„Er ist'ö!" stürzt sie leblos zu Boden. Bei dem dumpfen Tone, den ihr Fall verursachte, eilt ihre Herrin herbei; sie sieht Olga bewußtlos daliegen; »ine kleine Lampe brennt neben ihrem Lager; auf ihrem Tische liegen mehrere auf- geschlagene Bücher und das ganz zerknitterte Zeitungsblatt blieb in der Hand der jungen Leibeigenen. Mehr Neugierde, als Mitlciden veranlaßt diese Dame, ihr Hülfe zu leisten. Olga kommt wieder zu sich und ihr erstes Wort ist: Iwan! Jbre Gebieterin fragt sie mit verstellter Milde auS, um ihr ihr Geheimniß zu entlocken, und die Last der Knechtschaft noch durch moralische Leiden zu steigern. Olga ist nahe daran, ihren dungenden Billen nachzugeben; so sehr bedarf ihr Herz eines Ergusses; sie wirft aber einen Blick aus den Aucdruck des Gesichtes, auf welchem sich zu gleicher Zelt Grausamkeit und Stolz abbilken, und sic hat den Mnth, keine Antwort zu geben. Man dringt in Fragen in sic, man droht ihr: sie beharrt in ihrem Schweigen; IwanZ Verlobte wird nicht eingeschüchtert; dieser geheime Instinkt, welcher gleichsam ein zweiter Gesichtssinn des Sklaven ist, warnt sie, nicht zu sprechen. Nun stellt ihre Gebieterin die sorgfältigsten Untersuchungen an und sie verschafft sich bald den vollen Beweis, daß dieses junge Mädchen lesen und schreiben könne.
„Unstreitig sind Deine Absichten sehr strafbar," sagte sic voll Zorn zu ihr, „weil Du sie nicht zu gestehen wagst. Tie Gesetze sollen darüber entscheiden."
Aus der Stelle läßt sie einen Polizeibeamten holen, und trägt, um ihre Anklage zu begründen, keinen Augenblick Bedenken, zu erklären, daß diese Leibeigene Einverständnisse mit Bösewichtcrn unterhalte, und daß sie ihr mehrere Effekten entwendet habe. Die arme Olga wurde in das benachbarte Gefängniß geführt, und hatte jene schimpf, liche Züchtigung zn gewärtigen, welche Seele und Lub zu gleicher Zeit brandniaikt und gewöhnlich das Laster in Verbrechen und den Jrrthum in Verzweiflung verwandelt.
Unter den Büchern, welche Olga gelesen hatte, befand sich auch eine Sammlung von Ukasen, welche die Rechte der Herren über die Leibeigenen, sowie die obliga- torischen Verfügungen für die Fremden enthielten, die sich in Rußland naturalisier hatten, wann sie das kaufen, waS man in Rußland Seelen nennt. Obgleich dieser Gegen« stand nicht sehr anziehend war, so hatte Olga dieses Buch doch mit einer großen Aufmerksamkeit gelesen, ob sie nicht einen Fall darin finden könnte, in welchem ein Leibeigener frei werden könne; damals war sie aber weit entfernt, zu yermnthen, daß eine dieser seltenen Ausnahmen einmal bei ihr eine Anwendung finden würde. Die Arme wurde mit einem Kruge Wasser und einem Stücke schwarzen BrodrS in den Kerker geworfen, bis ihr Unheil gefällt wurde. Den Tag darauf holte man sie auS ihrem Gefängnisse her- auS und sie erschien mit mehreren anderen Angeklagten vor einem Offiziere, der daS Richteramt versah. Nichts geht so schnell vor sich, als diese Arte» von Verhören. Peitsche, Keule, Gesängniß sind die gewöhnlichen Strafen, welche über Landstreiche, ei, Diebstahl und oft über eine mmbige Insubordination verhängt werden.
Olga war allein noch übrig: der Offizier, welcher
wußte, daß die Klägerin einiger, Einfluß besitze- hatte ihr versprochen, ihre Leibeigene nicht zu schonen.
„Du hast also Deine Herrin bestohlen?" sagte er in einem barschen Tone zu ihr.
„Gott ist mein Zeuge," erwiderte Olga, „daß mir der Gedanke an einen Diebstahl nie eingefallen ist; über- dieß, fügte sie mit fester Stimme hinzu, „kann nur der allein einer so strafwürdigen Versuchung nachgeben, der daS ausschließliche Recht hat, zu besitzen."
Diese kühne Sprache fiel dem Richter auf.
„Ich werde eher Deiner Herrin, als Dir glauben," fuhr er fort: „Hier ist die Verkaussurkunde, welches das Eigenthum derjenigen besagt, die Dich anklagt."
„Erlauben Sie mir, sie zu besehen^' sagte Olga.
„WaS willst Du damit machen?"
„Mich überzeugen, daß sie in Form Rechtens ist."
Der erstannte Offizier läßt sich daS Papier nehmen; lieSt eS mit Aufmerksamkeit; Plötzlich strahlt die Freude auS ihren Blicken. „Gott sei gelobt," ruft sie mit einem um ausprechlich würdevollen Ausdruck aus, „ich bin frei!"
„Du bist frei?"
„Ich bin cs; dies« Urkunde ist nach Verlauf eines Jahres nicht erneuert worden."
„Wer hat Tich denn so gelehrt gemacht? Wirklich, ich glaube, sie hat Recht; aber die Klage wegen Diebstahls? . . ."
„Ich werde als eine freie Person gerichtet und meine Unschuld wird bald erkannt werden."
„Sie versteht die Sache ebenso gut, wie ein Sekretär des Senats," murmelte der Richter und ging hinaus, um sich bei Leuten Raths zu erholen, welche von diesen Sachen mehr verstanden, als er. Er erlang.« bald den Beweis, daß die Leibeigene in ihrem Rechte sei. Nun gervannen seine Verfügungen plötzlich eine ganz andere Gestalt. Ec beschloß, von diesem außergewöhnlichen Vorfälle den Gouverneur von Moskau in Kenntniß zu sitzen, weil er zuverlässig hoffte, daß ein Thcil des Interesse, daS Olga eim slößen mäße, auch auf seine Amtsführung fallen würde. Er benahm sich demnach äußerst dienstgefällig in Beziehung auf das junge Mädchen und schrieb einen ausführlichen Bericht , in welchem Olga als ein Mädchen von erstaunlichem Wissen geschildert und als eine von ihrer Gebieterin ung»« rechier Weise verklagte Person angegeben wurde. Während er daS Resultat seiner Schritte abwartete, nahm er cS auf sich, Olga's Gefangenschaft zu ändern, und gab ihr sogar den Rath, selbst eine Bittschrift an den Gouverneur aufzusetzen. Olga konnte nicht begreifen, wie dieser so harte Mann ihr Beschützer geworden war; sie glaubte einen Au- genblick au seine Großmuth und schrieb folgenden Brief an den Fürsten Galitzin.
„Ich bin eine gcborne Leibeigene des Grasen R"*, alle meine Verwandte sind in dem Dienste unseres VaterS, dcS EzaarS Alexander gestorben, und ich habe nur noch eine alte und gebrechliche Mutter. Ich wurde au die Gemahlin des Rath Barnel verkauft. Da gab mir der Wunsch, zu erfahren, waS auS meinem Verlobten geworben sei, der