Ein gewisses Mitleiden mit dem verführten Mädchen überfiel mich und ich konnte mich nicht enthalten, ihr in'S Gewissen zu reden.

Genoveva, Sie verlieren in meinen Augen..

Wie abgeschmackt! Mir diese alte Leyer zu wieder­holen, ist doch zu albern! Wohlan, ich will Ihnen ein­mal reinen Wein einschenken. Aufstehen bevor der Tag graut, zitternd und bebend vor Kälte, schmutzige, abgeschlos­sene Lumpen statt der Kleider entziehen, ganze Tage lang mir schwerem Kopf und stieren Augen auf hartem Stuhle fitzen, die Fitste beständig ans der Gluthpfanne, was Einen unfehlbar zum Krüppel macht; viele Stunden lang, die Hände blau vor Kälte, sich nicht vom Platze bewegen dür­fen, zusammengckauert da sitzen müssen und die Nadel ans- ziehen, einen Tag wie den andern, immer und immer... nicht einen Augenblick Erholung haben und ... hören zu müssen, wie draußen Alles lebt und genießt... die Sonne auf und langsam wieder nicdergehen zu sehen, und selbst noch arbeiten zu müssen, wenn ihr holdes Licht erloschen wenn die Nacht hereingebrochen ist und der Lärm auf den Straßen immer lebhafter, immer lustiger wird, wenn die Hand vor Mattigkeit zusammensinkt und das Auge ein» Nebel umflort... nur anfzustchen, um die ärmliche Lampe, die am Erlöschen ist, wieder mit Oel zu versorgen und als­bald wieder die Arbeit zur Hand zu nehmen ... nach und nach hören, wie die Läden geschlossen, wie die Tritte der Vorübergehenden immer hörbarer werden... und wenn alle Lichter gänzlich erloschen sind, wenn Alles ruhig ge­worden ist, wenn sich das Haupt unter seiner Last müde niedersenkt, wenn die Augenlieder brennen und ein Schau­der den ganzen Körper dwchstöstelt, immer noch arbeiten, immer und immer!... den Nörper zu Grunde richten, Schönheit und Jugend aufrpferu, um sein Leben notidürf- tig durchzuschlagen... endlich durch das elende Gewerbe eine kleine Summe erstatt zu haben, welche einen Hand­werker etwa anlocken könnte ... sich durch scheinbare Liebe verführen zu lassen, um dann in einem Tag die Erspar­nisse von vielen Jahren in der Vorstadt in liederlichen Häusern verpraßt zu sehen; keinen Heller mehr für die Haushaltung, dafür aber einen betrunkenen Mann, einen blauen Nucken und einen Hansen Kinder zu beützen, die i nach Brod schreien!... O! wahrhaftig, ein Leben, wie man es sich nicht besser wünschen käme! Wenn ich mir jetzt durch mein gegenwärtiges Leben Gold und Diaman­ten errungen habe, kann ich je unglücklicher werden, alö ich es früher war? Ich weist zwar, daß dieses Wohl­leben nicht immer dauern wird, aber cs hat doch gedauert, i ich habe gelebt! Sie werden mir erwidern, daß alsdann Entsagung schwerer fallen werde.. . Pah! ... bis dahin bin ich vielleicht todt!... und nberdieß bleibt für Jedermann Elend eben Elend.. . Derjenige, welcher sein Leben lang von schwarzem Brode lebte, leitet, wenn ihn hungert, eben­so wie derjenige, dessen Nahrung nur Leckerbissen waren... Da haben Sie es!... Sie sind ein Thor!... Gehen S e, hei'.athen Sie Ihre Agatha , sie wird ihr ehelicher Leben mit prächtigen Stickereien ausschmücken... Mich lassen Sie in Nuhe, leben Sie wohl!. ..

Das Satanskind verliest mich, wußte aber nur zu

gut, daß ich dem im Strome schwimmenden Blatte gleiche, welchem man leicht zurufcn kann: stu bist frei, thue nach deinem Gefallen, waS du willst, es muß folgen. So fühlte auch ich mich, in Wahrheit, nurum so mehr zu ihr hingczogcu.

Dieses Weib war mein Untergang. Jetzt fange ich erst an, einzusehen, welche Macht sie über mich hatte. Ge­wiß, es fehlte mir nicht an Math; mehr als einmal habe ich mich wegen eines Blickes, der mir an einem Andern mißfiel, oder wegen eines aufgestützten Ellenbogens, der mich hinderte, geschlagen. Sogar ein Lächeln, in welchem ich Ironie zu erblicken glaubte, war hinreichend, mich zur höchsten Wuth zu reizen und, denken Sie sich, dieses Weib konnte mich verachten, kränken, rücksichtslos betrügen; zu ihren Füßen niedecknieend duldete ich Alles, bat nur um Erhörnng. Sie wagte mich zu schlagen und ich küsse die erzürnte Hand. Einmal hatte ich die Beweise ihrer Treu­losigkeit in der Hand; derjenige, welchen ich bei ihr au- traf, war einer meiner Freunde; ich beohrfeigte ihn und wir forderten uns; allein... sie verbot mir, mich zu schla­gen und ich rächte mich nicht.

Ich hatte ihr ein kleines Hotel am äußersten Ende der Chaussee d'Antin gcmiethet, ihr eine zahlreiche Die­nerschaft und prächtige Pferde angeschafft. Aber Kaleschen und Wagen gefielen ihr nach einem Monat nicht mehr und sie vertauschte sie wieder; sie verschleuderte nicht allein das Geld, sie warf, wie man zu sagen pflegt, zum Fenster hinaus; und doch ist dieser Ausdruck lange noch nicht erschöpfend genug: Sie verschlang cs wirklich. Sie kön­nen sich leicht denken, daß auf diese Weise mein Vermö­gen längst schon aufgezehrt war. Ich siel in die Hände der Wucherer. Sie wissen, daß mein Vater hunderttau­send Frauken Reuten zu verzehren hatte und ich führte die Ratten in bas Gebäude des väterlichen Vermögens.

Ich habe vorhin zu sagen vergessen, daß vou jenem Abend an, als ich Genoveva in der Oper traf, me n La­kai verschwand und sich seit der Zeit nie mehr erblicken li ß. Flamöche, der Lakai und .Genoveva waren eine und cie- selbe Person."(Fortsetzung folgt.)

Räthfel.

Tausendmal werd' ich Weder geboren,

Nur damit ich wieder sterbe; Gebe durch's Messer Dessen verloren,

Dem ich chaö Leben erworben. Weicher mich wegwirft,

Hätte mich der nicht,

Wäre sein Mädchen verdrüßlich, Hätte geliebt ihn Wirklich so sehr nicht,

Lip e nicht wäre so köstlich. Andere lassen

Größer mich werden,

Schöner und stärker erscheinen, Andere schämen Mein sich auf Erden,

Möchten fast über mich weinen.