erstell Geschosse die Thiiren einschlugen, und war daher Anfangs unentschlossen, wohin ich mich wenden solle; der Wunsch, unnützes Blutvergießen zu verhindern, entschied, und ich eilte in den Seitenflügel des Schlosses. Als ich hier um die Ecke in einen gewölbten Gang bog, bot sich meinem Blicke ein überraschendes Schauspiel dar. An dem Ende des Ganges waren ein Manu in vornehmer, prachtvoller Kleidung, und dem Ansehen nach schon hoch in den Sechzigern, ein wunderschöner Jüngling von etwa . 14 bis 15 Jahren, und 3 bis 4 Bediente in glänzenden ' Livreen hinter einem Haufen Tischen und Stühlen verschanzt, und von zehn bis zwöl-fen unserer Infanteristen belagert. Der alte Mann blutete, und hielt sich nur mit Mühe aufrecht, und seine Begleiter waren eben damit beschäftigt, ihre Gewehre auf's Nene zu laden.
Rasch trat ich unter die Soldaten und rief ihnen ein lautes, donnerndes: Halt! zu; sie sahen sich verwundert um, und gehorchten nur zögernd dem Befehle. Die augenblickliche Stille, welche jetzt eintrat, benutzte ich, um dem Greise, der etwas wahrhaft Ehrfurcht Erweckendes in den ernsten, bleichen Zügen hatte, in spanischer Sprache zuzurufen, daß er sich ergeben, und mein -Wort darauf nehmen solle, anständig behandelt zu werden. Er wollte antworten, aber noch ehe das Wort über seine Lippen kam, legte der Jüngling an, zielte eine Secuude, drückte, und hintewmir stürzte einer der Soldaten todt zu Boden, ich selbst aber fühlte Blut über meine Wangen rieseln; der Schuß hatte mich gestreift.
Jetzt war cs ein vergebliches Bemühen, .der Wnth der Soldaten noch länger'Einhalt thun ;n wollen; im Nu donnerten zehn Schüsse auf die Unglücklichen los, und auf den Tod getroffen sanken der schöne Jüngling und zwei der Bedienten zu Boden. Als der Greis dies sah, schleuderte er das Gewehr, das er in der Hand gehalten, weit von sich und stürzte laut schreiend über den Leichnam des geliebten Kindes; denn sein Sohn mußte der Gefallene sein; — nur Elternliebe vermag sich so zu äußern.
Die Soldaten hatten weiter nichts gewollt, als Alles aus dem Wege räumen, was sich ihnen bei der Plünderung des Schlosses entgegenstelltc, und kaum sahen sie die Feinde stürzen, als sie ihrer auch schon nicht mehr achteten, sondern sich in die verschiedenen Gemächer des Schlosses vcrthcilten.
Ich trat jetzt zu dem verwundeten. Greise und dem sterbenden Jünglinge, und das Bild deS herzzerreißendsten Kummers, das ich hier vor mir sah, erfüllte mich mit solcher Wehmuth, daß ich nur mit Mühe die Thräucn der aufrichtigsten Theilnahme znrückzuhalten vermochte. Schweigend betrachtete ich einen Augenblick die Gruppe, die, wie ich sie mir jetzt in das Gedächtnis; znrückrufe, ein herrlicher Gegenstand für Pinsel oder Griffel eines bildenden Künstlers gewesen wäre. Dann bog ick mich zn dem Greise hinab und fragte ihn mit sanfter Stimme, ob ich irgend etwas zu seinem Beistände, seiner Hülfe zu thun vermöchte.
Er hörte mich nicht; starr hatte er den Blick aus das immer matter und matter werdende Auge d'cs Jünglings gerichtet, in dessen, von drei Kugeln zerrissener Brust das >
letzte Fünkchen des entfliehenden Lebens glomm. Da legte ich meine Hand leise auf seine Schulter und wiederholte meine Frage mit hörbarer Rührung. Wie ans einem Traume unsanft emporgeschrcckt, wendete er sich wüthend gegen mich, als er mich aber erkannte, da wich der Ausdruck des Zornes dem des tiefsten Kummers. „Edler Mann," sagte er, mir die Hand reichend, „Sie meinten cs redlich, selbst mit Ihren Feinden, aber der Himmel wollte es anders; — sein Wille geschehe! -—- Sie bieten mir Ihren Beistand, Ihre Hülse? — Wozu bedarf ich jetzt noch der Hülfe irgend eines Sterblichen! — Doch ja; einen Dienst können Sie mir noch erzeigen, und ich will nickt auf die Uniform achten, die Sie tragen, sondern will diesen Dienst vpn ihnen heischen; — helfen Sie mir meinen Sohn zur Ruhe bestatten, und dann betten Sie mich zwischen ihn und meine gemordete Gattin."
Der eine Diener, welcher nicht von unfern Kugeln getroffen worden war, sich aber bisher scheu in eine Ecke gedrückt hatte, trat jetzt näher. Er warf sich dem ehrwürdigen Alten zu Füßen, umklammerte seine Kuiee, und rief mit flehenden Tönen: „Ach, lieber Herr, denkt doch nur an Euch selbst; Eure Wunden fordern Hülfe; zögert Ihr leichtsinnig damit, so möchte es bald zn spät sein."
„Beruhige Dick, Alter," erwiderte der Greis, dem alten Diener gerührt die Hand darrcicheud; „ich erkenne Deine Treue, Deine gute Absicht, aber was nützt mir das Leben, da die mir vorangegangen sind, die mir auf dieser Welt die Theuersten waren. Nein, alter treuer Petro, ich will sterben, und — gelobt sei die heilige Mutter Gottes — ich fühle, daß mein sehnlichster Wunsch seiner Erfüllung nahe ist. — Jetzt, mein Herr," wendete er sich zu mir, „jetzt bin ich bereit, den Dienst von Ihnen anznnchmen, zn dem Sie sich so großmüthig erboten haben." — Schweigend beugte er sich dann nieder, drückte seinem geliebten Sohne, der eben den letzten Seufzer ansgehaucht hatte, die Augen zu, winkte seinem Diener und den mei- uigen, welche sich ans meinen Befehl in meiner Nähe gehalten, den Leichnam aufznhcbcn, und schritt nnS schwankend nach einer nahen Thüre voran; schnell eilte ick ihm nach, und bot ihm meinen Arm zur Stütze; er drückte mir stumm die Hand, und ein ausdrucksvoller Blick sagte mir einen herzlicheren Dank, als die beredtesten Worte cs vermocht hätten. Dann öffnete er die Thüre der wir ;n- geschrittcu waren, und wir traten in eine kleine HauSka- pclle, in deren Mitte sich ein zierliches, in Alabaster gehauenes Mausoleum erhob; der Sarkophag schien ein doppelter zu sein, war aber mit einer Purpursammtdecke verhangen. Als der Greis die rothe Hülle erblickte, wankte er merklicher, und beinahe von mir getragen, stieg er die Stufen hinan, die zu dem Sarkophage führten. Der Schmerz drohte sein Herz zn brechen, aber keine Thräne rann über seine gefurchte, todtenbleiche Wange; — einer si'lcheu Verläugnung des Schmerzes ist nur ein Spanier fähig. ' (Forts, folgt.)
Auflösung der Charade in Nro. 77:
Windmühle.