie erwartete."
„Guten Abend, Doctor, sagte sie mit einer so schwachen und zitternden Stimme, daß ick sie kaum für die ihrige wiedererkannte. Sie finden mick heute Abend etwas besser. Aber warum kommen Sie so spät?" — (Schluß folgt.)
Auflösung der Charade in Nr. 95:
Billardball.